Johann Gabriel Seidl (1804-1875) - Liebesgedichte

Johann Gabriel Seidl



Johann Gabriel Seidl
(1804-1875)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Drei L!
Mein Wahlspruch

Weder Ahnenruhm, noch Adel,
Schmücken meinen Namenszug:
Aber ohne Falsch und Tadel
Ist er mir auch so genug.
Wollt' ich aber einmal führen
Solch ein Schild, das mir gefällt,
Müßt ein dreifach "L" es zieren
Und es wäre wohl bestellt!

Erstes "L" du hießest "Leben,"
Leben, heil'ger Adelsbrief,
Aus der Wiege mitgegeben,
Als die erste Lust mir rief.
Ausgespannt die Sonnenarme,
Aufgethan dein Segensherz,
Daß ich ganz an dir erwarme,
Dich umrank' in Freud' und Schmerz!

Sieh der Erde weite Länder,
Sieh der Himmel endlos Zelt,
Und so weit das Meer die Bänder
Seiner Flut hinausgeschwellt:
Unersättlich, unabwendig,
Freun sich alle Wesen dein:
Was nur ist, es ist lebendig,
Laß auch mich lebendig seyn!

Zweites "L" — du wärst die Liebe,
Liebe, dieses Lebens Licht!
Welch ein armer Adel bliebe,
Führt' ich dich im Wappen nicht!
Die das Kind du machst zum Manne,
Mach' einst nur den Mann zum Kind:
Dir erscheint als Halm die Tanne,
Und der Sturm als Säuselwind!

Du nur heilest durch Verwunden,
Und verwundest, wenn du heilst:
Augenblicke sind die Stunden,
Deren Sand du mit uns theilst.
Kehr', um nimmer zu entschweben,
Gastlich ein in dieser Brust;
Ohne Lust ach! wo das Leben,
Ohne Liebe, wo die Lust?

Drittes "L" — was sollst du sagen?
Ja du deutest mir das Lied!
Diesen Freund in heit'ren Tagen,
Diesen Freund, wenn Alles flieht.
Wie ein Tritt durch Klostergänge,
Dumpft ein klanglos Leben hin:
Erst im Zauberkreis der Klänge.
Fühlt und läutert sich der Sinn!

Sprache gibt das Lied der Seele,
Schöne Schale schönem Kern:
Ob dir nichts, ob Alles fehle,
Lied ist stets ein treuer Stern.
Drum gedichtet, drum geklungen,
Weil es noch der Himmel gibt:
Vielgelebt heißt viel gesungen,
Viel gesungen - vielgeliebt!

Leben, Lied und Liebe wären
Meines Wappens dreifach "L,"
Sollt' ich je ein Schild begehren,
Wahr und adlig, blank und hell!
Diesen Wahlspruch, wenn ich sterbe,
Grabt noch auf dem Sarg mir ein;
Diesen Wahlspruch soll das Erbe
Meiner liebsten Freunde seyn.


Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 111-113)

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Vor einem Standbilde der Venus

Seht ihr in üppig Laub gehüllt
Der Liebesgöttin heilig Bild?
Die keuschen Blätterlippen drückt
Ein Rosenstrauch daran entzückt,

Und schlingt die Arme, bebend, stumm,
Mit kühner Schüchternheit darum.
Doch wilder rankt des Efeu Grün
Sich um die Wellenglieder hin,

Und schmiegt sich an in süßem Rausch,
Betäubt von ew'ger Küsse Tausch.
Des Thau's krystallner Thränenschaum,
Erglänzt an seiner Wimper Saum;

Ausbreitend aber seinen Schild,
Ein Schirmer für das schwache Bild,
Senkt drüber einer Fichte Dach,
Die ernsten Zweige lispelnd nach,

Und reiht die Aeste, dichtbelaubt,
Zum Festkranz um der Göttin Haupt.
Und höher noch, in luft'gem Raum,
Ragst, Eiche du, geweihter Baum,

Du siehst herab, ein stolzer Aar,
Der spielet in der Göttin Haar,
Wie Jovis' Aar mit Blitzen spielt,
Und sich im Sonnenfeuer kühlt.

Welch buntes Leben fliegt herbei
Und kost und küßt die Bildnerei?
Der Schmetterlinge buntes Heer,
Viel tausend Schatten leicht und schwer.

Der Sonne Strahlen, neidisch fast,
Umglühn's mit Nebenbuhlerhast,
Und alle Weste tanzen leis
Um's Bild in mildem Zauberkreis.

