Leopold Schefer (1784-1862) - Liebesgedichte

Leopold Schefer



Leopold Schefer
(1784-1862)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Für Liebende


Tage der Jugend

Selige Tage,
Tage der Jugend!
O das Entzücken
Sinn' ich nicht aus.

Augen der Blumen,
Augen der Liebe,
Himmel und Sonne
Lächeln mich an!

Tausend Geschlechte
Schlummern verwandelt,
Heilige Wärme
Trägt mir den Geist.

Bald ist es Frühling,
Bald ist es Morgen,
Abend und Vollmond,
Nacht und gestirnt!

Jetzo erscheinen
Rosen im Thale,
Lerchen in Wolken,
Wolken in Glanz.

Nun ist die Kirsche,
Nun ist der Apfel!
Nein, hier die Traube!
Nein — die Nuß!

Nun ist die Schwalbe
Da! nun verschwunden!
Jetzo die Garbe,
Jetzo der Schnee.

Bald ist das Junge
Alt und vergangen,
Bald ist das Alte
Neu wie zuvor.

Mir in dem Busen
Wankt nicht die Wonne!
Schaue die Wechsel
Dauernd im Geist!

Selige Tage,
Tage der Jugend!
O das Entzücken
Sinn' ich nicht aus!
(S. 3-4)
_____



Frühlingsahnung

Ihr Stimmen vom Himmel,
Wo grüßt ihr mich her?
Was soll es hier werden?
Erkenn' ich es mehr!

O Wunder, hier regt sich
Mit Flügeln der Staub!
Hier lodert es hellgrün
Und glänzet als Laub!

Erst kniet' ich und weint ich
Zum Glöckchen im Schnee,
Zum Krokus im Schleier,
Und lief, was gescheh'?

Nun drängen zu viele!
Wo schau' ich erst hin?
In Wonne vergeht mir
Ganz Auge und Sinn.

Der Schnee von den Bergen
Wird Schmelz und wird Duft.
Wie's zittert, wie's säuselt,
Wie's rauschet und ruft!

Wie schleicht mir's im Busen
So schwach und so weich!
Ich seufze, ich lächle
Und weine zugleich.

O Frühling und Liebe,
Wie seid ihr verwandt,
Nur halb ohn' einander,
Nur Eines gekannt.

Wie sprengenden Knospen
So schwillt mir die Brust!
Von ewiger Liebe,
So ahn' ich die Lust!
(S. 5-6)
_____



Frühlings Willkommen

Immer komme, Frühlingswind,
Neue Sonne, scheine lind,
Wachse grünend, reger Staub,
Ueberblüh' das alte Laub!
Einmal ist's ja fortgegangen,
Was so schön, so selig war;
Nun was soll'n die öden Stangen?
Soll ich trauern immerdar?
Fort, Erinnerung, von hier!
Bist Du mehr als nur ein Traum?
Altes kommt nicht mehr zu mir —
Schöne Gegenwart nimm Raum!
(S. 7)
_____



Des Liebenden Morgen

O Himmel droben!
O Erde drunten,
In Schmelz und Grünem,
In Frühlingspracht!
Euch Rosenstreifen
Ließ sanft so ruhen
Zum Kranz der Hügel
Die Zaubernacht!

Süß sangen nieder
Der Fichten Wipfel
Goldwolken-Nahrung
Weitfruchtend nah;
Horch! Nachtigallen
Im Grün verborgen,
O seid willkommen!
O seid ihr da!

Indeß Du schlummerst,
Geliebtes Mädchen,
Wie schmückt der Frühling
Dir Beet und Strauch!
Hier schwellen Knospen
Und splittern glänzend,
Die er berühret
Mit Liebeshauch.

Er pflanzte nächtlich
Bei Mondes-Leuchten
Dir Hyacinthen
Und Krokus an! —
Dort schwebt im Blauen
Des blassen Mondes
Nun umgestürzter,
Verlaßner Kahn!

Ach, Dein gedenkend
Pflück' ich Dir Veilchen
Aus diesen Auen
Um Dich bethaut!
Und Deine Liebe
Erräth den Liebsten,
Wenn sie erwachend
Dein Auge schaut.

O Himmel droben!
O Erde drunten,
Wie segnest, Frühling,
Du uns mit Glück!
Was ich am Morgen
Für sie empfunden,
Belohnt am Abend
Mir reich ihr Blick!
(S. 8-9)
_____



Frühlingslied

Welch glänzender Himmel,
So rein und so blau!
Welch andere Erde,
Umsäuselt so lau!

Weiß stehen dort Geister
Auf blaßgrüner Höh!
Horch, singende Bäume!
Horch, summender Klee!

Rings goldene Flämmchen,
Die brennen und wehn!
Sind's leuchtende Blumen?
Mich blendet's zu sehn.

Welch himmlischer Wechsel!
Wär's Traum nur, wär's Wahn?
O greif in die Blüthen,
Und glaube daran!

Wer dräng' in die Kelche
Wie Bienen so tief!
Wer Nachts mit dem Wurme
In Lilien schlief!

O wer auf der Wolke,
Die Lande durchzög'!
Du schwebender Adler,
Wer droben da flög'!

O Hügel, o Sonne,
O Taumel, o Schmerz!
Wie drück' ich das Alles
Mit Einem ans Herz? —

Ach singt nicht die Liebste
Dort seelenfroh her,
Und suchet nach Veilchen?
Die lieb' ich so sehr.

Wohl schön ist des Himmels,
Der Erde Gesicht —
Doch schön wie der Liebsten,
Ach, ist es doch nicht!

Wohl schön sind die Sterne
In dämmernden Höh'n —
Doch erst in die Augen
Der Treuen zu sehn!

Sind fern doch die Hügel
Ein Bild nur! und klein —
Wie quillet ihr Busen
So herb und so rein!

Und wo erst die Seele,
Die Liebe — wo nur?
— Du bist mir die Nahe,
Die Göttin Natur!
(S. 10-11)
_____



Lied des Schmachtenden

Welche Liebe ich verhehle,
Welche Sehnsucht in mir schlägt,
Ahnet keine gute Seele,
Die es doch wohl sonst bewegt!

Von zu starker Gluth gefüllet
Stottert meine Zunge kaum —
Wie die Rede jenen quillet,
Nehmen sie den besten Raum.

Lang getäuscht, und oft getrogen
Wechsl' ich nicht mehr meinen Platz;
In mich selbst zurückgezogen
Hehl' ich kostbar einen Schatz.
(S. 12)
_____



Hoffnung

Ach, wende dich, Hoffnung,
Laß mich meiner Noth,
Denn ohne dich, Hoffnung,
Wär' ich ja lange todt.
Und will ich schon sterben -
Senkst du dich hernieder
Auf Rosengewölken,
Da leb' ich und leid' ich wieder!
Ach, wende dich, Hoffnung,
Laß mich meiner Noth,
Denn ohne dich, Hoffnung,
Fühl' ich schon den Tod!
(S. 13)
_____



Erste Liebe

Lebet nun wohl
Auf immer, lebt wohl,
Ihr alten gleichen
Ruhigen Tage
Ohne Freud' und Leid —
Ohne Liebe!

Aber was warst du auch
Goldenste Ruhe
Gegen die Wonne,
Die mich kaum atmen läßt!
Wie sie jetzt glänzen
Die sonst kaum beachteten
Leeren Stellen.
Vom Glück mir geweiht!

Füllt mir die Liebe
Nun ja die Brust;
Und an dem Tag,
Wo die mir sich wendet,
Ohne die ich, ach,
Nun nicht mehr leben kann,
An dem find ich', sterbend,
Verlorene Ruh,
Deine himmlische Schwester!
(S. 14)
_____



Heimath der Liebe

O Liebe, Liebe! Wo bist du her?
Ich frage die Nacht, und die Erd' und das Meer —
Sie schweigen! — und ach, ich weiß es ja nicht allein!
Doch nach der Hoffnung, die du mich lehrst,
Und nach dem Himmel, den du mir gewährst,
Mußt du aus dem Lande der Hoffnung: vom Himmel sein!
(S. 15)
_____



Rosenart

In der Liebe frühen Tagen
Bist du mir so karg, so spröde,
Die so vieles giebt zu ahnen!
So wie sich der Strauch der Rosen
Durch des Frühlings erstes Schwellen
Nur mit zarten Dornen röthet —
Bald auf seinen grünen Armen
Wiegt er sanft verhüllte Knospen,
Und besiegt von niebesiegter
Himmelshuld, von Thau und Sonne,
Trägt er dir auch seine Rosen.
(S. 15)
_____



Leben des Lebens

Leben des Lebens
Ist Jugend allein,
Laßt uns vergebens
Nicht jugendlich sein.
Blüthe der Jugend
Ist Liebe allein,
Laßt uns die Jugend
Der Liebe weihn!

Warum so besonnen?
Das Leben vergeht,
Eh' recht ihr begonnen,
Ist Jugend verweht!
Und ist sie verronnen,
Dann ist es zu spät!
Wer hat noch die Sonnen
Zurücke gedreht?

Ach! in dem Alter
Versieget der Quell,
Dann scheint die Sonne
Nicht warm und nicht hell! —
Wie schön ist die Jugend,
Wie feurig und roth!
Dann für das Alter
Ist nur der Tod.

