Max Schaffrath (1813-1877) - Liebesgedichte

Max Schaffrath



Max Schaffrath
(1813-1877)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Mädchens Liebreiz
Dezember 1834

Mädchen hold,
Treu wie Gold,
Schön und reizvoll, ohne Mängel,
Rein wie Paradieses Engel!
Aug' und Wange, Mund und Brust,
Alles, Alles winket Lust!
Dem die Wonn' aus tausend Quellen springet,
Der sich deine Huld erringet!

Augenpaar,
Schwarz und klar,
Sanft umwölbt vom Brauenhügel,
Reiner Seele reiner Spiegel!
Ziehst so mächtig wunderbar,
Nach dir hin, du Augenpaar!
Ihm, dem huldvoll diese Augen blinken,
Schönsten Glücks Gestirne winken!

Thräne hell,
Wie der Quell,
Stillen Antheils treue Kunde,
Fließest in der Rührung Stunde.
Ha, die ihrem Aug' entquillt,
Wem die süße Perle gilt,
Sohn des Glückes, auch im schwersten Leiden,
Immer bleibst du zu beneiden!

Mündchen klein;
Perlenreih'n,
Blendend weiße Elfenklippe,
Schimmerst durch das Roth der Lippe,
Die aus Purpursammt gewebt.
Wem ihr Mund entgegenbebt,
Wem sie leise lispelnd Liebe flüstert,
Lächelt Lieb' und Lust verschwistert!

Wangen weich,
Rosen gleich,
Mild durchglüht von Flammengüssen,
Zarte, duft'ge Liebeskissen!
Ha, der Jüngling, der entzückt
Der Gewährung Blüthen pflückt,
Dem zum Kuß sich diese Wangen neigen,
Seligkeit ist ihm zu eigen!

Runder Arm,
Weiß und warm,
Stillen Kosens stummer Sprecher,
Beutst den wonnerfüllten Becher
Liebend dem Geliebten dar. -
Wer von ihrem Armenpaar
Innigfest den Nacken fühlt umschlungen,
Hat den Himmel sich errungen!

Zarte Brust,
Götterlust,
Dicht verhüllt ins enge Mieder,
Wogst von Sehnsucht auf und nieder,
Birgst ein Herz, so treu und gut!
Wer an ihrem Busen ruht,
Hingeschmiegt in seligem Umwinden,
Dem muß Erd' und Himmel schwinden!
(S. 6-8)
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Scene aus dem Cotillon
Dezember 1834

"Nein, ohne sie kann mich der Tanz nicht freuen!
Warum konnt' ich sie denn nicht eher fragen?
So aber mußte sie mir ja versagen:
Ein Andrer kam zuvor - zu spätes Reuen!"

Und traurig schleichend aus der Tänzer Reihen,
Hatt' ich in düstre Ecke mich verschlagen;
Dort goß mein Herz sich aus in jene Klagen,
Und ich versank in wirre Träumereien.

So saß ich still dem Grübeln überlassen:
Ich schrak empor beim Nahen leiser Tritte
Und - schaut' ins Aug' voll mildem Himmelsglanze!

Und eh' ich noch vermochte mich zu fassen,
Zog sie den Träumer in des Saales Mitte
Und flog mit ihm dahin im flücht'gen Tanze.
(S. 8-9)
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Cilla's Erwachen
März 1835

Wann Cilla aufwacht, Wonne! dann heitert sich
Der Morgenhimmel, wenn mit dem Zauberblick
Des freundlich aufgeschlagnen Auges
Hold sie den Gruß ihm entgegenlächelt.

Und sieh! zum Danke weht er mit linderm Hauch
Ihr leis ums Antlitz, strömet sein Purpurroth,
Das zarte, duft'ge, lebenswarme,
Ueber die Wange des holden Mägdleins.

Und heitern Sinnes, züchtig ins Morgenkleid
Der schönen Formen zaubrischen Reiz verhüllt,
Enteilt des Zimmers engem Raum sie
Hin in des Gartens bethaute Frische.

Noch feucht vom Nachtthau prangt in des Morgens Glanz
Die goldne Landschaft; Cilla verweilt den Blick
Auf ihr, und im entzückten Auge
Spiegelt sich schöner der Fluren Bildniß.
(S. 9)
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Letzte Bitte
April 1835

Wenn einst ich dalieg' unter des Hügels Moos,
Und mir die Sehnsucht hier in dem Busen schweigt,
Und der Entsagung herbe Schmerzen
Mit dem verwesenden Herzen schwinden:

Dann wirst du lang noch blühen von Lust umhaucht,
An fremden Busen schwelgen in Seligkeit,
Und des Verschmähten nimmer denken,
Welchen der Gram in die Gruft so früh zog.

Sei's denn! vergiß mich, der dich so treu geliebt!
Dir wird mein Geist nicht zürnen. Vergiß mich bald!
Des Todten düsterschauend Bildniß
Möchte verscheuchen der Freuden Festreih'n.

Nur Eins gewähre - o du versagst sie nicht,
Die letzte Bitte! - Weh mir, versagst du sie!
Laß mich gefaßt und ruhig enden,
Wende vom Sterbenden ab Verzweiflung!

Noch oft umglänzt mich Hoffnung mit trübem Strahl,
Geblendet lächl' ich Glauben der Täuscherin:
So schleich' ich ruhig hin zum Ziele -
Wende vom Sterbenden ab Verzweiflung,

Und knüpfe, Cilla, knüpfe das feste Band,
Das unauflösbar dich dem Geliebten eint,
O knüpf' es nicht, bis, ach, mein Auge
Schauriges Dunkel des Todes hüllet!

O knüpf' es nicht! Bald endet des Kummers Sohn:
Im Innern weissagt's dunkeles Ahnen ihm.
Versage nicht die letzte Bitte!
Knüpf' es nicht eher: mich hüllt die Gruft bald!
(S. 10-11)
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Sehnsucht
Glosse
August 1835

Thema
O du bringst mir süße Kunde,
Hauch, der meine Wange kühlt!
Athem du aus Liebchens Munde,
Wie mein Herz dein Seufzen fühlt!
J. M. Birmann

Fern von dir auf stiller Flur
Unter schattenreichen Bäumen
Ruh' ich oft in tiefem Träumen,
Denke dein, o Liebchen, nur.
Jedes Schöne der Natur,
Jede Blum' im stillen Grunde
Wird ein Zeichen unserm Bunde;
West umflüstert mir die Brust,
Und ich sprech' in sel'ger Lust:
O du bringst mir süße Kunde!

Webt hier wohl ein tiefres Leben?
Blumen, die hier still erblühn,
Rein, wie Liebchens Wange glühn,
Seh' ich grüßend mich umbeben.
Eine Seel' ist dir gegeben,
Nachtigall, die mächtig fühlt,
Was in Menschenbusen spielt;
Auch in deinen Flüstertönen
Seufzt der Liebe leises Stöhnen,
Hauch, der meine Wange kühlt!

Süße Kunden, seid begrüßt!
Ach, der Blumen Rosenschimmer
Malt mir Liebchens Antlitz immer,
Welchem Huld und Glanz entsprießt.
Meines Liebchens Stimm' ergießt
Nachtigall in stiller Stunde
Aus der Brust erregtem Grunde.
Süße, reine Frühlingsluft,
Wonnig schlürf' ich deinen Duft,
Athem du aus Liebchens Munde! -

So versenkt in tiefes Sehnen,
Ruh' ich oft im stillen Hain,
Und des Mondes Silberschein
Spiegelt sich in meinen Thränen.
O wie glücklich, dürft' ich wähnen,
Daß auch Sehnsucht dich umspielt!
Daß auch dir die Thräne quillt!
Sprechen Blum' und Nachtigallen?
Fühlst du so mein Sehnen wallen,
Wie mein Herz dein Seufzen fühlt?
(S. 13-14)
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Verlust
Triolet
August 1835

So soll ich dir denn ganz entsagen,
Du meines Lebens höchste Lust!
Ach, weinend werd' ich ewig fragen:
So soll ich dir denn ganz entsagen?
O herber, schmerzlicher Verlust!
Nein, lange werd' ich's nicht ertragen:
Zu viel, zu viel für diese Brust!
So soll ich dir denn ganz entsagen,
Du meines Lebens höchste Lust!
(S. 14)
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Erster Kuß

Wie mir ihr erster Kuß gethan,
Das mögt ihr umsonst mich fragen.
Wohl fragt' ich mich selbst und sann und sann;
Doch nimmer weiß ich's zu sagen.

Zwar wie ich sie flehend an mich zog;
Deß kann ich zur Noth mich besinnen;
Doch als sie gewährend sich niederbog,
Da schwanden mir ganz die Sinnen!
(S. 15)
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Begegnung

Ich saß im dunklen Tannenwald
Und sann in tiefem Leide:
Da kam mein Lieb' heraufgewallt
Im himmelblauen Kleide.

Sie hing an ihres Buhlen Arm
So traulich und so innig;
Die Wangen blühten so süß und warm,
Die Aeuglein glänzten so minnig.

Und als sie an mir vorüberkam,
Kaum thät nach mir sie blicken,
Und als sie meinen Gruß vernahm,
Nur kalt und flüchtig nicken.

Dort über den schattigen Pfad sie zog -
Sie müßt' umschauen, ich meinte.
Doch als sie um die Gesträuche bog,
Da saß ich wohl lang und weinte.
(S. 16)
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Entschluß

Noch einmal möcht' ich sie schauen,
Die hohe, schlanke Gestalt,
Und Alles ihr vertrauen
Von meiner Liebe Gewalt.

Noch einmal vor ihr mich neigen,
Ehrfürchtig sinken aufs Knie,
Ins Aug' ihr schauen und schweigen
Und weinen so heftig wie nie!

Ob dann sie wohl fühllos bliebe?
Sie würde gewiß erweicht!
Und gewährte sie auch nicht Liebe,
Ein Thränlein entsänk' ihr vielleicht.

Vielleicht daß sie spräche mit Thränen:
"Du bleicher, trauriger Mann!
O daß ich dein Lieben und Sehnen
Dir nimmer erwiedern kann!"

Dann wollt' ich zur Stunde fliehen
Aus stillem Vaterhaus,
Mit meinem Kummer ziehen
In alle Welt hinaus,

Mit meinem Saitenspiele
Von Land zu Lande gehn,
Und singen meine Gefühle
In Liedern traurig und schön;

Und rastlos weiter eilen
Und ziehen bergauf bergab,
An keinem Orte weilen,
Bis in mein fernes Grab!
(S. 16-17)
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Triolet

Heute hab' ich sie gesehen,
O ihr Götter, welch ein Blick!
Wag' ich's, kühn ihn zu verstehen?
Liebe, kehrst du neu zurück?
Wundersam ist mir geschehen:
Heute hab' ich sie gesehen -
Hoffnungsreicher Augenblick!
Ja, du wirst mir neu erstehen,
Langentbehrtes Minneglück!
Heute hab' ich sie gesehen,
O ihr Götter, welch ein Blick!
(S. 17-18)
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Leid und Lied

"Was du mir flehst, ich muß es dir versagen!
Ich darf ja nicht: es macht mir selber Schmerz.
Wohl seh' ich deinen Blick noch zweifelnd fragen:
O, wend' ihn weg, er spaltet mir das Herz!
Ach, unser Loos ist dulden und ertragen;
Sei muthig, Freund, und schaue himmelwärts;
Hier wohnt die Nacht, dort oben wird es tagen!"

Der Sänger hört's und starrt zur Erde nieder,
Sie wandelt stumm und bleich und weinend fort:
In tiefer Brust, da hallt es ewig wieder,
Ihr letztes, ach! dies letzte, schwere Wort.
Bald schlingt der Schmerz um ihn sein Nachtgefieder,
Bald hebt ihn Sehnsucht nach dem Ruheport,
Und wundersam ergreifen seine Lieder!
(S. 18)
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Ergebung

O daß ich sie wiedersähe!
Ich bin so traurig allein.
In ihrer lieben Nähe,
Da möcht' es wohl besser sein.

Zwar seit sie mich verlassen,
Wird's nie mir wieder gut;
Die rothen Wangen erblassen,
Es stirbt mein Lebensmuth.

Und eil' ich zu ihr auch hinüber,
Was hilft's mir Armen dann?
Sie geht ja kalt vorüber
Und schaut mich gar nicht an!

O Tod, du Heil der Schmerzen,
Komm, tilge mein herbes Leid!
Wohl spricht's mir leis im Herzen:
Geduld, er ist nicht weit.

So will ich geduldig leiden
Und harren, bis er erscheint:
Vielleicht, daß bei meinem Scheiden
Sie eine Thräne weint!
(S. 18-19)
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Letzter Wunsch

Noch Einmal möcht' ich vor dir stehn,
Noch Einmal dir ins Auge sehn
Und zu dir sprechen leis und mild:
Ich liebe dich, du holdes Bild!