Wir selber stehn und sehn es an,
Und haben unsre Freude dran,
Und Jeder denkt wol, wie er's schaut,
An seine Gattin oder Braut!

Wo nur ein Bild der Liebe steht,
Ist auch ein Altar bald erhöht,
An den, von heil'ger Flamm' entglüht,
Natur und Mensch, begeistert, kniet!

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 126-127)

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An die Scheidende

Hab' oft mit dir gesprochen,
Dir manchen Gruß geschickt,
Und eben ohne Pochen
In's Auge dir geblickt.
Hab' oft mit deinem Schmucke
Gedankenlos gespielt,
Hab' oft bei deinem Drucke
Nichts, als den Druck gefühlt.

Nun seit du fortgegangen
Hat sich das Blatt gewandt.
Mich zieht ein süß Verlangen
Nach deiner lieben Hand.
Zehn Lieder wollt' ich wagen
Für einen Laut von dir:
Ein Ring, von dir getragen,
Ein Kleinod schien' er mir.

Nun ist dein Blick mir theuer,
Nun dünkt er erst mich Glut:
Er war ein schleichend Feuer
Und zündet spät, doch gut.
Der Gruß bei deinem Scheiden
Durchfuhr mich, wie ein Strahl,
Mit niegekannten Freuden,
Mit niegekannter Qual.

Wo bist du hingeflogen?
Du hast mir's nicht bekannt.
Wo bist du hingezogen?
O nenne mir das Land!
Das Land so wahr ich lebe,
Das Land ist mir bewußt,
Und wenns kein Andres gäbe -
So war es meine Brust!

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 128-129)

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Das Ländchen der Liebe

Wo ist das schöne Blütenland
Der Liebe nur gelegen?
Wo öffnet sich die Felsenwand
Zu seinen Zauberwegen?
Ich weiß davon, und was ich weiß,
Das will ich nicht verhehlen;
Das Land umfaßt euch einen Kreis
Von Auen, kaum zu zählen.

Einst stand ich hoch am Felsenhang
Und sah in's Thal hinunter,
Da sah ich gehn das Thal entlang
Mein Liebchen, schön und munter;
Da schien mir rings die Bergeswand
Zu glühn von Blütentriebe, —
Der schöne Fels, auf dem ich stand,
War mir das Land' der Liebe.

Einst schlendert' ich im Thale da
Und sah zum Felsgesteine, —
Und sah und stand und stand und sah,
Mein Lieb im Sonnenscheine.
Mein Auge hing am Felsenring,
Als ob es haften bliebe, —
Das schöne Thal, durch das ich ging,
War mir das Land der Liebe.

Einst zog ich an des Liebchens Arm
Auf langer öder Haide:
Ihr Auge Glut, mein Busen warm
Von lauter Abendfreude,
Die Luft war still, die Brust so weit,
Als ob sie's aufwärts hübe:
Die stille Haid, so wüst und breit,
Schien uns das Land der Liebe.

Im Mantel barg ich's Liebchen mein
Und hielt es warm zur Seite,
Bey Donnersturm und Blitzesschein,
Und gab ihm das Geleite.
Der Wald war öd, der Sturm war kalt,
Als ob er Flocken triebe;
Jedennoch galt der wilde Wald
Uns für das Land der Liebe.

Und solches weiß vom Blütenland
Der Lieb' ich euch zu sagen:
Wer nicht verstand, wer nicht empfand,
Der möge weiter fragen.
Ihr trefft auf Keinen, glaubt mir fest,
Der's treuer euch beschriebe:
Wo sich das Liebchen sehen läßt,
Dort ist das Land der Liebe
.

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 135-137)

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Liebchens Ferne

Wohl weilst du in der Ferne,
Doch nimmer fern für mich,
Kein Heil'ger denkt so gerne
An Gott, als ich an dich.

Vom Monde sag' ich nimmer:
Er walte sanft und mild;
Ich sage nur: sein Schimmer
Sei deiner Seele Bild.

Nie sag' ich mehr: die Frühe
Gleich' einem Feuerfluß;
Ich sage nur: sie glühe,
Wie du beim Scheidekuß.

Für Alles, was ich kenne,
Leihst du die Seele mir;
Für Alles, was ich nenne,
Nehm' ich das Wort von dir.

So nenn, ich denn, — ich Schwärmer!
Nur Liebchen-rein den Quell,
Und fühl' die Sonne warmer,
Nenn ich sie Liebchen-hell.

Das Alles thut die Trennung
Und das Geschiedenseyn;
Da stellt sich die Bekennung
Erst ohne Rückhalt' ein.

