Moritz Saphir (1795-1858) - Liebesgedichte



Moritz Saphir
(1795-1858)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



6.
Liebesglück hat tausend Zungen,
Liebesglück spricht immer fort,
Blatt um Blatt, zum Kranz geschlungen,
Und zum Liede Wort um Wort;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.

Liebesglück in tausend Sprachen
Spricht mit seinem Gegenstand,
Blättlein, die aus Knospen brachen,
Werden Wort in Liebeshand,
Liebesglück find't aller Orten
Treuen Dolmetsch seinen Worten.

Liebesglück kann nimmer zaudern,
Auszutönen seine Lust,
Um von seinem Glück zu plaudern,
Nimmt die Welt es an die Brust;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen
.

Liebesglück, in tausend losen,
Heitern Scherzen spricht sich's aus
Putzt mit Lichtern und mit Rosen
Wie die Christnacht sich heraus,
Und es steh'n in seinem Solde
Ringe, Locken, Blum' und Dolde.

Liebesglück zieht immer wieder
Singend vor des Liebchens Haus,
Tausend kleine nette Lieder
Flattern aus dem Herzen aus;
Nicht beglückter Lieb' ist's eigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.

Schweigend lieben, liebend schweigen.
Stiller Mund bei stillem Schmerz!
Fremd der Lust, dem Weh zu eigen,
Todter Liebe lebt das Herz,
Will, selbst im finstern Todesreigen,
Schweigend lieben, liebend schweigen.
(S. 15-16)
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9.
Holde Nacht, du Mohrenfürstin,
Hast um Hals und Haar und Wangen
Tausend Sterne, wie die Perlen
Und wie Diamanten, hangen.

Holde Nacht, du schwarze Rose,
Trägst auf deinen dunklen Blättern,
Gleich des Glühwurms mildem Leuchten,
Viele tausend Sternenlettern!

Holde Nacht, du Tageswitwe,
Eingehüllt im schwarzen Schleier,
Hast als Trauerkerzen brennen,
Sterne bei der Todtenfeier.

Glücklich dennoch, denn beim Scheiden
Küßte Tag doch deine Lippen,
Kommt er wieder, wirst du fliegend,
Flüchtig seinen Kuß doch nippen.

Doch die Nacht in meinem Herzen
Wird von Sternen nicht durchglänzet
Und kein Gestern und kein Morgen
Hält mit Dämm'rung sie umgränzet.

Nicht Erinn'rung liegt als Gestern
Hinter ihr mit Tagesstrahlen,
Und nicht Hoffnung kann als Morgen
Vor ihr einen Lichtkreis malen!

Nur ihr Bild zerreißt zuweilen
Wie ein Blitz die Nacht, die dichte,
Daß die Finsterniß, die tiefe,
Desto greller sich mir lichte.
(S. 19-20)
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10.
Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einem zarten Kinde,
Bunte Träume, bunte Wünsche,
Gab ich ihr zum Angebinde!

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einem theuren Kranken,
Gab ihr Hoffnung, gab ihr Tröstung
Um sich d'ran empor zu ranken.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einer armen Waise,
Sang vom Himmel und vom Jenseits
Ihr so manche zarte Weise.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit einer Heimatlosen,
Gab die Dichtkunst  ihr zur Hütte,
Und zum Lager Kelch von Rosen.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Wie mit meiner letzten Stunde,
Gab ihr von dem bessern Leben
Und vom Wiedersehen Kunde.

Hab' mit meiner Lieb' gesprochen
Bis mir selbst die Sprache fehlte.
Ich mich selbst zum Kinde, Kranken,
Waisen, Heimatlosen zählte.
(S. 21-22)
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11.
Ein Adonis möcht' ich sein,
Daß mit innigem Vergnügen
Sich ihr blaues Auge füllte,
Wenn es weilt auf meinen Zügen!

Krösus möcht' ich gerne sein,
Daß mit meiner Lieb' ich mehre
Die Demanten aller Erde,
Und die Perlen aller Meere!

Cäsar möcht' ich gerne sein,
Und die Welt für sie erkriegen;
Feindesblut mit meinem mischen,
Und damit sie selbst ersiegen!

Und Petrarca möcht' ich sein,
Um durch meinen Sang der Saiten
Ihren Namen anzuknüpfen
An's Gedächtniß aller Zeiten!

