Ferdinand von Saar (1833-1906) - Liebesgedichte



Ferdinand von Saar
(1833-1906)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Lied
Im Dornbacher Walde gedichtet

Hörst du dort die Stimmen schallen?
Dort sind Menschen, roh und kalt -
Laß uns, Teure, tiefer wallen
In den heilig stillen Wald.

Jene bleiben wohl am Rande,
Daß sie noch die Straße sehn,
Denn sie sind im Festgewande,
Und da muß man sicher gehn.

Wir doch wollen uns erst schmücken
Mit des Lenzes jungem Grün,
Wollen uns erst Veilchen pflücken,
Die im Dickicht reicher blühn.

Sind wir lässig nicht im Suchen,
Ist dein Tüchlein bald gefüllt,
Und im Schatten hoher Buchen
Wird der holde Raub enthüllt.

Deine Kunst magst du nun zeigen;
Um und um ist tiefe Ruh',
Nur die Amsel in den Zweigen
Pfeift ein Liedchen dir dazu.

Müßig sollst du mich nicht finden;
Ob ich es auch nie verstand,
Zarte Blumen einzuwinden,
Bin ich hilfreich doch zur Hand.

Denn ich löse deine Flechten
Still in goldne Locken auf -
Und dann drückst du mit der Rechten
Gleich den fert'gen Kranz darauf!
(S. 20-21)
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Der Brombeerzweig

Sieh', da will ein dorn'ger Zweig
Uns den Pfad verwehren -
Sieh' die Beeren überreich,
Die ihn sanft beschweren.

Beeren, schwarz und rot und grün -
Wie sie mählich reifen
Bei der Strahlen heißem Glühn,
Die im Wald sie streifen.

Soviel Wünsche sonder Zahl
Trag' ich tief im Herzen,
Das dir schlägt in holder Qual
Und geliebten Schmerzen.

Mancher, schon verblutend, mag,
Daß er ward, bereuen -
Doch es reift ein jeder Tag
Selig einen neuen!
(S. 21)
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Verrat

Sei stumm, mein Freund, so sprachst du leise
Und küßtest mich mit sanftem Mund,
Kein Wort, kein Hauch, kein Blick erweise,
Daß wir vereint zu holdem Bund.

Errät die Welt, daß ich dein eigen,
Bin ich verloren - zitterst du?
Drum decke seliges Verschweigen
Das seligste Geheimnis zu!

Du weißt, ich hab' es dir versprochen
Mit heil'gem Schwur noch, da ich schied,
Doch ach, schon ist er auch gebrochen,
Und schon verrät dich jetzt mein Lied.

Wie hält ein schmerzliches Entsagen
Sich gern in tiefster Brust zurück -
Und leiden läßt sich ohne Klagen:
Wer aber trüge stumm sein Glück!?
(S. 21-22)
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Im Traum nur lieb' ich dich . . .

Im Traum nur lieb' ich dich!
Wie könnt' in wachen Tagen
Ich mich so nah dir wagen -
Im Traum nur lieb' ich dich!

Im Traum nur lieb' ich dich!
Da schwindet alles Zagen -
Da darf dein Mund mir sagen:
Im Traum auch lieb' ich dich!
(S. 26)
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Abschied

Nun lebe wohl! Wir müssen scheiden -
Ich sprech' es aus: auf Nimmersehn;
Die Stunde schlug schon längst uns beiden,
Wir fühlen es und müssen's leiden -
So laß uns auseinander gehn!

Der Tag, wo wir zuerst uns fanden,
Uns scheu begrüßt mit Blick und Wort,
Er wob schon heimlich an den Banden,
Die uns stets inniger umwanden
Im Lauf der Jahre fort und fort.

Wir wissen es, wie wir gelitten,
Wir wissen es, wie wir gekämpft,
Doch nimmer ward der Sieg erstritten,
Und ob wir selbst ins Herz uns schnitten,
Ward nimmer doch die Glut gedämpft.

