Kurt Schwitters (1887-1948) - Liebesgedichte



Kurt Schwitters
(1887-1948)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 



Herbst
1909

Es schweigt der Wald in Weh,
Er muß geduldig leiden,
Daß nun sein lieber Bräutigam,
Der Sommer, wird scheiden.

Noch hält er zärtlich ihn im Arm
Und quälet sich mit Schmerzen.
Du klagest, Liebchen, wenn ich schied,
Ruht ich noch dir am Herzen.
(S. 32)
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Ich schreite hinaus
1912

Ich schreite hinaus in die lachende Welt
Ins himmlische Morgenrot,
Und über mir wölbt sich des Himmels Gezelt,
Und hinter mir schreitet der Tod.

Ich küsse des Mägdeleins lieblichen Mund,
Die purpurnen Lippen so rot,
Ich küsse so tief aus des Herzens Grund,
Und hinter mir lauert der Tod.

Ich wandere kräftig bergan, bergab,
Warum nur, ich hab noch nicht Not,
Ich lege mich müde ins kühlende Grab,
Und hinter mir wartet der Tod.
(S. 33)
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Nächte
Gedicht 7
1917-1918

Innige Nächte
Gluten Qual
Zittert Glut Wonne
Schmerzhaft umeint
Siedend nächtigt Brunst
Peitscht Feuer Blitz
Zuckend Schwüle
O, wenn ich das Fischlein baden könnte!
Zagt ein Innen
Zittert enteint
Giert schwül
Herb
Du
Duft der Braut
Rosen gleißen im Garten
Schlank stachelt Fisch in der Peitscheluft
Wunden Knie
Wogen Brandung Wonne
Wenn das Fischlein fliegen könnte
Ich umwoge
Innenjauchzt
Peitscht still Inbrunst
Überquillt schrill
Kniet Tau auf dem Fischlein
Es schlüpft seine Beinchen
Weiße Beinchen hat das Fischlein
Weiße Augen hat der Tod
Fest peitscht innig Nacht
Ich
Zerwoge
Bleicht müde
Blaut Qual Sonne.
(S. 40)
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Du
1917-1918

Meine Singe ist leer.
Schreien gähnt,
Schreien weitet,
Brüllt gähnen weitet;
Ich herbe Du.
Ich herbe Deinen Hauch,
Ich singe Deine Augen,
Dein Schreiten sehnt meine Augen.
Dein Plaudern sehnt mein Ohr.
Ich lechze Duft die Stunden.
Du bist mein Sehnen
Du bist Dein Schreiten, Deine Augen, Dein Gebet.
Dein Lachen betet,
Dein Plaudern betet,
Dein Auge betet.
Mein Sehnen fernt Dein Beten Schrei.
Ich
Ferne Du
(S. 43)
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An Anna Blume
um 1919

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
Auf den Händen wanderst Du.

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - -  wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

Preisfrage:
1.) Anna Blume hat ein Vogel,
2.) Anna Blume ist rot.
3.) Welche Farbe hat der Vogel.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir!
Das gehört beiläufig in die - - -  Glutenkiste.

Anna Blume, Anna, A----N----N----A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg,
Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten, wie von vorne:
A------N------N------A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich ------- liebe ------- Dir!
(S. 58-59)
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Nennen Sie es Ausschlachtung
um 1919

Anna Blume ist die Stimmung, direkt vor und direkt nach dem
Zubettgehen.
Anna Blume ist die Dame neben Dir
Anna Blume ist das einzige Gefühl für Liebe,
dessen Du überhaupt fähig bist
Anna Blume bist Du
Anna Blume ausschlachten heißt Dich schlachten
Bist Du schon einmal geschlachtet worden?
Anna Blume schlachten heißt Dich ausschlachten
Du läßt Dich gern ausschlachten?
Schlachte Anna Blume, die Stimmung vor dem Zubettgehen
Schlachte Anna Blume, die Dame neben Dir
Anna Blume schlachten, ist die einzige Ausschlachtung,
deren Du überhaupt fähig bist
Wenn Du nicht zufällig, Merz wolle Dich bewahren,
ein ganz unfähiger Mensch sein solltest.
(S. 64)
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Die Liebe
um 1928

Wie der Schnee verweht,
Wenn er kommt und geht,
So ist anzuschaun,
Wenn er klaunt, der Clown.