Sanzio möcht' ich gerne sein,
Um in heiliger Verklärung
Hoch ihr Bildniß aufzustellen,
Einem Weltall zur Verehrung!

Nichts besitz' ich, nichts bin ich,
Nichts, sie freundlich anzuregen;
Liebe ist mein ganzer Werth,
Lieben ist mein ganz' Vermögen!

Doch dies Lieben kann ich nie
Als Geschenk ihr jemals zeigen,
Denn dies Lieben kam von ihr,
War ja immer ihr zu eigen!
(S. 23-24)
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17.
In ihrem Garten, in der grünen Wiege
Des Frühlings, wieget sich die Holde,
Um ihre Locken wiegen sich die Blüten,
Um ihren Fuß wiegt sich die Dolde.

Gleich einer Rose in smaragd'ner Schale,
Gleich einer Blum' in Blattesräumen,
Gleich einer Blüte, halberschlossen,
Versteckt in zweigenreichen Bäumen,

Gleich einer Knospe, die nur halbgeöffnet,
Dem grünen Netz sich will entstricken,
Gleich Erdbeerblüten aus dem Sammt der Moose
Erröthend und bescheiden blicken,

Gleich Vestaflamme, die aus Jaspisampel
Im Tempel glüht, mit keuschen Strahlen,
So wär', wenn sie erscheint in ihrem Garten,
Der Holden einzig Bild zu malen!

So sing' ich, wenn ich von der Holden singe,
Zugleich vom Frühling und von Blume,
Und wenn vom Lenz und Ros' ich singe,
So gilt es ihr zugleich zum Ruhme!

Der Lenz ist kalt, doch muß er wärmer werden,
Die Ros', noch zu, muß sich entfalten,
Nur sie allein bleibt kalt und bleibt verschlossen,
Trotz Liebessonn' und Liebsgewalten.
(S. 37-38)
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18.
Gleich dem Ocean ist meine Liebe,
Unermeßlich voll, zum Ueberfließen,
Dennoch immer neue Liebesströme
Täglich, stündlich sich in sie ergießen.

Gleich dem Schooß' der Erd' ist meine Liebe,
Selber lichtlos, ohne Hoffnungs-Regen,
Dennoch schickt sie ihrer Lebens-Sonne
Tausend Blumen duftgefüllt entgegen.

Gleich dem Himmelszelt ist meine Liebe,
Uebervoll von Sternen, kaum zu ahnen,
Dennoch tauchen immer neue Flammen
In ihr auf, zu neuen Liebesbahnen.

Gleich dem Denkergeist ist meine Liebe,
In sich selber wesenlos versunken,
Dennoch aus dem eig'nen Kraftvermögen
Holt sie ewig junge Lichtesfunken.

Gleich der Liebsten selbst ist meine Liebe,
Schenket nie mir einen Blick der Gnade,
Dennoch lenken sich allein zu ihr nur
Meines Lebens, meiner Liebe Pfade!
(S. 39-40)
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19.
Ein Geschäft hab' ich mir ausgesonnen,
Süß und tröstend zu verrichten:
Schreibe tausend Briefe an die Holde,
Muß ich auch sie dann vernichten.

Schreib' vertraulich ihr von tausend Dingen,
Nenne "Du" sie, "mir erkoren",
Mahne sie an niegesagte Worte,
Und an Schwüre, niegeschworen.

Nehme dann die Briefe alle, alle,
Nehme alle sie zusammen,
Und verdamme diese Selbstbetrüger
Zu dem Tod in Feuerflammen!

Wie so gierig dann die durst'gen Flammen
Durch die nassen Worte eilen,
Und mit ihren heißen Glutenarmen
Sie umarmen diese Zeilen,

So auch schlagen lichterlohe Flammen
Um den Brief in meinem Herzen,
Den mit blut'ger Schrift ich ihr geschrieben,
Und besiegelt hab' mit Schmerzen;

Den ich aber nicht an sie gesendet,
Und von dem sie nichts darf wissen,
Und er bleibe von ihr ungelesen,
Sei auch Brief und Herz zerrissen!
(S. 41-42)
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20.
Den Glanz nahm ich aus jenen Farbenschwingen,
Die ich in früher Jugend froh getragen;
Das Gold nahm ich aus jener hellen Leier,
Die ich im Lebens Frühroth frisch geschlagen;
Den Wahn aus meinem Jugendtraume;
Die Blüte, so die erste Lieb' getragen
Und Glanz und Gold und Wahn und Traumes-Wonnen
Hab' ich zum Liedernetze ausgesponnen.