Die aus geheimstem Innern stammen,
Die Mächte, ach, wer kennt sie nicht!
So schlugen die verwandten Flammen
Zuletzt in eine doch zusammen -
Trotz deiner und trotz meiner Pflicht.

O weine nicht, daß es geschehen,
Daß du mich küßtest leis und zag -
Und ich bei deiner Seufzer Wehen
Mit Ungestüm und heißem Flehen
Erzitternd an der Brust dir lag.

Umschling' dein Haupt mit wildem Mohne,
Vergessen soll's auf immer sein;
Mir aber wird's zu herbem Lohne,
Daß Frieden in der Brust dir wohne,
Bin ich dir ferne - und allein.

Wir fühlen es und müssen's leiden -
So laß uns auseinander gehn;
Die Stunde schlug schon längst uns beiden,
Leb' wohl, leb' wohl, wir müssen scheiden,
Leb' wohl, leb' wohl - auf Nimmersehn!
(S. 26-27)
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Errungenschaft

Wenn mein Herz mit raschem Schlage
Sich in Sehnsucht regen will -
Denk' ich nur vergangner Tage,
Und dann wird es kühl und still.

So Verlornem nachzublicken,
Ohne daß mein Aug' sich trübt,
Rasche Wünsche zu ersticken,
Werd' ich mehr und mehr geübt.

Blinkt aus gastlich milden Zweigen
Eine Frucht entgegen mir,
Kann ich sie dem Nächsten zeigen:
Geh' doch, Freund, und brich sie dir!

Und ich weile, um zu pflücken,
Nicht mehr vor der Rosen Pracht -
Höchstens einen Dorn zu drücken
In die Hand mir mit Bedacht.
Blansko, im September 1872 (S. 27-28)
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Nacht

Des Parkes weite Räume
Umflort die stille Nacht,
Es stehn die alten Bäume
In düstrer Wipfelpracht.

Die Pfade wie versunken,
Am Himmel nicht ein Stern,
Verstummt ist schlummertrunken
Das Leben nah und fern.

So müd', so nachtumfangen,
So lautlos bist auch du,
Als wärst du eingegangen
Schon längst zur ew'gen Ruh'.

Nur wie im Dunkel blühen
Die Rosen dort am Strauch,
Will leis dich noch durchglühen
Ein letzter Liebeshauch.
(S. 28)
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Sommerlied

All deine funkelnden Wonnen verstreue,
Herrlicher, sonniger, goldener Tag,
Dehne dich endlos, du strahlende Bläue,
Blühet und leuchtet, ihr Rosen am Hag!

Flutet, ihr Lüfte, ihr zitternden, heißen,
Führet die süßesten Düfte mir zu -
Steiget, o steiget, ihr schimmernden weißen
Wolken der Ferne in heiliger Ruh'!

Ihr aber, Wipfel, mit leisestem Flüstern
Weckt mir Erinnerung seliger Lust,
Da ich einst saß unter schattenden Rüstern,
Still ein geliebtes Haupt an der Brust!
(S. 30)
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An einen kleine Feuerfalter, der eine Nelke umflog

Flattre nur, du kleine Flamme,
Um der Nelke Purpurpracht,
Ob aus dumpfem Grund sie stamme,
Herrlich ist sie doch entfacht.

Und vom Anbeginn der Dinge
Ist's dasselbe Element,
Was auf deiner zarten Schwinge
Und in ihrem Hauche brennt!
(S. 30)
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Unerwartet

Das tiefste Vollempfinden
Der Schönheit wird geweckt,
Wenn sie, urplötzlich nahend,
Uns fast das Herz erschreckt.

Wie wirkt in grauen Tagen
Ein unverhoffter Strahl,
In bangen Dämmerstunden
Ein heller Klang durchs Tal;

In düstrem Waldesschatten
Die Blumen farbig licht -
Im öden Weltgewühle
Ein holdes Angesicht!
Blansko, im Sommer 1887 (S. 32)
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Ausgleich

Was an Schmerzen du erfahren,
Ist vergessen auch zur Stund',
Küßt nach langen, öden Jahren
Wieder dich ein schöner Mund.