Noch Einmal dich im süßen Wahn,
Noch Einmal innig dich umfahn,
Aushauchen meiner Seele Glut
Auf deiner Lippen Purpurblut!

Das ist, was lang schon früh und spät,
Was meine Seufzer all erfleht;
Das ist, was lang schon Tag und Nacht
Mich um der Ruhe Trost gebracht!

Doch ob ich sehne spät und früh,
Des Schicksals Gunst erhört mich nie;
Zerknickt liegt jeder Hoffnung Saat,
Die kalt sein ehrner Fuß zertrat.

So wünsch' ich fürder gar nichts mehr,
An Hoffnung und an Liebe leer,
Und wenn ich einen Wunsch noch hab',
Ist's tiefe Ruh' im tiefen Grab.
(S. 19-20)
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Caecilie
Juni 1837

Wer kann dich schauen, daß nicht der Entzückung Lust
Im hellverklärten, schimmernden Auge schwimmt,
Daß nicht der Blick voll süßen Staunens
Zaubergefesselt dem Bilde nachfolgt!

Ich sah dich einst! Ach, ewig in frischer Glut
Malt mir's Erinnrung; ewig entreißt es mich
Zum höchsten Aufschwung der Begeistrung,
Wenn ich dies erste Begegnen sinne!

Du schwebtest leicht hin über der Wiesenflur
Beblümten Plan: ein schönerer Lenz im Lenz
Begann im Thalgrund aufzublühen,
Welchen dein schwebender Fuß berührte.

Wie Schöpfungshauch in Eden, so säuselte
Dein wallend Kleid: die Blumen erheben sich
Und blickten zu dir auf, und höher,
Feuriger glühten die duft'gen Kelche.

Von Wonneschauern zitterte mir die Brust,
Und alle Geister künftiger Lieder, die
Zu spätem Dasein in mir schliefen,
Regten im Busen sich ungeduldig!
(S. 20-21)
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Die Laube

In dunkler Laub' am grünen Hag,
Da hab' ich einst gesessen.
Ach, jene Laube, jener Hag,
Sie schweben vor mir Nacht und Tag,
Ich kann sie nicht vergessen!

Das Spätroth durch die Blätter brach
Zur Bank, drauf ich gesessen.
Dies Wechselspiel von Nacht und Tag,
Dazu der Vöglein Trillerschlag,
Ich kann es nicht vergessen!

In jener Laub' am grünen Hag,
Wo selig ich gesessen,
Mein Lieb in meinen Armen lag,
Und was sie blickt' und was sie sprach,
Wie könnt' ich das vergessen!
(S. 21)
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Die Mühle

In einem stillen Thale
Da rauscht es Nacht und Tag;
Das ist die rege Mühle
Mit ihrem Räderschlag.

Ein Mägdlein zart und rosig
Geht emsig aus und ein.
Ist wohl die flinke Schöne
Des Müllers Töchterlein?

Im Häuschen gegenüber
Da ruh' ich Wandrer aus;
Oft will ich weiter ziehen,
Doch wird nicht Ernst daraus.

Ich weiß nicht: all die Tage
Hab' ich des Schlafs entbehrt -
Ob wohl der Mühle Rauschen
Mir so den Schlummer stört?
(S. 22)
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Trennung

Von dir entfernt, wie mag ich da noch leben
Im Trennungsschmerz, der meine Brust umnachtet
Und unbesiegbar jeden Trost verachtet,
Den ihm Natur, den Freundeswort ihm geben!

Doch nein, ich lebe nicht! - Ist das ein Leben,
Wenn man das Herz, das tief im Grame schmachtet
Und kalt und fühllos nicht mehr ringt und trachtet,
Kaum noch gewahrt an seines Schlages Beben?

Wohl starb ich schon! Das war mein Todesstreit,
Als ich mich blutend deinem Kuß entwand,
Und Leib und Seele sind seitdem geschieden.

Den Leib nur schleppt' ich fort in bittrem Leid,
Die Seele blieb an deinen Blick gebannt
Und sonnt sich still in deinem Himmelsfrieden!
(S. 23)
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An Cilla
In ein Gebetbuch als Angebinde
22. November 1838

Wenn in Andacht kindlich hingegossen
Dein Gemüth sich himmelan entschwingt,
Und dein Herz, vor seinem Gott erschlossen,
Leise Bitten ihm, dem Vater, bringt,

Und dann mild, dem reinern Licht entsprossen,
Engelfrieden deine Brust durchdringt:
Dann - o daß für mich in solcher Stunde
Ein Gebet entschwebte deinem Munde!
(S. 23-24)
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Heimkehr

Und wie ich immer näher kam,
Wie thät mein Herz mir pochen!
Ach, wie hat Alles so wundersam
Mich wieder angesprochen!

Und Sturm und Drang in meiner Brust
Aus Tagen, lang entschwunden,
Und süße Pein und süße Lust
Für neue, sel'ge Stunden!

Ach, die ein holdes Knösplein war,
Da ich hinweggegangen,
Wie wird sie jetzt nach manchem Jahr
Als schönste Rose prangen!

Dort steht das liebe, liebe Haus,
Die Fenster im Spätroth brennen.
Und schaute sie jetzt einmal heraus,
Sie würde wohl gleich mich erkennen.

Ich stürm' hinein mit Feuerschritt,
Will glühend sie umwinden -
Doch kalt und fremd zurück sie tritt:
"Wie steht's mit Ihrem Befinden?"
(S. 26-27)
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Lieb' im Grabe

Mir träumt: ich lag im Grabe
Gar einsam manches Jahr,
Und um mich her im Kreise
Lag eine fremde Schaar.

Und dort in ferner Ecke,
Dort ruht' auch schon ihr Mann,
Der ihren süßen Leib nur
Für kurze Lust gewann.

Da bringt man neuen Todten:
Ach Gott, wer mag das sein?
Dort in der fernen Ecke
Senkt man ihn weinend ein.

Der Grabgesang verstummte,
Die Schaufel hat vollbracht;
Ringsum ein tiefes Schweigen
Bis spät um Mitternacht.

Da horch! ein dumpfes Schollern
Um mitternächt'ge Stund'!
Es wühlet, wie der Maulwurf,
Tief durch der Erde Grund.

Es gräbt sich immer näher,
Es dringt zu mir heran -
Mich herzen weiche Arme,
Es schmiegt sich an mich an.

"Gottlob, mein Schatz, du süßer!
Nun bin ich dir vereint,
Um den ich manche Thräne
In stiller Nacht geweint!

Und jene harten Herzen,
Die dies mir angethan,
Den stillen Bund im Grabe,
Den tasten sie nicht an.

Und jener Schwur der Treue,
Den ich dem Andern gab,
Sein Zwang ist nun gebrochen;
Die Ehe löst das Grab.

Gottlob, mein Schatz, du süßer,
So bin ich endlich dein!
Was streng das Leben wehrte,
Mir soll's der Tod verleihn!"

Ein heiß und innig Minnen
In tiefer Gruft begann;
Kuß schmolz zu neuem Kusse,
Und Thrän' in Thräne rann.

Sie hielt mich liebumfangen,
Sie schmeichelte so lind;
Ich lag an ihrem Busen
Und weinte wie ein Kind.

Wohl schwebten alle Todten
Empor zum Mondenglanz,
Und tanzten auf den Gräbern
Den lust'gen Geistertanz.

Wir aber blieben liegen
In süßer Liebeslust;
Wir lagen Lipp' an Lippe,
Wir lagen Brust an Brust.
(S. 27-29)
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Seligkeit

Ich lag in ihren Armen
Und schaute zu ihr empor:
Im dunkeln Glanz des Auges
Mein Sinnen sich verlor.

Es blickte der leuchtende Himmel
Mich an so wundermild,
In seinen klaren Räumen
Schwebte mein eignes Bild.

Und als sie nun zum Kusse
Die seidenen Lippen mir gab:
Da sank der leuchtende Himmel
Lächelnd zu mir herab!
(S. 31-32)
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Nächtliche Zusammenkunft

Sie schlichen verstohlen zusammen
In sternenloser Nacht,
Sie kosten so süß, so traulich
Und glaubten sich unbewacht.

Sie hielten sich liebumfangen,
Eins lag an des Andern Brust;
Sie weinten und wollten sterben
In der lang verwehrten Lust.

Und mögt ihr das Ende wissen,
Das Ende von dieser Stund'?
Er liegt verblutend am Boden,
Sie jammert in Thurmes Grund.
(S. 33)
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Friederike von Sesenheim

Vielfach hat er geliebt; doch strahlst du herrlich vor allen
Frau'n, die einst durch ihn wurden beglückt und erhöht.
Vielfach hat er geliebt, der unsterbliche Dichter; es trieb ihn
Zur oft wechselnden Glut heimlich der Genius an,
Daß er den dichtrischen Blick einsenk' in die weibliche Seele
Und ihr innerstes Sein schildre lebendig und treu.
Nun im Gewande der Kunst blühn ewig die Frauengestalten,
Freieste Schöpfung und doch kenntlich am eigensten Zug.
Dich nur zeichnet' er nicht, ein gesondertes Bild; zu dem reinsten
Einklang war in dir Alles dem Ganzen verwebt.
Lieblichste deines Geschlechts! Von deiner entzückenden Anmut
Lieh er den zarteren Duft, welcher die andern verklärt.
(S. 49)
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Bekenntniß

Wie hab' in früher Jugendzeit
Ich kühn gehofft und heiß gerungen!
Der Schmeichellaut Unsterblichkeit
War tief im Herzen mir erklungen.

Es lag die Welt so voll und reich
Vor mir, den süßer Wahn bethörte;
Stolz blickt' ich, dem Erobrer gleich,
Als ob das alles mein gehörte.

Den fernsten Stern, die Ros' im Thal
Verknüpften meine Phantasieen:
Mir war der Schöpfung weiter Saal
Huldvoll, ein geistig Reich, verliehen.

Das Große der Vergangenheit
Erstand vor meinem Blick lebendig;
So sank die Schranke hin der Zeit,
Und Gegenwart war allbeständig.

Verheißend rankt' in sie hinein
Der Zukunft dunkle Wunderblume;
Schon stahl sich Duft und goldner Schein
Aus leichtverhülltem Heiligthume.

O schöner, kurzer Jugendtraum!
So grausam ward ich aufgerüttelt,
Wie wilder Sturm vom Apfelbaum
Die kaum erschlossnen Blüthen schüttelt.

Es schwand die Glut, es schwand die Lust,
In Asche sank mein reiches Lieben;
Kaum daß noch in der öden Brust
Ein leis Erinnern nachgeblieben.

Am Boden im Gestrüpp ein Aar
Keucht blutig mit gebrochnem Flügel;
Sein Auge trüb, des Glanzes baar,
Starrt fern auf sonnerhellte Hügel.

Durch Brombeerrank' und dumpfes Moos
Schleppt er den Leib umher, den siechen,
Auf kleinem Raume ruhelos
Nothdürft'ge Nahrung zu erkriechen.

So brach auch mir des Schicksals Hand
Erbarmungslos die kühnen Schwingen;
Im engumgränzten Kreis gebannt,
Galt's fürder ein alltäglich Ringen.

Nun sah ich in verschwiegner Noth
Der langen Jahre Stunden wandern -
Ein trüg'risch übertünchter Tod! -
Einförmig eine glich der andern.

Wie hoffnungslos ein Kranker stöhnt
Und himmelan mit Schmerzgeberde,
Dem letzten Augenblick versöhnt,
Forscht, ob denn endlich Abend werde:

Solch Sehnen dämmert' in mir auf;
Gleichmüthig mit verhaltner Klage
Sah ich den reizlos gleichen Lauf
So schön geträumter Lebenstage.

O Abendroth, wie säumst du lang! . . .
Da sieh! im Osten ist's entglommen;
Melodisch klingt's wie Lerchensang:
Es will ein neuer Morgen kommen!

Ein neuer Lenz bereitet sich:
Das ist ein Duften und ein Glühen,
Wie unter schönerm Himmelsstrich
Zweimal des Jahrs die Bäume blühen.

Es haucht mich an so warm und mild;
Ein seltnes Wunder ist geschehen,
Seit ich mein schön'res Ebendbild
In deiner Augen Strahl gesehen.

Ach, seit mit sel'gem Liebesschein
Mir glänzen diese klaren Lichter,
Zog neues Leben jubelnd ein,
Und neu in mir erstand der Dichter.

Still hingeschmiegt an deine Brust,
Von deiner Arme Ring umlettet,
Wie bin ich stolzer Kraft bewußt!
Durch dich bin ich mir selbst gerettet.