Wie die Liebe wacht,
Unter kurz und Nacht,
So das Stelldichein,
Wenn im Kämmerlein.
(S. 104)
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Gedicht aus Norwegen für Helma
um 1934

In einem Garten blühen Lilien.
Sie blühen munter, und sie schilien
Zum Nachbargarten, ob die rote Nelke,
Die ihnen wohlgefällt, auch nicht verwelke.
Die rote Nelke nelkte mild zurück.
Der Lilien Schielien war ihr ganzes Glück.
So schiele ich, mein liebes Weib, Dir zu,
Dein mildes Nelken gibt mir Mut und Ruh.
Oh, nelke weiter, bis der Tag gekommen,
Daß ich Dich endlich in den Arm genommen. -
(S. 119)
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1937

Du,
Unbekannte Frau,
Dich liebe ich.
Ich hab' Dich nie gesehn
Und kenne Dich.
Ich liebe Dich,
Denn Du bist die,
Die mich versteht,
Die alles mir verzeiht.
Die alles, was ich tu und was ich denke
Mit Liebe füllt
Und Glück.
Du, unbekannte Frau, Dir gelten meine Träume, meine Sehnsucht.
Und wenn ich einst Dich finde,
Dann,
Ja dann??
Die Welt ist groß und tief.
Dir gelten meine Träume,
Dir,
Nur Dir!
(S. 125)
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Große Liebe
1937

Es war die Nacht zum Lillebummer Schützenfest.
Er hielt das Mädchen fest an seine Brust gepreßt.
In seinen Augen standen süße Zähren,
Er war dabei, ihr 'alles' zu erklären.
'Du bist das schönste Mädchen, das ich je geliebt',
Sprach Adolar, 'weil es keine schönre gibt'.
Fühlst du, wie unsre Seelen ineinander fließen
Und donnernd sich ins tiefe Meer des Glücks ergießen?'
Sie sagte nur das eine Wörtchen: 'Ja!'
Weil sie das tiefe Meer des Glücks nicht sah,
Weil sie nicht fühlte, wie die Seelen flossen,
Sich brausend ineinander gossen.
Da sprach er: 'Holdes Kind, fühlst du es nicht,
Wie jetzt mein Herz zu deinem Herzen spricht?
Wie meine Lippen sich auf deine neigen,
Um dir im Kuß das Paradies zu zeigen?'
Sie sagte nur das eine Wörtchen: 'Nein',
Sie fühlte nicht des Kusses süßen Wein,
Weil Adolar, der sie jetzt küssen müßte,
Vor vielen tausend Worten sie nicht küßte.
Er preßte weiter sie mit Heldenmut
So fest, wie es nur große Liebe tut.
(S. 127)
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Sehnsucht
1939

Leise gleiten meine Träume
Hin zu Dir,
Durch der Sehnsucht weite Räume
Fern von Dir.

Ich möchte träumen nur von Dir
In weiten Räumen fern von mir.

Ich möchte küssen Deinen Mund
Und scheiden müssen jede Stund'.
(S. 129)
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Bin ich allein
An Helma
1940

Bin ich allein, so sollst Du bei mir sein!
Bin ich betrübt, so nimmst Du meine Sorgen;
Wir glauben beide an ein neues Morgen.
Im Sonnenscheine sind wir nicht allein.

Bin ich betrübt, so sollst Du bei mir sein.
In Deinem Arm vergeß ich alles Trübe!
Ich fühle mich beglückt durch Deine Liebe,
Die Sorge schmilzt in Deinem Sonnenschein.
(S. 130)
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Für Dich
um 1941