Was die Zeit an Ruhm dir raubte,
Hast du doppelt reich und schnell,
Wenn dein Kranz, der früh entlaubte,
Wieder ausschlägt grün und hell.

Darum sel'ge Tränen weine,
Wird dir noch ein spätes Glück:
Denn es bleibt nun auch das deine,
Und kein Gott nimmt's mehr zurück!
(S. 32-33)
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Elisabeth

Wir werden uns, ich weiß es, wiedersehn -
Ob mancher Lenz erblüht noch und verblüht;
Wir werden plötzlich voreinander stehn,
Ob wir, uns nicht zu finden, auch bemüht.

Dann ist vielleicht dein Haar schon silberweiß,
Und kahler wölbet sich der Scheitel mir,
Doch jung und blond erscheinst du noch dem Greis,
Und braungelockt und jung erscheint er dir.

Denn was die Zeit auch beiden abgestreift:
Sie rührte nicht an unsrer Herzen Glut,
Die, überdauernd, neu zum Leben reift,
Was lang in der Erinn'rung Grab geruht.

Noch einmal zuckt es in uns mächtig auf,
Es ist der Lebenskräfte letzter Schuß;
Noch einmal wallt das Blut mit raschem Lauf -
Wir küssen heiß wie einst den letzten Kuß.

Dann aber lassen wir uns nieder still
Und fühlen leise, Hand in Hand gelegt,
Daß jeder Keim zur Frucht gedeihen will,
Den einmal wahrhaft tief das Herz gehegt.

Wir fassen's nicht, daß wir so lang gelebt,
Einander fern - und doch die Brust voll Drang;
Daß wir, trotz allen Sehnens, nicht gestrebt
Uns aufzusuchen - ach schon lang, schon lang!

Wir fassen's nicht, daß voneinander je
Wir scheiden konnten, zürnend und mit Groll,
Und selbst uns schaffen jenes herbe Weh,
Das heiß in Tränen durch die Wimper quoll.

Auch unsren Fehlern sinnen wir dann nach -
Und finden doch die Summen gleichgesetzt,
Da jedes das nur an sich selbst verbrach,
Womit es oft das andre schwer verletzt. -

So weilen wir mit Blicken, tief und mild;
Ich streichle dir, wie einst, das schlichte Haar,
Und unsrer Jugend lang getrübtes Bild,
Vor unsrem Geiste wird es hell und klar.

Und all der Kampf, die selbstgeschaffne Qual
Zerstieben, so wie Nebel sanft zerstiebt -
Und nieder fällt auf uns der reinste Strahl:
Wir sehen nur, wie sehr wir uns geliebt!
(S. 92-94)
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Lydia

Noch ist dein Antlitz hell und mild
Und sanft sind deine Augen;
Du könntest zum Madonnenbild,
Mit himmlischem Genügen
In jungfräulichen Zügen,
Dem frömmsten Maler taugen.

Noch könnt' ein starkes, schlichtes Herz,
Nicht achtend deines Falles,
Mit stumm zurückgewies'nem Schmerz
Bekränzen, früh Verirrte,
Dein Haupt mit weißer Myrte -
Verzeiht doch Liebe alles!

Noch könntest du so treu, so gut -
Wenn du mit reu'ger Träne
In jenes Herzens milder Hut
Gebüßt die Schuld der Erden -
Zum reinsten Weibe werden,
Wie einstens Magdalene.

Das könntest du! - Doch büßen bleibt
Ja fremd der raschen Jugend;
Das Leben zum Genusse treibt -
Wer möcht' es ihr verargen,
Daß sie verlacht den kargen
Und matten Lohn der Tugend?

Wohlan denn - so genieße, Kind!
Laß deine jungen Sinne -
Wie Wölkchen oft vom Frühlingswind
Zu heimlichen Gewittern
Herangefächelt - zittern
Im heißen Strahl der Minne.

