Johanna Schultze-Wege (1844-?) - Liebesgedichte

Johanna Schultze-Wege

 


Johanna Schultze-Wege
(1844-1918)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:






Sonett

Wie ich Dich liebe, möcht' ich gern Dir sagen,
Wie all mein Denken Dir sich muß verbinden,
Zum schönen Kranze möcht' ich für Dich winden
Mein süßes Glück und meine stillen Klagen.

Doch was ich auch ersann, fühl' ich entschwinden,
Wenn Du mir nahest, und mit bangem Zagen
Mag ich es nimmer auszusprechen wagen,
Die rechten Worte weiß ich nicht zu finden.

Nicht eigenmächtig kann den Schritt ich lenken,
Du schriebst die Bahn mir vor, nun muß ich immer
Umkreisen Dich, Du wunderbare Sonne.

In Deiner Nähe flieht, ein matter Schimmer,
Vergangenheit und Zukunft meinem Denken,
Dann fühl' ich nur des Augenblickes Wonne.
(S. 183)
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Die Verlassene

O Mutter, ich hab's nicht geglaubt,
Als Du ihn falsch genannt,
Nun beug' ich demutvoll mein Haupt
Auf Deine teure Hand.

O zürne nicht, daß Deine Lieb'
Um seine ich vergaß,
Weil ihn, zu dem mein Herz mich trieb,
Nach meiner Lieb' ich maß.

Ich litt um ihn, ich sorgt' um ihn
So manches lange Jahr,
Nun fühl' ich all mein Denken flieh'n,
Das so vergebens war.

Mir ist, als bräch' die ganze Welt
Zusammen unter mir,
Wie Lieb' und Treu' zusammenfällt,
Zerbricht mein Herze schier.

O Mutter, wenn das Herz mir bricht
In Gram und bittrer Reu',
Verläßt doch Du, nur Du mich nicht,
Nur Mutterlieb' ist treu!
(S. 183-184)
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Herbstesglanz

O köstlich Leuchten des Oktobertages!
Wie Gold und Purpur glüht der Bergeshang,
Ein Farbenwunder jeder Baum des Hains,
Wie es dem besten Künstler nur gelang.
Ein duft'ger Schleier hüllet weich die Ferne;
Die Saale windet sich im Thal entlang,
Auf ihrer Fläche blinkt's wie Silbersterne;
Bis hier herauf tönt ihres Wehres Rauschen,
In Waldeseinsamkeit wie mag ich gerne
Dem ewiggleichen Wellenliede lauschen!
Nicht möcht' ich jetzt mit fürstlichem Palaste
Den stein'gen Sitz am Bergeshange tauschen,
Wo ich so weltvergessend friedlich raste.
Ein linder Lufthauch wehet in den Bäumen
Und raschelt leis am halbentlaubten Aste,
Ein letzter Seufzer ist's des schon in Träumen
Versunk'nen Waldes, der den Winter ahnt.
Die schlichten Blümchen, die ihn zierlich säumen,
Erfreuten mich, als ich mir Weg gebahnt
Durch dürres Laub, das unter meinen Füßen
Dumpfrauschend an vergang'ne Wonne mahnt.
Als es noch grün, lauscht' ich der Hoffnung Grüßen,
Noch einmal glaubt' an Jugend ich und Glück,
Doch mußte schwer den kurzen Traum ich büßen,
Von meinem Herzen brach damit ein Stück,
Der Freude Becher brach in meinen Händen,
Die bittre Hefe nur blieb drin zurück.
Doch groll' ich nicht, es mußte so sich wenden,
Wie schwer es war, will ich doch nicht mehr klagen;
Ich wußte ja, mein Sommer mußte enden,
Der schönen Jugend muß Valet ich sagen;
Mir wie dem Walde ist der Herbst gekommen,
O könnte ich wie er als Schmuck ihn tragen!
So prächtig ist noch einmal er entglommen,
Sein Herzblut sieht er stille lächelnd rinnen,
Das Sonnenglut gegeben und genommen.
Des Sommers zarte Silberfäden spinnen,
Wehmüt'ge Zier dem Liebling noch im Scheiden,
So lichten Schleier, wie einst beim Beginnen,
Als woll'ge Kätzchen sproßten an den Weiden.
Es strahlt der Himmel in azurner Bläue,
Als wollt' er zeigen, daß trotz Sturm und Leiden
Er stehen bleibt in klarer fester Treue,
Auf daß er, wenn der Winter hingeschwunden,
Im neuen Lenz die alte Lust erneue.
Hab' ich auch mir nicht solchen Trost gefunden,
Will ich doch in den Zauber mich versenken
Der Waldesruh' in diesen stillen Stunden,
Vergang'ner nicht noch künft'ger Stürme denken.
(S. 184)
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Winternacht