Im milden Strahle deiner Huld
Zu reinster Menschlichkeit gediehen -
Versiegt der Haß, gesühnt die Schuld -
Der ganzen Welt hab' ich verziehen.

Ja, aller Aufruhr ist gestillt!
Um dich nur weben die Gedanken,
Wie um ein einsam Heil'genbild
Sich wilde Rosen friedlich ranken.

Was ich besitz' und bin, ist dein!
Kannst du vom eig'nen Werke lassen?
Und dennoch könnt' ich nur verzeihn
Und endlos trauern, doch nicht hassen.

O laß mich nicht! Mein ganzes Glück,
Mein Leben ist an dich gebunden!
Und wankst du je, so denk' zurück
An jene stillen, sel'gen Stunden!

Der Gott der Liebe, glaub's, er wird
Von dir einst fordern meine Seele,
Wenn ich, an Menschentreu beirrt,
Gebrochnen Muths mein Ziel verfehle;

Wenn er die Kraft, in mich gelegt,
Mit dem vergleicht, was ich verwendet,
Und auf gerechter Wage wägt,
An jenem Tag, wann ich vollendet.

O laß mich nicht! Aus Geistesnacht
Hast du mich neu zum Licht erzogen,
Und selig bin ich aufgewacht -
O daß mein Hoffen nicht gelogen!

Wenn blasser stets das Abendlicht
Mählig verlischt in Dämmertönen,
Dann mag unmerklich das Gesicht
Sich an die tiefe Nacht gewöhnen.

Doch wenn nun durch die tiefe Nacht
Ein leuchten fährt, ein jäh Gefunkel,
So schnell verblitzt wie grell entfacht,
Dann ist das Dunkel doppelt dunkel.
(S. 53-56)
_____



So nennt es thöricht und vergebens!
Ihr sprecht so weis' und denkt so kühl.
Den ganzen Inhalt meines Lebens
Verklärt dies heilige Gefühl.

Und ob mir keine Hoffnung bliebe,
Das ändert nicht den treuen Sinn;
Auch unbeglückt ist meine Liebe
Ein großer, herrlicher Gewinn.

Und weil ich ganz dir hingegeben,
Bin ich erst wahrhaft stark und frei.
Zum Höchsten drängt's mich aufzustreben,
Auf daß ich deiner würdig sei.

Dein Bild im Herzen muß ich wandeln,
Als gingst du stets mit mir gepaart:
So bleibt mein Denken und mein Handeln
Vor jedem niedern Hauch bewahrt.
(S. 65)
_____



Stark hab' mit mir selbst gerungen;
Auf deine Ruhe nur bedacht,
Des Herzens Ungeduld bezwungen
Und Aug' und Lippe streng bewacht.

Ich sah auf dich: du zogst durchs Leben,
Ein arglos Kind, mit leichtem Tritt,
Dem schönen Augenblick ergeben,
Nicht ahnend, wie ich liebt' und litt.

Da hab' ich zu mir selbst gesprochen:
Gefährde nicht dies reine Glück! -
Nun ist mein fester Sinn gebrochen:
Das that von dir ein einz'ger Blick.

Ein Blick! Wie Nebel vor der Sonne
Zerrann vor ihm der Stärke Wahn -
Ich bin besiegt. O Hoffnungswonne!
Die kühne Frage sei gethan!

Und zwingt dein Herz dich, zu verneinen,
So tret' ich klagelos zurück,
Will heimlich meinen Gram verweinen,
Und innig beten für dein Glück. - -
(S. 66)
_____



O dieser Seligkeit
Drängende Fülle!
O Glück, so hoch und weit,
Brich nicht die Hülle!

Wie das nun glüht und zieht,
Wogt durch den Busen! -
Nur ein verströmend Lied!
Rettet mich, Musen!
(S. 67)
_____



So halt' ich endlich dich umfangen!
Und alle Noth und alle Pein
Ist wie ein leichter Traum vergangen
Vor dem Gedanken: Sie ist mein!

So ringt empor ein kühner Klimmer
Durch Schluchten, Waldnacht, Felsgestein;
Es steht am Ziel: in Pracht und Schimmer
Liegt eine Welt voll Sonnenschein.
(S. 67)
_____



Dir hab' ich manches Lied gesungen,
Als ich um deine Gunst noch rang;
Nun halt' ich selig dich umschlungen,
Und im Genuß schweigt mein Gesang.

O sei nicht ungerecht und wähne,
Die mächt'ge Flamme sei verglüht!
Mein Glück hat nur die stumme Thräne
Und ist zu groß für jedes Lied!
(S. 67-68)
_____



Deine Lieb' ist wie die Maiennacht,
Die mild und heimlich mich umfängt
Und eine reiche Sternenpracht
Geheimnißvoll ins Herz mir senkt.

Die Lüfte kosen leichtbeschwingt,
Begeistrung rauscht der Wasserfall,
Und in dem eignen Herzen klingt
Das Hohelied der Nachtigall.
(S. 68)
_____



An deinem Busen laß mich ruhn!
Da draußen stürmt und tobt es wild.
Es riß mich fort; ich rang zu dir
Zurück: du bist so still und mild.

O schließe fester mich ans Herz!
Da draußen wogt der heiße Streit;
In deines Herzens Heiligthum
Blüht heil'ger Frieden unentweiht.

Und öffne mir die Seele ganz!
In ihre Klarheit laß mich schaun!
Da draußen Zweifel nur und Haß,
Hier wohnt noch Lieb' und Gottvertraun.

Da draußen gleißt der bunte Schein
Und lockt und trügt und raubt die Ruh -
O du bist meine ganze Welt
Und gibst den Himmel mir dazu!
(S. 70-71)
_____



Die Nacht

Ein stilles Wunder ist die Nacht,
Der reinen, tiefen Liebe Bild;
Gleich ihr verschwiegen, reich und mild
Und von geheimnißvoller Macht.

Sie faßt dich ganz und schließt die Welt
Vor den erregten Sinnen zu,
Daß ungestört in milder Ruh
Das Herz in sich die Einkehr hält.

Wie wird die Seele leicht und weit!
Von jeder Erdenschlacke rein
Nimmt sie den Himmel in sich ein
Und fühlt in sich Unendlichkeit.
(S. 72)
_____



Du!

So muß ich bitten, muß ich klagen
Um jenes einz'ge, kleine Wort,
Ach, deiner Lippe leicht zu sagen -
Und du verweigerst fort und fort!

Der letzte Zwang, er sei gebrochen;
Nichts Fremdes dränge mehr sich ein!
Hat nicht dein Herz mir schon gesprochen
Mit süßem Schwur: Auf ewig dein!?

O denke, wie ich still ertragen
Mein Weh viel trübe Jahre lang,
Und hoffnungslos in Selbstverzagen
Den höchsten Wunsch zum Schweigen zwang,

Bis endlich, vom Moment getrieben,
Mein volles Herz die Sprache fand
Und mein geheimes, tiefes Lieben
Mit kühner Frage dir gestand!

Da warst du mild, und hingerissen
Von meiner Glut belohntest du
Mit leisen, kaum verwehrten Küssen,
Und gabst mir Frieden, Glück und Ruh!

Sieh, wie seitdem mein ganzes Leben
Mit jedem Wunsch nach dir sich drängt,
Und all mein Hoffen, all mein Streben
An deinen Blicken forschend hängt!

Noch glitt kein "du" von deinem Munde!
O zög're länger nicht und sprich
So recht aus deines Herzens Grunde
Mir's in die Brust: Ich liebe dich!
(S. 79-80)
_____



Ewig Dein!

Wie drängt es mich an diesem Tage,
Daß ich ein liebes Wort dir sage!
Kann dir ein andres lieber sein?
"Dein bin ich, ewig, ewig dein!"

Braucht's mehr, mein volles Herz zu schildern?
Nicht will ich mit gesuchten Bildern
Das heiligste Gefühl entweihn -
Dein bin ich, ewig, ewig dein!

Ach, was ich denke, was ich fühle,
Strebt ewig nach dem Einen Ziele;
Das Eine Wort schließt Alles ein:
Dein bin ich, ewig, ewig dein!

Nicht weiß ich, wie des Schicksals Walten
Mein Leben fürder mag gestalten;
Gewiß nur bleibt mir Eins allein:
Dein bin ich, ewig, ewig dein!

Und ob kein Erdengut mir bliebe,
Glaub's, das Bewußtsein deiner Liebe
Genügt, um reich und froh zu sein:
Dein bin ich, ewig, ewig dein!

So laß uns heut in ächten Treuen
Vereint den heil'gen Schwur erneuen!
O sprich mir leis ins Herz hinein:
Dein bin ich, ewig, ewig dein!
(S. 80-81)
_____



O wahre heilig mir die Treue!

Gar wunderselig ist mein Sinn,
Ich leb' ein hochbegnadet Leben.
Ach, Allem, was ich hab' und bin,
Hast du den rechten Werth gegeben!
Mein Glück kennt Eine Schranke nur,
Und mein Gebet, das täglich neue,
Zu dir ist's Ein Gedanke nur:
O wahre heilig mir die Treue!

Vergessen sei für alle Zeit,
Was Alles ich um dich gelitten,
Verklärt in Siegestrunkenheit
Der herbe Kampf, den ich gestritten!
Die schwersten Opfer bring' ich gern,
Keins ist so groß, daß mich's gereue;
Doch Einen Dank empfing' ich gern:
O wahre heilig mir die Treue!

Die ächte, rechte Liebe läßt
Ja nimmer ab und kennt kein Schwanken;
In meinem Herzen ruhst du fest,
Gefühl beherrschend und Gedanken.
Ob's Schlimmstes auch verhängen mag,
Mit jeder Noth das Schicksal dräue,
Nichts kömmt, was dich verdrängen mag -
O wahre heilig mir die Treue!

Bleibst du nur treu, ist Alles gut!
Und halt' ich innig dich umfangen,
In Himmelswonnen schwebt mein Muth,
Es bleibt kein Wünschen, kein Verlangen!
Nicht, wenn mein Leben bräche dann,
Geläng's dem Tod, daß ich ihn scheue;
Mein letzter Blick, er spräche dann:
O wahre heilig mir die Treue!
(S. 81-82)
_____



Ihr Bild

Vor deinem Bilde stand ich oft,
Wenn mir dein Anblick war versagt;
Was ich gefürchtet und gehofft:
Von ihm hab' ich mein Loos erfragt.

Du denkst: Was soll ein stummer Mund?
Ja, es gebricht der helle Laut.
Und doch - aus deiner Seele Grund
Hat's mir so Manches still vertraut.

Ein Blick von dir so gütigmild,
Wenn er mir schmerzlichschnell verrann:
So such' ich Trost bei deinem Bild,
Und wunderlieb vergilt's mir dann.

Dünkt mir umflort dein Angesicht,
Dann forsch' ich nach mit stiller Pein
In jenem andern Augenlicht,
Und schaue lang' und tief hinein.

Wenn in des lauten Tags Gewühl
Ich treu und innig dein gedacht,
O wie dein Bild voll Dankgefühl
Den Abendgruß entgegen lacht!

Was ich gefühlt, gewollt, erfüllt,
Kaum tret' ich an dein Bild heran,
So sagt es wahr und unverhüllt,
Ob ich das Rechte stets gethan.

Allmorgens tret' ich hin aufs Neu,
Vor ihm zu weihn den neuen Tag,
Daß ich mein Werk getrost und treu
Beginnen und vollenden mag.

So gibt dein Bild mir Lust und Muth
Und warnt und lohnet fort und fort.
Wo solche Sprache Wunder thut:
Was soll ein armes lautes Wort?
(S. 82-83)
_____



Zwist und Versöhnung

Aus leichtem Anlaß ward ein leichtes Schmollen,
Das immer düstrer seine Fäden spann,
Bis tiefer Unmuth Uebermacht gewann,
Weil wir im Innern mit uns selber grollen.
Wir prunken schmerzlich nun mit festem Wollen,
Und ob das Herz fast im Geheimen bricht:
Wir achten seine stummen Bitten nicht;
Es dünkt uns groß und männlich, zu entsagen,
Im stolzen Trotz das Schwerste zu ertragen.

So war es mir. Ich ging an ihr vorüber
Unruhig, aufgeregt und scheinbar kühl;
Zwar oft genug, bemeistert vom Gefühl,
Schlich sich ein flücht'ger Blick zu ihr hinüber.
Doch was er wahrnahm, stimmte mich nur trüber:
Sie saß so still, die Augen niederwärts,
Die Miene ruhig ernst, kein Zug von Schmerz,
Und sah sie auf, mein schien sie nicht zu achten,
Gleichgült'ges nur gleichgültig zu betrachten.