Doch wenn die Stunde kommen muß -
O dann beglücke jenen,
Der längst nach deinem Feuerkuß,
Nach deines Gürtels Sinken
Und deiner Glieder Blinken
Gelechzt mit trunknem Sehnen.

Der längst erkannt, daß deinem Haupt,
Dem schwer zurückgebog'nen,
Der Unschuld erster Kranz geraubt -
Daß mit bewußtem Trachten
Schon diese Augen schmachten,
Die bläulich leicht umzog'nen.

Und was du hast an Glut und Blut,
Das lasse glüh'n und wallen -
Und laß, umwogt von hoher Flut,
Wenn sich die Lippen pressen
In seligem Vergessen
Den letzten Schleier fallen!

Das könntest du. - Doch matt und schwach
Schlägt in der Brust das Herz dir -
Und sorglos trägst du deine Schmach:
Denn jener Tag vor allen,
An welchem du gefallen,
Bracht' weder Lust noch Schmerz dir.
(S. 94-95)
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Franziska

Blick' ich dich an, du Hohe, Schlanke,
So weiß ich nicht, wie mir geschieht,
Schon lang umkreist dich mein Gedanke,
Der immer wieder scheu entflieht.

Noch hab' ich dich nicht ganz empfunden,
Noch hab' ich dich nicht ganz erkannt,
Noch nicht den rechten Ton gefunden,
Der dich in meine Lieder bannt.

Von Mädchenwünschen hold umwoben,
Scheinst du oft träum'risch, wandelbar -
Dann wieder, stolz das Haupt erhoben,
So selbstbewußt, so kühl und klar.

Gibt's eine Liebe, dich zu lieben -
Und die auch deine Liebe weckt?
Wohl mancher ist dir fern geblieben,
Von solchem Zweifel leis erschreckt.

Oft ist es mir, als sollt' ich nahen,
Als sollt' ich fassen deine Hand,
Den zarten Leib dir sanft umfahen
Und küssen deiner Lippe Rand.

Doch folg' ich nicht dem Drang der Gluten,
Der scheu aus meinem Innern bricht -
Und möchte nichts, als stumm verbluten
Vor deinem hellen Angesicht.
(S. 99-100)
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High-life

Sie war ein Weib in vollster Lebensblüte,
Nicht ohne Launen ganz und ohne Schwächen -
Im Inn'ren aber war sie laut're Güte.
Sie haßte Redeprunk und Silbenstechen;

Stumm saß sie meist mit sinnenden Gebärden,
Nur ihre dunklen Augen ließ sie sprechen.
Versagt geblieben war ihr nichts auf Erden -
Doch in Erfüllung konnte nie ermatten
Ihr Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden.

Nicht zu den Klugen zählte sie und Satten;
Ich ahnte wohl - doch mocht' ich's nie erfahren,
Warum sie treulos ward dem jungen Gatten.

Ich weiß nur, daß mit stillem Offenbaren
Ihr Mund mich küßte, wie im Widerstreiten -
Und daß wir beide fortan glücklich waren.

O goldne Zeit verschwiegner Seligkeiten,
Die du so reich mir damals angebrochen -
Laß deinen Widerschein mein Herz durchgleiten!

O holde Tage, o verträumte Wochen
Auf hohem Schloß, in freien Sommerfluren -
Im Bann der Stadt auch und in ihren Jochen!

Da schritten wir vereint auf Rosenspuren,
Da saßen wir genüber uns im Wagen,
Wenn wir zum Wald - wenn wir zur Oper fuhren!

O sel'ges Glück, den weichen Schal zu tragen -
Dicht hinter sie in Logen mich zu schmiegen
Und einen Kuß auf weiße Schultern wagen!

Und dann in hohen Freuden sich zu wiegen,
Wie sie nur bieten kann verbotnes Minnen -
Im Tanz vereint, den weiten Saal durchfliegen!

Da lernten wir den Augenblick gewinnen
Und - konnt' uns doch der nächste schon gefährden! -
Im Augenblick Unmögliches ersinnen.