Und in das Meer lebendiger Gestalten
Warf ich das Netz der zarten Melodieen,
Ein Wesen aus den tausend Alltagswellen
In Liederschlingen mir emporzuziehen;
Jedoch das Netz schlug über mir zusammen,
Ich selber kann dem Netze nicht entfliehen,
Undine tauchte aus des Lebens Wogen,
Hat Netz und Fischer zu der Fluth gezogen.

So rauscht das Lebensmeer an mir vorüber,
Ich sitz' am Ufer manche trübe Stunde,
Und schau' die Perle, himmelklar und lieblich,
Wie sie erglänzet auf dem hellen Grunde;
Durch das kristall'ne Haus send' ich die Lieder,
Daß sie der Perle bringen Liebeskunde,
Die Lieder alle sind nur Taucherglocken,
Die Perle an das Licht der Lieb' zu locken!
(S. 43-44)
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21.
Oben in dem blauen Bogen
Geht der Mond die stille Bahn,
Und die Venus sieht von ferne,
Und er sieht sie traurig an.

Sinnend in dem gold'nen Kahne
Zieht er durch die Aetherfluth,
Feucht und unverwandt sein Auge
Auf dem schönen Sterne ruht.

Ewig bleibet sie ihm ferne,
Ewig strahlt sein mildes Licht,
Wie der Blick der tiefen Sehnsucht
Aus dem blassen Angesicht.

Und die Sterne haben Ehrfurcht
Vor der Liebe stillem Gram,
Und sie weichen auf die Seite,
Wo der blasse Wandler kam.

- Ich bin Mond und sie ist Venus,
Mich entzückt ihr süßes Licht,
Doch die Erde ist kein Himmel,
Menschen sind wie Sterne nicht! -

Weichen schonend nicht zur Seite,
Wo der Schmerz geht seine Bahn,
Und verhöhnten laut in Schaaren
Liebesschmerz und Liebeswahn!
(S. 45-46)
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22.
Winter war in meinem Herzen,
Frosterstarrt die rothen Wogen,
Ueber Lieb'- und Hoffnungs-Pflanzen
Hatte Zeit ihr Eis gezogen;
Selten konnt' ein Lied ich schreiben,
Matte Blüten karg zu treiben!

Spät in diesem Herzenswinter,
Fiel ein Blick aus ihren Augen
In mein Herz, wie Frühlingsstrahlen,
Um das Eis da aufzusaugen,
Mit dem Aug', dem ätherblauen,
Frost und Eis da aufzuthauen.

Und das Eis begann zu schmelzen.
Frühling regte seine Schwingen,
Nachtigallen, lang verstummet,
Fingen wieder an zu singen
Ihrem süßen Strahl entgegen
Trieb es Blumen allerwegen.

Ach, es ist der letzte Frühling,
Der mich kühlt mit sanftem Wehen,
Und zum letztmal fühl' ich Liebe
In dem Herzen auferstehen,
Liebe kommt in Sterbetagen
Ein "Lebewohl!" mir noch zu sagen!

D'rum sind reiner ihre Wonnen,
D'rum sind heil'ger ihre Schmerzen,
Weil es ist die letzte Oelung,
So die Liebe gibt dem Herzen,
Weil sie ist - o Schmerzbenennung! -
Langer Kuß bei ew'ger Trennung!
(S. 47-48)
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29.
Für Liebende gibt's einen Brief,
Nur Liebe kann ihn lesen,
Liegt er beschrieben auch ganz tief,
Und offen allen Wesen.

Ich mein' den Himmel, blau und glatt,
Mit seinen schönen Lettern,
Der Morgenroth zum Goldschnitt hat,
Und bunt Gewölk zu Blättern.

Manch Bildlein deutsam niederstrahlt,
Als Mädchen, Blum' und Garben,
Manch Wörtlein ist darauf gemalt
Mit sympathet'schen Farben.