Die Probe kam. Es galt ein kurzes Scheiden.
Nicht vor mir selber wollt' ich's klar gestehn
Und sucht', als sei Willkommnes mir geschehn,
Den schweren Muth in Lustigkeit zu kleiden.
Auch ein Begegnen mocht' ich gern vermeiden,
Doch trieb's mich um, wie durch geheimen Zwang,
Trepp' auf und ab - da auf dem obern Gang,
Halb offen stand die Thür - sie war alleine
Und kniete regungslos vor ihrem Schreine.

Ich sah es nicht, doch schien sie still geschäftig,
Ihr vorgebeugtes Köpfchen war versteckt
Und blieb es auch: sie ward nicht aufgeschreckt,
Als meine Tritte hallten nah und kräftig.
Sei ruhig, Herz! Was pochst du gleich so heftig?
O, sie erkannt' uns! - Doch du willst: es sei!
Zum zweiten Male schritt ich laut vorbei
Und stieg in Unmuth dann die Stufen nieder -
Und kehrte doch - zum dritten Male wieder.

Was ist mit ihr? Noch immer ohne Regung?
Und unvermuthet stand ich vor ihr da.
Ich wußte selber nicht, wie mir's geschah;
Denn mir gebrach die Ruh der Ueberlegung.
Mit schwankem Laut tiefinnerster Bewegung
Haucht' ich gedämpft ein Lebewohl hervor.
Drauf hob sie langsam, schweigend sich empor
Und wandt' - o Gott! von Purpur übergossen
War ihr Gesicht, und stumme Thränen flossen!

Da schlang ich - nein, es war ein stürmisch Pressen
"O du, mein Herz!" - und Kuß verrann in Kuß.
"O daß ich so mich wiederfinden muß!
Wie war ich doch so thöricht und vermessen!
Sprich, kannst du das und willst du mir's vergessen?"
Ihr Köpfchen neigte sich auf meine Brust,
Und in mir wogt' ein Meer von Weh und Lust.
Dein sichres Glück - so klang's in meinem Herzen -
Nie prüf' es mehr durch selbstgeschaffne Schmerzen!
(S. 83-85)
_____



Ein Lichtbild

So reich erschloß sich diese zarte Blüthe,
Zur höchster Huld kein seltner Reiz gebricht.
O daß ein guter Engel sie behüte!
Wie ist sie schön - und weiß es nicht!

Ein Frühlingshimmel, traumhaftstill verbreitet,
Ruht auf dem klaren, reinen Angesicht.
Ihr zeigt's der Bach, der zögernd weiter gleitet,
Sagt's ihr - und sie vernimmt es nicht!

Dies dunkle Auge, kindlich unbefangen,
Aus dessen Tiefen mildes Feuer bricht -
Ein flücht'ger Blick regt dauerndes Verlangen;
Ja, sie entflammt - und merkt es nicht!

Und lächelt sie: mit magischen Gewalten
Verklärt es rings, und jeder Blick wird licht;
Der trübste Ernst vergißt die strengen Falten -
Wie sie entzückt, sie ahnt es nicht!

Drückt dich ein Gram, wohl bist du zu beneiden,
Wenn dann ihr Herz theilnehmend zu dir spricht;
Um solchen Lohn liebst du die eignen Leiden:
So tröstet sie - und weiß es nicht!

O sprich mit ihr von hohen, heil'gen Dingen,
Wie löst ihr Sinn das Räthsel leicht und schlicht!
Ihr ward geschenkt, drum Andre mühsam ringen,
Der feine Geist - sie ahnt es nicht!

Von ihrer Anmuth Allgewalt bezwungen,
Zu stiller Huld'gung wob ich dies Gedicht.
Doch sei mir treu auch jeder Zug gelungen,
Sie liest es - und erkennt sich nicht!
(S. 88)
_____



An Philomene

Nicht wünsch' ich Reichthum, Ehr' und Macht,
Auf Anderes ist mein Sinn bedacht!
Für deine Liebe gern entbehr' ich jene.
O Philomene!

Was soll der Fluren reichste Pracht,
Die Lust, die aus den Blüthen lacht,
Wenn ich umsonst nach deinem Blick mich sehne?
O Philomene!

Die Stunde, fern von dir verbracht,
Sie schleicht so trüb, sie schleicht so sacht,
Als ob sie zur Unendlichkeit sich dehne.
O Philomene!

Ist spät mein Tagewerk vollbracht,
Küss' ich dein Bild zur guten Nacht;
Nur der verschwiegne Mond belauscht die Scene.
O Philomene!

Wohl manche dunkle, stille Nacht
Hält meine Sehnsucht mit mir Wacht,
Und aus dem Auge quillt mir dann die Thräne.
O Philomene!

Wenn mir dein Aug' in Liebe lacht,
Fühl' ich so selig mich entfacht,
Daß ich zum Himmel mich enthoben wähne.
O Philomene!
(S. 89)
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Tröstung

Ja, dieses kleine Menschenherz,
Bevor es müde wird zu schlagen,
Es kann durch lange Jahre tragen
Unlässig eine Welt von Schmerz.

Ich weiß es wohl und hab's erprobt!
Es hat der Sturm mit rohem Wüthen
Mir durch die liebsten, reichsten Blüthen
Vernichtend immer neu getobt.

Doch, daß auch du, geliebtes Herz,
In deinen schönsten Lenzestagen
Des herben Weh's so viel getragen,
Das regt mir neuen, tiefen Schmerz.

O fasse frischen Lebensmuth!
Und daß der erste Trost nicht fehle,
Hör' ein Geständniß meiner Seele
Und glaub' es fest: ich bin dir gut!

Komm, birg dich in mein treues Herz!
Ich will dich wie ein Kleinod hegen,
Dir Balsam auf die Wunde legen,
Bis sanfte Ruhe scheucht den Schmerz.

Im sichern Hafen ruhst du dann;
Er soll dich fest und treu umschlingen,
Daß keine Brandung zu dir dringen,
Kein Sturm dich mehr erreichen kann.

O wer nur Ein getreues Herz
Sein nennen darf, ist wohl geborgen!
So senk' in meine Brust die Sorgen -
Dein bin ich stets und allerwärts!
(S. 92-93)
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Seliges Wissen

Ich saß in der Laube mit dir allein,
Durchglüht von stiller Wonne;
Rings gaben die Blumen so klaren Schein,
Gestreift von der Abendsonne.

Wir sprachen wenig, und ich weiß
Nicht mehr, was wir gesprochen;
Mir war zu Muth, als hört' ich leis
Dein Herz in der Stimme pochen.

Kein Wort von Liebe sprachen wir,
Gleichgültiger Rede beflissen;
Doch überglücklich schied ich von dir,
In der Brust ein seliges Wissen.
(S. 93-94)
_____



Der erste Kuß

Noch webt von deinen süßen Küssen
Geheime Glut um meinen Mund;
Mit immer neuen Flammengüssen
Durchlodern sie der Seele Grund.

Ich bin an allen Sinnen trunken,
Verschwunden ist mir Raum und Zeit,
Und all mein Denken ruht versunken
In einem Meer von Seligkeit.

Ach, alles Andre, was das Leben
Mir beut, wie ist es schaal und matt!
Was könnte dem Genüge geben,
Der solch ein Glück gekostet hat!
(S. 94)
_____



Selige Ueberraschung

Das höchste Glück, noch fass' ich's nicht,
Es kam so schnell und wunderbar.
Ich wandle wie im wirren Traum
Und frage mich: Ist's wirklich wahr?!

Ja, es ist wahr! Sei ruhig, Herz!
O poche nicht so laut und wild!
Sei ruhig, daß ich still und klar
Festhalten kann das süße Bild!

Sei ruhig, wildes Herz! Du raubst
Mir sonst den stillen Nachgenuß.
Noch hör' ich ihr beseeltes Wort,
Auf meinen Lippen schwebt ihr Kuß.

Um meine Stirne weht's so mild,
Es ist das Kosen ihrer Hand;
Noch fühl' ich nach den weichen Arm,
Der sich um meinen Nacken wand.

O sie ist mein und war es schon,
Als ich mit trübem Zweifel rang,
Und meine Sehnsucht immer neu
Und doch umsonst zum Schweigen zwang!

O sie ist mein und bleibt es auch
Unwandelbar für alle Zeit!
Aufjuble, Herz! Sie sprach das Wort:
Ich bleibe dein in Ewigkeit!
(S. 94-95)
_____



Blick in die Zukunft

Ich schied von dir für manchen Tag,
Im Herzen selig und bedrängt.
Die Nacht ist stumm, der Himmel rings
Mit Wolkenschleiern dicht verhängt.

Was birgt für uns der Zukunft Schooß?
Es bebt mein Herz; ich schau' empor,
Und sieh, es theilt sich das Gewölk,
Ein bleicher Schimmer bricht hervor.

Es ist der Abendstern. Er blickt
Auf mich herab versöhnungsmild
Und senkt mir Trost ins bange Herz -
O dieser Stern, er ist mein Bild!

Er liebt die Sonne schmerzlichtief
Und folgt ihr nach auf stiller Bahn.
Sie ist ihm hold; ihr Strahlenblick
Zieht seine Seele mächtig an.

Und nimmermüd umkreist er sie,
Ach, und erreicht sie ewig nicht!
Sein stilles, dunkles Leben glänzt
Im Wiederschein von ihrem Licht.
(S. 95-96)
_____



Unmuth

Vorbei ist schon die Mitternacht,
Unruhig sinn' ich, schwerbeklommen.
Wohl hat der Tag mich müd' gemacht,
Doch keine Ruhe will mir kommen.

Wie könnt' ich schlafen? Wirr und wild
Wogt's auf und nieder mir im Herzen;
Vor meiner Seele schwebt dein Bild,
Ich schau' es mit geheimen Schmerzen.

Gewiß, du liebst mich treu! Ich bin
Unendlich selig durch dies Wissen.
Nach dir nur steht mein ganzer Sinn,
Und ach - ich muß dich schmerzlich missen!

Heut, als der Abend niedersank,
Wie schlug mein Herz in schnellen Schlägen!
Nach bangem Harren, tagelang,
Eilt' ich dir hoffnungsfroh entgegen.

Ich sah dich wieder - ach, es war
Ein traurig Schaun, ein ängstlich Quälen!
Ringsher umlauert von Gefahr,
Kaum durft' ein Blick sich zu dir stehlen.

Das Herz gewaltsam eingepreßt -
O welch ein grausam bittres Meiden!
Es trieb mich fort und hielt mich fest,
Und endlich mußt' ich trostlos scheiden.

O unerträgliches Geschick!
Ich hätte gern ein halbes Leben
Für einen sel'gen Augenblick,
Für einen flücht'gen Kuß gegeben!

Ein frevler Wunsch. O zürne nicht!
Du hast mir's wahrhaft vorverkündet,
Daß unsrer Liebe Sonnenlicht
Sich bald mit düstrem Schmerz verbündet.

O zürne nicht, mein einzig Herz!
Ich will das Herbste für dich tragen;
Nur laß den Trost mir, daß mein Schmerz
Sich vor dir lösen darf in Klagen!
(S. 96-97)
_____



Wiederfinden

Geliebt hab' ich dich immer,
Bevor ich dich gesehn;
In ahnungsvollen Träumen
Sah ich dich vor mir stehn.

Auf einem schönern Sterne
Ist unser Heimathland,
Dort schuf aus Einem Strahle
Uns liebend Gottes Hand.

Ein ungetheiltes Leben
Lebten die Geister dort:
Wir waren im Lied der Sphären
Ein seliger Akkord.

Nun, seit die Körperschranke
Der trüben Erd' uns trennt,
Nun zieht sich an allmächtig
Das gleiche Element.

Das ist die ächte Liebe,
Die geistige Magie:
Ein Suchen und ein Ahnen
Der einst'gen Harmonie.

Wie rasch ich dich erkannte!
Mein Auge sah dich kaum,
Da tauchte die Erinnrung
Mir auf, ein süßer Traum.

Die seligste Gewißheit
Gab dieser flücht'ge Blick;
Es war für alle Zeiten
Entschieden mein Geschick.

Durch deine Gegenliebe
Wie herrlich ward's erfüllt!
Nun sind mir alle Räthsel
Der eignen Brust enthüllt!
(S. 98-99)
_____



Selige Wandlung

Du bist mein Traum am Tage,
Mein süßer Traum bei Nacht;
Du hast aus mir, du Zaub'rin,
Den seligsten Träumer gemacht!

Die lang erloschnen Gefühle
Sind plötzlich neu erwacht:
Im Herzen stürmt die Liebe
Mit nie empfundner Macht.

Ein Mai ist mir gekommen:
O wie es grünt und lacht!
Hochrothe Rosen sprossen
In meiner Seele Schacht.