Vorbei! Vorbei! Ein Ende mußte werden,
Und bin ich auch nicht ungestraft geblieben -
Denn welche Schuld entränne hier auf Erden:
So wußt' ich doch, was leben heißt und lieben!
(S. 100-101)
_____



Vergessene Liebe

Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut! -

Im letzten Karneval, nach einem Fest,
Das stolz verschwenderisch der Reichtum gab,
Ging ich nach Haus in früher Morgenstunde,
Die, noch gehüllt in Nacht, das erste Regen
Geschäft'gen Tagwerks meinen Blicken wies.
Halb offen standen schon die Bäckerläden,
Schlaftrunkne Gäule zogen hinter sich die Karren
Mit Milch und mit Gemüse nach dem Markt,
Allwo beim Scheine wandelnder Laternen
Die Hökerweiber ihre Plätze suchten.
Und da mit einem Male sah ich mich
Zurückversetzt im Geist um dreißig Jahre,
Und sah mich selbst, wie ich als schmächt'ges Bürschchen,
Im grauen, schlotternden Soldatenmantel,
Die blaue Mütze ins Gesicht gezogen,
Mich aus der schlafenden Kaserne schlich
Zu einem Stelldichein im Morgengrau'n.-
Die ich erwartete, sie war das Kind
Von armen Leuten, anvertraut dem Ohm,
Der mit der spinnendürren Ehehälfte
Für das Soldatenvolk in kleiner Stadt
Mit Lebensmitteln dürft'gen Handel trieb.
Dort wurde sie gebraucht zu niedrem Dienst:
Sie schenkte voll das leere Branntweinglas
Und schnitt den Bissen ab dem Fordernden;
Jedoch sie tat's wie eine Königin -
Und war so schön auch! Hoch und stolz gewachsen -
Vielleicht zu voll für ihre Jahre schon -
Trug sie das Haupt erhoben, das umwunden
Endlos von dunkelbrauner Flechte war.
Hell schimmerte ihr Antlitz wie die Rose,
Und Augen hatte sie von jenem Blau,
Mit dem Zyanen leuchten aus dem Korn,
Und wie die Kirsche war ihr kleiner Mund,
Der, trotzig aufgeworfen, Perlen wies.
Wir fanden uns beim ersten Sehn. So kam's,
Daß ich nun öfter, als erklärlich schien,
In jene Bude trat und länger weilte,
Als üblich sonst zur Zehrung von der Faust.
Die Alte merkte bald, warum ich kam,
Und schickte stets sogleich das Mädchen fort -
Zuletzt auch mich, mit schnöden Worten drohend.
Doch Liebe, heißt es, findet ihre Wege,
Und jenes Stelldichein, Glock' sechs am Morgen,
Wo meine Schöne um des Tags Bedarf
Zu dem entfernten Bäcker eilen mußte,
War ein Beweis, wie sehr das Sprichwort trifft.
Ich wartete - sie kam. Ums Haupt geschlagen
Ein warmes Tuch, und auch den Korb am Arm.
In stummer Eile huschten wir dahin
An stummen Häusern, bis ein altes Tor
Erreicht wir hatten, das mit offner Halle
Ins Freie führte. Mittwoch war es und
Auch Wochenmarkt, der dort gehalten wurde
Auf wüstem Platz. Mit Wagen kamen schon
Die Bauern; Schafe, Kühe brüllten -
Und vor uns lag, bei irrem Schein von Lichtern,
Ein wirres Durcheinander aufgerollt.
Doch wir, geborgen in der Halle Dunkel,
Der eis'gen Luft, die sie durchstrich, nicht achtend,
Versanken ganz in die entzückten Wonnen
Des ersten sel'gen Beieinanderseins -
Bis uns der helle Tagesschein erschreckend
Um die erglühten Wangen leuchtete.
Sie fuhr empor: "So spät schon - ach so spät!"
Rief sie, den Korb ergreifend, "morgen wieder!"
Und meinen letzten Küssen sich entringend,
Enteilte sie . . . . .