Sonst dacht' ich dein nur immer,
Wenn ich dich eben sah:
Dich sehn kann ich nun nimmer,
Und bin dir ewig nah.

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 141-142)

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Wiegenlied

Wie sich der Aeuglein
Kindlicher Himmel,
Schlummerbelastet,
Lässig verschließt! —
Schließe sie einst so,
Lockt dich die Erde:
Drinnen ist Himmel,
Außen ist Lust!


Wie dir so schlafroth
Glühet die Wange:
Rosen aus Eden
Hauchten sie an:
Rosen die Wangen,
Himmel die Augen,
Heiterer Morgen,
Himmlischer Tag!

Wie des Gelockes
Goldige Wallung
Kühlet der Schläfe
Glühenden Saum.
Schön ist das Goldhaar,
Schöner der Kranz drauf:
Träum' du vom Lorbeer,
Bis er dir blüht.

Liebliches Mündchen,
Engel umwehn dich:
Drinnen die Unschuld,
Drinnen die Lieb';
Wahre sie Kindchen,
Wahre sie treulich:
Lippen sind Rosen,
Lippen sind Glut.

Wie dir ein Engel
Faltet die Händchen;
Falte sie einst so:
Gehst du zur Ruh;
Schön sind die Träume,
Wenn man gebetet:
Und das Erwachen
Lohnt mit dem Traum
.

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 143-144)

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Bild aus alter Zeit

Der Abend sinkt hernieder,
Die Sternlein ziehn herauf;
Und Nachtigallenlieder
Begleiten ihren Lauf.
Da tritt, die Welt im Busen,
Aus engem, dumpfen Haus,
In's Heiligthum der Musen
Der Troubadour hinaus.

Sein Harfenspiel zur Seite,
So zieht er froh die Bahn,
Und blickt in's blaue Weite,
Und hebt sein Ständchen an:
"Du minniglich Gegrüßte,
Wohl mag mich Klarheit freun ;
Die Sonne ging zu Rüste;
Magst du mein Mond nun seyn?" —

Und wie mit sanftem Tone
Er singet fort und fort;
Da schallet vom Balcone
Ein grußlich Minnewort;
Und singt nach gleicher Weise
Die letzten Zeiten drauf;
Doch unvermerkt und leise
Thut sich das Pförtchen auf.

Schon hüpft zum treuen Sänger
Die Maid in Lust hinab:
Da hält er sich nicht länger,
Und reißt die Saiten ab.
Sein Lied ist überboten,
Wo Brust an Brust erglüht:
Und Blicke sind die Noten,
Und Seufzer sind das Lied!

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 163-164)

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Schattengruß

Ich wall' im klaren Sonnenscheine:
Mein süßes Liebchen wallt vor mir;
Am Boden malt mit scharfen Raine
Der Schatten sich von mir und ihr.

Und vor zu ihren Bilde reichet
Mein Schatten, sich verlängernd, hin:
Sie stehet sich nicht um, und weichet; —
Wohl merkte sie, daß ich es bin!

Da regt sie still das weiche Händchen;
Ihr Schatten regt zugleich die Hand:
Und ihrer Finger Schattenrändchen,
Sie suchen einen Schattenrand.

Da streck' ich ihr die Hand entgegen,
Das Mädchen scheint mich zu verstehn:
Und unsre Schattenhände legen
Wir in einander — ungesehn.


Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 167)

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Mein Frühlingslied
Im Mai 1823

Mein Herz ist froh, mein Aug ist licht
Und Wen'ge sind mir gleich;
Drum ruf ich's laut, und rief ich's nicht:
Mein Aug verrieth' es euch.
Und daß ich sing' von meiner Lust,
Das hat der Lenz gethan:
Da wird sich seiner recht bewußt,
Was blühn und singen kann.

Noch Hab' ich frisch mein Elternpaar
In stillem Haus daheim:
Das mir behütet vor Gefahr
So manchen Blütenkeim.
Noch seh' ich heiter hin und her
All meine Lieben gehn:
Weiß keinen Stuhl im Kreise leer:
Brauch' Keinem nachzusehn!

Ich hab', was mancher nicht erstritt,
Manch Herz, das meiner denkt:
Nicht Freunde nach dem Modeschnitt,
Nein, — wie sie Gott nur schenkt.
Ich weiß, man heißt die Freundschaft jetzt
Ein Mährchen, schön, doch leer:
Ich habe viel auf sie gesetzt,
Und halte sie für mehr.

