Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834) - Liebesgedichte

Johann Gaudenz von Salis-Seewis

 


Johann Gaudenz von Salis-Seewis
(1762-1834)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Der Herbstabend
An Sie

Abendglockenhalle zittern
Dumpf durch Moorgedüfte hin!
Hinter jenes Kirchhofs Gittern
Blaßt des Dämmerlichts Karmin.

Aus umstürmten Lindenzweigen
Rieselt welkes Laub herab,
Und gebleichte Gräser beugen
Sich auf ihr bestimmtes Grab.

Freundin! wankt, im Abendwinde,
Bald auch Gras auf meiner Gruft,
Schwärmt das Laub um ihre Linde
Ruhelos in feuchter Luft,

Wenn schon meine Rasenstelle
Nur dein welker Kranz noch ziert,
Und auf Lethes leiser Welle
Sich mein Nebelbild verliert:

Lausche dann! Im Blätterschauer
Wird es dir vernehmlich wehn:
Jenseits schwindet jede Trauer;
Treue wird sich wiedersehn!

aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 94-95)
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Lied

Ich saß im dunkeln Buchenhain
Bei ihr auf weichem Moos,
Im trüben blassen Mondenschein,
Gelehnt auf ihren Schoß.
Ich spielte mit dem blauen Band
An ihrer weißen Brust;
Und bebte, bei dem Druck der Hand,
Im Schauer süßer Lust.

Ich hört' und sah nur sie allein;
Nicht Nachtigallgesang,
Nicht Abendrot, nicht Mondenschein,
Mir schlug das Herz so bang.
Fest hing mein Blick an ihrem Blick,
Mein Mund an ihrem Mund:
Nur unser Engel sah das Glück
Und segnete den Bund.

aus: Deutsche National-Litteratur
Historisch kritische Ausgabe
Herausgegeben von Joseph Kürschner 41. Band
Zweite Abteilung Haller und Salis-Seewis
Berlin und Stuttgart Verlag von W. Spemann [o. J.] (S. 345)
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Tändelei

Ich ward zum Turteltäubchen
Im allerschönsten Traum;
Und saß bei meinem Weibchen,
Auf einem grünen Baum:
Zwar Liebchen that sehr spröde
Und schien vor mir zu fliehn;
Doch ich war nicht so blöde,
Als ich sonst, wachend, bin.

Ich gurrte meine Klagen
Und trippelt' um sie her;
Sie nickt' und schien zu sagen:
Begehre nur noch mehr!
Wir flogen girrend beide
Aufs nächste Halmendach:
Sie duckte sich: - O Freude!
Und ich - schnell ward ich wach.

aus: Deutsche National-Litteratur
Historisch kritische Ausgabe
Herausgegeben von Joseph Kürschner 41. Band
Zweite Abteilung Haller und Salis-Seewis
Berlin und Stuttgart Verlag von W. Spemann [o. J.] (S. 344)
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Maireigen

Singt der Wonn' und Blütenzeit,
Pflanzt die grünen Maien!
Selig, wer des Mais sich freut,
Wie uns die Natur gebeut,
Zu Zweien! Zu Zweien! Zu Zweien!

Zu der Tänze Melodei
Wirbelt das Gestäude;
Waldgesang und Dorfschalmei
Jubeln: Pflicht und Weisheit sei
Die Freude! Die Freude! Die Freude!

Kränzt, Verlobte, kränzt das Haar
Froh mit Myrtenzweigen!
So, wie bald am Brautaltar,
Steht hier alles Paar um Paar
Im Reigen! Im Reigen! Im Reigen!

Amor läßt am Maienfest
Jede Spröde büßen!
Philomele baut ihr Nest!
Alles Holde liebt und läßt
Sich küssen! Sich küssen! Sich küssen!

aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 69-70)
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Frühlingslied

Unsre Wiesen grünen wieder,
Blumen duften überall;
Fröhlich tönen Finkenlieder,
Zärtlich schlägt die Nachtigall.
Alle Wipfel dämmern grüner,
Liebe girrt und lockt darin;
Jeder Schäfer wird nun kühner,
Sanfter jede Schäferin.

Blüten, die die Knosp' entwickeln,
Hüllt der Lenz in zartes Laub;
Färbt den Sammet der Aurikeln,
Pudert sie mit Silberstaub.
Sieh! das holde Maienreischen
Dringt aus breitem Blatt hervor,
Beut sich zum bescheidnen Sträußchen
An der Unschuld Busenflor.

Auf den zarten Stengeln wanken
Tulpenkelche, rot und gelb,
Und das Geißblatt flicht aus Ranken
Liebenden ein Laubgewölb'.
Alle Lüfte säuseln lauer
Mit der Liebe Hauch uns an;
Frühlingslust und Wonneschauer
Fühlet, was noch fühlen kann.

aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 5-6)
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Die Rose

Weiß war die Rose zuerst. Die Mädchen und Jünglinge priesen
Ihren reinen Glanz, ihren unschuldigen Schmuck.
Schnell umfloß sie die steigende Röte bescheidenen Schämens,
Und sie glühet zeither reizender noch als zuvor.
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Der Strauß
Silberglocken des Mais, ihr rötlich bekelchten Narzissen,
Hyazinthen voll Ruchs, farbiger duftender Strauß!
Sage nur, blähst du dich so an ihrem wallenden Busen,
Weil du zu schmücken sie wähnst - oder weil sie dich verschönt?
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An Amor
Wirf sie weg, o Amor! die Pfeile, den goldenen Bogen,
Und die Fackel, die sonst Herzen entzündet und schmelzt.
Sieh, ihr Aug' ist voll Feuer; die wölbenden Braunen sind Bogen,
Und ihr schimmernder Blick sprühet der Pfeile genug.

aus: Deutsche National-Litteratur
Historisch kritische Ausgabe
Herausgegeben von Joseph Kürschner 41. Band
Zweite Abteilung Haller und Salis-Seewis
Berlin und Stuttgart Verlag von W. Spemann [o. J.] (S. 350-351)
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Phantasie

Wie sie wandelt auf den Birkenhöhen,
Thymian und Skabiosen pflückt,
Wie sie sich zur Blumenlese bückt,
Wie sich ihres Schleiers Falten blähen,

Wie die apfelgrünen Bänder wehen,
Von dem Strohhut mit Schasmin umstrickt,
Wie sie sinnt, von Weizengold umnickt:
Kann mein Geist durch Trennungsdunkel sehen.

Meiner Phantasieen Zirkeltanz
Führt und schließt das Ätherbild der Hehren,
Wallend wie der Lichtglanz auf den Ähren.

Jede Ros' entknospet ihr zum Kranz;
Jedes Sommerabends Purpurglanz
Leiht die Glorie, sie zu verklären.

aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 88)
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Der Entfernten

Wohl denk' ich allenthalben,
O du Entfernte, dein!
Früh, wenn die Wolken falben,
Und spät im Sternenschein.
Im Grund des Morgengoldes,
Im roten Abendlicht,
Umschwebst du mich, o holdes,
Geliebtes Traumgesicht!

Es folgt in alle Weite
Dein trautes Bild mir nach,
Es wallt mir stets zur Seite,
In Träumen oder wach;
Wenn Lüfte sanft bestreifen
Der See beschilften Strand,
Umflüstern mich die Schleifen
Von seinem Busenband.

Ein Abglanz seines Schleiers
Scheint auf die Saat gewebt;
Sein Hauch, was des Gemäuers
Bewegten Eppich hebt;
Der Kleidung weiche Falten,
Geformt aus Glanz und Duft,
Entschwinden in den Spalten
Der öden Felsenkluft.

Wo rauschender und trüber
Der Strom Gebirge trennt,
Weht oft sein Laut herüber,
Den meine Seele kennt;
Wenn ich den Fels erklimme,
Den noch kein Fuß erreicht,
Lausch' ich nach jener Stimme;
Doch Kluft und Echo schweigt.

Wo durch die Nacht der Fichten
Ein Dämm'rungsflimmer wallt,
Seh' ich dich zögernd flüchten,
Geliebte Luftgestalt!
Wenn, sanft dir nachzulangen,
Der Sehnsucht Arm sich hebt,
Ist dein Phantom zergangen,
Wie Taugedüft verschwebt.

aus: Gedichte von Joh. Gaudenz von Salis-Seewis
Neueste vermehrte Auflage
Zürich bei Orell, Füßli und Compagnie 1829 (S. 91-93)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gaudenz_von_Salis-Seewis


 

 


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