Das "Morgen" kam und auch das Übermorgen -
Und auch der dritte Tag: doch sie kam nicht.
Im Tiefsten krank von Sorge und von Sehnsucht,
Strich an dem kleinen Laden ich vorüber,
Sah in die Fenster, blickte durch die Tür,
Trat auch hinein - sie aber blieb verschwunden.
Die Frage wagt' ich nicht; doch gute Freunde,
Die stets Verkünder sind jedweden Unheils,
Erzählten mir, es hätte schlimmen Zwist
Gegeben und der Oheim hätte gestern
Das schlechte Ding zurückgeschickt den Eltern -
Wie viele Meilen weit, sie wüsten's nicht . . . .

Das alles, längst vergessen, kaum mehr wahr,
Stand jetzt vor mir, fast greifbar wachgerufen
Vom morgendlichen Treiben um mich her.
Es war, als lebt' ich's heut, und durch die Seele
Ging wonnig weh das ganze Hochentzücken,
Der ganze Schmerz mir jener frühen Liebe . . . .
Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut!
(S. 101-104)
_____



Amara

Da liegen sie vor mir jetzt deine Briefe,
So arm an Inhalt - ja selbst arm an Trug;
Erzwungne, halbe nur und schiefe
So flüchtig wie dein flücht'ger Federzug.

Und hier dein Bild. Gezeichnet von der Sonne,
Sieht es verblaßt, verschwommen, wie im Traum;
Was ich betrachtet einst mit Leid und Wonne,
Jetzt durch die Lupe unterscheid' ich's kaum.

Und nicht ein Nachgefühl des Schmerzes zittert
In meiner Brust, den ich dereinst gefühlt -
Von jenem Schmerz, der mir den Tag verbittert
Und meiner Nächte leisen Schlaf durchwühlt.

Und staunend muß ich jetzt mich selber fragen:
Wie war es möglich, daß ich sie geliebt -
Geliebt in vollen, kräft'gen Mannestagen,
Wo man doch prüft, eh' man sich ganz ergibt?!

Wie war es möglich, diese schlaffen Züge
Einst schön zu finden - diesen schlaffen Leib?
Fürwahr, es weht mich an wie grelle Lüge,
Daß ich geglüht, fast weibisch, für dies Weib.

Für dieses Weib, das, längst in sich gebrochen,
Sich aufrecht nur durch harten Stolz erhielt,
Und mit des eignen Herzens letztem Pochen
In kaltem, frechem Übermut gespielt.

Für dieses Weib, das selbst verschmäht, zu heucheln
Der Liebe Wallung, wenn es sich ergab,
Und, nicht begnügt, mich lautlos hinzumeucheln,
Vor aller Welt gebrochen mir den Stab.

Und doch die Beute, die es tief verachtet,
Aus festen Banden grausam nicht entließ -
Bis es zuletzt, da ich nicht mehr getrachtet
Befreit zu werden, plötzlich mich verließ . . . . .

Wie alles kam? So manches kommt im Leben -
Begreift ihr das Warum, das Wie und Was?
Erfahren muß man es, erleiden eben,
Damit man sagen könne: seht, auch das!
(S. 104-105)
_____



Ottilie

Es hat der ernste Gang der Jahre
Dein Antlitz leise schon gekerbt,
Und dir die dunkelbraunen Haare
Zu mattem Silber fast entfärbt.

Doch hold und schlank sind noch die Glieder,
Die du so leicht im Gange regst,
Und reich hängt deine Flechte nieder,
Wenn du sie tief im Nacken trägst.

Und Stunden gibt es, wo die ganze
Zurückgedrängte Jugend bricht
Aus deinem Aug' mit scheuem Glanze,
Der von verlor'nem Leben spricht.

Dann will es schmerzlich mich durchsprühen,
Und küssen möcht' ich deinen Mund!
Du fühlst es und mit sanftem Glühen
Erbebst du tief im Herzensgrund.