Der Schnee deckt die Erde, 's ist dunkel und kalt,
Der Wintersturm brauset und schüttelt den Wald,
Er peitschet die Wolken am Monde vorüber,
Und schneller nun kommen sie, trübe und trüber.
"Willkommen mir, Finsternis, Stürme und Schnee,
Ihr stimmet so gut zu dem eigenen Weh!
Da drinnen ist's dunkel, und nimmer ruht
Der trüben Gedanken stürmische Flut.
Ihr Sturmbezwinger, dem Winter gesellt,
Ihr Nebelgestalten der Schattenwelt,
Ich ruf' Euch, der Schwere des Kampfes bewußt,
O lehrt mich bezwingen den Sturm in der Brust!
Erfüllet mich mit der uralten Kraft,
Die stets aus dem Winter den Frühling erschafft.
Sowie der Mond aus dem Nebelthor,
Ihr alten Götter, hervor, hervor!
Und siehe, auf eilenden Wolkenrossen
Sie kommen, sie kommen in herrlichen Trossen,
Sie folgen dem Rufe durch Nacht und Graus
Mit Mondenschimmer und Sturmesbraus.
"Heil, Odhin, Du Alter, so weise im Rat!
Heil, Frigga, Du Güt'ge in Wort und in That!
Wie schwingest Du kräftig den Hammer, o Thor;
Wie mächtig auch steigest Du, Tyr, empor;
Wie schauest so listig Du, Loke, drein,
Die Locken umspielet von züngelndem Schein.
O Braga, wie klinget Dein Heldengesang
So herrlich zu goldener Harfe Klang!
Gegrüßt sei mir, Freya, holdselige Frau,
Wie Mondenlicht lieblich und Morgentau,
Mit Deinem Bruder, der wonnig im Lenze
Uns immer erneuet die duftigen Kränze,
Wie naht Ihr, Walkyren, in grauser Pracht,
Wie Wetterleuchten der Sommernacht!
Willkommen, Ihr Helden alle und Frauen,
So mächtig, so prächtig, so lieblich zu schauen,
Ihr Hohen und Starken, ich sage Euch Dank,
Daß Ihr gekommen, mein Herz ist krank.
Nun eilt nicht vorüber, o höret mich an
Und sagt, wie den Sturm ich beschwichtigen kann!

Weit hinter mir liegt, ach! weit zurück
Der Kindheit Wonne, der Jugend Glück.
Ja, ich war glücklich, in mutigem Hoffen
Sah ich den Himmel auf Erden mir offen.
In träger Ruhe nicht hab' ich gelebt,
Ich habe gerungen und rastlos gestrebt,
Doch meiner Mühe erwuchs keine Frucht,
Und nimmer, ach, fand ich, was ich gesucht;
Was ich erstrebte, erreichte ich nicht,
Und nun erlosch auch der Hoffnung Licht.
Ich habe immer das Beste gewollt
Und habe nie mit der Menschheit gegrollt,
Doch glaubet man nicht, wie gut ich es meine,
Und schilt, daß aus eitler Selbstsucht ich weine.
Ach, Thränen sind es verlorenen Lebens,
Das nimmer müßig und doch so vergebens,
Was ich als Segen bei anderen fand,
Zum Fluche ward es in meiner Hand.