Die Liebe, — was man Liebe nennt,
Blieb noch aus meinem Spiel;
Doch glaub' ich, wer die Freundschaft kennt.,
Wiss' auch von Liebe viel.
Und seht! das bringt mir neuen Scherz,
Und neue Lust in's Haus;
Hat man für's Lieben nur ein Herz:
Das Mädchen bleibt nicht aus.

Und solch ein Herz — dem Herrgott Dank!
Das, mein' ich, wäre mein.
Wo es gesund seyn soll, — nicht krank,
Und nicht von Stein und Bein:
Das gern schlägt, wo es Freude gilt,
Sie gern empfängt und gibt:
Und Trotz der Mängel, die's erhielt,
Beständig lebt und liebt!

Und drum ist mir das Aug erhellt,
Drum sind mir Wen'ge gleich:
Drum fühl' ich mich so wohlbestellt,
Zumal im Frühlingsreich.
Wer nichts, was er geliebt, verlor,
Und noch was drüber kennt,
Der scheint ein Klotz mir, oder Thor,
Wenn er nicht reich sich nennt.


Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 173-174)

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Einer jungen Dichterin

Wirf die Feder aus den Händen
Und das halbbeschriebne Blatt:
Werde dieser Weihrauchspenden
Fader Schmeichler einmal satt.
Sprich, warum in Fesseln drängen,
Was wie's Licht entfesselt, strömt,
Sprich, warum in Reime zwängen,
Was sich jeden Reimes schämt? —

Stehst du doch so herrlichblühend,
So jungfräulich vor mir da,
Bannst dir doch, von Freude glühend,
Jedes freud'ge Wesen nah.
Ein elektrisch Feuer knistert
Durch die Hand, die deine traf:
Und dein Zauberodem flistert
Alle Schlangen in den Schlaf.

Leben, wie der Gott der Götter
Nur in höchster Huld verschenkt;
Leben, wie auf junge Blätter
Sich im Lenze nieder senkt:
Solches Leben füllt dich, lauert
Schelmisch dir in jedem Zug,
Brennt im Aug dir, und durchschauert
Deine Brust im Ahnungsflug!

Willst du etwa kalt am Tische
Schreiben, wie der Denker schreibt?
Willst verkümmern deine Frische,
Die so schöne Blüten treibt?
Sollen Lieder seyn die Wesen,
Die uns deine Kraft gebar?
Sollen wir in Büchern lesen,
Wie dein Lenz so herrlich war?

Nein! — Die Feder aus den Händen
Aus der Hand das kalte Blatt,
Werde dieser Lobesspenden
Fader Gecken einmal satt!
Lebe — Leben sei dein Dichten:
Lieben — üben, — sei dein Reim,
Und du wirst es besser richten,
Als mit Liederhonigseim!

Lieben; — lieb' aus tiefster Seele
Frohbeseligend ein Herz,
Und den Seligen erwähle
Dir zum Freund in Scherz und Schmerz,
Blüh' aus theurer Kinder Reigen
Bald als Mutterblüt' ihm zu!
Sein Gebet, sein Wunsch, sein Schweigen,
Seines Herzens Herz sei — du!

Ueben; — übe mild die Kräfte
Zauberischer Weiblichkeit:
In des Hauses fromm Geschäfte
Theile sinnig Luft und Zeit.
Walte, wie das Licht, das waltet,
Wenn die Nächte mondhell sind!
Schalte, wie der Frühling schaltet,
Wenn die Erde Glut gewinnt!

Sei die Heiligkeit im Bilde,
Und ein Bild der Harmonie,
Sei der Welt ein Stern der Milde,
Wärm', erhell', entzücke sie.
Darum laß das Reimeschmieden,
Denn der Jungfrau ziemt es nicht:
Ist sie, was sie soll, hiernieden,
Ist sie selbst schon ein Gedicht!

Aus: Johann Gabriel Seidl's Dichtungen Erster Theil
Balladen, Romanzen, Sagen und Lieder
Wien Druck und Verlag von J. P. Sollinger 1826 (S. 183-185)

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Verschiedener Eindruck

Da klagt es durch die Nacht herüber,
Ein weicher, schmelzender Gesang;
Wohl Jeder spräch: Es ist ein trüber,
Ich sag': Es ist ein heitrer Klang!

Es zittert zwar in Moll-Akkorden,
So bang und klagend, wie es scheint,
Gleich Thränen, die zum Ton geworden
Das Auge kühlen, das sie weint;

Ich aber finde doch sie heiter,
Nur Wonnen rufen mir sie wach;
Ich lausch' und sinn' und sinne weiter, -
Und sinne nicht vergebens nach.

