Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Josef von Hammer-Purgstall 1818)


Aus dem Buchstaben Mim

Murghi harimi hasretem bakrabaku hemi senem

Ich bin der Vogel der Gottheit, trommelnd: Bakrabaku,
*
Berauscht vom Weine der Einheit, trommelnd: Bakrabaku.

Das Glas des Weines, der Zucker bin ich, Braten bin ich,
Ich bin die Laute, die Geige, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin der Weg von Hedschas, Gebeth und Psalter bin ich,
Vertraut mit allem Geheimniß, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin das ewige Loos, die trunkene Nachtigall ich,
Ich bin der Ring am Finger, trommelnd: Bakrabaku.

Wiewohl von Menschen erzeugt, bin ich von Ewigkeit her
Der Gegenstand des Gebeths, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin die Krankheit, das Mittel, bin Aßaf und Safa,
**
Ich preise eigenen Werth an, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin der Quell der Erschaffung, bin der Weiser des Weg's,
Ich bin die Kette der Narrheit, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin die Kaaba und Mina, Safa bin ich und Merw',
***
Ich bin ein Stäubchen der Sonne, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin nicht Ich, in dem eignen Leibe bin ich nicht Ich;
Er ist in Wahrheit der Körper, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin der Schah und der Bettler, Mond und Himmel bin ich,
Ich bin der Weg und das Ziel ich, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin der Papagey und der Baum des Lebens zugleich,
Ich bin die Flamme der Lampe, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin der kreisende Himmel, Licht und Schimmer bin ich,
Ich bin der Morgen und Abend, trommelnd: Bakrabaku.

Ich bin die Sonne des Glaubens, bin Gewissheit fürwahr!
Unglaube bin ich und Glaube, trommelnd: Bakrabaku.

* Bakrabaku ist der onomatopoeische Ausdruck des Getöns der Halbtrommel,
womit die Derwische ihren Reigen begleiten; sie spricht in dieser Hymne
sich als göttliche Liebe, und als wahre Alleinslehre aus.

** Aßaf der Wesir Salomon's; Safa der Beynahme Simeon's Petrus (Simeon Cephas).

*** Mina, Safa und Merwa, die Nahmen der drey um die Kaaba gelegenen Berge.

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Ei aaschikan ëi aaschikan es aalem bi dschan amedem

Liebende! Liebende! Ich kam von der Seelenwelt
Seele! Verneige dich, ich such' den Geliebten hier.

Verständige, Verständige! wo ist der Verstand? Wo ich?
Fraget mich nicht darum, weil ich nicht mit Wissen kam.

Wissende! Wissende! Die ihr das Geheimniß wisst,
Wissend  bin ich, weil ich bekannt bin den Wissenden.

Suchende! Suchende! Im Suchen des eig'nen Ziels
Fallend und stehend, beschwerlich und leicht kam ich.

Läuternde! Läuternde! die Läuterung machte mich
Wie ein Atom so leicht, so kam ich zum Herzensfreund.

Weinschenkende! Schenkende! Den Wein von mir wendet weg,
Weil ich wie Nachtigall verliebt in die Rose bin.

Nahende! Nahende! Der Nächste der Diener ich,
Bin ich der Liebling des Sultanes geworden nun.

Vollkomm'ne! Vollkommene! ich bin in der Seelen Ost
Glänzend gestiegen auf, der Sonne des Glaubens gleich.
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Dusch ber dergahi iset kussi sultani sedem

Gestern schlug ich noch der Herrschaft Pauke,
Schlug das Zelt auf an dem höchsten Thron,

Trank im Himmel reinen Wein der Einheit
Gottes, aus der Hand des Herzgeliebten.

So betrunken, dass von Trennungsgluthen
Ich der reinen Geister Zell' ansteckte;

Als mir Wein und Glas und Schenke Eins war,
Trat ich Gauern und Moslimen nieder.

Wieder war ich trunken und von Sinnen,
Salomonen gleich das Herz beherrschend.

Ich beschritt wie Er des Ostwind's Flügel,
Maßte mir die Weltenherrschaft an.

Dieses Glück kam mir von Schems Tebrisi,
Falle deßhalb sinnenlos zu Boden.
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Men bendëi Sultanem Sultani dschihanbanem

Ich bin des Sultans Knecht, ich bin der Welt Sultan,
Seit ich den Glanz gesehn, bin ich erstaunt und irr.

Ich kose wie ein Papagey und wie Simurg,
Ich bin das Edelste von Menschen und von Thier.