Leben des Lebens
Ist Jugend allein,
Laßt uns vergebens
Nicht jugendlich sein!
Blüthe der Jugend
Ist Liebe allein,
Laßt uns die Jugend
Der Liebe weihn!
(S. 16-17)
_____



Nahen

Wie ein Heil'genbild in seinem Frieden,
So bezaubernd, ach, und so geschieden,
So unnahbar-nahe warst du mir,
O wie schaudert', bebt' und strebt' ich dir!

Wie doch stiegst du von den Sonnenhügeln?
Was doch hob mich zu dir wie mit Flügeln?
Lag's nicht zwischen uns wie Felsenkluft,
Wie ein Meer, worüber niemand ruft?

Denn seit jenem zarten Lockenstreifen
Und dem raschen himmlischen Ergreifen
Halt' ich dich gebannt wie einen Geist,
Der mir nun ein ewig Glück verheißt!
(S. 17)
_____



Nahrung des Herzens

Wie war es nur ein kleines Wort,
Das sie mir sagte!
Wie war es nur ein Silberblick,
Den sie mir tagte!
Und selig leb' ich lange Zeiten
Schon von dem Worte nur, dem Blick!

So bringt ein Stern die Sternennacht,
Ein Lerchenschwirren
Verheißt des ganzen Frühlings Pracht!
So wird einst droben
Ein Wink die Seligkeit bedeuten,
Ein ganz unnennbar ew'ges Glück.
(S. 18)
_____



Die Freundin Amor's

O, wie möcht' ich so gern es ihr sagen,
Was ich ihr fühle im Busen mir schlagen!
Ach, und wie feurig möcht' ich sie fassen,
Sie wonnig umschlingen, und gar nicht lassen!
Wo ist denn die alte, die selige Welt,
Wo das, was sich liebt, sich in Freiheit gesellt? —

Sieh! Ewig heim führen die Musen uns wieder
In's Urreich des Schönen, der Fabeln und Lieder!
Und walten sie herrschend, erschallen die Töne,
Da fass' ich dich arglos, errötende Schöne!
Mit göttlicher Kühne, was hegt mein Gemüth,
Das singt dir die Muse verständlich im Lied.
(S. 19)
_____



Erwachen im Mai

Erste Sonne im Mai,
Wie eine goldne Spinne
Spannst du dich flimmernd im Eck,
Sichtbar-wachsend umwebst
Mit deinem Morgenstrahlengespinnst
Du wonnig mir Aug' und Brust:
Du befühlest leis, wie die Schnecke
Mit langem Auge, die Zither,
Die dem Glück meiner Jugend
Melodieen rauscht;
Du schattest mit Rosenschatten
Mir hin auf die leuchtende Wand
Durch die hellen Scheiben,
Die brechenden Hyazinthen,
Nicht umsonst so gepflegt;
Du hörest die Nachtigall,
Unter deren Schlag
Ich gestern im Glanz des Mondes
In sanftquellenden Thränen entschlief,
Ja trinkst du Selige auch
Wie der Morgenblume Duft
Meiner ersten Geliebten
Heiligen Morgengesang.
(S. 20)
_____



Die Krone der Liebe

O Mond und Gestirne,
Ihr ewigen hohen,
Ihr Wolken, ihr Reigen
Des Himmels, ihr Klippen,
Euch nehm' ich zu Zeugen
Mit schluchzendem Herzen —
Hier lieg' ich entflohen
Dem Lächeln, den Lippen,
Der tödtenden Liebe!
O selig Geschick,
Nun mein ist das Glück!

O Vater der Liebe,
Allvater dort oben,
O sende von droben
Beschwichtigend Schmerzen
Mir ab und Gefahr!
— O Worte, o Blick! —
O flieh vor dem Glück,
O flieh vor den Freuden
Nicht länger zurück!

Und kannst Du sie meiden ? —
So drücke die hohe,
Die himmlische frohe,
Die Krone der Liebe
Dir gläubg ins Haar!
(S. 21)
_____



Glück der Beschränkung

Wenn ich mit vergnügten Sinnen
Nacht zu meiner Liebsten wandle,
Und der Vollmond, wie ein Feuer,
Eben sich dem Wald entschwungen,
Steh' ich, in die Pracht versunken,
Sprech' ich ernst zu meinem Geiste:
Ach, was ist doch all' dein Leben,
Gegen jenes Wunderleben!
Doch mein sel'ger Geist erwiedert:
Möchtest du dort oben steuern,
Selbst dir nutzlos, ewig glänzend,
Und hier dieses liebe Wesen
Nicht dies holde Mädchen kennen?
Alles was du sterblich liebest:
Stadt und Menschen, Freund und Blumen,
Sterblich alles, und doch selig!
Du nur lebst das wahre Leben.
Und dann öffn' ich still die Thüre,
Die Geliebte, meiner harrend,
Drin im Dunkeln zu beschleichen;
Doch das lose liebe Mädchen
Spielt den Geist auf leisen Socken,
Und bald hier, bald da im Zimmer
Hör' ich Geistesseufzen: ach! — ach! —
Such' ich mir den Geist zu fangen;
Doch dann, eh' ich mir's versehe,
Schließt sie mich in ihre Arme,
Fest, halblachend und halbweinend!
(S. 22)
_____



Des Geliebten Sehnsucht

Knospe der Ros', erwach', erwache!
Denn der Frühling schmückte, o Liebling,
Sonnewärmend dir fertig das Thal.
Ueber dir ausspannend die Bläue,
Streute in deines Mutterstocks Schattung
Dir schon Mandelblüthen und Veilchen;
Komme! versäume nicht länger die Herrlichkeit!
Schwesterlilien scheinen dich an
Mit schnellleuchtenden weißen Flammen,
Morgenröthe durchschleicht dir lösend
Dein süßschwellend-versponnenes Herz,
Silber-Libellen — geflügeltes Wasser —
Wiegen dich schwirrend, surrende Bienen
Küssen den Schlaf von deinen Lippen —
Knospe der Ros', erwach', erwache!
Denn dich erwartet des liebendsten Mädchens
Selbst erst knospend-jungfräuliche Brust.

Tod und Leben aus einer Quelle.

Wenn ihr theuren Röschen wüßtet,
Wüstet, wo ihr so gewelket,
Und von welcher heil'gen Wärme,
Ach, wie würdet ihr's bedauern,
Daß die Schöne euch mir gegeben!
Euer letztes Hauchen athm' ich,
Drück' euch in die nassen Augen,
Doch der reinsten Liebe Thränen
Wecken euch nicht mehr in's Leben;
Und doch, ach, wo ihr gestorben,
Würd' ich Todter erst lebendig!
(S. 23)
_____



Geständniß

Ist dir's ein Glück, zu wissen, daß ich dein bin,
So fühl' es ganz! Hab' ich doch nun ein Wesen,
Das ganz mich kennt, und meines dürstend einsaugt;
In dem, wie in dem wärmsten Spiegel, ich,
Mir selber holdentfremdet, neu empfinde
Mein reinverklärtes Selbst; aus dem ich gleich
Aus vollem Quell, der sel'gen Erde Freuden
Und Leiden alle mild und lauter schöpfe;
Um welche ich des Lebens heil'ge Mühen
Mit Lust bewalte! — Hab' ich doch ein Wesen,
In das sonst jede mir nur halbe Wonne
Hinüber zittert, das mit leisen Zeichen
Schon, bei des Tages düsteren und schönen
Erscheinungen ich leicht bedeute, welches
Mich leicht bedeutet, und so wie ich schwanke
Auf dem gefährlich-schmalen Lebensstege —
Mir bebt! und ach, versänk' ich — o der Gnüge:
Der Himmel ist in der geliebten Brust —
Versänk' ich, lebte meine ew'ge Liebe,
Hell, wie ein stiller Stern, bewahret fort
In deiner Seele nährend-heil'gem Aether.
(S. 24)
_____



Friederike

Dich anschaun, ist Leben! dich missen, todt sein!
Ach, doch wer ertrüge der Augen Schmelz, dem
Blick nicht wehrend! schauderte nicht vor deinem
Schmachtenden Munde!

Und mich reißt, mich reißt es an dich allmächtig!
Aber denk ich's nur: wie ich deine Lippen
Küßte, du mich schlängest an deinen Busen —
Hülfe ihr Götter!

Nein! drum will ich nimmer begehren, was mein
Herz ja doch nicht trüg'! O dein Aug' — entseelend —
Wend' es! deine Lippen entzieh' von meinen!
Winde die Arme

Los! denn wie an Schlangen, gebunden starr' ich!
Nur zu deinen Füßen erduld' ich's! — läg' ich
Einst in deinem Schooß — o da läg' ich selig,
Aber gestorben.
(S. 25)
_____



Sommerlied

Der Himmel ist offen,
Das Land und die Seeen!
O jegliches Hoffen
Wie ist es erfüllt!

Vor blühten die Büsche
So weiß — und die Höhen —
Nun dunkeler Frische
Grünt alles und quillt!

Zum himmlischen Feste
An ladende Tische
Ziehn fröhlich die Gäste
Bald ein und bald aus;

Sie kommen, sie spinnen,
Sie baun in die Aeste,
Und schwärmen von hinnen
Und räumen das Haus.