Es waren eben diese Klänge,
Die Sterne schienen hell, wie heut',
Und hatten auf die Laubengänge,
Wie jetzt, ihr Silber ausgestreut.

Da stand ich unter Blütenbäumen,
Und harrte liebebang auf sie;
Und plötzlich in den stillen Räumen
Erklang dieselbe Melodie.

Da kam sie, - flog mir heiß entgegen,
Bei diesen Tönen schwor sie mir; -
Es war ein Augenblick voll Segen,
Bei diesen Tönen schwor ich ihr!

Die düstern Moll-Akkorde klangen
Uns wie das hellste Lied der Lust,
Und faßten Wurzel und verschlangen
Sich mit dem Leben unsrer Brust.

Darum wenn durch die Nacht herüber
So klagend zittert der Gesang,
Und dünkt' er Jedem gleich ein trüber,
So dünkt' er uns ein heiter Klang.

Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 13-14)

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Der Ersatz

Das Mägdlein ging zum Brunnen, der Grundherr stand am Zaun,
So dunkel war sein Auge, sein Lockenhaar so braun.

Das hatte sie wohl Beides schon manches Mahl geseh'n: -
Und doch mußt' heute drüber ihr Krug in Trümmer geh'n.

"Ach!" schreit sie auf, "da liegt er, der liebe schöne Krug,
Der Krug, den schon die Mutter als Kind zum Brunnen trug!"

"Nur ruhig!" ruft der Grundherr, und faßt sie sanft am Kinn,
"Nimm dieses Goldstück, Kleine, wofern ich schuldig bin!"

"Behaltet Euer Goldstück, das ist der Krug nicht werth!"
Sie sprach's, und weinte bitter und schlug den Blick zur Erd'. -

"Nur ruhig" sprach der Grundherr, und sah ihr in's Gesicht,
"Ich schenke dir ein Krüglein, das nicht so leicht zerbricht.

Ein Krüglein, schön gegossen aus Golde fein und schwer,
Besetzt mit Demanttropfen, - nur weine mir nicht mehr!"

"Behaltet Euer Krüglein, - es ist nicht um den Krug!"
Sie sprach's, und fühlt' an's Herzchen, das ungeduldig schlug.

"Nur ruhig!" sprach der Grundherr, und küßte sie gerührt,
"Du sollst das Grundstück haben, das zu dem Brunnen führt.

Und hart am Brunnen bau' ich ein Haus dir rein und licht,
Damit dir auf dem Wege kein Krüglein mehr zerbricht!"

"Behaltet Haus und Garten, - nicht Garten ist's, - nicht Haus." -
Sie will noch etwas sagen und findet's nicht heraus.

"Nur ruhig!" ruft der Grundherr, - "nimm für dein Krüglein - mich!
Und brauchst du wieder Wasser, - sag' mir's, so schöpf' es - ich!

Laß diesen Krug zerbrochen, - wenn nur das Herz nicht brach!"
Das Mägdlein sank dem Junker an's Herz mit leisem: "Ach!"


Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 15-16)

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Die Veilchen-Leiche

Wir saßen in der Laube
So selig Hand in Hand;
Da lag zu unsren Füßen
Ein Veilchen in dem Sand.

Wir sah'n es sinnend liegen,
Da sagtest du zu mir:
"Komm, laß es uns begraben,
Das warme Veilchen hier!"

Und in dem Sande gruben
Wir ihm ein kleines Grab,
Und legten mit einander
Die Veilchenleich' hinab.

Und deckten sie mit Rasen
Und frischen Blättern zu,
Und sprachen ernst und sinnig:
"Da, Veilchen, lieg' und ruh'!"

Nun hab' ich ihn begriffen
Den ersten Leichenscherz:
Er ward zur Vorbedeutung
Für unser eignes Herz.

Denn so wie wir das Veilchen
Verscharrt am stillen Ort,
Begruben wir nach Monden
Auch - unsre Liebe dort!

Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 17-18)

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Die Perle

Ein Jüngling sitzt beim Abendschein
Am Meere sinnend und allein,
Hin über's Wasser schweift sein Blick,
Als sucht' er ein entferntes Glück.

Und was ihn stimmt so weich und bang,
Es ist der Sehnsucht süßer Drang,
Und was aus seinem Auge spricht,
Weiß Jeder, nur er selber nicht.

So sitzt er, einer Myrthe nah,
Ein Zweiglein in den Händen, da,
Und gräbt mit willkürloser Hand
Der Liebsten Namen in den Sand.