Die alten Dichtergluten
Sind jugendfrisch entfacht:
Ich möchte dir Lieder singen
Voll ungeahnter Pracht.

Ich bin so reich und glücklich,
Wie ich es nie gedacht!
Du bist mein Traum am Tage,
Mein süßer Traum bei Nacht!
(S. 99-100)
_____



Rechte Liebe

Das ist die rechte Liebe nicht,
Die nur um Lenzesblüthen schwärmt;
Nicht jene, die sich prunkend zeigt,
Wo das Gewühl des Tages lärmt.

Das ist die rechte Liebe nicht,
Die fiebrisch braust in wilder Glut
Und jede zarte Schranke höhnt
Vor Ungeduld und Uebermuth.

Das ist die rechte Liebe nicht,
Die nur im Hauch des Glücks gedeiht
Und voll Verzweiflung tobt, sobald
Ihr ernste Prüfung schafft das Leid.

Die ächte Lieb' ist wie das Meer,
Das reiche Wunder in sich schließt,
Doch mit der Woge sorgsam deckt
Die Fülle, die im Innern sprießt.

Sie ist wie klares Sonnenlicht,
Das mild erwärmt mit stiller Kraft
Und ohne Nachlaß immer neu
Den blüthereichen Lenz erschafft.

Sie ist wie Sterne, die sich scheu
Verhüllen, wenn der Tag erwacht,
Doch mild und trostreich niederschaun
Ins Grauen unsrer Erdennacht.

Sie ist ein Gottesfunken, der
Den Geist befruchtet und erhellt,
Daß er aus Erdenschranken kühn
Aufstrebt zu einer höhern Welt.

O wer sie treulich hegt, der wird
Schon hier ins Jenseits eingeweiht;
Er trägt den Gott in sich und fühlt
Gewißheit der Unsterblichkeit!
(S. 100-101)
_____



Die Augensprache

Wenn aus des Auges klarem Spiegel
Die Seele zu der Seele spricht,
Verschließt den Mund ein heilig Siegel,
Weil ihm der rechte Laut gebricht.

Wie dürften Worte das benennen?
Das höchste Wort ist längst entweiht.
Nur auserwählte Geister kennen
Die Fülle solcher Seligkeit!
(S. 108-109)
_____



In meiner Seele ruht dein Bild

In meiner Seele ruht dein Bild,
Wie nach dem Sturm auf stiller Flut
Des klaren Sees der Mondesschild,
Die Tiefe mild durchleuchtend, ruht.

Der wilde Aufruhr ist gedämpft,
Wovon das heiße Herz mir schwoll;
Der herbe Kampf ist ausgekämpft:
Mir ist so still, so friedensvoll,

Als sei mit deinem Bildniß auch
Dein Blumenleben eingekehrt,
Das nun, gleich lindem Frühlingshauch,
Die Tiefen meiner Brust verklärt,

Wie über wildem Felsgestein
Einsam die Alpenrose sprießt
Und bald mit Laub und Blüthenschein
Des dunklen Abgrunds Kluft verschließt.
(S. 114)
_____



Mit einem Angebinde

Daß ich dich liebe, du weißt es, und wie ich dich liebe, du weißt es;
Ach, wo hätte mein Herz irgend für Anderes Raum!
Ist's doch innig verwebt mit dem deinen, und alles Empfinden,
All mein Denken, es drängt stets nach dem einzigen Ziel.
Was mir die Seele berührt, ob Freud', ob Leid - es entschwindet
Bald wie ein Hauch; nur du füllst sie mit ewiger Glut.
Also birgt oft leichtes Gewölk die belebende Sonne;
Spurlos flieht es und trübt nimmer das heilige Licht.
(S. 114)
_____



Gelübde

Aus langer Dämm'rung taucht das Bild
Nun klar hervor der einz'gen Stunde,
Als deine Lippe leis und mild
Mir gab die erste Liebeskunde.

Von heil'gen Schauern jach durchweht
Begann mein Herz machtvoll zu pochen.
Es war ein stürmisches Gebet,
Ob auch der Mund kein Wort gesprochen;

War ein Gelübde, dankdurchglüht,
Das ich mir selbst vor Gott gegeben,
Dem Glück, das endlich mir erblüht,
Zu weihn ein reines, würd'ges Leben.

Was Edles mir in tiefster Brust
Verborgen lag, begann zu flammen
Und floß um dein verklärtes Bild
In einen Heil'genschein zusammen.
(S. 115)
_____



Nachts

In sanftem Schlummer ruhst du jetzt;
Schon ist es tiefe Nacht,
Und über deinem Hause blinkt
Ein Stern und hält die Wacht.

Er lächelt, und sein milder Schein
Spielt an den Scheiben sacht;
Ob er wohl einen süßen Traum
In deiner Seel' entfacht?

Du lieber Stern, o web' hinein,
Daß ich in später Nacht
Einsam zu ihr hinaufgeschaut,
Und was ich still gedacht!
(S. 115-116)
_____



An die Wolken

Ihr kommt von ihr: verweilt bei mir
Und eilt nicht so geschwinde!
Ihr lieben Wolken, sagt mir erst:
Was wißt ihr von meinem Kinde?

O kündet mir's! Ich sah sie nicht
In langen, trüben Tagen.
Hat sie nicht süßen Liebesgruß
Euch Wolken aufgetragen?

Ihr schaut mich an und zieht hinab;
Die Sonne will schon sinken:
Geheime Sehnsucht treibt euch fort,
Den letzten Strahl zu trinken.

Ihr Glücklichen! Schon seid ihr nah
Und glüht in hoher Wonne.
O könnt' ich fliegen leicht und schnell
Zu ihr, zu meiner Sonne!
(S. 116)
_____



Ein Brandopfer

Sei stark mein Herz! Sie hat es ja befohlen!
Sind dir die todten Lettern noch so lieb?
Es muß geschehn! So sinkt denn in die Kohlen,
Ihr lieben, süßen Briefe, die sie schrieb!

Ein seltner Schatz wird euch vertraut, ihr Flammen,
In welchen nie ein fremdes Auge sah.
O bergt ihn gut, schlagt über ihm zusammen
Und tilgt die Spur von allem, was geschah!

Dann bin ich frei und vor Verrath geborgen -
Ich frei? Was soll's mir? Wünscht' ich das zu sein? -
Doch sie ist frei - frei von den bangen Sorgen
Und darf sich frei der neuen Liebe weihn . . .

Der erste Brief! - Wie schwammst du in Entzücken!
Herz, wie du pochtest, da du ihn empfingst!
Und wie du dann mit festgebannten Blicken
An jedem Wort, an jedem Schriftzug hingst!

O lies nicht wieder! Willst du ganz verbluten?
Schnell! . . . Wie das flackert! Stille doch, mein Herz!
Gleich ist's gethan! Schon senken sich die Gluten,
Leis knisternd stäuben Fünkchen niederwärts.

Herz, laß das Flehn und Sträuben! Hier ein zweiter . . .
Dies weiche Zögern mehrt ja nur die Qual!
Ein dritter . . . vierter . . . weiter! immer weiter!
Noch einen Blick zum letzten, letzten Mal!

Und wieder einer! . . . Fort, nur fort geschwinde! . .
Noch liegt er unversehrt . . Die Flamme spielt
So zart um ihn, als ob sie mit empfinde,
Wie unbeschreiblich Süßes er enthielt.

Und der! . . . Er bäumt sich gegen die Vernichtung!
Drin steht ein Schwur für Zeit und Ewigkeit.
Ha, Ewigkeit! - Sie blüht nur in der Dichtung -
So starke Lieb' auch unterlag der Zeit!

Rasch Brief und Brief gehäuft, daß sich's vollende . . .
Vorbei! vorbei! . . . Ich sinn' und blicke still
Bald in die Glut, bald auf die leeren Hände,
Und sinn' umsonst, was ich beginnen will.

Das Feuer sinkt . . . Wie mocht' ich thöricht wähnen,
Sie bliebe mein! - Fahr hin, du schöner Traum! . .
Da plötzlich zischt es in die Glut - - Wie, Thränen? -
O Gott, ich weine leis und weiß es kaum!
(S. 123-125)
_____



Versicherung

Und ob du scheidest, nie vergess' ich dein!
Dein süßes Bild, mir tief ins Herz geschrieben,
Erlischt ja nie, mag auch dies Herz zerstieben;
Denn ewig wird's in meiner Seele sein.

Und wirst du treulos, mein doch bleibst du, mein!
Nichts kann ich mehr, als dich unendlich lieben!
Nur dies Gefühl ist einzig mir geblieben,
In ihm nur leb' und athm' ich noch allein.

Gott, was verbrach ich, daß du mir versagst
Ihr Leben ganz dem meinen zu verbinden,
Dem reinsten Glück den eignen Heerd zu gründen?

Sei still, mein Herz! Vergebens, daß du fragst.
Kein ungetrübtes Glück gedeiht auf Erden,
Du aber würdest hier schon selig werden.
(S. 139)
_____



Ein Traum

Zu meinem Todtenbett mit schwanken Schritten
Tratst du heran - ich sah's im nächt'gen Traume -
Du warst allein im matterhellten Raume,
Ein bleiches Bild der Qual, die du gelitten.

"Zieh' bald mich nach!" - so hört' ich leis dich bitten -
"Wer schützt die Ranke, losgelöst vom Baume?"
Du bogst dich vor, und von der Wimpern Saume
Mild auf mein Herz viel warme Tropfen glitten.

Und wie dein Mund nun auf dem meinen ruhte
In langem Kuß, begann mein Herz zu schlagen
So ungestüm, daß ich darob erwachte.

Da war so seltsam traurig mir zu Muthe:
Mein eignes Leben wollt' ich schier verklagen,
Das diesen Traum zur kurzen Täuschung machte.
(S. 140)
_____



Unenthüllte Liebe

1.
Ich liebe dich und darf es nicht gestehen!
Ach, ein Geständniß würde mir nicht frommen
Und machte nur dein friedlich Herz beklommen,
Dies sanfte Herz - es kann nicht leiden sehen!

Frei dir zu nahn, so laß es fort geschehen:
Dir stumm zu huld'gen, sei mir unbenommen.
O fürchte nicht! Gelassen will ich kommen
Und, stillbeseligt, still von dannen gehen.

In deiner Augen Himmel laß mich blicken,
Dem süßen Wohllaut deiner Lippe lauschen:
Gern will ich dann den kühnern Wunsch bemeistern.

In meiner Einsamkeit wird's mich erquicken,
An deinem Bild die Seele zu berauschen,
Und mich zu hohem Liedesflug begeistern.
(S. 141)


2.
Du bist so gut als schön. Ach, jede Tugend
Und jeden Reiz hat dir Natur verliehen,
Mit seltner Wahl in volle Harmonieen
Zum schönsten Bau die schönsten Steine fugend!

Dein Geist ist klar wie eine Götterjugend,
Ein reines Licht, vor dem die Schatten fliehen,
Ein steter Lenz voll süßer Melodieen
Und unerschöpft aus frischen Knospen lugend.

Nie sahn so hohe Schönheit meine Blicke.
Wann du erscheinst, erfaßt mich neue Wonne,
Und unbewußt muß ich die Hände falten

Und heimlich flehn zum Lenker der Geschicke:
"O woll' im Strahle deiner Gnadensonne
Sie immerfort so schön und gut erhalten!"
(S. 141-142)


3.
O möchtest du ins tiefste Herz mir sehen,
Wie drin für dich die reinste Liebe waltet!
Zum schönsten Einklang Alles umgestaltet -
Ein stilles Wunder ist an mir geschehen.

Nicht wollt' ich dann um deine Liebe flehen;
Ich weiß es ja, wie streng das Schicksal schaltet!
Die Blüthen nur, die du in mir entfaltet,
Sie sollten dich mit ihrem Duft umwehen.

Und stauntest du ob all dem reichen Segen,
Den deine Huld mir unbewußt beschieden,
Möcht' ich mit heitrem Wort dir Dank bezeigen.

Doch fürcht' ich stets, es könnte dich erregen
Und leise Wehmuth mischen in den Frieden,
Der dich beseelt. - So muß ich ewig schweigen.
(S. 142)


4.
Mir ist zu Muth, als wenn dein Geist mich triebe,
Als sei vor dir mein Innres aufgeschlagen,
Und all mein Thun aus längst verklungnen Tagen
Dir anvertraut, daß nichts verborgen bliebe.

Sonst war ich ungestüm, doch nun verschiebe
Ich oft die That, mich sorglich erst zu fragen:
"Ist's gut und recht? Was würde sie wohl sagen,
Wenn du mit ihr verbunden wärst in Liebe?"