Hier dufteten Veilchen,
Nun leuchten hier Nelken!
Nur alles ein Weilchen,
Dann hat es genug.

Woher, o ihr Nelken?
In reizendem Schimmer!
Und denkt zu verwelken?
Ist alles nur Trug?

Hier grünet dahinter
Die Aster schon immer,
Die spät noch bis Winter
Mit Blühen nicht ruht!

Im Schatten, im Laube
Still blähn sich die Früchte,
Voll saugt sich die Traube
Von goldenem Blut!

Horch! abendlich-lichte
Im lauigem Flusse
Das Mädchengezüchte
Wie's plätschert und lacht!

Sie hat mich beschieden
Mit sehnendem Kusse;
O Hoffnung, o Frieden,
O wär' es schon Nacht!
(S. 26-27)
_____



Morgengefühl

Morgenröthe, darf ich's denken;
Welche süße heil'ge Nacht!
Wie sich leis die Sterne senken,
Die da droben uns bewacht!

Wo das Licht herauf mir leuchtet
Aus dem blassen Morgenthal —
Dort! — sagt, was euch Augen feuchtet —
O geliebter holder Strahl!

Wie die erste Lerche fröhlich,
O Natur, in's Blau sich schwingt,
Schwingt mein Herz zu dir sich selig,
Das mir zittert, bebt und klingt.

O wie fühl' ich mich so innig,
Stark und gut und fest und rein!
Berg und Thal mit Lust umspinn' ich,
Alles Schöne ja ist mein.
(S. 28)
_____



Allmacht der Liebe

O Sonne, wie strahlst du im Blau!
Volles Regen des Tages
Waltet mit Lust, denn er schüttet
Köstlich sein ganzes Füllhorn
Ueber die Lebenden aus!

O Glück: die Glücklichen schaun!
Lerchen verlieren in Wolken —
Bienen im Klee sich, Wandrer
Singend in Blüthen, die Berge
Duftig in himmlischen Schmelz!

Doch lies: die Geliebte verheißt
Mir "mit den Sternen" zu kommen!
Nun verlischt mir die Sonne!
Und der Tag ist verloren,
Schweigen und Dämmer um mich!

Und in mir ist Schauen und Glut!
Blühst du schon, goldener Nachtschein?
Duftest, Jelängerjelieber?
Abendstern, dich erblick ich!
Sehe Geliebte, nun dich!

Denn du nun strahlest hervor
Schöner, als alle Gestirne!
Leicht, wie der Tag und die Blumen
Vor dir verschwanden — erhellst du
Rings nun mit Glanze die Nacht!

O Liebe! heilige Macht,
Darfst du das Prangen zerstören? —
Weil du die Quelle der Schönheit
Bist und des Lebens, schaffst du
Immer bezaubernd so fort!

O Liebe , so dienen nur dir
Alle Erscheinungen! Prachtvoll,
Wenn du sie, sehnend, hervorrufst;
Sie sind nichts, wo du nicht bist.
Sie sind nichts, wo du bist.

Geliebte! so mache fortan
Du mir Zeiten und Tage!
So, wie du willst, wird Frühling,
Milde, Gesang und Klarheit —
Oder Nacht um mich sein.
(S. 29-30)
_____



Herz im Herzen

Jetzt, da der Mond die reine Bahn
Voll Zauberglanz durchstrebt,
Und Wald und Fluß das Thal hinan
Mit Dämmer überwebt —
O hätt' ich Flügel wie der Schwan,
Zu Ihr wär' bald geschwebt!

Er ziehet sanft im obern Zelt
Mit leisem Silberklang,
Die Flügel sprühen, monderhellt,
Bald sieht sie ihn voll Drang —
Gewiß, Ihr Herz ist bang geschwellt,
Und macht mir gar so bang!
(S. 31)
_____



Verwandlung

Nun die Nacht mit goldnem Auge
In die stillen Thäler blickt,
Und die Liebenden nun alle
Erst vereint und still beglückt,
Muß ich leider von ihr kehren,
Die mich gern, so gern behielt,
Ach, im vollen Scheidekusse
Süß verräth, was sie mir fühlt!

Schöner Mond, du Zaubrer, löse
Mir die menschliche Gestalt!
Busch und Blüthen press' ich an mich —
Gieb, o gieb mir Geist'sgewalt!
Diese Thürme, diese Mauern
Dann durchschweb' ich leicht und flott,
Und mit wonnevollen Schauern
Werd' ich dann bei ihr — zum Gott!
(S. 32)
_____



Heimliche Wonne

Wann ich erst am neuen Morgen,
Ein unendlich Glück verborgen,
Von der Allerschönsten gehe,
Und nur schüchtern um mich sehe,
Denk' ich scheu in meinem Wahn:
Alle sehn dich darauf an!
Menschen, Wolken, Fluß und Sonne,
Alle wissen deine Wonne! —
Aber Menschen, Fluß und Sonne
Schweben hin in eigner Wonne;
Blau und still und leer und weit
Liegt des Himmels Herrlichkeit,
Lächeln muß ich, was ich hege —
Und so ziehn sie ihre Wege!

Klein nur bist du, Menschenbrust,
Die du selbst noch Alles hast!
Welche Seligkeit und Lust
Kann so still sein wie ein Traum!
Was der Himmel nicht umfaßt,
Hat im Herzen einen Raum.
(S. 33)
_____



An Agnes

Wenn ich Dich jetzt, mein volles Glück,
In den Armen halte, hör' ich wieder
Deiner Stimme ersten Gesang,
Seh' ich dein erstes Zauberlächeln,
Stehst Du vor mir, wie ein Wolkenbild,
Wieder mit deinen schmachtenden Augen —
Ach, und Du selber bist jede deiner
Frühern Gestalten, die ich mein nennend
Froh nun in Dir an den Busen drücke!

So umfängt dem Knaben bei der goldnen
Nektartriefenden Honigscheibe
Der Frühling wieder die dämmernde Brust:
Ihn umsäuseln die Lüfte so linde,
Ihm strahlt wärmend die Maiensonne,
Blinket wieder die Wiesenschöne
Tausendfarbig, und aus den Blumen,
Die er sich eifrig zum Kranz will pflücken,
Rüttelt er wieder die summenden Bienen.
(S. 34)
_____



Der Liebe Lohn

Seid mir gesegnet, die ich vergoß,
All ihr Thränen! den ich gewandelt,
Sei mir gesegnet, Weg des Lebens!
Denn in die Gefilde der Seligen
Bin ich gekommen!
Und die Thränen, als Blumen hier entsproßt,
O wie wehen, wie duften sie alle mich an!

Nun an der Brust der Göttlichen, ach,
Ruh' ich schon lange —
Selig es hörend, klopfet so fülleschwer
Ihr Herz für mich! verdien' ich's — für mich!
Liebeleuchtend schaut ihr Auge
Auf zu den heiligen Sternen —
Aber ich — schaue ihr lieber
In das verklärte Auge!
Zurückedenkend sag' ich ihr dann:
O Psyche, was litt ich um Dich!
Und fast schmerzlich zu mir geneigt
Flüstern, wie athmende Rosen,
Mir ihre Lippen:
"Ach! — Wie soll ich Dir Alles vergelten? —"
(S. 35)
_____



Brautmorgen

Nun laß die Sterne fliehen,
Wir haben unsern Ort!
Laß Wolk' und Wölkchen ziehen,
Wir ziehen nicht mehr fort!

Geheimnißvolles Regen
Und sehnsuchtsvoller Flug
Kann uns nicht mehr bewegen,
Wir kennen das genug!

Wir haben uns gefunden
Wir haben es erreicht,
Wir halten uns umwunden
Auch wenn die Nacht erbleicht.

Was die Natur durchschüttert,
Was Alle selig macht,
Davon sind wir durchzittert
Und unsre Brust durchfacht!
(S. 36)
_____



Das Lied vom Kusse

Ein Kuß ist ohne Gleichen
Der Liebe wahrstes Zeichen
Und zartester Genuß!
Ist Anfang, Mitt' und Ende,
Der Liebe Frühlingswende,
Der Bienen Veilchengruß.

Wer küßt, verheißt sein Leben
Dir auch so hinzugeben
Und Liebesüberfluß;
Ein Kuß vergilt die Leiden,
Und für die reinsten Freuden
Dankt man mit einem Kuß.

Du kennst das Gold am Glanze,
Die Jungfrau an dem Kranze,
Das Weib ist wie ihr Mund;
Wie frisch sie leb' und blühe,
Wie heiß sie lieb' und glühe,
Das thut ein Kuß dir kund.