Doch kaum daß er die Lettern schrieb,
Naht Well' um Welle leis' und lieb,
Und kost und rauscht und küßt und wühlt,
Bis sie den Namen weggespült.

Der Jüngling merkt es und erblaßt,
Als ahnt' er etwas Arges fast;
Kann, was die Flut dem Namen nun,
Kein Schicksal einst der Liebe thun?

Kann's keiner Untreu' oder Pein
Geheime Vorbedeutung seyn?
Mit solchen Bildern quält er sich,
Bis längst die Sonn' im Meer erblich.

Nach Hause schleicht er trüb und schwer,
Wie lächeln mild die Sternlein her,
Wie winkt der Mond ihm, tröstend, zu, -
Für ihn ist heute keine Ruh'.

Verwacht wird eine bange Nacht,
Ein banger Tag wird hingebracht,
Bis sich der Abend wieder senkt,
Und er den Schritt zum Meere lenkt.

Hineilt er, wo er an dem Strand
Der Liebsten Namen schrieb in Sand,
Und sieh! - da ist kein Name zwar,
Doch etwas Andres winkt ihm klar.

Sieh! - eine Perle rein und hell
Liegt ausgespült zur selben Stell',
Als wär's für den geraubten Schatz
Der Fluten reuiger Ersatz.

Mit Rührung blickt der Jüngling drauf,
Und liest das Kleinod freudig auf;
Und bald auch schmückt' es hell und klar
Der Liebsten Stirn - am Traualtar.

Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 75-76)

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Die beiden Gräber

Zwei feindliche Geschlechter wohnen
In Spaniens alter Königsstadt,
Die nichts in ihrem Hasse schonen,
Des tiefsten Grolles nimmer satt.
Das Fluchkorn, so die Väter säten
Im Taumel blinder Eifersucht,
Gepfleget wird es, statt zertreten,
Und wuchert auf zur üpp'gen Frucht.

Doch wie am starren Gletscherhange
Die Alpenrose freundlich glüht,
So ist, zum Trotz dem frevlen Zwange,
Die frömmste Lieb' auch hier entblüht.
Alfons, des einen Hauses Erbe,
Wächst hier zu kühnem Heldenlauf,
Und würdig, daß er um sie werbe,
Lorenza dort als Erbin auf.

Die Liebe läßt sich nicht bedeuten,
Was nicht geschehen soll, geschah:
Das Kinderpaar der Haßentzweiten
Sieht sich und liebt, seit es sich sah.
Und liebt so heimlich, weil so innig,
Und liebt so innig, weil so fromm,
Und birgt vor aller Welt so sinnig,
Was längst zur hellsten Glut entglomm.

Wohl sehen sie den Abgrund offen,
Und keinen Engel, der ihn schließt;
Doch Schwestern sind sich Lieb' und Hoffen,
Und das erwärmt, wo jene sprießt.
Oft brüten sie an Sühnungsplanen;
Und fiel' auch ihre Thrän' auf Erz,
So bleibt ja ihrem sel'gen Ahnen
Noch ihre Liebe, noch ihr Herz.

Wer ist, wenn sie sich so begegnen,
Wer ist wohl glücklicher, als sie?
Sie sind versucht, ihr Leid zu segnen:
Ihr Leid ist ihre Harmonie.
Wenn Aug' im Auge perlend schimmert,
Wenn Seufzer sich in Seufzer mischt,
Und, wie die Sonn' aus Nebeln flimmert,
Ein Lächeln dann den Gram verwischt;

Wenn sie auf sich beschränkt sich fühlen,
Selbstschöpfer einer eignen Welt;
Wenn sie mit dem Geschosse spielen,
Das, eh' sie's ahnen, wohl schon fällt;
Wenn sie den Finger kühn verachten,
Der zürnend ihrem Bunde droht,
Das Meer von Sehnen dann und Trachten
Verschlingt den Tropfen ihrer Noth.

Doch endlich trifft der Pfeil; verrathen
Wird, was er längst geahnt, dem Haß,
Bedroht sieht er die Höllensaaten,
Die er mit Schadenfreude maß.
Doch Liebe soll ihm nicht zerstören
Den langgebauten, eh'rnen Plan:
Der Eine mag den Sohn nicht hören,
Der Andre grollt die Tochter an.

Hier droht die Vaterhand erhoben
Alfonso'n mit des Fluches Grau'n,
Gebeugt ist dort von wildem Toben
Lorenza's krankes Haupt zu schau'n.
Verkerkert hinter Schloß und Riegel,
Zergrämt sich hier und dort die Noth; -
Doch Liebe findet ihre Flügel -
Wenn nirgend anders - doch beim Tod.