Und just in jeder schwarzen Nacht,
Und g'rade recht im Dunkeln,
Da läßt des Himmels Wundermacht
Den Gnadenbrief erfunkeln.

Er ist so hell, er ist so klar,
Die Silben licht entbrennen,
Doch sind die Menschen gar so rar,
Die seinen Inhalt kennen!

Die Liebenden nur ganz allein,
Sie lesen in den Sternen,
Sie schreiben sich mit Sternenschein
Aus himmelsweiten Fernen.

Dasselbe Sternlein, hoch am Ort,
Mit seinem Sehnsuchtswandern,
Es bringt ein lieblich, tröstend Wort
Dem Einen wie dem Andern.

Die Sternlein, über's Kreuz und Quer,
Sie wandern ohne Schranken,
Sie tragen rastlos hin und her
Gefühle und Gedanken.

Ist Lieb' von Lieb' auch noch so weit,
Ist Lieb' von Lieb' auch ferne,
Und schaut man nur zur selben Zeit
Hinauf zum selben Sterne;

So ist's, als ob die reinste Lust
Vom Sterne zu uns sänke,
Dieweil man sich's gewiß bewußt,
Daß uns'rer man gedenke!
(S. 59-61)
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35.
Die Liebe ist dem Spiegel gleich,
Dem Spiegel auf dem klaren Teich,
Man schaut hinein, man sieht sich d'rin,
Das schmeichelt lieblich unserm Sinn;
Dann zieht's uns an, dann lockt's uns an,
Wir baden in der Fluth sodann,
Dann zieht es uns vollends hinab,
Und Lieb' und Fluth wird unser Grab!
Die Liebe ist dem Kinde gleich,
Weil immerfort sie ist um euch,
Weil sie mit euch umher stets irrt,
So merkt ihr nicht, wie groß sie wird;
Bis sie auf einmal von dem Schooß
Herunterspringt, und ist so groß,
So wundergroß, daß ihr ganz klein,
Ein kleines Kind gedenkt zu sein;
Und wie ein Kind seid ihr auch bald
In großer Liebe Allgewallt;
Das Knäblein wacht, das Kindlein weint,
Wie Lieb' bejaht, wie Lieb' verneint.
(S. 70)
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43.
Gerne möcht' ich Lieder singen,
So unsterblich wie die Liebe,
Daß der Name der Geliebten
Mit Lied und Lieb' unsterblich bliebe.

Möchte flechten lauter Lieder,
Und zur Kette sie dann fassen,
Und an ihr den holden Namen
In die Zukunft tauchen lassen.

Daß ihr Name späten Tagen
Diene als ein helles Zeichen,
Wenn man spricht von süßen Frauen,
Und von Anmuth sonder Gleichen;

Daß ihr Name dien' in Zukunft,
Um in einem Wort zu sagen,
Wie geliebt und wie verehret
Wir ein Bild im Herzen tragen;

Daß ihr Name sei gepriesen
Von den spät'sten Minne-Dichtern,
Daß ihr Name sei gezählet
Zu der Vorzeit schönsten Lichtern;

Daß man ihren Namen nenne,
Wo man nennen wird den meinen,
Daß der Sarg der dunklen Zukunft
Uns're Namen mög' vereinen!
(S. 83-84)
_____



44.
Schenkt der Himmel eine Thräne,
Ist's, daß sie zum Heil uns werde,
Denn sie wird zum hellen Demant,
Fällt sie in den Schooß der Erde.

Denn sie wird zur hellen Perle,
Fällt sie in des Weltmeers Schooße;
Denn sie wird zum süßen Ambra,
Fällt sie in den Kelch der Rose.

Solche Thräne ist die Liebe,
Die der Himmel uns geschenket,
Und sie wird zum hellen Demant,
Wo sie in die Brust sich senket.

Und sie wird zur schönsten Perle,
Die der Schöpfung je entronnen,
Wenn sie fällt vom klaren Himmel
In das Meer der Lebenswonnen.