Wie nach der Elemente wilder Gährung
Ein heitrer Tag sich breitet aufs Gefilde,
So ward auch mir nach Stürmen Ruh beschieden.

Und fehlt mir auch des höchsten Glücks Gewährung:
Ich bin getrost; mein Sinn ist still und milde,
Und mit der ganzen Menschheit hab' ich Frieden.
(S. 142-143)
_____



Sonette an Agnes

Dichterherz darf nicht verzagen:
Auch das Leid muß Früchte tragen

1.
Erschrick nicht, süßes Kind, wenn diese Sänge
Dir unversehens kommen zu Gesichte!
Du wähnst vielleicht, weil ich an dich sie richte,
Daß mein Geschick zu bittern Klagen dränge.

Allein was frommt's, wenn ich der lauten Menge
Gereimt enthülle meines Leids Geschichte?
In jener Flut pomphafter Klaggedichte
Verrännen leicht die ungezierten Klänge.

Den lichten Strahl, in meine Brust gesendet,
Ihn will ich frei und freudig offenbaren,
Und dankbar weih' ich dir, was du gespendet.

Der tiefsten Seele soll dein Bild entsteigen;
Was mir du bist, du sollst es treu erfahren -
So ist dies Lied ja ganz und gar dein eigen!
(S. 143-144)


2.
An jenem Tag, als ich zuerst dich schaute
Und zitternd dastand, wunderbar beklommen,
Als sei das Ideal herabgekommen,
Wie mir zuvor mein kühnster Traum vertraute:

Da hab' ich gleich dein Bild, das huldbethaute,
Mit seinem Blick, dem milden, engelfrommen,
Ins tiefe Herz ehrfürchtig aufgenommen,
Daß sich ihm dort ein reiner Altar baute.

Und wie seitdem das Leben mich bestürmte
Mit der Verführung und des Trugs Gewalten
Und meiner Bahn Hemmniss' entgegenthürmte:

Jedwede Macht zerrann vor meinem Lieben;
An deinem Bilde hab' ich festgehalten,
Und dir verdank' ich, daß ich rein geblieben.
(S. 144)


3.
Umkränzt mit Lichtern schaut vom Hochaltare
Die hehre Jungfrau niederwärts, die reine;
Inbrünstig fleht die knieende Gemeine,
Daß sie der Gottgeweihten Huld erfahre.

Die Menge kommt und geht, die wandelbare,
Schon mancher Beter schweigt im Todtenschreine;
Die Heil'ge nur, sie bleibt die ewig Eine
Und unberührt im stillen Lauf der Jahre.

So thronest du in meinem treuen Herzen
Unwandelbar, nur rings in klarer Milde
Umglühn Gefühle dich wie Opferkerzen;

Und wie Gedanken wechselnd sich gestalten,
Gleich frommen Betern nahn sie deinem Bilde,
Von deiner Huld erst Weihe zu erhalten.
(S. 144-145)


4.
Ja, eine Kirch' ist nun mein Herz geworden!
Es flüstert leis von innigen Gebeten,
Kein Ungeweihtes darf ins Innere treten,
Das Heiligthum beschirmt ein strenger Orden.

Es schwillt der Klang in mächtigen Akkorden
Geheimnißvoll zum Hohenlied, dem steten;
Vom Morgen währt die Feier, bis der späten
Gestirne Schaar bekränzt des Himmels Borden.

An ihrem Schein entzünden sich die Flammen;
Das Kirchlein steht in wunderbarer Helle,
Und Erd' und Himmel feiern still zusammen.

Da steigt das Lied zum höchsten Lichtgefilde,
Daß es sich kühn Unsterblichem geselle -:
Die ew'ge Leuchte strahlt vor deinem Bilde.
(S. 145)


5.
Du heil'ge Jungfrau! Klarer Liebesbronnen!
Daß sie von dir die reinste Liebe lerne,
Wie senkt die stille Seele sich so gerne
In dein Beschaun, dem Erdentand entronnen!

Doch darf sie nur in deinem Glanz sich sonnen:
So nah zugleich und unerreichbar ferne
Strahlst du hernieder gleich dem Morgensterne,
Der uns verheißt erneuten Tages Wonnen.

Wenn Himmlischem ein Erdenloos vergleichbar,
So ist's mein Lieben, das ins dunkle Leben
Ein Glück hineinstrahlt, hoch und unerreichbar.

Ich darf ein süßes Bild im Herzen tragen,
An seiner Schöne meinen Geist erheben;
Doch dem Besitze muß ich stets entsagen.
(S. 146)


6.
Und blieb auch fruchtlos mein getreues Ringen,
Darf nie mein Arm den süßen Leib umfangen:
Wenn ungestillt, wird geistig das Verlangen
Und muß verklärt die reinste Blüthe bringen.

Wofern dem Geiste Höchstes soll gelingen,
So darf er nicht an Wandelbarem hangen;
Siegreich erlöst von Erdenlust und Bangen,
Enthüllt er ganz die ätherleichten Schwingen.

Drum klag' ich nicht. Du warst mir Preis des Lebens:
Nun kann ich leicht mich Irdischem entwöhnen;
Wer dich geliebt, den lockt die Welt vergebens.

So, fesselfrei, geläutert und erneuert,
Streb' ich empor ins Reich des Ewigschönen,
Zu Geistesthaten durch dein Bild befeuert.
(S. 146-147)


7.
Was ist Besitz? Ein wesenloses Scheinen,
Ein Sinnentrug von ungewisser Dauer!
Den kurzen Wahn bedroht nur größre Trauer,
Wenn wir den luft'gen Schatz gesichert meinen.

Denn nichts vermagst du deinem Selbst zu einen.
Beschaust der Dinge Wesen du genauer:
Unübersteiglich ragt der Scheidung Mauer,
Den kecken Wunsch für immer zu verneinen.

Von jedem Glück, wie schön es aufgegangen,
Was bleibt als Kern bei unbefangner Sichtung?
Einzig der Eindruck ist's, den du empfangen.

Nur wenn er ganz die Seele dir durchdrungen,
Ihr würd'gen Schwung zu leihn und hohe Richtung:
Dann hast du wahres Eigenthum errungen.
(S. 147)


8.
So bist du mein! Unlöslich eingewoben
In meine Seele, klärend und gestaltend,
Die stillen Knospen wunderbar entfaltend,
Ein Stern des Segens gleich der Sonne droben!

Fest steht mein Glück in wilder Stürme Toben,
Im stetem Wechsel reinste Treue haltend,
Voll ungeschwächter Schöne, nie veraltend,
Kühn über Zeit und Raum emporgehoben.

Was künft'ges Schicksal mag mit dir beginnen,
Bannt's dich für immer fort in dunkle Ferne,
Mag fremde Liebe gar dein Herz gewinnen:

Mir kannst du nun und nimmer dich entreißen!
In meine Nacht strahlst du, wie ew'ge Sterne
Tiefgläub'gem Sinn Unsterblichkeit verheißen!
(S. 147-148)


9.
Wohl bist du schön! In einer seltnen Stunde
Hat die Natur dies Meisterwerk gedichtet,
Auf dein Erblühn den steten Blick gerichtet,
Daß sich an dir, was sie vermag, bekunde.

Wie schmiegt sich Leib an Geist im schönsten Bunde!
Wie ist vom Geist die reine Form durchlichtet!
So strahlt im Bache, spiegelklar geschlichtet,
Der Sonne Bild herauf vom tiefen Grunde.

Wer so dich schaut in höchster Schönheitsfülle,
Dem naht der Wunsch, daß ewig möge währen,
Der Seele gleich nie ändernd, ihre Hülle.

Ach, solchen Reiz auch wird die Zeit verwehen!
Soll sich der Geist zum freisten Sein verklären,
So muß die Form, die ihn beschränkt, vergehen.
(S. 148)


10.
Was leiht dir solche Huld vor andern Frauen?
Dies Ebenmaß, gepaart mit Wohlbewegung?
Die Seel' allein, die durch der Hüll' Umhegung
In jedem Zuge läßt ihr Walten schauen!

Dein Aug' ist formschön unter sanften Brauen;
Doch schöner durch des reinen Sinns Ausprägung,
Der, fromme Weih' anhauchend jeder Regung,
Den Blick beseelt mit Mild' und Gottvertrauen.

Des Weibes Liebreiz quillt aus keuscher Sitte,
Aus Geistesanmuth, durch die Form ergossen,
Die Wonnen weckt, wohin du lenkst die Tritte.

O wahre stets die engelreine Tugend,
Dies reiche Herz, dem Schönen aufgeschlossen:
Dann blüht dir unverwelklich Reiz und Jugend!
(S. 148-149)


11.
Wie, wenn ein Lichtstrahl dringt durch Felsenspalten,
Krystall' und Erze leuchtend sich entzünden;
Wie maienregenfrisch in Thal und Gründen
Sich tausend Blüthen über Nacht entfalten:

So wunderreich in mir gedieh dein Walten!
Ein neues Leben will den Segen künden,
Der Liebe mild die Poesie verbünden
Und jeden Eindruck als ein Lied gestalten.

O habe Dank! Dein Zauber wirkt in Weite;
Denn, auch entfernt, nie lässest du mich einsam,
Als Genius mir stets zur Seite

Nur Ein Gedank' an dich, da strömen Lieder;
Drum sind sie wahrhaft dir und mir gemeinsam:
Du hauchst sie ein, ich töne treu sie wieder.
(S. 149)


12.
So lebe wohl! Mein Lied hat ausgeklungen.
Mir ist so still und feierlich zu Sinne,
Wie Einem, der zu reinster Gottesminne
Nach schwerem Kampfe froh sich aufgeschwungen.

Ein schöner Sieg, er ist auch mir gelungen:
Entsagung wandelt nun sich zum Gewinne;
Des reichsten Seelenfriedens werd' ich inne,
Und ungetrübt aufblühn Erinnerungen.

Nur geist'ge Liebe dauert unvergänglich,
Weil sie des Lebens Wechsel bleibt enthoben,
Und lohnt mit Wonnen still, doch überschwenglich.

O schau hinauf, wo ew'ge Sterne funkeln!
Sie kann Gewölk, vom Winde leicht zerstoben,
Dem Blick entziehn, doch nimmermehr verdunkeln.
(S. 150)
_____



Sulamith
Das Hohelied der Liebe

I.
Vor dem Eintritt ins Harem

Sulamith
O küßt' er mich mit seines Mundes Küssen!
Denn deine Lieb' ist süßer als der Wein.
Und wie dein Salböl Wohlgeruch verbreitet,
So ist ein Balsam auch der Name dein,
Der mild und lieblich von der Lippe gleitet.
Das ist, warum Jungfraun dich lieben müssen!
Zieh dir mich nach! O fliehen wir geschwind!
Der König läßt mich in sein Harem bringen -
Dort soll in dir nur unsre Freude sein!
Wir wollen jubelnd deine Liebe singen
Und ihren Preis erheben vor dem Wein.
Denn alle lieben dich, die edel sind.


II.
Im Harem

Sulamith
Schwarz bin ich, aber schön zudem,
Ihr Töchter von Jerusalem!
Schwarz, wie sich Kedars Zelt' erhöhn,
Wie Salomo's Vorhänge schön.
Mein braunes Antlitz seht nicht an:
Die Glut der Sonne hat's gethan.
Denn meiner Mutter Söhne sind
Gar streng und hart mir armen Kind'
Und setzten mich in bösem Muth
Auf einen Weinberg hin zur Hut,
Wo alle Menschenschau gebricht -
Doch hütet' ich den Weinberg nicht.
O mein Geliebter, hauch' mir zu
Nur einen Laut! Wo weidest du?
O sprich, wo du zur Schattenrast
Am Mittag dich gelagert hast!
Ach, nur verhüllt - dürft' ich allein
Bei deiner Freunde Heerden sein!

(Der Dichter)
Schönste der Frauen, weißt du's nicht,
So neig' herab dein Augenlicht:
Der Boden zeigt der Heerden Spur;
Folg' ihnen nach und eile nur,
Laß deine Zicklein weiden gehn
Hin, wo der Schäfer Hürden stehn.


III.
Erste Schau

Salomo
Dich, Schönste, gleich' ich meinem Lieblingsrosse
An pharaonischer Prachtkarosse.
Es blühn so reizvoll diese zarten Wangen,
Von Perlen rund umfangen;
Reizvoller strahlt zur holden Augenweide
Der Nacken im Geschmeide.
Goldne Gehänge lass' ich dir bereiten,
Darauf sich Silbersterne breiten.


Sulamith
So lang der König im Gemach verblieben,
Hat meine Narde starken Duft ergossen,
Und denken mußt' ich stets des fernen Lieben.
Er ist ein Myrrhenstrauß, im Heiligthume
Des Busens heimlich Tag und Nacht verschlossen;
Mein Trauter ist mir eine Dattelblume
Engeddi's Hain entsprossen.


