Siegfried Schlösser (1896-1916) - Liebesgedichte



Siegfried Schlösser
(1896-1916)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Aus: Sonette aus dem Schützengraben

Zwischenspiel aus der Heimat (1915)

1.
O Geist, der in mir wogt und nicht wie früher
Sich ungebärdig weist und rasch verlodernd,
Du bist mit deinem stillen Feuer glüher
Und ehrlicher. Auch du bist Mannheit fodernd.

So sei begrüßt denn in der neuen Weise,
Die du zur Schau trägst als ein mehr Gereifter.
Jetzt kommst du ernsten Tritts zu mir und leise,
Und nicht, wie ehmals, als ein Ausgeschweifter.

O daß du lang mein Herz erquicken mögest,
Das schon zu viel am Männerkampf erlitten,
Daß du als froher Bote kommen mögest
Der Liebe, die ich nie seither erstritten.

Laßt mich vergessen Waffen, Tod und Mühen
Der düstren Zeit und der doch wonnevollen.
Laß wechselnd Mannheit in mir auferblühen,
Die meine Sinne liebend fühlen wollen.
(S. 23)
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2.
Ja: scheltet nur und höhnt, es zieme nimmer
Zu dieser Zeit mit Hand und Lipp' zu kosen!
Schweigt euer laues weibisches Gewimmer,
Auch jetzt sind goldne Tage goldner Rosen!

Wer so wie wir bloß noch den Haß empfunden,
Nicht Frieden kannte, nur noch heißes Streiten,
Der muß an reifer Liebe neu gesunden,
Dem Frohsinn frönen auch in ernsten Zeiten.

Lernt dies von uns, die wir die Liebe lange
Entbehren mußten, nur von ferne kannten:
Laßt lieben uns in reinem Überschwange
Und wißt, daß wir im Lieben auch ermannten!
(S. 24)
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3.
Wohl kenn' auch ich des Mannes heil'ge Pflichten,
Den Kampf für Kaiser, König, Vaterland.
Der hat mein tiefstes Wesen nicht erkannt,
Der meint, ich könne schwärmen nur und dichten.

Auch ich bin auserkoren, mitzurichten,
Es trug des Kriegers Wehr auch diese Hand,
Mein Leib ist schon gezeichnet und gebrannt,
An Wange, Arm und Fuß kann man es sichten.

So ist's, so war es mir vergönnt zu fechten
Für meines Königs mütterliches Reich.
Zählt mich drum nicht zur Schar der Lauen, Schlechten;

Ist auch von Liebe meine Seele weich,
Träum' ich mich wund und weh in toten Nächten,
Bin ich doch Mann, und einer von den Rechten!
(S. 25)
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4.
Herzzwingerin, die mich zufrühst bezwungen
Und in mir zeugte erste Liebeskraft,
Glutschürende, die mich entfacht zur jungen
Undämmbar jugendstarken Leidenschaft!

Du brachst in göttlich-hoher Eigenschaft
Die Bande kühn, die, um mein Herz geschlungen,
Unbrüchlich bisher blieben, eisenhaft;
Du Erste hast mein Lieben dir erzwungen.

Du sprachst zu mir - vielleicht war's nicht dein Willen -
Zum erstenmal das Losungszauberwort,
Du lehrtest mich die Liebe fort und fort.

Und nichts soll meine heißen Wünsche stillen? -
Ein zweites Sesam mög' mich glücklich machen:
Gib mir zurück das langverlorne Lachen -!
(S. 26)
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5.
Ich ehre stets dein heiliges Empfinden,
Und wenn das Herz mir tausendmal zerbricht.
Denn über allem steht die ernste Pflicht.
Wie aber soll ich es gefaßt verwinden?

Ich kann Gefühle nicht an Ketten binden,
Bezähmen nie, was fiebernd in mir spricht.
Weh dem, der um verlorne Sache ficht,
Er wird auch mutig keinen Frieden finden.

So tröste jetzt mich noch, den Freudelosen,
Mach' mir die letzten, kurzen Stunden schön.
Träufle mir weiter Regen roter Rosen,

Und laß mich tief in deine Augen sehn.
Mir fiel das schrecklichste von allen Losen,
Ich muß verzichtend übrall weitergehn.
(S. 27)
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6.
(Du singst:)
Ich darf mich nicht an deinen Gluten wärmen,
Und wollte ich's auch viele tausend Mal.
Mein Herz vergeht in zwiegespaltner Qual,
Seh ich dich meinethalben schmerzvoll härmen.

Wie auch im Aufruhr meine Geister lärmen,
Weil ich es bin, die dir die Ruhe stahl,
Wie auch das Mitleid spricht, mir bleibt nicht Wahl,
Ich kann nur für den einen liebend schwärmen.

Verzeihe drum, darf ich dir das nicht geben,
Wonach dein sehnsuchtskrankes Herz verlangt.
Für ihn muß ich in allem Denken leben,

Dem meine Seele ihre Liebe dankt.
Dir kann ich nur mein Mitleid noch vergeben,
Weil auch für dich mein Herz in Unruh bangt.
(S. 28)
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7.
Kann eine Nacht voll Dunkel endlos währen?
Nein, einmal muß sie milder Sonne weichen!
Kann eine Trübsal ewig uns beschleichen?
Der Frohsinn muß doch einmal aufbegehren!

So hoffe, Herz, und lasse dich belehren.
Der Nacht ist deine Schwermut zu vergleichen.
Die Sonne wird auch deine Qual erreichen
Und sie in eine süße Freude kehren.

Doch mußt du in Geduld dich vorbereiten,
Um von der düstern Schwermut zu gesunden.
Sind sie noch unerschöpft, die trüben Zeiten,

Es kommt der Tag, an dem sie überwunden.
Dann wird die Sonne dir entgegenschreiten
Und heilen deine nachtgestalt'gen Wunden.
(S. 29)
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8.
Gedenkst du noch der schönen Tage dessen,
Der zagend kam im ersten Morgenrot,
Der sein erglühtes Herz dir bebend bot,
Des Lieben jungstark war und unermessen?

Hast du des holden Tagewerks vergessen,
Ist die Erinnrung selbst, die zarte, tot?
Entsinnst du dich der wilden Liebesnot,
Von der sein Fühlen durch und durch besessen?

So werd' ich einst nach langen Monden fragen
Und bange lauschen, was dein Herz dann spricht.
Mich quält schon jetzt: Was wirst du darauf sagen?

"Ich dachte seiner, ich vergaß ihn nicht?"
Doch wenn du widerriefst, wie sollt' ich tragen
Den zweiten, doppelt schmerzlichen Verzicht?
(S. 30)
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Aus: Sonette aus dem Schützengraben
Nebst einem Zwischenspiel
aus der Heimat und einem Anhang 1915 / 16
von Siegfried Schlösser
Leipzig 1916 Verlag von Gideon Karl Sarafin

 


Biographie:

Siegfried Schlösser, geboren den 31. Mai 1896 zu Jena, trat im August 1914 als Kriegsprimaner zu Weimar ins Heer ein und wurde im Dezember als Angehöriger des Reserve-Regiments 236 vor Poelcapelle schwer verwundet. Nach seiner Genesung ward er im Mail 1915 als Fahnenjunker in das Württembergische Reserve-Regiment 121 aufgenommen, in dessen Reihen er auch bis zu seinem Ende verblieb, obwohl er seit Oktober 1915 bei den Heilbronner Franz-Josef-Füsilieren Nr. 122 geführt wurde. Er fiel am Morgen des 1. Juli 1916 vor Beamont-Hamel.


 

 


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