Die Augen können trügen,
Die Worte können lügen,
Geschenke, die man giebt.
Ein Kuß nicht? — Auch! — doch wisset:
Wer nie dich recht geküsset,
Hat nie dich recht geliebt!
(S. 37)
_____



Was die Sonne nicht sieht

Alles schaust du, Alles hast du,
Unbegreiflich reiche Sonne!
Aber einen solchen Abend
Wie uns Menschen heut umzaubert
Seit du von uns weg gesunken: —
Einen Halbmond in den Wolken,
Solche sanft entglommne Rosen,
Solchen Duft der Nachtviolen,
Diesen Sternenglanz im Wasser,
So geheimnißvolle Stille
Und ein Horchen und ein Flüstern,
Und dies Nahen der Geliebten,
Ihr Ereilen, ihr Umschlingen,
Und ihr Halten an dem Busen
Und der Druck der lieben Händchen
Und ihr Lächeln und ihr Blicken
Aus dem Düster in das Düster —
Hast du, sahst du das, o Sonne?!
(S. 38)
_____



Abschied

Schöner Jüngling sei willkommen!
Treuer Freund, sei treu begrüßt!
Alles Leid ist mir entnommen,
Wenn mich deine Lippe küßt.

Jedes Glück entfloh mir lange!
Jeder Gram zog lang' ins Herz!
Nur die Liebe blieb mir bange,
Und mir blieb der Schönheit Schmerz.

O du, Erde, froh betreten,
O du blaues Himmelshaus,
Laßt mich still noch einmal beten,
Dann auf ewig wandr' ich aus.

Jung und schön kommt alles, munter
Aus dem kaum verhüllten Reich;
Alt und schmucklos geht’s hinunter,
Von dem Sonnenfeste bleich.

Schöner Jüngling, neues Leben
Giebt dein Kuß – o nahe dich!
Sieh, wie meine Lippen beben,
Schöner Jüngling – küsse mich!
(S. 39)
_____



Brief

Was soll ich dir sagen,
Ach, in der Liebe
Seligen Tagen!
Kann ich dir danken,
Kann ich es fassen?
Will ich's erschöpfen,
Will ich's verdienen?
Fühl' ich des Wetters
Störrisches Wehen,
Wenn ich auf Höhen
Liege dir schmachten?
Wenn da im Dunkeln
Tausend Gestirne
Ueber mir funkeln,
Segn' ich die Pracht!

Soll ich noch wünschen? -
Gönne mir einen,
Einen von deinen
Ewigen Sternen
Heilige Nacht!
Dort will ich wohnen
In goldenem Zelt
Mit Dir, der meinen,
Einzig gesellt,
Ueber der Erde
Altem Gedenken,
Ueber der Menschen
Dauerndem Kränken,
Ueber dem Frühling,
Ueber der Welt.
(S. 40-41)
_____



Frühlings-Nachtgleiche

Wir mochten endlich eingeschlummert sein,
- Doch Schlaf und Traum sind göttlicher Natur
Und kennen selig nicht das Maaß der Zeit -
Da stieß mich leise die Geliebte an,
Und zeigte mir der Morgenröthe Glanz,
Die wallend in das trauliche Gemach
Wie eine Rosenfluth vom Himmel floß.
Und blinkend schien das reinliche Gefäß
Vom Sims der Wand, und schattete sich ab,
Und glimmend, und doch nicht entlodernd, schwamm
Im kühlen Feuerglanz der feine Flachs
Geröthet, und die Spindel eingetaucht,
Womit die Liebliche des Abends spann,
Und jedes Eckchen glomm von Licht erfüllt,
Daß selbst die Spinne an zu weben fing,
Ihr Tagewerk beginnend, und der Hahn
Erregte laut die ganze Nachbarschaft
Und alle krähten rings den Morgen an.

Da trieb sie mich mit bangen Küssen fort,
Und ich, der ich nicht bleiben konnte, ging,
Noch oft zurückgewandt zum kleinen Haus.
Der Sonne wartend, steh' ich auf dem Berg
Nun einsam hier, und sehe ganz erstaunt
Das Morgenroth erbleichen, aber nicht
Und immer nicht die Sonne mit dem Blitz
Erscheinen! ja dagegen treten leis
Die größeren Gestirne wieder vor
Und selbst der kleinern Silberflimmer blinkt
Aus lichter Bläue; rauschend flammt der Wald,
Denn feurig geht der Vollmond gar nun auf!
Die Lerche, die schon an zu singen fing,
Steigt wieder stumm, getäuscht und wie beschämt
Vom Himmel nieder in die junge Saat,
Bang ächzend schwirrt die Eule wieder um,
Die alte Weide leuchtet, wie ein Geist,
Und nach der Sterne Stand ist Mitternacht!

Ist's nicht genug, daß Menschen Liebende
So oft behelligen? Nun fängst du selbst,
O Himmel, sie zu täuschen an, und schickst
Als Irrlicht gar das schöne Nordlicht mir!
(S. 41-42)
_____



Gemeinsamer Stoff

Wenn ich die Rosen seh' im Mondenschein
So dämmernd blühn wie er, und ihr Gedüft
Mich würzig anhaucht, so wie seines - wenn
Die Stillgeliebte mir so sanft daherkommt,
So lichtbeglänzt, wie Nachtgewölk am Himmel,
Mir ihre Stimme bang und reizend klagt,
Wie Nachtigallen im Gebüsch; wenn ihr
Im schwarzen Haare nun Johanniswürmchen,
Die ich ihr in die Locken eingestreut,
So golden schimmern, wie die goldnen Sterne:
Wenn ihr die Thränen auf den Wangen stehen,
Die sie um mich geweint, wie Thau auf Lilien -
Dann scheinet mir Entzücken Alles, Alles,
Die Rosen und der Mond, die Nachtigallen,
Die Feuerwürmchen und die Sterne, ja
Die schlummernde Geliebte, und ich selbst
Mir nur aus Einem Stoff gewebt, und Alles
Scheint mir so selig, wie ich selber bin!
Ich küsse dann die Rosenknospen, statt
Der Lippen meiner hold Entschlummerten!
Küss' ihre sanftgeschlossnen Augenlieder,
Wie das Gewölk, das leicht den Mond bedeckt!
Und wenn sie mich an ihren Busen drückt,
Geschieht mir, als umarmte mich Beglückten
Die heil'ge Nacht, die schöne Frühlingserde!
(S. 43)
_____



Verspätung

Böse Sonne, du schadenfrohe,
Als ich mit der Geliebten scherzte,
Düsterte heimlich der Mond noch um uns —
Und nun mit diesem elysisch-leichten
Schattengitter des Weingerankes
Hast du uns schlummernd gefangen!

Schaue, wie feurige junge Götter
Ruhn wir beisammen! wie hell vergoldest
Du der Glühenden schönes Antlitz!
Ach, und die Zähnchen, die oft mir die Lippen
Halten — welch' Göttergebild besitz' ich
Welche goldene Hebe!

Nein! ein Schöneres als eine goldne
Hebe, Schöneres als Hephästus
Je ein wandelndes Werk gebildet,
Gabst du Urkünstlerin, o Natur, mir;
Und ich empfinde, welch' Meisterstück ich
Liebend–lebendig besitze!
(S. 44)
_____



Nacht

Wenn ich Nachts an der Brust der Geliebten
Selig-ermüdet ruhe, berauscht
Und gestärkt von dem Kelche der Liebe,
Und die feiernde duftige Nacht
Ihrer hehren goldnen Gestirne
Einem Reigen nach dem andern,
Immer glänzender, goldener Jeden,
Leis herauf vor meinen erstaunten
Augen und langsam vorüber führt —
Weine ich auf der Brust der Entschlafnen:
Die Erde, die wunderbar alte,
Schwebend mit Meeren und Inseln und Bergen,
Mit ihren Todten und heiligen Trümmern,
Jetzt erleuchtet, jetzt düster, im Himmel
Wie ein Lotus unsterblich dahinschwimmt,
Und wie gefangene Bienen im Mohnhaupt
Wir in den schwimmenden Zaubergärten —
Weine ich, bis die erschrocken Erwachte
Zärtlich mich in den Schlummer gekoset —
Träume ich, bis die Gestirne gesunken
Oder zerglänzt in die Morgenröthe,
Bis sie, mich küssend, von mir geschlichen
Und aus dem rosigen Frühlingsgefild
Voller Thau und Glanz und Gesang
Ihres Jünglinges Haar mit frischen
Veilchen bekränzt, die Morgensonne
Ihr und der Erde mich wiedergegeben —
Und ich ihr wieder am Busen weine!
(S. 45)
_____



Ewige Klage

Daß sich die Lust, und so spurlos, vergißt!
Ob du es, Brust, ob du Lipp' es noch bist?
Weiß ich doch nichts, wie der Taucher, von allen
Tief wo er Perlen gepflückt und Korallen;
Saust mir's, als ob ich in heiliger Tiefe
Noch ungedacht und gedankenlos schliefe.
Und doch wie lechzte erwartend die Brust!
Schmachtete dunkler Gluth voll die Lippe!
Ach, wie der Gießbach über die Klippe
Kommet und brauset und stürzet die Lust.
— Stürz' ich mich nach der schwindenden Welle?
Dring' ich durch Felsen zur ewigen Quelle?
Weg mit der Nacht ist das selige Wissen!
Weg mit der Lipp' ist das süße Genießen! —
Haben dich himmlische Träume verwirrt?
Sage, was stehst du verschränkt und verirrt! —
Hin zu der Holden! o hin an die Brust!
Ewig erneut sie dir Leben und Lust!
(S. 46)
_____



Die Königin der Nacht

Geliebte! Wie du mir am Tage
So tiefe Ruhe gönnst! Wie leichbedacht,
Wie glanzumhüllt,
Wie reizversteckt
Dein stilles Bild
Mich kaum erweckt,
Und leis verschwebt in heller Erdenpracht!
Zwar hold und lieb, und schön und gut,
Erregst du mir nicht Sinn und Blut —
Mir selbst zu leben hab' ich Muth!