Doch sie wird zum reinsten Ambra,
Wenn sie fällt in Dichterherzen,
Duft und Lied wird aus der Thräne,
Duft und Lied aus ihren Schmerzen!
(S. 85-86)
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50.
Bevor ich liebte, war ich reich,
Doch Liebe bracht' Bedrängniß;
Bevor ich liebte, war ich frei,
Doch Liebe bracht' Gefängniß;

Bevor ich liebte, war ich stolz,
Doch Liebe brachte Demuth;
Bevor ich liebte, war ich froh,
Doch Liebe brachte Wehmuth;

Bevor ich liebte, war ich träg',
Doch Liebe brachte Schwingen;
Bevor ich liebte, war ich stumm,
Doch Liebe brachte Singen.

Bedrängniß macht mich mild,
Der Herrin mich zu schicken;
Gefängniß hält mich fest
In meiner Herrin Blicken;

Und Demuth macht mich lieb
In meiner Herrin Augen,
Und Wehmuth macht mich sanft,
Der Herrin mehr zu taugen;

Und Schwingen sind mein Glück,
Sie immer zu umkreisen;
Und Singen thut mir Noth,
In Liedern sie zu preisen;

So bringet Liebe selbst,
Was Liebe braucht zum Lieben
Wie kommt's, daß ich dennoch
Bin ungeliebt geblieben? 
(S. 97-98)
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54.
Ich lieb' mein schönes Vaterland,
Dich, Ungarn, edle Sonnenblume;
Doch, daß ich's liebe ewiglich,
Es dient mir nicht einmal zum Ruhme;

Denn Lieb' zum Vaterland ist Pflicht,
Und süße Pflicht, naturgesetzlich,
Grönländer finden selbst ihr Eis
Ganz strahlenmilde und ergötzlich.

Doch hab' ich noch ein Vaterland,
Ein zweites, theueres gefunden,
Ihr Herz ist jetzt mein Vaterland,
Woran ich wurzelnd bin gebunden.

Ich denk' daran zu jeder Stunde,
Wie Heimweh faßt's mich, hinzueilen,
Ich möcht' mein Herzblut darum geben,
In diesem Vaterland zu weilen.

Grönländer bin ich selbst geworden,
Das Eis in diesem nord'schen Herzen,
Die Kälte und die frost'gen Felsen,
Ich häng' daran mit Lieb' und Schmerzen!
(S. 105-106)
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64.
Morgens steckt man eine Rose,
Blühend, duftend, halbenthüllt,
An sein Herz, das wie die Rose
Ist mit Gluth und Thau gefüllt.

Abends wird zum Dolch die Rose,
Nicht ein farbig Blättchen blieb,
Und der Stengel seine Dornen
In den off'nen Busen trieb.

An dem Morgen meiner Liebe
Pflückte "wilde Rosen" ich,
Abends setzten mit den Dornen
In mein Herz sie blutig sich.

Und in meinem Herzen fühl' ich
Einen wilden Dornenstrauch,
Weil ich liebte seine Rosen,
Lieb' ich seine Dornen auch!
(S. 119-120)
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65.
Wenn ich wollte singen,
Wie das oft geschieht,
Sah ich ihr in's Auge,
Und es ward ein Lied!

Wenn die Brust ich fühlte
Von Groll und Haß geschwellt,
Da sah ich ihr in's Auge
Und liebte alle Welt!

Wenn ich mit mir selber
Zuweilen hab' gegrollt,
Da sah ich ihr in's Auge,
Und ward mir wieder hold!

Nun aber kann ich nimmer
Ihr in das Auge seh'n,
Um Singen, Lieben, Glauben
Ist's nun auch ganz gescheh'n!
(S. 121)
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76.
Ich pflückte ein Vergißmeinnicht
Für sie, am schmalen Wiesenrand,
Doch als ich vor der Holden stand,
Vergaß ich das Vergißmeinnicht!

Das Blümchen sprach: "Erinn're dich,
Wozu du liebend mich gepflückt!" -
Ich aber schwieg und stand entzückt,
Vergaß Vergißmeinnicht und mich!
(S. 136)
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77.
Um das Haupt von theuren Todten,
Auf der schwarzbehängten Bahre,
Flechten wir die schönsten Rosen,
Um die Schläfe, in die Haare.

An die Brust, die nicht mehr athmet,
Um die Wang', die nicht mehr glühet,
Legen wir die reichste Rose,
Die im vollen Leben blühet. -

Meine Liebe ist die Todte,
Meine Liebe ist die Leiche,
Der ich nun die letzten Rosen
In das Grab hinunter reiche.