Ich wollte sammeln und mußte zerstreuen,
Und wo ich beglücken gewollt und erfreuen,
Da schuf ich nur Herzleid und Ungemach,
Daß selber mir fast das Herz drum brach.
Mit bunter Sorge hab' ich mich gequält,
Ich habe gestrauchelt, geirrt und gefehlt;
Viel hab' ich bereuet und schwer auch gebüßt,
Mit Arbeit nur hab' ich mein Leben versüßt.
Nun nahen des Alters traurige Stunden,
Und mit dem Mut ist die Kraft mir entschwunden.
Wozu denn dienet der gute Wille?
Er hilft keinem andern, mich macht er nicht stille.
Wozu noch wirken und kämpfen und ringen,
Wenn keine Hoffnung mehr auf Gelingen?
Wozu das ganze erbärmliche Leben,
Das nie sich vom Staube kann erheben?"

Da rief mir der mächtige Geisterchor:
"Nicht frage wozu, nur vorwärts, empor!
Fragt denn die Sonne, wozu ihr Licht?
Und fraget der Sturm, wie viel Bäume er bricht?
Verloren im Weltall ist keine Kraft,
Die still nach dem ew'gen Gesetze schafft.
Frag' nicht, wer es gern sieht, frag' nicht, wem es nützt,
Nur siehe, was Dich vor Verderben schützt;
Thu' immer das Gute, soviel Du vermagst,
Doch thöricht ist's, wenn nach Danke Du fragst.
Nur nicht verzagen, nur Mut, nur Mut!
Was gut gemeint ist, wird endlich auch gut.
Nicht Stürme mehr fürchte und dunkles Geschick
Und vorwärts nur wende den mutigen Blick.
Dir nützt nur das Licht, dem entgegen Du siehst,
Verfolgen wird Dich der Sturm, den Du fliehst!"

"Ich dank' Euch, Ihr Guten, für Eueren Rat.
Ja, ich will weiter pflegen die Saat,
Will weiter wirken und fragen nicht,
Wie Winde, Wolken und Sonnenlicht.
Ihr habet die Kräfte mich brauchet gelehrt
Und habet den Mut mir, den lassen, gemehrt.
O gebet mir nun auch den Frieden zurück,
Im Frieden nur blühet des Menschen Glück.
Wo weilet Balder, der wonnighelle,
Des Guten Beschützer, des Lichtes Quelle?
Erbittet für mich von dem Freundlichen, Reinen,
Daß er mir ins Herz läßt die Sonne scheinen.
Welch dunkles Geschick mir auch sei beschieden,
Nur gebt in die Seele mir Frieden, Frieden!
Was hüllet Ihr nur ein das Angesicht
Und schweiget und weinet und redet nicht?
O ich beschwör' Euch, Ihr Nachtgestalten,
Ihr mächtig hohen Naturgewalten,
Erhört meine Bitte, o höret mich an,
Und sagt, wie den Frieden ich finden kann!"

Da ballten die Wolken sich finster zusammen,
Und Blitze zuckten in röthlichten Flammen,
Da tönte, vom Sturmesfittich getragen,
Es mir wie Seufzen und wildes Klagen:
"Wir wallen und weben in dunkler Nacht,
Wir glühen und sengen in Sommerpracht,
Wir bringen den Winter und brechen das Eis,
Wir schmücken und wir entlauben das Reis,
Wir haben die Kraft, die das Dunkel bricht,
Den Frieden aber, den haben wir nicht.
Ach, Balder, der holde, ist von uns gegangen!
Doch schmückt sich die Erde mit neuem Prangen,
Und schwellen die Knospen am Baum und Strauch,
Dann geht durch die Welt ein Liebeshauch.
Vom Winter zum Lenze, vom Dunkel zum Licht
Du hörest die Mahnung, verachte sie nicht.
Und tönen die Glocken dann weit umher,
Am Ostefeste erstehet der Herr,
Der, schöner als Balder und Lenzessonnen,
Das Licht ist der Welt und des Friedens Bronnen.
Er lehrt Dich die Liebe, die nimmer vergeht,
Die heilig und rein wie ein stilles Gebet,
Die, welches Weh ihr geschehen, vergibt,
Die tilgt alle Schuld, weil allmächtig sie liebt.
Sie hellet das Dunkel und machet Dich frei,
Daß Frühling und Ostern im Herzen Dir sei!"
(S. 184-186)
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Gedichte aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885