Doch, holde Zauberin, o sage,
Wie gehst du hell mir auf, beginnt die Nacht!
Wie reizerfüllt,
Wie süßentdeckt
Dein leuchtend Bild
Mir Gluth erweckt!
Wie du nun ausübst alle Tagesmacht!
Umglänzt von Luna's Silberschein,
Ach, ist nichts Andres mehr noch mein —
Du lebst mir nur, ich bin noch dein!

So steht verschlossen über Tage
Der Blumen Mond: die Königin der Nacht!
Ihr Rosenmund,
Ihr Aug' erwacht,
Ihr Kelch wird kund
In holder Nacht,
Wenn keinen Reiz die Sonne mehr bewacht;
Ihr duftig Herz, von Gluth durchfacht,
Geht auf, und steht voll Himmelspracht
Im schönsten Flor um Mitternacht!
(S. 47-48)
_____



Neuer Morgen, neue Geliebte

Däucht mir doch, als wärest du nicht mehr,
Wärest nie gewesen, schnell verschwunden,
Wie die Sonne nach dem Untergang,
Wenn du mir der Liebe Gluth gestillt,
Und die Seele Wonn' umhüllt wie Nebel!
Aber seh' ich Morgens dich im Garten
In dem Glanz der auferstandnen Sonne,
Stehst du wieder los mir gegenüber,
Wieder du, dein eigen, neu und reizend —
Ach und reizender durch welches Wissen!
(S. 48)
_____



Behalten

Mädchen, nicht den Zauber kann ich fassen:
Daß ich dich muß dir so eigen lassen,
Wann ich von dir gehe!

Bist du nicht ganz mein?
Und doch bleibest du auch dein,
Wie der Mond
Mir in seinem Himmel wohnt;
Wie ich dich so sehe,
Solcher schwarzer Locken Fülle,
Solcher blauer Augen Schein,
Wie dein ganzes Wesen leibt und quillt,
Alles schlingt die Ferne ein,
Kläglich-stille!
Mit mir nehm' ich nur dein dämmernd Bild —
Ach, und so viel Göttlichkeit
Ist wie gar nicht da!

Doch, nur wenig Schritte, wenig Zeit,
Welchen Himmel hab' ich wieder nah!
(S. 49)
_____



Lebendige Bilder

Wieder ruhig steh' ich nun hier oben,
Wie ich stand mit freien frischen Sinnen,
Eh' ich drunten dich im Thal gewahrte,
Zu dir niederstieg in deinen Garten!

Wieder ruhig steh' ich auf der Zinne,
Und doch froh erworbnen Glückes reicher:
Seh' dich lieblich noch herauf mich grüßen,
Um das Haus dein weißes Kleid verschwinden,
An der Erde mich zum Himmel schmachten,
Seh' mich bei den Hyazinthen liegen,
Nachts mich in den feuchten Hecken lauschen,
Mich dem Silbermonde gegenüber
Dir an deinem lieben Busen ruhen!

O wie reizend ist die Selbsterscheinung!
Ich — der erst bei ihr nur Gluthempfindung,
Nur ein Traum war, stehe nun in deinem
Zaubergarten, schöne Erde, vielfach
Ausgeführt in stilllebendigen Bildern,
Mir verwandt und fremd, so hold beschaulich!
(S. 50)
_____



Das krystallene Schloß

Ach, ein heiliges Jahr
Während dem Weilen der Blumen,
Während dem Färben der Früchte,
Während dem Klären der Trauben,
Warst du Entzückende mein!

War ich Beseligter dein!
Alle die rosigen Morgen,
Alle die sonnigen Tage,
Alle das Wandeln der Sterne
War ich Beständiger dein!

Und unerschöpflich war
Deiner Liebe Bezeigung,
Unverlierbar und endlos
Schien es, mein Glühen und Lieben,
Ach, unersättlich war's!

Seit die Sonne allein
Dir in der Ferne nun leuchtet,
Seufzest du liebend vergebens
Mir nach, schmacht' ich vergebens
Dir nach, vergeh' ich vor Sehnsucht,
Seufze vergebens allein!

Wäre ein Orkus das Jahr,
Wohntest du dort in den Hallen,
Schlummernd, noch wie du mich liebtest,
Dräng' ich hinunter wie Orpheus,
Führte zu mir dich herauf!

Ach, ein krystallenes Schloß
Bist du, Vergangenheit, Menschen!
Nahen, hindurch nur schauen
Dürfen die Liebenden weinend
Wie sie einst Liebe beglückt.
(S. 51-52)
_____



Wiederkehr

Hier an die Felswand steh' ich gelehnt,
Aufschaffend in meiner Brust
Die Wonne vergangener Tage:
So singet die Nachtigall
Die Hyazinthen wach
Aus ihrem heiligen Schlafe;
So nähren mit ewigem Thau
Bildende Frühlingsgeister
In Silbernebel sie fütternd
Junge Knospenlippen;
So schwebst du, o Mond, in deinem
Kühl aufdrängenden Feuer —
Und so schön wie du, kam Sie,
Mir bebend gelös't in Thränen,
Und ich genoß an ihrer
Reinen Brust die volle
Wonne der ersten Liebe
In deiner ewigen Helle.
(S. 53)
_____



Herbstlied

Natur, du Geliebte,
Wie bist du verwandelt,
O meine Geliebte,
In Thal und auf Höhn!

Doch auch so verwandelt,
Du nackende, bloße,
Du herrliche, große,
Wie bist du so schön!

So erröthet, entkleidet
Vom trunkenen Bräutigam,
Im düstern Gemache
Die bebende Braut.

Wo dort sie die Lämmer
Auf Blumen geweidet,
Da webet nun drunten
Der Nebel, und thaut.

Wo hier ich die Winden
Ihr pflückte, die bunten,
Verspinnt sich die Raupe
Am purpurnen Zweig;

Und dort, wo die falben
Gestrüppe nun schwinden,
Da warf sich mich schelmisch
Aus Blüthengesträuch.

Nun üben die Schwalben,
Laut schwirrend im Kreise,
Zur schwebenden Reise,
Die fröhliche Brut.

Wo jüngst sie die Garben,
Die goldnen gebunden —
O wechselnde Stunden!
O sinkender Muth!

Von röthlichen Bergen
Ab singen die Winzer,
Der kelternden Mädchen
Gelächter erschallt.

Es schallt von den Bergen
Auf gleißende Matten
In Abenroths Schatten
In Wald und verhallt.

Wie sausen die Winde
Durch raschelnde Blätter!
So floh, so geschwinde,
Die Lust und der Schmerz.

Heim donnern die Wetter,
Ab rieseln die Wolken;
So rinnet mein Auge,
So zittert mein Herz.
(S. 54-55)
_____



Gewandter Sinn

Als ich warb und als ich brannte,
Ward ich glücklich kaum ein Mal;
Liebe läßt sich kaum beglücken,
Hemmt sie stets doch eigne Qual,
Wer zu große Liebe zeiget,
Der macht stolz, beschränkt und kühlt;
Glücklich wer sein Glück verschweiget,
Wer verheimlicht, was er fühlt.

Nun, als sich der Sinn mir wandte,
Seh' ich, wie viel ich verschmäht!
Doch ich weiß mich schnell zu schicken,
In der Jugend ist nichts zu spät.
Nun nach fremder Lockung zieh' ich,
Was mir das für Wonne giebt!
Die ich liebe — fort! die flieh' ich,
Und Der bin ich, die mich liebt.
(S. 56)
_____



Die Vergeßne
An die Hyazinthe von ihm

Da die Lüfte wieder glühn,
Und die Blumen neu erwachen,
Willst auch du denn wieder blühn,
Und den Sinn mir traurig machen?
Ach, seine Liebe ist doch hin!
Was willst du denn bei mir nun blühn?

Als ein Zeichen seiner Treu
Wie ich dich so sorgsam pflegte!
Liebe blüht nicht wieder neu,
Wenn selbst Irdisches neu sich regte.
O wie mir doch dein süßer Duft
Mein todtes Glück in's Leben ruft.

Wie ein schöner Himmelsschein
Läßt sich Liebe schaun auf Erden,
Geht in Himmel wieder ein,
Muß vor Untreu flüchtig werden;
Doch wer ihn sah den Himmelsschein,
Der möchte bei dem Scheine sein.

Werd' ich wohl vielleicht einmal,
Himmelsschein, dich wieder finden?
Blühe, blühe mir zur Qual,
Liebste mir der Hyazinthen!
Du sagst mir, daß, wie Lieb' auch glüht,
Die Blume doch sie überblüht.
(S. 57)
_____



Reiz im Wechsel

Lehnt nicht dort die einst Geliebte?
Sonst so Heitre, nun Betrübte —
Ach, die holden Züge sehn!
Ja, sie ist noch immer schön!
Wird dir doch so alt, so eigen!
Fühlst, wie einst, die Brust dir steigen —
Und du liebst sie doch nicht mehr!
Herz, o Herz, wer kennt dich, wer?
(S. 58)
_____



An die Ungetreue

Ach, wer hilft es mir ertragen,
Daß ich, Schönste, dich verlor!
Ich muß weinen, ich muß klagen —
Und du lebst so hin wie vor.