IV.
Wechselgesang

Der Geliebte
Nur du bist schön, du meine Liebe!
Schön deine Augen, taubengleich!

Sulamith
Nur du allein, o mein Geliebter,
Nur du bist schön und anmuthreich!

Er
Komm! Unser Lager grünt. Auf Pfeiler
Von Cedern baut sich unser Haus,
Und Edeltannen breiten wölbend
Zum Schattendach die Arme aus:

Sie
Narzisse bin ich nur von Saron,
Feldlilie nur, des Schmuckes bar.

Er
Wie eine Lilie unter Dornen,
So blickt sie aus der Mädchenschaar.

Sie
Gleichwie ein Apfelbaum, im Wald entsprossen,
Reichblühend strahlt vor all den wilden Bäumen,
So ist mein Jüngling unter den Genossen.
In seinem Schatten, welche Lust, zu säumen!
Den Gaumen süß zu laben an den Früchten!
O brächt' er mich zurück aus diesen Räumen!

Möcht' er mich doch in seinen Weinberg flüchten,
Daß sein Panier ich froh zu Häupten fühle!
Reicht mir zur Stärkung von der Traube Früchten!
Mit Aepfeln labt, daß ich die Gluten kühle;
Denn krank bin ich vor liebendem Verlangen! -
Läg', ach, die Linke meinem Haupt zum Pfühle!
O daß mich seine Rechte hielt' umfangen!

(Der Dichter)
Bei der Flur Gazell' und Hinde,
Sacht, o sacht!
Ich beschwör' euch, Töchter Salems!
Seid bedacht:
Weckt nicht, regt nicht auf die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


V.
Traumgesicht

Sulamith
Horch! Mein Geliebter! Der Stimme Ton . . .
Ja, er ist's; ich gewahr' ihn schon!
Dort! - Wie er über die Berge schreitet!
Wie behend er über die Hügel gleitet!
Mein Liebster gleicht der leichten Gazelle,
Dem schlanken Hirsch an flüchtiger Schnelle.
Schon steht er hinter der Mauer dort!
Durchs Fenster blickt er!
Durchs Gitter nickt er!
Ach, schon hör' ich sein liebendes Wort!

"Komm, schöne Freundin, laß uns fliehn!
O tritt heraus; hier bist du frei!
Der rauhe Winter schwand dahin;
Die Regenzeit ist nun vorbei.

Vielfarbig aus dem Boden strebt
Zum Licht die junge Blumensaat;
Von Sängern ist der Wald belebt,
Die Liederzeit ist hergenaht.

Die Turteltaub' in Laub verhüllt
Ruft wach mit Girren rings den Raum,
Und mit geheimer Süße füllt
Sich schon die Frucht am Feigenbaum.

Die Knospe blickt aus Rebengrün.
Dufthauchend bricht die Hüll' entzwei
Komm, schöne Freundin, laß uns fliehn!
O tritt heraus; hier bist du frei!

Mein Täubchen, in der Steige Spalt,
Verborgen in der Mauerkluft,
Verlaß den düstern Aufenthalt;
O tritt heraus in Licht und Luft!

Komm, daß ich schau dein Angesicht
Und deine Stimme hör' - o komm!
Denn deine Stimm' ist süß und schlicht,
Dein Angesicht so lieb und fromm. - -

Fangt mir die Füchse weg! Die Brut
Der kleinen Füchse jagt und fangt,
Die unserm Weinberg Schaden thut,
Der schon in reicher Blüthe prangt!"

Mein, mein ist mein Geliebter! Mein!
Und ich bin sein!
Der unter den Lilien weidet,
Bis der Tag sich kühlt und scheidet,
Und über die Matten
Langhin sich dehnen die Schatten.

Kehr', o Geliebter, kehre wieder!
Gleich der Gazelle
Und mit des Hirsches flüchtiger Schnelle
Steig' über die trennenden Berge nieder!


VI.
Ein nächtlicher Traum

Sulamith
Auf meinem Lager, übermannt vom Schlummer
In später Nacht, kam mir ein Traumgesicht,
Als sucht' ich ihn, den Liebling meiner Seele;
Ich sucht', allein ich fand ihn nicht!
Und meine Seele strebt' ihm nach in Kummer;
Mir däucht', als hätt' ich mein Gemach verlassen,
Die Stadt durchirrend bei der Sterne Licht,
Der Märkte Raum, die vielverschlugnen Gassen.
Ich suchte rings den Liebling meiner Seele;
Ich sucht', allein ich fand ihn nicht!
Und auf die Wächter traf ich, die im Runde
Allnächtlich wandeln bis zur Tagesstunde.
"O saht ihr nicht den Liebling meiner Seele?"
Das Wort entflog mir, eh' ich's recht bedachte.
Doch als ich kaum vorüber ihnen war,
Da fand ich ihn, den Liebling meiner Seele:
Ich hielt ihn fest und ließ ihn nicht,
Bis daß ich ihn ins Haus der Mutter brachte,
In ihr Gemach, die mich gebar.


(Der Dichter)
Bei der Flur Gazell' und Hinde,
Sacht, o sacht!
Töchter Salems, ich beschwör' euch!
Habet Acht:
Weckt nicht, regt nicht auf die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


VII.
Salomo's Pracht

(Der Dichter)
Wer kommt herauf dort von der Ebne her?
Gleich einer Säul' erhebt sich in die Lüfte
Der weiße Rauch, und wie ein flutend Meer
Die Wogen wälzt, wallen heran die Düfte.
Weihrauch und Myrrhe dampfen auf; hier scheinen
Sich alle Würzen wohlgemischt zu einen.

Es ist die Sänfte Salomo's. Zur Seite
Herziehn der Helden sechzig aus der Zahl
Der Starken Israels, bewährt im Streite,
Und kriegsgeübt faßt ihre Hand den Stahl.
Das breite Schwert umgürtet ihre Lenden,
Nächtliches Schreckniß kräftig abzuwenden.

Es ließ der König sich die Sänfte baun:
Der Libanon gab Cedern zum Gestelle;
Von Silber sind die Säulen dran zu schaun;
Die goldne Decke strahlt in Sonnenhelle.
Der Sitz ist purpurn, der ihn weicher bettet,
Von Salems Töchtern liebewarm umkettet.

Hervor, ihr Töchter Zions! Schaut die Krone,
Die prächtig auf des Königs Scheitel glänzt!
Das liebste Kleinod ist's, womit dem Sohne
Die Mutter einst das frohe Haupt umkränzt
An jenem Tag, als er die Auserwählte,
Die Freude seines Herzens, sich vermählte.


VIII.
Sulamith's Schönheit

Der Geliebte
Wie schön sie ist! Ja, schön fürwahr!
O schön bist du, Geliebte mein!
Zwei Täubchen sind die Augen dein,
Vorschimmernd unterm Lockenhaar.

Dies Haar, das Stirn' und Nacken kränzt,
Der Ziegenheerde gleicht es traun,
Die dunkelwellig von den Aun
Des Gilead herunterglänzt.

Der Zähne Reih' ist wie die Schaar
Von Lämmern, welche schimmerhell
Nach frischer Schur entsteigt dem Quell,
Gepaart und keines unfruchtbar.

Die Lippen sind dem Purpur gleich,
Der sich in sanfter Windung schlingt
Zum Doppelstreifen, und es klingt
Die Stimm' hervor so anmuthreich.

Die Wange glüht im Lockensaum:
So aus geritzter Schale Spalt
Quillt duftigroth der Markgehalt
Des Apfels vom Granatenbaum.

Es ragt der Nacken stolz und hehr,
Wie Davids Burg, zum Trutz erbaut,
Daran man tausend Schilde schaut,
Viel starker Helden Rüst' und Wehr.

Dein Busen hebt nur leis den Flor:
So tauchen aus dem Lilienfeld,
Zur Weide schwesterlich gesellt,
Zwillingsgazellchen kaum hervor.


Sulamith
Wenn der Tag sich neigt in Kühle
Und der Schatten dehnt die Flügel,
Will ich gehn zum Myrrhenbühle
Eil' ich hin zum Weihrauchhügel.


Er
Schön bist du, Liebste, ganz und gar!
O schön und jeder Makel bar!

So komm! Vom Libanon, o Braut,
Von Libanons erhabnem Sitze
Hernahen wir; dein Auge schaut
Hinunter von Amana's Spitze,

Von Senir's Gipfel, Hermon's Hang.
Von Stätten, wo der Löwe schweifte,
Von Höhen, wo auf nächt'gen Fang
Der Leopard den Wald durchstreifte.

Du Schwester! Braut! Was schnell an dich
Und innig band, ein Zauber war es:
Mit Einem Blicke fingst du mich,
In Einer Flechte deines Haares!

O meine Schwester! Braut! Wie reich
Ist deine Lieb' an hoher Wonne!
Was käm' an Süße wohl ihr gleich?
So süßen Wein reift keine Sonne.

O könnt' ich hinziehn mit der Luft,
Dich zu umfahn und nie zu weichen!
Wie lieblich deiner Locken Duft!
Kein Balsam mag sich ihm vergleichen.

Die zarten Lippen sind bethaut
Von Honig, der sich mischt dem Kusse!
Von Milch und Honig träuft, o Braut,
Die Zung' in holder Red' Ergusse.

Wie sanftbewegt im Abendhauch
Vom Libanon die Düfte fließen,
So weht's von den Gewändern auch,
Die deinen süßen Reiz umschließen.

Ein Garten bist du, meine Braut,
Verwahrt durch Mauer, Schloß und Riegel;
Ein Quell, vom Wandrer nicht erschaut,
Ein Brunnen, den verschließt ein Siegel.

Dein ganzer Wuchs ein Paradies,
Darin Granatenbäume prangen,
Und helle Früchte lockendsüß
Von allen Zweigen niederhangen.

Cyprus und Nard' und brauner Zimmt,
Nard' und Safran, duftreiche Bäume,
Des würz'gen Kalmus Rohr - es schwimmt
Ein Wohlgeruch durch alle Räume.

Die Myrrhe grünt; erhoben trägt
Der Baum der Aloe die Aeste;
Und was Natur an Würzen hegt,
Das Feinste gab sie hier und Beste.

Ein Brunnen bist du selbst fürwahr,
Der Frische durch den Garten breitet;
Ein Quell des Libanon, der klar
In sanfter Strömung niedergleitet.

Nord, hebe dich, mir beizustehn!
Südwind, entfalte deine Schwingen,
Durch meinen Garten lind zu wehn
Und seine Würze mir zu bringen!


Sie
Mein Geliebter komm'! Es warten
Sein die Blüthen, die da sprießen.
Komm' er denn in seinen Garten,
Seine Früchte zu genießen!


Er
Zu meinem Garten eil' ich bald,
O schwesterliche Braut, und pflücke
Von meinen Würzen mannigfalt,
Daß Duft und Süße mich entzücke.

Von meinem Honig schlürf' ich ein,
Von meinem Seime will ich nippen,
Mit meiner Milch und meinem Wein
Wonnig erfrischen meine Lippen.

Ihr, meine Freunde, kommt zum Fest!
Schließt um ein selig Paar die Runde!
Ihr Lieben alle, kommt und eßt
Und leert die Becher bis zum Grunde!


IX.
Traum und Wechselgesang

Sulamith
Ich schlief, allein mein Herz war wach geblieben;
Und an die Thüre hört' ich leise klopfen:
"Thu' auf!" so rief die Stimme meines Lieben.

"Mein Täubchen! Meine Schwester! Meine Braut!
O du mein Alles, öffne! Von den Tropfen
Der feuchten Nacht ist Haupt und Haar bethaut."

Ich sprach: "Der Ruhe gab ich schon die Glieder;
Wie sollt' ich nochmals mein Gewand anlegen?
Den frisch gewaschnen Fuß bestauben wieder?"

Da streckte mein Geliebter seine Hand
Die Luk' hindurch; ihm ungestüm entgegen
Wallte mein Herz, daß ich nicht widerstand.

Und wie ich geh, die Thüre zu erschließen,
Benetzt mir Myrrhe duftend Hand und Finger,
Daß helle Tropfen auf den Riegel fließen.

Ich öffne - weh, mein Liebster ist nicht hier!
So schnell entflohn! Wohin, warum doch ging er?
Ihm nach entwich in Leid die Seele mir.

Ich sucht' und fand ihn nicht! Auf dunklen Wegen
Irrt' ich umher; laut rief ich seinen Namen -
Doch keine Antwort tönte mir entgegen.

Da fand und schlug mich wund der Wächter Schaar,
Der Mauern Wächter, die des Weges kamen;
Sie zerrten mir das Kleid vom Leibe gar.