So bebt des Herbstes letzte Traube,
Vergessen von des Winzers Hand,
Mit letzter Glut im fahlen Laube,
Wenn sie ein später Wandrer fand.
(S. 106-107)
_____



Letzte Liebe

Schon ist der Tag uns im Verglühen,
In letzter Schönheit prangt dein Leib;
Der Herzen allerletztes Blühen
Ist unser Glück, geliebtes Weib!

Drum laß - o laß die Zeit uns frommen,
Und keine Stunde sei versäumt;
Von Wonne sei die Nacht durchglommen,
Und dann der Morgen hold verträumt.

Und jede Freude dieses Lebens
Soll noch durch unsre Seele gehn;
Wir wollen sie, entzückten Bebens,
Noch ganz genießen und verstehn.

Mag auch der Himmel leise nachten,
Und hält er seinen Blitz gezückt -
Wir wollen nimmer es beachten,
Wie nahe das Verhängnis rückt.

Und sterben laß uns lebenstrunken,
Ist der Vernichtung Stunde da,
Wie der Triumvir hingesunken
Im Arme der Kleopatra!
(S. 107)
_____



Zugeständnis

Gewiß! Ich war nicht einer von den Kalten,
Die vor den Reizen steh'n der holden Frauen
Gekniffnen Aug's, mit Worten, halben, lauen -
Und stets sich wissen klug im Zaum zu halten.

Nein! Ich gehörte zu den Raschdurchwallten,
Die, läßt die Schönheit ihrem Blick sich schauen,
Zu tiefst empfinden jenes heil'ge Grauen,
Das da entstammt der Liebe Urgewalten.

Vom Trank war ich durchglüht, der Faust getrieben,
Daß er den Kram des Wissens schlug in Scherben,
Um Gretchen und um Helenen zu lieben -

Und doch, wie jener Spanier, dessen Werben
Ganz ohne Zahl und Grenzen einst geblieben:
An unerfüllter Sehnsucht hinzusterben.
(S. 114)
_____



Bitte
An ***

Sei nicht so mild mit mir, so gut -
Denn Liebe wird durch leises Hoffen,
Und wallt auch stiller schon mein Blut:
Noch bin ich süßer Täuschung offen.

Noch kann ein holdes Angesicht
Der Ruhe tiefes Glück mir rauben,
Und weiß ich auch, du liebst mich nicht -
Ich könnte doch vielleicht es glauben.

Sei nicht so mild mit mir, so gut -
Noch bin ich süßer Täuschung offen,
Und wallt auch stiller schon mein Blut:
Die Liebe wird durch leises Hoffen.
August 1882 (S. 116-117)
_____



Sonnenwende der Liebe

Ich habe geliebt
Wie Dichter lieben,
Und ob ich auch hohes Glück genossen -
Mehr noch hab' ich gelitten.

Jetzt, da mein Herz steht
In der Sonnenwende der Liebe,
Erfaßt mich seltsame Wehmut.
Empfänglich noch für der Schönheit Zauber
Und mit geschärftem Aug'
Erspähend den feinsten Reiz,
Spür' ich auch noch
Unverbraucht
Des Jünglings Glut
In ernst und kraftvoll gereifter Mannesseele.
Aber zugleich schon
Fühl' ich mich angeweht
Von leisen, mahnungsvollen Schauern
Nahenden Alters
Und jener trostlosen Zeit,
Wo Eros oft noch
Den schärfsten seiner Pfeile versendet.
Während abgewandt steht
Die göttliche Mutter.
(S. 119)
_____



An ***

Was über mich auch andre mögen sagen,
Ob du dir selbst gefällst in falschen Schlüssen:
Was du verbrachst an mir in früh'ren Tagen,
Wirst du zuletzt dir doch gestehen müssen.

Du weißt, nie hat ein irdisches Verlangen
Getrübt mein reines, lautres Deingedenken;
Ich war begnügt, an deinem Blick zu hangen
Und tief mich in dein Wesen zu versenken.

Nie hab' ich - selbst in Träumen nicht, in leisen -
Gehofft, jemals von dir geliebt zu werden;
In Wort und Liedern aber mocht' ich's preisen,
Daß du als Weib mir einzig schienst auf Erden.