Ich bin der Geist, die bin die Ruh' und Gottes Knecht,
Ich bin der Sonne Schutzgenoß, der Sohn Dschemschid's.

Ich bin das Paradies, und die Huris zugleich,
Ein Staub der Gottheit, und ein Theil der Menschheit auch.

Das Obre, Untre, Höchste und das Niederste,
Den Himmel setzt' ich und die Elemente ein.

Ich bin das Licht und Tag und Nacht und Finsterniß.
Der inn're und der Aeußre bin ich, der und der.

Ich bin der Mond, die Sonne, Ros' und Rosenbeet,
Bin Jupiter und Mars, Saturn und Abendstern.

Ich bin der Kaiser Licht und Gottes Liebender,
Ich suche seinen Thron, ich hab' Ihn schon erkannt.

Ich bin der Geist der Hülf', ich bin der Zweifel Ost,
Ich bin Verstand und Geist, die Seele und der Leib.

Ich bin so Licht als Gluth, und trage Feuergürtel,
Ich bin ungläubig, gläubig, Gauer und Moslim.

Ich bin zur Wahrheit und zur Einigkeit gelangt,
Bin Eins und mehrfach, bin versammlet und zerstreut,

Bin einsam und besucht, erkennend und bekannt,
Abwesend, gegenwärtig, verdecket und enthüllt;

Unwissend und gelehrt, so thätig als in Ruh',
So Pilger, als Wegweiser, Diw und Salomon.

Ich war ein Zeitgenoß von Noe, ihm vertraut,
Ich regnete und war selbst in der großen Fluth.

Ich bin die Lieb', der Liebende, berauscht, erstaunt,
Ich bin Jussuf, und Kanaan, Chosru, Chakan.

Ich widerspreche und ergebe mich zugleich,
Ich bin der Feind von Pharao und Moses auch,

Bin Maghe und Derwisch, bin Wunde und das Pflaster,
Bin Stachel und Arzney, bin Krankheit und das Mittel,

Bin in der Frommen Kreis und doch auch im Bordell,
Ich trage des Gehorsams Joch, und bin empört,

Ich bin die Kerze und der Schmetterling im Kreis',
Ich bin das Netz, das Korn, der Schatz, die Wüsteney,

Ein Sünder und ein Gott, ein Freyer und berauscht;
Ich bin der Herr des Diwan's, und bin es auch nicht.

O Schems Tebrisi! du hast endlich obgesiegt,
Ich schaue endlich Gott, und ich erkenne Gott.
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Ma dil ender rahi dschanan bachtim

Ich spielt' das Herz am Liebespfad'
Und warf Verwirrung in die Welt,

Die Kette, Rosenkranz und Teppich
Warf ich in das Bordell der Maghen.

Ich warf in's Herz der Weinenden
Und Liebenden Gluth und Verwirrung.

Ich schoß den Pfeil der Wissenschaft
Vom Armuthsbogen in das Ziel.

Ich nahm von dem Koran das Mark,
Und warf die Haut dem Pöbel vor.

Das Gut der Welt ist nur ein Aas,
Ich warf das Aas dem Schinder vor.

Das Korn, die Fahne, den Turban,
Und allen Streit warf ich in's Wasser.

Es hat Tebrisi schön gesagt:
Ich warf auf Mewlana den Blick.
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Hu senem ber kudsian her scheb si dil hu senem

Zum Himmel schrey' ich jede Nacht Hu!
Der Schönheit Gottes voll schrey' ich: Ja Hu! Men Hu!

Mit jedem Morgen tanzen Sonn' und Mond im Herzen,
Gen Mond und Sonne schreye ich: Jahu, jahu!

Von jedem Baum' erglänzt das Licht der Wahrheit Gottes,
Ich girre auf dem Baum wie Turteltaub': Gugu!

Wenn Gott im Herz', ist Gott bey mir, und ich bey Gott;
Zu Gott gelang' ich, wenn ich mich begeb' zur Ruh'.

Ich ward mit Allem Alles und sah Gott in Allem.
Sag': Gott ist Eins, sein Nahmen ist Jahu! Menhu!

Von Gottesnahmen ward mein Herz geprägt wie Gold,
Ich bin nun Gottes Geld, und rufe laut: Jahu!

