Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819)



Sag, wenn du's weißt, Geselle,
Wo fließet Chiders Quelle?

Von der die Dichter sagen,
Daß jung mach' ihre Welle.

Zu ihr geht, um zu trinken,
Die schüchterne Gaselle,

Verbergend ihre Pfade,
Daß ihr kein Schütz nachstelle.

Nach ihr im kalten Waldbach
Steigt aufwärts die Forelle,

Und schnellt nach ihrem Wasser
Sich über Wasserfälle.

An ihrem Rand veredelt
Trägt Äpfel die Kornelle.

In ihr zu baden rennen
Die Mond' am Himmel schnelle;

Und ihren Goldglanz schöpfen
Aus ihr die Sonnenbälle.

Sie suchte Alexander,
Der Stürmer der Kastelle,

Weil ihm den Durst nicht löschten
Die Schätz' erstiegner Wälle.

Er ging durchs Land des Dunkels,
Und sah nicht ihre Helle;

Und ist vor Durst verschmachtet,
Eh er gelangt zur Schwelle.

Zu ihr führt nicht den Pilger
Die Karawanenschelle.

Bei Mekka, Semsem's Brunnen
Ist salzig, und nicht helle.

Sie fließt nicht aus der Kaaba,
Und nicht aus der Kapelle,

Fließt nicht ins Derwischkloster,
Noch in des Mönches Zelle.

Dschelaleddin, du kennst sie,
O führe mich zur Stelle,

Daß sie wie deine Lieder,
Mein Herz mit Leben schwelle,

Und nie ein Trunk der Welt mir
Die Lippe mehr vergälle.

 

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