Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819)



Komm, o Frühling meiner Seele, Welten wieder mache neu!
Licht am Himmel, Glanz auf Erden, hoch und nieder mache neu!

Setze mit dem Sonnenknaufe blau der Lüfte Turban auf,
Und der Fluren grünen Kaftan, holder Chider, mache neu!

Mache Wiesen frisch von Kräutern, und von Sprossen Haine jung,
Rosen-Schnürbrust und der Lilie schlankes Mieder mache neu!

Schmelze mit dem Hauch des Winters Helm und Panzer, mit dem Blick
Brich den Frostspeer; unsern Frieden, Weltbefrieder, mache neu!

Ohne Ostwind ist die Luft tot, und der Rosen Odem stockt.
Aus dem Schlummer weck den Ostwind, sein Gefieder mache neu!

Roll' in Donnern, geuß aus Wolken auf die Erde Moschusflut,
Laß von Kopf zu Fuß uns baden, alle Glieder mache neu!

Pinie schlägt im Winde Pauken, Platanus mit Händen Takt.
Hauch der Liebe, deine Traumdüft' unterm Flieder mache neu!

Reben ringeln sich an Ulmen zur Verehrung Gottes auf,
Veilchen küssen Staub; Lenzandacht, o Gebieter, mache neu!

Hyazinthe kost mit Tulpen, und von Rosen Nachtigall,
Turtel girret süße Weisen; Parsilieder mache neu!

Zünd in Blüten Opferfeuer, Weihrauchglut in Düften an,
Und als Flöten alle Gräser, Rohr' und Rieder mache neu!

Laß die Blätter Zungen spitzen, Liebesfragen auf der Flur
Zu verhandeln, ihren Scharfsinn für und wider mache neu!

Hörst du? Frühluft, Frührot, Frühlicht ruft: Steh früh im Frühling auf,
Freund, mit Frühtau deines Geistes Augenlider mache neu,

Daß du Lenzgeheimnis schauest! Blumenschmelz ist Alchimie:
Festgeschmeid' im bunten Feuer, rüst'ger Schmieder, mache neu.

 

 

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