Nicht daß ich dich geseh'n ganz ohne Fehle -
Bewundert hab' ich nie die allzu Reinen:
Doch glaubt' ich dich von jenem Schwung der Seele,
Dem ewig fremd die Kniffe der Gemeinen.

Von jenem Stolze glaubt' ich dich durchlodert,
Von jenem Wahrheitsmut, der im Erkennen -
Ob auch mit Schmerz - wenn es die Stunde fodert,
Verdammen kann, was wir das Liebste nennen.

Die Stunde kam - du hast dich nicht erwiesen;
Du stand'st zu jenen, die mich schnöd' verraten
Und dann mit Hohn in meine Schmerzen bliesen
Und meine Wunden noch mit Füßen traten.

Du stand'st zu ihnen, weil dich Pflicht und Liebe
An sie gefesselt hielt - wer möcht' es tadeln?
Doch mußtest du, zu solchem Herzenstriebe,
Dich willig selbst verblenden und entadeln.

Es ist vorbei. Vernarbt sind meine Wunden,
Längst ward mir auch Vergeltung schon geboten -
Doch heut noch wird der Schmerz von mir empfunden,
Daß ich dich werfen mußte zu den Toten.
(S. 153-154)
_____



Melanie

Seit du von mir für immer bist gegangen
Und einsam ist mein Tag und meine Nacht,
Seh' ich dich im Traum mit bleichen Wangen,
Das dunkle Aug' in düstrem Schmerz entfacht.

Du trittst herein in das verwaiste Zimmer
Und siehst, wie fremd, mit langem Blick dich um -
Und still verklärt von geisterhaftem Schimmer,
Willst du dann wieder gehen, ernst und stumm.

O bleibe! ruf' ich aus mit bangem Schauer -
Wohin, eh' noch dein Mund den Gruß mir bot?
Da schüttelst du das Haupt mit tiefer Trauer:
Du weißt es ja, so sprichst du, ich bin tot.

Ich aber drauf: Und bist du auch gestorben,
Wir können dennoch beieinander sein;
Wir hatten unser Glück so schwer erworben -
Ich lass' dich nicht, und fürder bist du mein!

Du schaltest nach wie vor im kleinen Hause,
Das du betreust mit sorglich lieber Hand -
Belebst und schmückst, wie sonst, des Dichters Klause,
Den keine Seele je wie du verstand.

Und wieder sitzen wir beim schlichten Mahle,
Die Bissen reichend unsrem treuen Hund,
Und wandeln dann begnügt im Abendstrahle
Mit sanften Schritten durch des Gartens Rund! -

Da bebst du auf in seligem Entzücken,
Dein Angesicht färbt leiser Röte Schein -
Doch wie ich jetzt dich an mein Herz will drücken,
Erwach' ich auch im Dunkel - und allein . . .

Und dennoch, sieh': muß auch der Traum zerstieben,
Er kündet mir geheime Wirklichkeit;
Was da gescheh'n: wir sind vereint geblieben,
Und scheinbar nur hat uns der Tod entzweit.

Wenngleich dein Irdisches zu Staub vermodert,
Ich weiß es, daß dein Geist mich stets umschwebt;
Von jener Flamme, die in dir gelodert,
Fühl' ich für immer mir das Herz durchbebt.

Was mit den Jahren wir erlebt, erstritten,
Zu festem Kitte ward es allgemach -
Wir wurden eins durch das, was wir gelitten
In dieser Zeit, die viel an uns verbrach.

Und hier am Schlusse dieser Liederreihe -
Ach, so vertraut dir einst in Ton und Wort -
Empfängt erst unser Bund die letzte Weihe:
Solang' sie leben, lebst du mit mir fort!
Blansko, im Februar 1885 (S. 156-157)
_____


Aus: Ferdinand von Saars Sämmtliche Werke in zwölf Bänden
Zweiter Band: Gedichte Erster Teil
Herausgegeben von Jakob Minor
Leipzig Max Hesses Verlag o. J. [1908]

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_von_Saar



 

 


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