Lieblich liegt die schöne Leiche
Mit geschloss'nen Hoffnungsaugen,
Die von Glück und Hoffnungs-Tagen
Keinen Strahl mehr in sich saugen.

Lieblich liegt die schöne Leiche,
Blühend schön, als ob sie schliefe,
Und es dünket mich zuweilen,
Daß sie meinen Namen riefe.

Lieblich liegt die schöne Leiche,
Mit gefaltet blassen Händen,
Die, schon blutlos, eine Bitte
Scheinen hoch emporzusenden.

Und ich will nun Rosen flechten,
Um die schöne theure Leiche,
Rosen um die Brust ihr flechten,
Um das Haupt, das lockenreiche;

Wilde Rosen, abgebrochen
Im gebroch'nen, wilden Herzen,
Wilde Rosen, blaß und leidend,
Aufgeschossen unter Schmerzen;

Wilde Rosen, nicht verzärtelt
Unter prunkenden Genossen,
Wilde Rosen, wild gewachsen,
Und von Thränen nur begossen;

Will sie meiner Liebes-Leiche
Flechten um die blassen Glieder,
Will sie legen auf die holden
Und geschlossnen Augenlider;

Will sie legen auf den Busen,
Auf das Herz, das schon erkaltet,
Will sie drücken in die Hände,
Die im Tode sich gefaltet.

Und die Leiche, so geschmücket,
Und bedeckt mit wilden Rosen,
Will ich herzen, will ich küssen,
Wie mit meinem Leben kosen;

Bis zu Ende ist mein Leben,
Und zu Ende ist mein Lieben
Und mein Herz die allerletzte
Wilde Rose hat getrieben!
(S. 137-139)
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98.
Ein Zauberding ist all dein Wesen,
Und ich verkünd' es weit und breit!
Ein Zauberbecher ist dein Auge,
Es bietet Gift und Seligkeit;

Und Zauberrosen deine Lippen,
Bald offen, bald in Knospenschaft,
Sie prangen reich im hellen Purpur,
Und sind doch mild und schäferhaft.

Ein Zaubernetz, von Elfenhänden
Ans Licht gesponnen, ist dein Haar,
Es flattert frei wie Frühlingslieder,
Doch fesselt es und bringt Gefahr.

Ein Zauberkreis ist auch dein Lächeln,
Gezogen in ein Lilienbeet,
Weil Jedermann bleibt festgebannet,
Der in dem Zauberkreise steht.

Ein Zauberton ist deine Stimme,
So silberhell und doch so weich,
Weil sie beschwört mit leisem Klange
Aus meiner Brust ein Geisterreich!

Ein Zauberbuch ist deine Seele,
Mit gar geheimnißvoller Schrift,
So sinnvoll und so keusch verschleiert,
Daß nur Magie die Deutung trifft.

Ich aber kann die Zeichen deuten
In diesem Buch der Sympathie,
Denn Liebe ist des Zaubers Zauber,
Denn Liebe ist allein Magie.
(S. 171-172)
_____



100.
Hundert wilde Rosen sind gesprossen
Aus den Ritzen meiner Herzenswunden,
Und ich band sie ihr zum Liederkranze
In des Wundenfiebers heißen Stunden.

Jede dieser hundert wilden Rosen
Treibt an seinem zarten Stengel wieder
Hundert and're kleine Rosenknospen,
Hundert and're Knospen kleiner Lieder.

Denn so tief sind diese Herzenswunden,
Daß ihr Boden bleibet unergründlich,
Und so heiß das Blut in diesen Wunden,
Daß es wilde Rosen treibet stündlich.

Doch die Liebe zählt nicht ihre Thränen,
Ihre Küsse nicht, nicht ihre Lieder,
Und ich sollte diese Rosen zählen,
Die aus Wunden sprossen zehnfach wieder?!

Ungezählt, wie süßes Liebeswünschen,
Ungezählt, wie süßes Liebesträumen,
Pflück' ich ihr zum Kranze wilde Rosen
Aus des Herzens blumenvollen Räumen!
(S. 175-176)
_____



104.
Ob die wilden Rosen alle
Hertha denn gelesen hat?
Ob ihr Auge freundlich weilte
Auf der wilden Rosen Blatt? -

Fragt der Thau denn, ob die Rose
Seinen reinen Tropfen fühlt?
Fragt der Zephyr, ob die Wange
Wisse, daß sein Hauch sie kühlt?