Und diesem reisen sie entgegen,
Mit gleichem Schritt, ein gleiches Paar,
Ein Herz weiß von des andern Schlägen,
So scheint's: - denn Beide bricht Ein Jahr.
Zu Beiden tritt an Einem Tage
Der düstre Friedensengel ein;
So sargt sie mit verhaltner Klage
Der Eltern Haß im Todtenschrein.

Nur daß man ihnen Eins erfülle,
Verlangten sie der Welt noch ab:
Beisammen - hieß ihr letzter Wille -
 Beisammen wünschten sie ihr Grab.
Wie feilscht der Haß, der dumpfergrimmte,
Selbst um die Recht noch mit dem Tod;
Allein des Richters Spruch bestimmte:
Der letzte Wille sei Gebot!

So trägt man, was getrennt im Leben,
Denn nun vereint zum letzten Haus;
Hier schläft Alfons, und hart daneben
Ruht hier Lorenza schlummernd aus.
Doch fühlt der Haß sich's nicht verleidet,
Und mitten auf den schmalen Raum,
Der schonend beide Gräber scheidet,
Pflanzt er - erfindrisch - einen Baum.

Pflanzt ihn, daß er die Wurzeln berge,
Daß er hinablang' in den Grund,
Und von einander dräng' der Särge
Geheimnißvollen Gräberbund.
Und wirklich scheint es so zu werden;
Schon grünt der Stamm im Frühlingsglanz,
Und vielfach in den Schooß der Erden
Verzweigt er seinen Wurzelkranz.

Doch wunderbar! die Wurzeln drängen
Nicht auswärts, Sarg von Sarge nicht,
Man sieht sie unten durch sich zwängen,
Wie sich um's Korn die Hülse flicht.
Und dichter schwellen sie und drücken
Gewalt'ger Truh' an Truhe vor,
Und grünen aus des Hügels Rücken
Als Doppelmonument empor.

Die Ältern seh'n mit schwächrem Grollen,
Durch Zufall einst am Grab vereint,
Sie wissen selbst nicht was sie wollen,
Ihr Aug' beschämt den Haß - und weint.
Und durch das junge Blattgetriebe
Scheint es zu weh'n im Maienlicht:
Das Herz sich brechen läßt die Liebe,
Sich trennen läßt die Liebe nicht.

Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 117-121)

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Das liebe Fenster

Du liebes, wohlbekanntes Fenster,
An dem ich oft mit Sehnsucht hing,
Als noch das Haus, deß' Aug' du bildest,
Mein liebstes Kleinod mir umfing!
Ich steh' dir wieder gegenüber,
Gedenke manches Traumgesicht's,
Und sehe deine Scheiben wieder,
Doch hinter deinen Scheiben nichts.

Was könnt' auch hinter ihnen schimmern,
Nur eines einz'gen Blickes werth?
Vielleicht ein Bild mit andren Mienen,
Das auch geseh'n zu seyn begehrt?
Vielleicht der Schatten jenes Köpfchens,
Das einst durch sie mir zugenickt?
Vielleicht ein Namenzug, dem Glase,
Dem Rahmen heimlich eingedrückt?

O keine Spur ist mehr vorhanden,
Verwandelt Alles und zerstört!
Kein Splitter mehr, der jener trüben
Und doch so sel'gen Zeit gehört!
Im fremden Rahmen fremde Scheiben
Und hinter ihnen fremd die Wand,
Auf fremdem Simse fremde Blumen,
Gepflegt von einer fremden Hand!

Ach! und wie kommt's nur trotz dem Allen?
Es läßt mich nicht vorübergeh'n.
Der Pulse ungestümes Pochen
Heißt mich verweilen, aufwärts seh'n!
Du warst mir theuer, liebes Fenster,
Du hast mir wohl und weh' gethan,
Und was mir einmahl lieb geworden,
Dem hang' ich ewig liebend an.

Ach! steigt es doch aus deinem Rahmen
So rosighell vor mir empor,
Ein buntes Treiben, bunter immer,
Wie eine Welt, die ich verlor;
Wie eine Welt voll Blütenkeimen,
Die mir zur goldnen Frucht gereift,
Wie eine Schaar von Wonneträumen,
Die, was noch Traum war, angestreift.