Biographie:

Schultze-Wege, Frau Johanna, Ps. J. Wege, Weimar, Junkerstrasse 45, ist am 15. Dezember 1844 als Tochter des Apothekers Fr. Wege geboren. 1857–72 lebte sie in Berlin, dann bis 1885 in Naumburg a. S. 1885 hat sie sich mit dem Portrait- und Genremaler Franz Schultze zu Düsseldorf vermählt. Seit 1890 lebt sie in Weimar. In Buchform hat J. Sch.- W. noch keine eigne Arbeit veröffentlicht, nur mehrere grössere Übersetzungen, die in Reclams Universalbibliothek erschienen sind, ferner sind in Zeitschriften verschiedene Arbeiten veröffentlicht. Ein grosses melodramatisches Schauspiel von ihr, "Mahaferid", hat Arthur Wilford in Brüssel komponiert, eine einaktige Oper, "Heimkehr der Seelen", Arthur Stiehler in Görlitz. "Mahaferid" war vom vlämischen Theater in Antwerpen angenommen, stand auch schon im Repertoir in den Zeitungen (der Kapellmeister Keurwel hat es ins Vlämische übersetzt), aber allerlei pekuniäre Schwierigkeiten und direktoriale Streitigkeiten kamen dazwischen, so dass das Bühnenstück zurückgezogen wurde. Gegenwärtig nimmt ein grosses wissenschaftliches Werk einen sehr grossen Teil ihrer Zeit in Anspruch. Ihr grosses Interesse für Naturwissenschaften, besonders für Botanik und in dieser wieder ganz speziell die Pilzkunde, hat sie veranlasst, zu Jena und Berlin Belehrung zu suchen. Im unermüdlichen Sammeln und Arbeiten hat sie gegen 2000 Arten Pilze nach der Natur gemalt und zum grössten Teil auch beschrieben. Im thüringischen botanischen Verein, dessen eifriges Mitglied sie seit zwölf Jahren ist, findet ihre Arbeit viele Anerkennung. Auch mehrere Verleger haben sich schon dafür gefunden, aber die Berechnung der ungeheuren Herstellungskosten schreckten sie immer ab. Auf den Gartenbauausstellungen in Berlin 1890 und 1897 hat sie für einige dort ausgestellte Bände und Abbildungen von Pilzen je eine silberne Medaille erhalten.

- Das Haus des Blinden. Ein Sang aus dem Riesengebirge. Dresden 1898

- Das neue Leben und die gesammelten lyrischen Gedichte von Dante Alighieri. In den Versmassen der Urschrift ins Deutsche übertragen von J. Wege. Leipzig 1879, Ph. Reclam jr.

- Die Fabeln von Jean de Lafontaine. Ins Deutsche übertragen von J. Wege. Ebda. 1883.

- Die Lebensgeschichte, Abenteuer, Erfahrungen u. Beobachtungen David Copperfields des Jüngeren aus Blunderstone, Krähengenist von Charles Dickens. Ins Deutsche übertr. v. J. W. 2 Bde. 1Ebda. 1882.

- Lalla Rookh, ein oriental. Gedicht v. Th. Moore. In den Versmassen des Originals ins Deutsche übertr. v. J. W. Ebda. 1880.

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898


 

 


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