Zu Dir, zu Deiner Treue, Deiner Liebe fliege ich
in meinen Gedanken, weit
Über das Meer. Über Berge und Wälder,
Wiesen und Felder, zu Dir.
Denn ich bin gefangen, im Kriege gefangen.
Eintönig fliegen die Tage und die langen
dunklen Nächte im Lager der Gefangenen,
Zum Abend hofft man auf den Morgen
und wieder auf den Abend,
Immer die gleichen Arme, immer die gleichen Menschen,
Die ich nicht liebe, die ich nicht hasse,
Immer die gleichen kleinen Handreichungen,
Alles ist ohne Rast, ohne Ziel, alles ist bloß Narretei.
Doch meine Gedanken fliegen zu Dir, aus dieser
Einsamkeit zwischen den
Menschen, aus dieser Hast ohne Ziel.
Immer die gleichen kleinen Sorgen, die nichts sind
und nichts erreichen, während daran eine Welt in Trümmer geht.
Aber in mir, in meinem Herzen,
blüht wie Blumen dann die Liebe zu Dir,
meine einzige geliebte Frau.
Ich kann Dich nicht sehen, nicht Deine geliebte Stimme
hören, nicht Deine
Hand in meine Hände nehmen, nicht Deine Lippen küssen.
Aber ich liebe Dich, sehn mich nach Dir, denke an Dich,
Komm doch zu mir und wir gehen zusammen in die Welt.
Denk Dir, mit unseren Gedanken können
wir fliegen durch dichten Stacheldraht,
Wohin wir wollen, und wenn wir kommen,
so sind wir herzlich willkommen.
Wir können reisen ohne Anstrengung,
wohnen in den besten Hotels ohne
Bezahlung, essen das beste Mahl,
Denn auch Gedanken laden uns dazu ein,
Bewegen uns in idealer Landschaft,
Wie wir sie beide uns wünschen
und lieben wie die Götter im Olymp.
Ich weiß nicht, ob sich die nicht manchmal dort gezankt haben,
Das tun wir natürlich nicht.
Und so lad ich Dich schon einmal zu einer
Reise nach unserem geliebten Hjertöya ein.
Kennst Du es überhaupt noch, unser Hjertöya?
(S. 134)
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Froh-stumm
1942

Wie war ich froh,
Als Du warst do,
Wie klopfte laut mein Herz!
Wie wird es mir
Mit ohne Dir?
Ich schweige stumm wie Erz.
(S. 139)
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In einer Welt von Enttäuschungen
An Helma
1943

In einer Welt von Enttäuschungen
Bin ich allein.
Das Leben ist hart, die Menschen denken nur an sich.
Ich bin vergessen, allein.
Und die Welt lebt weiter ohne mich,
Ohne meine Fähigkeiten auszunutzen,
Ohne mir Gelegenheit zu geben, mein Talent im Werk zu zeigen.
Aber ich weiß, ich stehe nicht allein.
Irgendwo, ich weiß nicht wo, lebt Helma.
Wir sind getrennt durch den Krieg, doch nicht im Herzen.
Sie denkt an mich, denkt nur an mein Wohl und betet für mich.
Ich kann nicht beten in dieser Welt der Vernichtung.
Doch sie betet, und in ihrem Gebet sind wir eins.
Trotz aller Entfernungen, trotz der Trennung,
und obgleich ich nicht weiß, wo sie lebt,
Sie lebt,
Sie liebt mich,
Nur sie.
(S. 139)
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Ailenroc
1946

Ailenroc! ein reizvoller Name.
Ailenroc aus Revonnah.
Cornelia,
Du bist mir nah,
Sei nicht so fern!
Ich habs nicht gern.
Komm mit der Straßenbahn,
Ich fühle Dir schon nah!
Wann, Liebste, kommste an?
O wann, o wann, o wann?!

Fahr schnell bis zur Zentrale,
Sieh, wie ich zu Dir aale,
Du bist mein Ailen Rock
Ich eile als Dein Bock.
(S. 145)
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Cornelia
1946

Du bist mir so fern!
Ich hätt Dich so gern!
Komm in die Straßenbahn,
Ich hör Dich schon nah'n,
Aufsteigt mein Liebeswahn.
Wann kommst Du an?
Wann, o wann!?
(S. 145)
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Aus: Kurt Schwitters Das literarische Werk
Band 1 Lyrik
Herausgegeben von Friedhelm Lach
Verlag M. Du Mont Schauberg Köln 1973
 



Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Schwitters



 

 


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