So entfliegt des Stellers Händen
Seine holde Nachtigall;
Hinter Busch und Blüthenwänden
Folgt er bang ihr überall.

Und er sieht sie, hört sie schlagen,
Schöner nun er sie verlor!
In des Frühlings reinsten Tagen
Gießt sie Leiden in sein Ohr.
(S. 59)
_____



Versöhnung

Laß mich deine Augen trocken küssen!
Hast du denn um mich geweint?
Komm' an meine Brust! laß mich nicht büßen
Was so bös nicht war gemeint.

Senkst du immer noch den Blick zur Erde?
Träumest dir ein falsch Geschick —
Schweigend mit wehmüthiger Geberde
Ziehst du halb die Hand zurück!

Fühlst du nichts für mich in dir sich regen? —
Doch! — ein Lächeln, ach, ein Blick!
Ja, du schenkst mir wieder deinen Segen,
Liebe: der Versöhnung Glück!
(S. 60)
_____



Winterlied

So feiernd heilig
Ruhst du, verschleiert
Im Schneegewande
So still, Natur!

Und drunter klopfet
Voll Frühlingsträume
So warm, so liebend
Dein dichtend Herz;

So stellt sich meine
Geliebte schlafend,
Die ich beschlichen,
Und atmet kaum!

Der Mond beschüttet
Mit Silberflimmern
Die weißen Hügel,
Es gluckt der Bach;

So fließt der Schimmer
Von ihrer Lampe
Auf ihren Busen,
So klopft das Herz.

O welch Entzücken!
Für mich, ach, klopft es!
Dann, wie erwachend,
Umschlingt sie mich!

So wirst du aufstehn,
Natur! schön bist du,
Wie die Geliebte
In jedem Schmuck;

Schön, wie die Rose,
Steht ihr bescheiden
In schwarzem Haare
Das Wintergrün.

O sellig, selig,
In ew'ger Fülle
In jedem Wechsel
Die Brust, die liebt!

Gleich wie die Mainacht
In Safrandämmer,
Aus Blüthenbüschen
Die Nachtigall:

Sei mir gesegnet,
Du Nordschein-Helle!
Du heimlich Flüstern,
Du lange Nacht!
(S. 61-62)
_____



Wiedersehn der verblühten Geliebten

Schütte dich zu, schütte dich zu,
Selige Welt,
Ueber den Liebenden schütte dich zu!

In dem Geflirr nachdrängender Sonnen,
In dem Gewirr verwandelnder Tage
Verblühet die Schöne
Wie deine Rosen!
Wie deine Rosen
Verblühet die Liebe!
Mit Schönheit und Liebe schwindet das Glück,
Und sein Nachtraum: das Unglück! Klage, und Leid!

Schütte dich zu, schütte dich zu,
Heilige Welt,
Ueber die Leidenden schütte dich zu!
(S. 63)
_____



Erstes Gewitter

In die Blüthen,
In die Blätter
Rauscht das erste
Frühlingswetter,
Ruft die erste
Nachtigall,
Aller Blumen
Kelche füllend,
Himmlisch, himmlisch
Zu den Wolken
Aus dem Thal.

Und ich weine
Aus der Fülle
Alter Freuden
In der Stille;
Mir vergebens
Quillst du, Thal,
Säuseln Blüthen,
Junge Blätter,
Rufst du himmlisch
Zu den Wolken,
Nachtigall!

Was ich selig
Einst besessen,
Kann die Seele
Nicht vergessen,
Bringst du wieder
Mir nicht, Thal!
Rosenblitzen,
Blüthenleuchten
Stürzt verwandelt
Mir in Busen
Bange Qual.

Nehmt mich mit euch,
Wolkenhallen,
Zu den alten
Jahren allen!
Wo ihr nachzieht,
Wolken all'!
Ach, ihr laßt mich
Bei den neuen
Blüthenbüschen
Hier im Rauschen
Tief im Thal.

Doch nicht Vorwärts
Ist das Alte,
Nicht ist rückwärts
Das Verwallte,
Nirgend, nirgend
Ueberall!
Wo die Schmerzen
Sind, im Herzen
Lebt es ruhend,
Wie der Glocke
Jeder Hall.
(S. 64-65)
_____



Nelkenflor

Seh' ich euch wieder, Nelken! Ist euch möglich,
So bunt, so prächtig, so gesellig-glücklich
Mir jemals vor die Augen mehr zu kommen?
Und lebt ihr auch noch? — Euere Geschwister,
Ach, sah ich an der mir gestorbenen
Geliebten stillgeschmückter Brust auch sterben!
Drum geht! Geht ihr auch heim, ihr guten Kinder,
Ihr thut mir weh! Und kommt mir nimmer wieder!
Und wollt ihr, wenn ihr heimkommt, mir sie grüßen,
So klagt ihr sanft: ihr hättet mich gesehen
Ich käme bald auch nach euch, wenn nicht schon mit euch!
(S. 66)
_____



Der letzte Frühling

In des Frühlings neuer Milde
Löst sich mir die ganze Brust,
Mit dem jungen Grün im Thale
Regt sich alte Frühlingslust.

Sieh', die Erd' umblühet wieder
Ew'ge Jugend wie zuvor,
Und die Fülle hat sie wieder
Alles, was sie je verlor.

Doch ich fühl's mit Herzensschlägen,
Nicht mehr mein ist dieses Licht;
Mir hat sich dies Haus geschlossen,
Diese Pracht gehört mir nicht.

Glänze, wärme, liebe Sonne!
Blühe, Erd', in alter Pracht!
Meine Thränen abzutrocknen
Hat dein Lebenshauch nicht Macht.

Die mich liebten, die ich liebte,
Gingen ein zum stillen Thor,
Und kein Frühling bringt mir wieder
Was mein glücklich Herz verlor.

Länger wünsch' ich nicht zu leben,
Bis die Rose duftend steht,
Und dann will ich mit ihm gehen,
Wenn der Frühling wieder geht.

Was zerstreut durch's ganze Leben
Einst mir hie und dort geschehn,
Will ich einmal noch versammelt
Und verklärt mit Lächeln sehn.

Hoch im Blau des Kindes Sonne
Dann die Glöckchen weiß und grün,
Wie sich Lindenhallen wölben,
Wie die Hyazinthen blühn.

Wie die Nachtigallen rufen,
Wenn der Mond auf Blüthen scheint,
Wo das Kind einst hoffend sehnte,
Wo der Mann erinnernd weint.

Dir, Natur, ganz hingegeben,
Ruh' ich aus in deinem Schooß;
Köstlich ist's bei dir zu leben,
Sterben auch ist süßes Loos.
(S. 67-68)
_____



Die todte Geliebte

Scheinst du heut auch nur zu schlummern,
Wie, als ich dich leis beschlichen
Jüngst im schönen Maienabend-Zwielicht
Und dein lächelnd Antlitz
Mit Orangenblüthen dir bestreute,
Plötzlich deine regen Arme
Mich, den liebend über dir Gebeugten,
Fest umschlangen, ach,
Zu dir niederzogen!

Wie du, urheiliger Donner,
In ewiger Majestät
Die Wolken durchrollst!
Daß in der Schlafenden
Bekränztem Haar die Rosen schüttern!
Daß die Seele mir schaudert!

Ach, mit welchem Geist
Bin ich umgangen
So vertraut!

Zurück gewandter Arme
Steh' ich schüchternen Auges
Vor dem ruhenden Gebild,
Wie um das gefallene Meteor
Kinder stehn in scheuer Ferne.

Wie sie so schön liegt, wie im Schlaf,
Nur wie im Frühtraum — ach, das hold
Schimmernde Wangenroth
Ist nur der glänzende Abschein von Rosen im Haar;
Ruhig lieget sie da, schön und todt!
Was dem liebenden Sinn
Ewig unmöglich erschien,
Was ich nimmer versteh, glauben nicht kann, nicht mag —
Durch glühende Thränen
Seh' ich's, das Traumbild, und in Worten
Unverstanden und hohl dröhnt's vor dem Ohr:
Sie ist todt!
Vater, warum,
Was du mir gabst, nimmst du's zurück?
Vater? — ich kann, wenn du es bist,
Dich nicht lieben; du bist schrecklich,
Ich schaudre vor dir!
Ach so vergieb fehlendem Wort,
Denn es verwirrt folternde Angst
Ja nur um das, dem du so schön,
So klagwürdig zu sein selber gabst,
Dumpf mir den Sinn!
Was du mir gabst, nimmst du zurück!
Schweigend und unabwehrlich geschieht
Auf Erden, was dein himmlischer Will' allen verhing;
Nimmer begehr' ich es von fern aus zu spähn!
Walte du dort, Heiliger, von deinen Höhen,
Walte du dort über uns, über mich! —
Hienieden nur
An die sterbliche, mitleidende Brust
Will ich mich schmiegen, sanft an ihr weinen
Geschlossenen Aug's und so ertragen
Dein vorüberbrausend Geschick!
Aber die einzige mir noch übrige Brust, wo ich es litt
Gern all' dein vorüberbrausend Geschick —
Hier liegt sie mir kalt!
Und es schlägt in ihr kein Herz
Mehr für mich!
Fern ist der treu liebende Geist, fern entflohn,
Schwergeschlossen das sanft blinkende Aug',
Und die einst mich so süß tröstende Lippe
Schweigt so tief! grausam, so lang! —
Ach, ist dir nun deines Geliebten
Unsäglichster Schmerz
Gleichgültig so bald, so ganz!
Vertilgt aus der Brust jegliches auch noch so leise
Zagen um das erschrecklichste Geschick deines Geschlechts,
Treulose, seit dich des Tod kaum umschlang!