Es folget Schems Tebrisi wie der Mond der Sonne,
Es wird der Raum durch sie erhellt, Jahu! Jahu!
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Tschi tedbir ëi Musulmanan ki men chodra nemidanem

Was ist zu thun ihr Moslimin, ich kenn' mich nicht!
Ich bin nicht Christ, nicht Jud, nicht Gebr, nicht Moslim.

Vom Ost und Westen nicht, vom Land' und Meere nicht,
Nicht aus den Reichen der Natur, vom Himmel nicht.

Aus Hind und Sina nicht, nicht aus der Bulgarey,
Nicht aus Irak, noch aus den Städten Chorassan's.

Ich bin nicht Wasser, und nicht Staub, nicht Wind, nicht Feuer,
Vom Höchsten und vom Tiefsten nicht, vom Seyn und Werde,

Von beyden Welten nicht, kein Sohn von Adam,
Von Höll' und Himmel nicht, und nicht vom Paradies.

Er ist der Erste, Letzte, Aeußre, Innere,
Ich kenne nichts als Ihn: Jahu! Jahu! Menhu!

Ich schaute auf, und sah die beyden Welten Eines,
Nur Eines seh' ich, Eines such' ich, Eines weiß ich.

Mein Ort ist ohne Raum, mein Zeichen ohne Spur,
Es ist nicht Seel', nicht Leib, ich bin der Seelen Seele.

Wenn ohne Dich ich einen einz'gen Tag verlebte,
So reuet mich dieß Leben einer einz'gen Stunde.

Wenn eines Tags der Freund die Hand mir einsam reichet,
Tret' ich die Welten unterm Fuß, thu' auf die Hände.

O Schems Tebrisi! so bin ich berauscht allhier,
Daß außer Trunkenheit kein Mittel übrig bleibt.
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Ëi aaschikan ëi aaschikan men aaschiki dirine em


O Liebende! O Liebende, ich liebe lang,
Aufrichtige! Aufrichtige! Ich liebe lang.

Es war die Welt und Adam nicht, da war ich schon,
Die Zeit war nicht, da war ich schon, ich liebe lang.

Man formte mich durch siebenhunderttausend Jahre,
So ward ich nach und nach geformt, ich liebe lang.

Als einst das Licht der Liebe durch die Welten ging,
Da war noch Niemand außer mir, ich liebe lang.

Als Pharao verschlungen ward vom rothen Meer,
Da stand ich kämpfend Mosen bey, ich liebe lang.

Mit Noe war ich in der Arch', im Brunn' mit Jussuf,
Ich war von Jesus Zeitgenoß', ich liebe lang.

Am Tag' des Looses wo die Seelen riefen: Ja!
War ich als erster Zeuge da, ich liebe lang.

Der Fromme in der Zell, der Gauer in dem Tempel,
Sie tragen gleiche Farb' für mich, ich liebe lang.

Ich lebte mit Ali, ich lebt' mit Abubekr,
Mir beyden war ich wohl vertraut, ich liebe lang.

Als Mohammed durch alle Höh'n der Himmel fuhr,
Da wohnte ich im siebenten, ich liebe lang.

Ihr Cherubim! die Ihr des Thrones Träger seyd,
Erhebt denselben höher noch, ich liebe lang.

Geh'! sag' dem Vogt, es sey die Majestät gekommen,
Daß ich den Nacken ihm zerschlag', ich liebe lang.

Ich bin dem Mufti gram, ich bin den Richtern feind,
Weil ungerecht sie Ausspruch thun, ich liebe lang.

Ich bin des Ordens Scheich, ich bin des Klosters Probst,
Ich bin der Wahrheit auf der Spur, ich liebe lang.

Vier Mütter haben mich erzeuget mit neun Vätern,
Ich bin von sechs und sieben frey, ich liebe lang.

Dem Schems Tebrisi sag' der Grieche sey gekommen,
Es saget Mewlana sofort: Ich liebe lang.

O Liebende! o Liebende! wer ist wohl Schems Tebrisi?
Er ist das Licht von Mustafa, ich liebe lang.
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Amed behar ëi dostan mensil sui bostan künim

Der Frühling ist da, in den Garten begebt euch, o Freunde!
Ihr Fremde der Fluren empor! und beginnet zu rollen.

Wir wollen heut' fliegen wie Bienen von Rose zu Rose,
Und wollen uns bauen sechseckiges Haus wie die Bienen.

Die Kund' ist gekommen: Nun trommlet nicht mehr im Verborgnen!
Wir wollen die Trommel der Liebe durch Trommlen zerbrechen.

O höret den Reigen der Himmel! Wahnsinnige steh't auf!
Ich bringe die Seele zum Opfer den Liebenden heute.

Zerbrechet die Ketten! Ein jeder von uns ist ein Schmid,
Wir schlagen die Esse in Mitte des Rosenbeets auf;

Wir fachen mit Blasbalg die Gluthen des Herzen zu Flammen,
Und brauchen Erfahr'ne der Herzen als Jungen zum Dienste.

Wir setzen die Erde in Feuer und schlagen den Himmel zusammen,
Wir treten danieder Vernunft wie die eigenen Köpfe.

Wir haben nicht Hand und nicht Fuß wie die Ballen der Laufbahn,
Und selbst nicht gehorchend, wir thuen bald dieses bald jenes.

Wir sind nur die Ballen in Händen des Schahes,
Wir schlagen nun hundert der Ballen zum Fuße des Schah's hin.

Wir schweigen, und Schweigen ist einzige Summe der Narrheit,
Vernunft ist's zu bergen die Gluth die im Inneren brennet.
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Ischka türa kasi berem ki eschk sichem hemtschu sanem

O Lieb' ich zeuge dir's: Ich weine schwarz wie Götzen,
Mich rufet Niemand auf; ich bin nur Zeug' nicht Bürge.

Du bist der Richter du Vergangenheit und Zukunft,
Bald aufgebracht und bald ergeben zeigst du dich.

O Liebe höchster Schmuck! ich bin Du und du Ich,
Du bist der Strom, die Scheuer, du die Lust, der Schmerz.

Du bist die Süßigkeit, du bist die Trunkenheit,
Du bist das Meer voll Perlen und der Schacht voll Gold.

Du bist beredter Wunsch, du schweigende Begier,
Einsicht und Unverstand, Unglauben und die Leitung.

O Schah der Schahe, der auf Geist und Seelen thront,
Du spurenlos mit hundert Spuren, All im Nichts.

Die Schönen und die Götzen huldigen dir alle,
Denn du befreyest sie von Krankheit und von Tod.

In mannigfaltiger Gestalt, bald Milch, bald Zucker,
Ein mannigfalt'ges Bild von einem einz'gen Pinsel.

Wer sich dir nahet, gibt die Seele auf bey dir,
Bald sagt dein Eifer: Geh! doch, bleibe! sagt die Huld.

Zuvor kommt deine Huld anziehend die Verliebten,
Zuvor eilt auch dein Grimm das Laster zu bestrafen.

Was lebt gehorcht Dir, Einbildungen bey Seite,
Sie ziehen unter Dir geschaart mit Fahnen auf.

Du tragest das Panier der ew'gen Herrschaft vor,
Und nimmst die Welt gefangen, Herr des Reichs der Heere.

Mit jedem Augenblicke kommt ein neu Phantom,
Vor dem die Seele zittert wie die kleinen Kinder.

Nun laß uns schweigen, dass die Welt sich nicht erhebe,
Ein andermahl will ich nicht mehr, nicht minder sagen.
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Ma tadschi serifrasi heme chalki chudaim

Wir sind die Ehrenkrone des Volks Gottes,
Wir sind die Fürsten von der ganzen Welt,

Das Licht, worin das Feuer selbst verbrennet,
Die Lebensfluth im Quell der Reinigkeit.

Wir sind's, sind's nicht, und sind nicht, was wir sind,
Wir seyn, seyn nicht, und seyn nicht, was wir seyn.

Wir sind die Suchenden, und auch das Ziel,
Wir sind die Reisenden, der Weg, die Herberg.

Wir ruhen in der Welt, und herrschen auch,
Das Daseyn ist uns Nichts, wir dau'ren doch.

Wir sind berauscht wie Schemseddin Tebrisi,
Wir sind Sultan der Welt und auch Derwisch.
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Ja rebb tschi jar darem schiri schikar darm

O Herr! welch einen Freund, welch einen Löwen hab' ich!
Ich trage seinethalb im Busen tausend Vögel,

Als ich von ihm entfloh durch Liebe hart bedrängt,
Sprach er: Wohin flieh'st du? Ich hab' mit dir Geschäft.

Ich fragte gestern Nachts den Mond um meinen Mond;
Er sprach: Vor ihm verhüll' ich mich in Wolkenstaub.

Die Sonne kam, ich fragte sie: Warum so gelb?
Sie sprach: Ich schäme mich vor seinem Angesicht.

Zum Wasser sagt' ich: Warum läufst du so herum?
Es sprach: Mich zwinget seine Zauberey dazu.

Zum Feuer sprach ich: Flammenfürst, was flackerst du?
Es sprach: Sein Wangenglanz macht mich so unbeständig.

Ich sprach zum Winde: Weltenboth', was rennst du so?
Er sprach: Er brennet mir das Herz, wenn ich verweile.

Was kümmern Elemente mich! Gott ist mein Helfer!
Im Kopfe ist der Rausch, und in der Hand das Glas.

Es kommet nach dem Schlaf' zurück die Trunkenheit,
O gebt mit beyden Händen Wein, so lang es geht.

Sey still, o Herz! ich spreche ohne Zunge.
Ich will es schreiben, sprach das Herz. Ich schämte mich.
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Imrus feda dschanem bergeschtëi dschananem

Ich bin ein Seelenopfer heut'
Durch Lieb' verkehrt, erstaunt,

Versenket in der Einheit Welt,
Gott in der That, der Form nach Mensch.

Ich bin die Kaaba, das Convent,
Der Schacht, das Gold, das Glück, der Himmel.

Wie Jakob seufze ich, wie Job,
Ich bin Jussuf und Kanaan.

Ich leb' in Schenken und in Kirchen,
Ich bin der Nöthen Hochaltar.

Ich bin der Herr, und Er ist Ich,
Die Seel' ist Er, das Herz der Leib.

Ich bin die Nachtigall, die Rose,
Zerspaltet lache ich wie Rosen.

Ich bin Sofi und bin Derwisch,
Ich bin der Irrthum und die Wahrheit.

Ich bin Geheimniß, Weltenseele,
Ich bin bekannt und doch verborgen.

Ich bin der Seele Form und Spiegel,
Und bin vertraut mit Tod und Teufel.

O Schems Tebrisi was du mischest
Ist Herzensblut, ich weiß es wohl.
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Der dschihan gisi aaschiki mest ëi Musulman menem

Moslimen! liebetrunken in der Welt bin ich.
Ungläubiger und Gläubiger, betrunkner Mönch,

Die Scheiche: Bajasid und Schubli, Dschuneid,
Abu Hanife, Schafii und Hanbeli, bin ich.

Des Himmels Thron und Zelt vom Staube bis zur Plejas,
Was du nur siehst in Trennung und Genuß, bin ich.

Ich bin die Weite zweyer Bogen um den Thron,
*
Das Evangelium, der Psalter, der Koran,

Ich bin Usa und Lat, das Kreuz, der Baal und Dagon,
**
Die Kaaba und der Ort, wo man die Opfer schlachtet.

In zwey und siebzig Secten ist die Welt getheilt,
Doch nur Ein Gott; der Gläub'ge, der Ihn glaubt, bin ich.

Du weißt was Feuer, Wasser, Luft, und Erde sind;
Das Feuer, Wasser, Luft und Erde, all' bin ich.

Die Lüge, Wahrheit, Gutes, Böses, Hartes, Leichtes,
Die Wissenschaft, die Einsamkeit, die Tugend, Glaube,

Der tiefste Höllengrund, die größte Qual der Flammen,
Das höchste Paradies, Huri, Riswan, bin ich.

Die Erde und der Himmel und was ist darinnen,
Die Engel und die Teufel, Geist und Mensch, bin ich.

Was ist der Rede Ziel? o sag es, Schems Tebrisi!
Des Sinnes Ziel ist dieß: die Weltenseel', bin ich.

* Kab kawssein, d.i. die Entfernung zweyer Bogenschüsse, in welcher sich
Mohammed auf seiner Himmelfahrt dem Throne des Allerhöchsten nahen durfte.

** Diese Ode ist eine der erhabensten und merkwürdigsten, weil sie mit klaren Worten
die höhere Stufe, von welcher der Sofi auf die äußeren Formen aller positiven Religionen gleichgültig
herabsieht und alles Zufällige unter die Füße tritt, ausspricht. Nachdem sich der Dichter in dem zweyten Doppelverse mit den großen Scheichen und Imamen des Islam's als Einen und Denselben erklärt,
fährt er in den folgenden mit der Auseinandersetzung seiner Alleinslehre fort. In diesem hier fasst er alle Gottesdienste zusammen. Usa und Lat, die zwey arabischen Idole, deren im Koran Erwähnung geschieht stellen
das arabische Heidenthum, Baal und Dagon das syrische vor, wie das Kreuz das Christenthum,
und die Kaaba den Islam.

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