Als Kinder seh' ich die Gefühle
Noch schüchtern deinen Rand umblüh'n,
Die nun dem Spiele längst entwachsen
Mit kühnem Ernste mich durchglüh'n.
Es war ja hinter diesen Scheiben,
Wo ich einst abends zagend stand,
Mein Glück mir in ein Wort vereinte,
Das Wort verlor, das Wort nicht fand!

Es war ja hinter diesen Scheiben,
Als ich, am Abende darnach,
Das Wort, das ich verloren, suchte,
Verlor und sucht' und fand und sprach.
Sie waren's, die ich oft behauchte,
Und in den Hauch zwei Namen zog;
An die ich oft die Stirne lehnte,
Gefaltet oft die Hände bog.

Sie waren's, - meine Sinne schwindeln,
Und meine Lippe nennt es nicht!
Mir malt die Wonnen jener Tage
Nur manchmal noch ein Traumgesicht.
Drum sei gegrüßt, du liebes Fenster,
Du bleibst ein lichter Punkt für mich;
Die Szenenfolge meines Lebens
Wär' unterbrochen ohne dich!

Und weilt' ich Jahrelang dir ferne,
Und riefe mich mein Stern zurück,
Dir schenkt' ich, blind für alles Andre,
Dir, Fenster, meinen ersten Blick!
Und wär' auch längst die Blum' entblättert,
Die hinter dir einst aufgeblüht,
Mit doppelt heißen Thränen rief' ich,
Dich schauend: "Hier hat sie geglüht!" -

Und bräch' einst diese Stadt zusammen,
Und sänkst auch du in Schutt mit ihr,
Ich seufzt' an deinem Trümmergrabe
Mit Wehmuth noch: "Hier war es, hier!
Hier war es, hier das liebe Fenster,
Das mir so wohl, so weh' gethan!" -
Denn was mir einmahl lieb geworden,
Dem hang' ich ewig liebend an!

Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 237-240)

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Liebesroman

So seh'n wir uns nach Jahren wieder,
Was ging indeß an uns vorbei!
Als wir das erste Mahl uns fanden,
Da war noch auf und über Mai.

Da gab's ein Hangen und ein Bangen,
Da ward mit Thränen nicht gespart;
Die Zukunft schwamm, ein goldner Nachen,
Im klaren See der Gegenwart.

Da prassten wir mit Hochgefühlen,
Von Glück war unsre Brust geschwellt,
Und dennoch hatten wir noch immer
Des Glück's genug für eine Welt.

An keine Lösung denkend knüpften
Wir tausend Fäden tändelnd an,
Und wähnten jeden Tag verloren,
Der ohne Kuß und Schwur verrann.

Wir setzten über Kluft und Klippe
Mit Lächeln in verwegnem Sprung;
Wir standen schwindelnd auf dem Gipfel,
Und zagten fast vor Steigerung.

Und nun - o laß uns nicht erröthen! -
Was uns beseligt und beseelt,
Gleicht einem lieblichen Romane,
Dem ach! die letzte Seite fehlt.


Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 298-299)

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Traum und Liebe

Wer so bei Nacht des Schlummers harrend liegt,
Wo Bilder und Gedanken bunt sich treiben,
Nimmt oft sich vor, sich klar bewußt zu bleiben,
Bis der Moment des Schlafes ihn besiegt.

Festhalten möcht' er gern den Augenblick,
Wo Traum und Wachen magisch sich berühren,
Und einmahl klar den Übergang verspüren,
Der einwiegt in der Träume stilles Glück.

Noch schaut er wach in's Ampellicht hinein;
Doch eh' er's denkt, eh' er das Kissen richtet,
Ist er den dunklen Mächten schon verpflichtet,
Anheimgefallen einem andern Seyn. -

Dem Schläfer, der so harret, gleicht, wer liebt
Und wer in Liebe wähnt sein Selbst zu retten;
Er spottet lächelnd noch der Zauberketten,
Der dunklen Macht, die lauernd ihn umgibt.

Beachten will er klar den Augenblick,
Der seine Seele magisch könnt' umstricken. -
"So weit, nicht weiter, soll's der Liebe glücken,
Eh' sie mich meistert, zieh' ich mich zurück!"

O eitler Vorsatz! Er versieht sich's kaum,
Er wähnt noch, wach, sie standhaft zu bekriegen,
Und schläft schon ein und läßt sich schon besiegen,
Und träumt besiegt schon ihren schwersten Traum.


Aus: Bifolien Dichtungen von Johann Gabriel Seidl
Dritte verbesserte, vermehrte und mit des Verfassers
Bildniß versehene Auflage
Wien Pfautsch & Compagnie 1843 (S. 302-303)

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gabriel_Seidl



 

 


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