Schwermüthiger, schweig!
Ehrt auch dein Herz nicht den Gehorsam der Todten!
Darann erkenn's — daß sie dich nicht
Tröstet, daß sie kein Wort,
Keine Thräne für dich hat, den sie so
Liebte — daran, daran erkenn's:
Ja, sie ist todt! ja, sie gehört jetzo dem Gott!
Hörst du ihn hoch donnern? Er ist's!
Ach, ich entsag' ihr, ich entsage!
Senkt sie ihm hin!
Segen und Heil! Fried' und Ruh über ihr!
Still, sie ist sein!
Lieben nur will ich sie noch auch bei ihm!
Wohl mir, und wohl, schlafendes Ohr, auch dir,
Daß du dies Liebe-schwerlästernde Wort nicht vernahmst,
Die du gefolgt, selige Jungfrau, bist dem himmlischen Beruf,
Frommen unschuldigen Gangs!
O daß ich nun ganz Einsamer auch
Durch des Lebens Unglücks-Labyrinth
Schuldlos und rein trüge mein Herz!
Bis das wohlthätige Grab —
Jeglichen gern bergend, der keinen Trost,
Keinen Rath für die Leiden mehr
Hat, die das Leben bringt —
Meinen Schmerz bald auch verbirgt,
Und mich.
(S. 69-72)
_____



Die Locke

Du, ihre Locke, wenn ich dich nicht hätte,
Nicht immerfort auf meinem Herzen fühlte,
Das nur, um länger Ihrer zu gedenken,
Noch länger wünscht zu schlagen, dann bedünkte
Mir alles jenes Glück der ersten Liebe,
Die Wonne bei ihr, mit ihr — nur ein Traum!

Doch ruht einmal mein Auge über dir,
Geschieht mir, als versänk' ich in die Tage,
Wo sie mich liebte, in die heil'ge Nacht,
Ach, wo sie mein ward! glänzt mir jener Mond,
Mild, wie in einer Grotte, schmachtet sie
Vor Macht der neuen Wonne hingebeugt;
Dann sanft, so wie ein Geist, zu seiner Klarheit
Auf hebt sie ihr erblaßtes schönes Antlitz
Und birgt sie selig es vor ihm, an mir!
Fühl' ich ihr Zucken, ihre Lipp' an meiner
Lebendig! — dünkt mir dieser Himmel heut
Mit seinen Wolken selbst, dies neue Thal,
Der Glanz, der Schmelz, dies Grüne — nur ein Traum!

So kommt der Lenz in tausendfacher Schöne,
Die Sonne waltet, wirkt die Blumen aus,
Und goldenschön umgürtet sich die Erde;
Ein ungemeßner Reichthum steht dir offen —
Von Allem pflückst du Eine Rose dir!
Doch wendet bald die Sonn' ihr herbstlich Auge,
Mit seinem Schönen schließt der Himmel zu,
Und nur die Rose bleibt dir, fort, unläugbar.
Mit sanfter Gegenwart: in welchem Himmel
Du, göttlichen Besitzes voll, gewandelt.
(S. 72-73)
_____



Die Johanniswürmchen

Heimlich streut' ich euch, ihr Funken,
Ihr in's Haar, ihr in den Busen,
Als sie süß in Schlaf gesunken
Hier am schwülen Abend saß.

Mit der kleinen Blendlaterne
Sanftes grünes Licht verbreitend
Gingt ihr lieben, goldnen Sterne,
Ach, nicht wissend, wo ihr gingt. -

Wieder fliegt ihr sternverdunkelnd -
Sucht sie! - Sucht sie nicht im Grünen!
Doch - da schläft sie, von euch funkelnd,
Unter diesem grünen Gras!
(S. 74)
_____



Die letzten Tage

Nun hab' ich Ruh' in meinen letzten Sonnen;
Die Stürme dieses wilden Herzens schweigen,
Es schließt sich, gleich dem Mohn, bei Sonnenneigen,
Und mit der Hoffnung ist die Qual verronnen.

So schließt das Jahr auch heiter, wie's begonnen:
Längst heimgezogen sind der Wetter Reigen,
Der Herbst will noch im vollen Schmuck sich zeigen,
Und gleißend ruhn die Fluren übersponnen.

Auf Wolken bin ich durch die Welt gezogen,
Hoch überschau'nd der Erde Herrlichkeiten,
Und selig lebt ich droben ew'ge Zeiten!

Nun trug mich auf den Berg ein Regenbogen.
Du warst's, die mich so selig macht', o Erde!
Und gern steig' ich zu dir in's Grab, o Erde!
(S. 75)
_____



Vollmondnacht

Jüngling
Wieder herauf schwebst du, o Mond,
Wieder wie da glänzend und schön
Als ich noch froh dich kommen sah.
Sieh, denn du kamst denen zugleich
Dämmernd, die ich liebend-geliebt
Völlig-beglückt einzig besaß!
Wieder herauf schwebst du, o Mond,
Immer noch voll! — Aber dein Freund
Weinet seitdem lange schon, ach,
Ueber der Welt eilend Geschick!
Wie? — du verbirgst, Seliger, dich
In des Gewölks düstres Gezelt!
Kannst du noch nicht Thränen im Aug'
Einsamer Treuliebender sehn?


Mond
Selig sind die Todten.
Wohl der Erd' entgangen,
Sind sie doch im Kreise
Wo die Sterne wandeln.
Sieh', ich komm' und gehe
Leuchtend dir und schwindend —
Und schau' , wie die Todten,
Stets der Sonne Antlitz.
Alle deine Todten
Schau' ich auch; sie lächeln,
Daß du drunten weinest.
Selig sind die Todten.
(S. 76)
_____



Brautlied
An . . . . . .

Zwei schöne, hold sich ähnliche Gestalten
Seh' ich sich nahn mit rosigem Gesicht —
Für wen im Heiligthum muß ich euch halten?
Nicht fremd, kenn' ich bezaubert jetzt euch nicht!
Um euer Antlitz schwebt ein Glanz, ein Ahnen,
Die an den letzten Schöpfungstag mich mahnen.

Aus sel'ger Tiefe seid ihr aufgestiegen,
Aus ew'gem Element seid ihr gewebt,
So alt, wie dort die Felsen um euch liegen,
So jung, wie sich die Ros' am Busen hebt!
Die Sonne sieht an euch mit Göttergnüge
Des ersten Menschepaars gottgleiche Züge.

Was jenes sternevollen Aethers Hallen
Durchströmt, ernährt, mit Schönheit sie erhellt,
Was mächtig in den alten Jahren allen,
Was einst noch künftig alle Knospen schwellt —
Durch eure Adern fühlt die Ströme rinnen,
In eurem Geist den Geist der Geister sinnen!

Zwiefach getheilt, und Eins in Zwei Gebilden,
Und Mann und Weib, und Weib und Mann zugleich
Ist die Natur, in ihren tausend Gilden,
In Meer, in Luft, in ihrer Blumen Reich;
Ihr seid sie selbst! so fühlt euch Eins in Zweien,
Und Zwei in Einem! und bald Eins in Dreien!

Fühlt euch in jenen Tausend, die da kamen,
Auf deren Grabespyramid' ihr steht,
Und in den Tausend, wie die Blumensaamen
Des Lebens Sturm noch auf die Erde weht;
Ihr lebt, ihr liebt, ihr schaut die späten Räume —
Des Schöpfers Worte blühn so schön wie Träume!

Die Sterne werden eure Reihn begleiten,
Die treu des Nachts mit jedem Wandrer ziehn,
Die Sonne folget ihnen in die Weiten,
Die Erde wird um ihre Füße blühn,
Wie heut, wird hell um eure letzten Söhne
Der Himmel ruhn in seiner ersten Schöne!

Wie viel auch Häupter treten vor die Sonne,
Jedweden schenkt sie Morgens einen Tag;
Jedwedes Veilchen hat in voller Wonne
Des Frühlings ganzes leuchtendes Gemach!
Der Mensch, von tausend Wesen unverkümmert,
Hat eine ganze Welt, die rings ihm schimmert.

Und wie geheimnißvoll in sich verborgen
Die Rose — aller Rosen Leben trägt,
Die blühn noch werden alle Sommermorgen,
Und welche ihren Schmuck schon abgelegt,
Wie aller Rosen Duft in Jeder glühet,
Wie aller Rosen Bild in Jeder blühet:

So zuckt durch eueres Geschlechtes Glieder
Das gleiche Weltgefühl, die gleiche Lust
An goldnem, magischem Geflecht hernieder,
Und jede Brust genießt, was aller Brust,
In jedem Haupte flammt das Feuer helle,
Und Alle werden Eins an jeder Stelle.