O Töchter Salems, seid mir treu verbündet;
Forscht, ich beschwör' euch, wo er hin gegangen!
Was sagt ihr ihm, wenn ihr den Liebsten findet? -
Daß krank ich sei vor liebendem Verlangen!


Die Bewohnerinnen des Harems
Schönste der Frauen, sprich es aus:
Wer ist der Liebste, dir erkoren?
Was ward vor Andern ihm voraus,
Daß du uns hast also beschworen?


Sulamith
Weiß ist er, mein Geliebter, roth und weiß!
Aus zehnmal Tausenden erlesen!
Nur ihm gebührt der Schönheit erster Preis;
Holdseligkeit ist all sein Wesen.

Sein Haupt ist klares Gold, so strahlenlicht -
Kostbarstes Gold. Vom Haupte nieder
Wallt ihm das Haar in Locken reich und dicht,
Schwarz wie des Raben Nachtgefieder.

Die Augen gleichen einem Täubchenpaar,
Das sinnig weilt an Wasserquellen,
In Milch gebadet, schimmerfeucht und klar;
Und Fülle rings und Blüthenstellen.

Die Wangen sind zwei Balsambeete, reich
An Würzen, die in Frische sprießen;
Den Purpurlilien sind die Lippen gleich,
Draus Myrrhendüfte sich ergießen.

Die Hände sind Goldwalzen, deren Reihn
Leuchtende Hyacinthe zieren;
Sein Leib ist weiß, ein reines Elfenbein,
Mild überschimmert von Saphiren.

Die Schenkel sind ein Marmorsäulenpaar,
Von goldenem Gestell getragen;
Sein Ansehn hehr, wie aus der Hügel Schaar
Des Libanon Gebilde ragen.

Sein Wuchs ist wie die Ceder schlank und grad;
Sein Gaumen süß zu Kuß und Rede.
Ein stiller Zauber waltet, wo er naht:
Ihn schmückt der Lieblichkeiten jede.

Ihr Töchter von Jerusalem, so wißt
Ihr nun, für wen ich euch beschworen.
Seht, das ist mein Geliebter! Seht, das ist
Der schöne Freund, den ich erkoren!


Die Harembewohnerinnen
Dein Liebster, wohin wandt' er sich?
O sag' es, schönste du der Frauen!
Wohin entfloh dein Liebster? Sprich!
Daß wir nach ihm gemeinsam schauen.


Sulamith
Zu seinem Garten ging mein Liebster hin;
An Balsambeeten weilt er mit Entzücken.
Zu weiden ging er und mit treuem Sinn
An mich gedenkend Lilien abzupflücken.
Ja, er ist mein, und ich bin sein!
Bei den Lilien weidet der Liebste mein!


Der Geliebte
Wie  Thirza sanft der Flur entsteigt,
So, meine Freundin, bist du schön;
So lieblich, wie von fernen Höhn
Jerusalem dem Blick sich zeigt.

Siegreich, wie vor den Kämpfern fliegt
Ein Heerpanier in Feindesreihn -
O wende weg den lichten Schein
Der Augen, die mich ganz besiegt!

Dein Haar, das Stirn' und Nacken kränzt,
Der Ziegenheerde gleicht es traun,
Die dunkelwellig von den Aun
Des Gilead herunterglänzt.

Der Zähne Reih' ist wie die Schaar
Von Lämmern, welche schimmerhell
Nach frischer Schur entsteigt dem Quell,
Gepaart und keines unfruchtbar.

Die Wange glüht im Lockensaum:
So aus geritzter Schale Spalt
Quillt duftigroth der Markgehalt
Des Apfels vom Granatenbaum.

Es bleiben sechzig ihm zur Wahl
An Königinnen, eine Schaar
Von achtzig Buhlerinnen gar;
Daneben Jungfraun ohne Zahl.

Ach, meine Taub' ist einzig mir,
Mein Ein und Alles, was ich hab'!
Ist ihrer Mutter Trost und Stab,
Einzig der Mutter Lust und Zier!

Die Schaar der Jungfraun ward entzückt,
Als sie erschien in ihrem Kreis;
Und alle gaben ihr den Preis,
Und alle nannten sie beglückt.

Die Königinnen selber sahn
Erstaunt, was ihr Natur verlieh;
Die Buhlerinnen blickten sie
Mit neidischer Bewundrung an.



X.
Versuchung und Sieg

(Der Dichter)
Wer glänzt herauf der Morgenröthe gleich?
Schön wie der Mond im Silberschein?
Wie Sonnenstrahl so licht und rein?
Wie Heerpaniere siegesreich?


Sulamith
Ich war zum Wallnußgarten still
Hinabgegangen.
Zu schaun war mein Verlangen,
Ob sich das Thal begrünen will;
Zu spähn, ob an der Rebe
Hervor die Knospe strebe,
Ob die Granate schon zu blühn beginne.
Ich ahnte nichts, indeß ich schauend sinne;
Doch plötzlich schrak ich auf - ich sah -
Der Wagen meines Volks - der Fürst ist nah!


Salomo
Flieh nicht! O wende deinen Schritt!
Laß dich bewundern, Sulamith!


Sulamith
Was sollt' an mir zu schauen sein
Vor des Gefolges prächt'gen Reihn?


Der König
Wie schön ist in den Schuhn dein Tritt!
Du Fürstentochter! - Sulamith!

Es wölben deine Hüften das Gewand,
Wie an der schlanken Kette
In feingewölbter Glätte
Die Knäufe vorstehn, Werk von Meisterhand.

Dein Nabel gleicht der Schale, zartgebaucht,
Für würz'gen Wein kunstwürdig hergerichtet.
Dein Leib ist Weizen, der geschichtet
Aus einem Kranz von Lilien taucht.

Gazellen sind die Brüste dein,
Zwillinge, jung, von seltner Art;
Dein Hals entragt so hell und zart
Gleich einem Thurm von Elfenbein.

Den Teichen Hesbons, rein und spiegelklar,
Die sich am Thor Bat Rabbim breiten,
Wenn Morgenschimmer drüber gleiten, -
Gleicht deiner Augen schönes Paar.

Die Nase, grad und feingebaut,
Ist wie der Thurm erhaben schön,
Der nach Damaskus von den Höhn
Des Libanon herunterschaut.

Wie Karmel hehr ist Haupt und Angesicht;
Es gleicht dein Haar der Purpurbinde,
Die sich in prächtigem Gewinde
Um eine Königsstirne flicht.

Aus solcher Wonnefüll' ein Trank -
Wie der Genuß berauschen müßte!
Den Trauben gleichen deine Brüste;
Dein Wuchs ist wie die Palme schlank.

Ein heiß Verlangen kommt mir an:
Die Palme möcht' ich gern ersteigen,
Sie rings umfassen an den Zweigen
Und ihren Blüthen liebend nahn!

Dann würden süße Trauben auch
Mir deine Brüste beim Genusse;
Entgegen wehte mir zum Kusse
Wie Apfelduft des Athems Hauch.

Des Gaumens Feuchte wär' ein Wein,
Der süß hinab die Kehle gleitet
Und nach der Lust, die er bereitet,
Die Sinne wiegt in Schlummer ein.


Sulamith
Einzig begehr' ich meines Liebsten nur,
Und einzig mir ist er in Treu' ergeben!
Komm, o Geliebter, komm! Zur stillen Flur
Laß wandeln uns, dort frei und froh zu leben.

Im stillen, schlichten Dorf das schlichte Haus!
Wir eilen dann beim frühsten Morgenscheine,
 Verschlungen Hand in Hand, aufs Feld hinaus
Durch Rebenhügel und beglänzte Haine.

Wir schauen, ob das Land am Weinstock sprießt,
Und bald die Knospe springt vom jungen Triebe;
Ob seine Blüthen der Granat erschließt -
Da will ich weihn dir meine ganze Liebe!

Komm! Ihre Blumen duften süß und zart;
Die Mandragore winkt vor unsrer Schwelle.
Kostbare Früchte hab' ich dir bewahrt,
Längst reife Frucht und frische, farbenhelle. -

O wärst du doch mein Bruder, der, wie ich,
Dereinst gesogen meiner Mutter Brüste!
Allüberall ergriff' und küßt' ich dich,
Und niemand höhnte dann, wenn ich dich küßte.

Zur Mutter führt' ich, zöge bei der Hand
Ins Haus dich fort, uns liebend auszutauschen;
Du unterwiesest mich, und unverwandt
Wollt' ich auf jedes deiner Worte lauschen.

Wie würd' ich dankbar dir und dienstbar sein!
Mit steter Sorge still dein Wohl berathen!
Ich preßte selbst dir würzevollen Wein
Und süßen Most entlockt' ich aus Granaten!

Ganz Liebe wollt' ich sein und ganz Gefühl,
An deinem Winke, deinen Blicken hangen! - -
Wär', ach, die Linke meines Hauptes Pfühl!
O daß mich seine Rechte hielt' umfangen!


(Der Dichter)
Sacht, o sacht!
Töchter Salems, ich beschwör' euch!
Seid bedacht,
Daß ihr nicht erweckt die Liebe,
Bis sie durch sich selbst erwacht!


XI.
Die Befreite

(Der Dichter)
Wer ist,
 die langsam naht? So inniglich
Auf den Geliebten lehnt sie sich.


Sulamith
Dort unter jenem Apfelbaum es war,
Wo du zuerst durch mich die Lieb' empfandest!
Dort war's auch, wo die Mutter dich gebar,
Wo du, mein Glück, dich ihrem Schooß entwandest.

Wie einen Siegelring - o hege mich
An deiner Brust, mich nimmermehr zu lassen!
Wie einen Siegelring - o lege mich
Um deinen Arm, dich innig zu umfassen!

Denn Lieb' ist stark wie Tod und bindet fest,
Gleichwie das Grab sein Pfand für immer fodert;
Ist eine Gottesglut, die eingepreßt
Die Schranken sprengt und hoch als Flamme lodert.

Nicht Wasserflut, und stieg sie bergesgroß,
Ist hoch genug, die Liebe zu ertränken;
Kein Strom, und ob sein Bett schier bodenlos,
Ist tief genug, die Liebe zu versenken.

Und böt' ein Mann auch für der Liebe Lohn
Sein Hab' und Gut und Gold in hellen Haufen:
Er würd' umsonst; die Liebe spricht ihm Hohn -
Die Lieb' ist frei und läßt sich nicht erkaufen!



XII.
Die habsüchtigen Brüder

Der erste
Noch zwar ist unsre Schwester klein
Und noch ihr Busen unentfaltet:
Was thun wir, wenn sie vollgestaltet
Bewerber anzieht, sie zu frein?


Der andre
Gleicht sie der Mauer, soll sie sein
Für uns von Silber eine Veste;
Gleicht sie dem öffnen Thor für Gäste,
Schließt sie Gebälk der Ceder ein.


Sulamith
Ja, eine Mauer bin ich, und nicht fehlt
Der Thürme Wehr; gereift sind meine Triebe!
Drum ruht auf mir sein Blick mit voller Liebe,
Der mich wie Friedenshauch beseelt.

Der reiche König stellt' in Baalhamon
Auf seinem Weinberg an der Früchte Wächter
In solcher Art, daß jeder ihm davon
Einbringe tausend Silberling' als Pächter.
Mein eigner Weinberg ist nicht feil um Lohn:
Ihn hüt' ich selbst und dulde keinen Pächter.
So nehme seine Tausend Salomon
Und obendrein zweihundert jeder Wächter!



XIII.
Die Flucht

(Der Dichter)
Gärtenbewohnerin,
Es blicken die Gespielen nach dir hin
Und lauschen auf das Wort aus deinem Munde;
So gib mir Kunde!


Sulamith
Flieh, mein Geliebter! Laß uns fliehn!
Gleich der Gazelle
Und mit des Hirsches flüchtiger Schnelle
Flieh über die Balsamgebirge dahin!
(S. 305-328)
_____


Aus: Dichtungen von Max Schaffrath
Düsseldorf Verlag von Breidenbach & Comp. 1875

 


Biographie:

Schaffrath (Heinrich) Maximilian
Geb. 7.09.1813 in Niederkrüchten bei Aachen, gest. 25.06.1877 in Bedburg.
Studium der Medizin in Bonn. 1840 Dr. med. praktischer Arzt in Bedburg.
Schriften:
Sulamith. Das Hohelied der Liebe. Metrisch nachgebildet und erläutert 1868;
Dichtungen 1875;
Aus des Herzens Wunderwelt. Lieder und Gedichte für Geist und Gemüt 1879.
Aus: Deutsches Literatur-Lexikon. Biogr. - bibliographisches Handbuch, begründet von Wilhelm Kosch, Francke Verlag Bern München 1992 (Band 14)

 

 

 


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