Fragt der Frühling denn die Erde
Ob sie will sein Blütenkleid?
Fragt das Licht den gold'nen Morgen,
Ob der süße Strahl ihn freut?

Fragt der Blütenbaum die Lüfte,
Ob sein Duft sie süß berauscht?
Fragt die Nachtigall den Hörer,
Ob er auch ihr Lied belauscht?

Fragt die Schönheit denn das Auge,
Ob ihr Zauber es erquickt?
Fragt die Liebe denn die Herzen,
Ob die Lieb' das Herz beglückt?

Fragt die Myrthe, ob zum Kranze
Je ein Brautpaar sie denn flicht?
Und so fragen diese Lieder,
Ob sie Hertha höret, nicht!

Und so fragen diese Lieder,
Ob sie Hertha höret, nicht,
Wenn mein Herz auch jedes Liedchen
Nur allein für Hertha flicht!
(S. 183-184)
_____



105.
Viel Gedanken steh'n verworren,
Dicht in mir, gleich einer Wildniß,
Bauen sich zum dunklen Tempel
Um ihr heilig Götterbildniß!

Jeder Zweig von den Gedanken,
Jedes Blatt an diesen Zweigen,
Sie verschlingen sich in Demuth,
Zu dem Bildniß sich zu neigen.

Leises Rauschen, leises Flüstern
Geht durch die Gedanken-Bäume,
Lieder sind's begrab'ner Tage,
Lieder sind's begrab'ner Träume!

Nie durch die Gedanken-Wildniß
Fällt in mich ein Strahl der Sonne
All mein Licht empfang' ich einzig
Von dem Antlitz der Madonne!

Täglich werden die Gedanken
Immer dichter, immer wilder;
Täglich wird das Hertha-Bildniß
Immer sanfter, immer milder!

Täglich werden meine Klagen
Immer lauter, schmerzensreicher;
Täglich macht des Bildes Zauber
Meine Lieder wehmuthsreicher.

Und so lieg' ich vor dem Bilde,
In der Wildniß von Gedanken,
Knieend, seufzend, betend, weinend,
Ohne Weichen, ohne Wanken!
(S. 185-186)
_____



114.
Abends stand ich wie ein Steinbild,
Eingeschnürt in Dämmerungen,
Die der Abend und die Bäume
Schleierhaft um mich geschlungen.

Sah die Holde, in dem Garten,
Sich zu Blumen lieblich neigen,
Und wie Gold in Jaspisblättern,
Flog ihr Haar in grünen Zweigen.

Und sie schwebte leicht vorüber,
Ahnte gar nicht meine Nähe,
Und mir schien's im Abenddunkel,
Als ob Morgenroth ich sähe.

Bei dem Licht der kleinen Lampe
Konnt' ich in das Zimmer sehen,
Sah sie in das Zimmer treten,
Sah sie hin und wieder gehen.

Wie die sehnsuchtsvollen Arme
Legten um die Fensterwände,
Sich vom Boden aufwärts ringend,
Bäumchen ihre grünen Hände.

Um das Fenster schwebten Blumen,
Gleich wie Lieder ohne Worte,
Wie die Geister meiner Lieder
Festgebannt am Liebesorte.

Und so stand ich, zwischen Träumen,
Zwischen Sinnen schmerzlich ringend,
Bis der Morgen war erschienen,
Seine frischen Rosen bringend.

Dann trat ich mit süßer Sehnsucht
Aus der baumumhüllten Tiefe,
Pflückte von erwachten Zweigen
Eine Hand voll grünen Briefe,

Warf sie an das Fenster, wo sie
Bei'm Erwachen sie wird sehen; -
Doch sie wird sie nicht begreifen,
Doch sie wird sie nicht verstehen!
(S. 203-204)
_____


Aus: M. G. Saphir's Schriften
Cabinets-Ausgabe in zehn Bänden
Ausgewählte Schriften Neunte Auflage
Neunter Band: Wilde Rosen An Hertha
Brünn und Wien Verlag von Fr. Karafiat 1876
 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Moritz_Gottlieb_Saphir




 

 


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