Genieße denn der Welt, die euch gegeben,
Voll Liebe! in der Liebe liegt die Treu;
In Treue: Fried' und Glück und sel'ges Leben,
Die Liebe macht das Alte ewig neu!
Und so verjüngt in euch der Menschheit Tage,
Vom Paradies die alte schöne Sage!
(S. 77-79)
_____



An die Sonne
Canzone

O heil'ge Sonne, die mir hold den Schleier
Von allem Schönen auf der Erde hebet,
Und sie, die Allerschönste, lieblich zeiget,
Für die mein Busen brennt mit ew'gem Feuer,
Die aber streng in hohem Kreise lebet
Und wie mein Auge spricht mit ihrem schweiget —
Mit Dank erkenn' ichs, heil'ge Sonne!
Durch dich empfind' ich diese Wonne;
Durch dich seh' ich ihr Auge nur erhellet,
Durch dich des Nackens Schneesglänzen,
Daß braune Locken köstlich sie bekränzen,
Daß süßer Hauch den Hebebusen schwellet —
Doch auch durch dich nur fühl ich mich zernagen,
O Sonne, bitter muß ich dich verklagen!

Denn nur durch dich sind stolz und reich die Reichen!
Durch dich gilt Gold und helle Diamanten,
Durch dich sind Prunk und Tand und eitle Güter,
Durch dich muß oft die reinste Lieb' erbleichen,
Die besten Herzen sind die streng verbannten,
Unselig werden selige Gemüther!
Wonach du siehst die Menschen ringen
In deinem Reich — kann ich's ihr bringen?
Und so verschmäht sie auch die stille Treue,
Ob sie das Herz schon nicht verkennet,
Wie still-bescheiden, doch wie heiß es brennet!
Drum seufz' ich auf zu jener Himmelsbläue
Und wünsch': O Sonne, sänkst du doch hernieder
In ew'ge Nacht, und nimmer kämst du wieder!

Dann herrschten schöner nur die bessern Sterne,
Und manchmal zöge leis der Mond vorüber,
Dann wär' das sel'ge Reich der sel'gen Liebe!
Was jetzt sie kränkt, das blieb' ihr ewig ferne,
Das Auge würde nicht von Thränen trüber,
Wenn, was sich fand, froh bei einander bliebe! —
Ihr — dürft' ich keinen Namen nennen,
An Liebe würde sie mich kennen:
An meinen Armen, die sie sanft umschlängen,
Am Herzen, das laut-hörbar schlüge,
Am Lispeln, das nur: "Liebst du mich auch?" früge,
An Lippen, die nach tausend Küssen rängen —
Und ach, was wollte sie dann Lieber's haben,
Als solch' ein Herz, wie dir's die Musen gaben?

Doch weg du Traum, du Bild des ew'gen Lebens! —
Die graue Wolke malt schon Mörgenröthe,
Die Erde wird schon licht, am Berg', im Thale —
O Sonne, komme nicht! — Ich fleh' vergebens!
Sie grüßt der Vögel Lied, des Hirten Flöte;
Und sie bedankt sich rings mit goldnem Strahle;
Und ich, ich grüße sie mit Thränen,
Verschließe in der Brust mein Wähnen,
Und wandle düster über Wies' und Matten,
Im doppeltreizbar tiefen Herzen
Auch doppeltgroße, doppelttiefe Schmerzen;
Und ziehe in des Waldes dunkle Schatten,
Um sie zu fliehn! nicht ihr wo zu begegnen,
Das Auge licht vor Hoffnung — der verwegnen!

Canzone, wie? — Die Liebste schickt dich wieder?
Ich beuge mich voll Wehmuth auf dich nieder —
Und sieh, — da steht mit ihrer Hand geschrieben:
"In Stolz verhüllt sich schonend banges Lieben!
Ich weine, so wie du! Doch jene Sonne
Schaut nichts umsonst, nicht dein noch mein Betrüben!
Sie sieht sie schon voraus die schönen Tage,
Darin du mir, wie Träum', erzählst die Klage! —
Doch Alles sieht Sie nicht! — ich glüh', ich zage! —
Der Mond nur sieht — dein junges Weib — vor Wonne. —"
(S. 80-82)
_____



Im Verglänzen der Morgensterne
Sestine

Wie viele gab ich wieder an den Himmel,
Seit ich hier wandle auf der schönen Erde!
Ich seh's, sie bleiben aus von Tag zu Tage,
Vergebens blick' ich Nachts zu jenen Sternen,
Und nicht enträthseln kann ich diese Wunder,
Die widerfahren sind der frommen Seele.

Warst du denn immer einsam, liebe Seele?
O nein, nicht längst erst kehrten sie zum Himmel,
Vor meinen Augen selbst geschahn die Wunder;
Wir wandelten zugleich auf dieser Erde,
Wir blickten Nachts zugleich zu jenen Sternen —
O wie so falsch sie sind, die hellen Tage!

Die Todten bleiben aus von Tag zu Tage —
Zu hoffen hört nicht auf die treue Seele;
Der Abend kommt mit seinen schönen Sternen,
Die Sonne steigt empor am Rosenhimmel,
Die tausend Blumen kehren auf die Erde —
Und in den Wundern hofft die Liebe Wunder!

Und nimmt dein Schicksal denn so sehr dich Wunder?
Aus sonnigem Gespinst bestehn die Tage,
Und immer Sterbliche nur trug die Erde!
Doch unsichtbare Schwingen hat die Seele.
Sieh, fertig schon umwölbt auch dich der Himmel,
Und schon bestrahlt dich Glanz von jenen Sternen!

Und weinst du nur zu den geweihten Sternen!
Geschehn nicht unaufhörlich alle Wunder?
Seit jener Zeit geschlossen wär' der Himmel? —
Gedulde dich noch gern die kurzen Tage,
O allzu treue, allzu bange Seele,
Dann senkt man dies Gebein auch in die Erde.

Dann lebe wohl, du neugeschmückte Erde!
Du lebe wohl, o Nacht, mit deinen Sternen,
In heil'gen Schlaf versenkt entschwebt die Seele. —
Doch leb' ich noch, und fasse kaum die Wunder:
Wie Taubenflügel, angeglänzt vom Tage,
Dehnt seine Morgenwolken aus der Himmel!

Wie stärkt die Nacht mit Glauben an den Himmel!
Ach, welche Liebe flammt sie in die Seele!
Und welche Hoffnung träuft wie Thau zur Erde!
(S. 83-84)
_____



Die Welt macht Schlaf
Sestine

Die Mutter trägt ihr Kind hinaus zum Frühling,
Zeigt ihm die Blüthenbäume rings, die Blumen,
Zum erstenmal! und Wolken, Berg und Sonne —
Doch von dem Glanz geblendet, von den Liedern
Der Vögel ganz berauscht und von den Düften,
Lehnt sich's an ihre Brust und sinkt in Schlummer.

Und dort, versenkt in einen tiefern Schlummer,
Begräbt man einen Greis im hellen Frühling!
Was liegt Berauschendes doch in den Düften?
Was Sinnbetäubendes in Erdenblumen?
Was Schlummerbringendes in Frühlingsliedern?
Was hast du Tödtliches an dir, o Sonne?

Als Kindern nur gehörst du uns, o Sonne,
Wahrhaftig an! Da ist uns Schlummer: Schlummer
Wir staunen tief den nie gehörten Liedern,
Wir leben draußen ganz im schönen Frühling
Und unsere Geschwister sind die Blumen,
Kaum daß die Nacht uns trennt von ihren Düften.

Dann tritt die Menschenwelt aus Nebeldüften,
Hoch in den Aether steiget uns die Sonne!
Mit Füßen treten wir die armen Blumen,
Wir sehnen uns am Tag, und Nachts im Schlummer,
Vergebens naht dem schweren Sinn der Frühling,
Er wird uns alt mit seinen alten Liedern!

Nur wann wir lieben, ruft uns aus den Liedern
Der Geist der Welt noch einmal, aus den Düften!
Den Himmel dann bedeutet uns der Frühling,
Nichts ist sie, sie bedeutet nur die Sonne,
Der Glückliche verwünscht sogar den Schlummer,
Nur Liebeszeichen sind uns noch die Blumen.

Zuletzt bedeuten uns sogar die Blumen
Nichts mehr! Wir hören in der Vögel Liedern
Nur alter Tage Stimmen wie im Schlummer;
Ein bang Erinnern weht uns aus den Düften,
Vergangner Tage Bild nur bringt die Sonne,
Verlorne Wonne däucht uns nur der Frühling! —

O Kind! entschlafen kannst du hier im Frühling?
O Greis! — begraben kann man dich in Blumen?
Und auf sie beide lächeln kannst du Sonne!
(S. 85-86)
_____

Aus: Leopold Schefer's ausgewählte Werke
Zehnter Theil: Gedichte
Berlin Verlag von Veit und Comp. 1846

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Schefer



 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite