6. Nov. 1837
Das
Apriorische im Glauben, das über allem Aposteriori des Handelns schwebt,
ist so schön ausgedrückt in den Worten: Ich bin gewiß, daß weder
Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder
Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere
Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist,
unserem Herrn. Wie sein Glauben ihn auf einen über alle Empirie erhabenen
Felsen stellt, während er doch andererseits unmöglich diese ganze hier
ausgedrückte Empirie durchlebt haben kann.
(S. 84)
_____
14. Sept. 1835
Unglück
knüpft die Menschen nicht bloß zusammen, sondern bringt auch jenes schöne
innere Zusammenleben hervor, gleichwie die Winterkälte Figuren auf die
Fensterscheibe bildet, die die Sonnenwärme auslöscht.
(S. 44)
_____
10. Juni 1836
Ein
Wandermusikant blies auf einer Art Rohrflöte [ich konnte nicht sehen, was
es war, da ich in einem anderen Hof war] das Menuett aus Don Juan, und der
Apotheker zerstieß sein Medikament im Mörser, und das Mädchen scheuerte im
Hof, und sie merkten nichts, und der Flötenspieler vielleicht auch nicht,
und ich fühlte mich so wohl.
(S. 53)
_____
9. Juli 1837
Eine
jede Blume meines Herzens wird zu einer Eisblume.
(S. 76)
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1848
Christus
sagt: dem, der mich liebt, werde ich mich offenbaren. Aber das gilt
überall, das, was man liebt, das offenbart sich einem; oder, welcher die
Wahrheit liebt, ihm offenbart sie sich . . . denn man denkt sich gerne den
Empfänger unwirksam und dann das Offenbarende sich ihm mitteilend, aber
das Verhältnis ist, daß der Empfänger der Liebende ist, so wird das
Geliebte ihm offenbar, denn er bildet sich selber um in Gleichheit mit dem
Geliebten, und selbst zu werden, was man versteht, ist die einzige
gründliche Weise zu verstehen, und man versteht nur im Verhältnis, wie man
selber es wird.
Man sieht übrigens hier, daß lieben und erkennen wesentlich
gleichbedeutend ist; und wie lieben bedeutet, daß das andere offenbar
wird, so bedeutet es natürlich auch, daß man selber offenbar wird. Das
Verhältnis ist so innerlich [ein Sein oder Nichtsein], daß alle
Versicherungen und ähnliches, daß man liebe und liebe, weder dazu noch
davon tun.
(S. 308-309)
_____
1850
Gewissensfreihet, Glaubensfreiheit
Im Ideal gesehen, kann es sehr wahr sein, daß jedem Menschen
Gewissensfreihet, Glaubensfreiheit u. ä. eingeräumt werden soll.
Aber wie weiter - wo sind denn die Menschen, die geistig so stark sind,
daß sie sie gebrauchen können, wirklich vermögen, absolut allein zu
stehen, allein mit Gott?
Hier liegt das Unwahre, die demagogische Schmeichelei, daß da geredet
wird, als wäre jeder Mensch ein solcher Kerl - wenn da nur kein Zwang,
kein Gesetz, wäre. Herr, mein Gott! Nein, die Wahrheit ist die: Jeder, der
in dem Grad Subjektivität ist, daß er absolut allein mit Gott und seinem
Gewissen sich beratschlagt und das aushalten kann, er fragt keinen Deut,
ob Gesetze oder Verordnungen dagegen da sind oder nicht, für ihn ist so
etwas nur Nährboden. Ja, ist er in Wahrheit der Große, so wünscht er sich
sogar allen möglichen Widerstand, damit er nicht irrefahre oder fehlgreife
- denn daß Verordnungen von Menschen ihn zu zwingen vermögen sollten,
nein, das fürchtet er nicht, das weiß er mit Gott und seinem Gewissen, daß
er das nicht braucht.
Aber man will Verbot, Zwang u. ä. weg haben, um so das Spiel zu spielen,
daß wir solche Satanskerle seien, die so allein stehen können.
Nimm allen Zwang fort, welchen die Menschen just brauchen und eben gerade
auch in den höchsten Angelegenheiten [und vernünftigerweise beständig
mehr, je höher die Angelegenheit ist] - und die Masse der Menschen wird
entweder zu nichts oder in die Hände von Parteien u. ä. fallen.
(S. 445-446)
_____
1850
Wie oft
habe ich es entwickelt, daß Hegel im Grund den Menschen zum Heiden
macht, zu einem mit Vernunft begabten Tiergeschlecht. Denn in einem
Tiergeschlecht ist niemals "der Einzelne" höher als das Geschlecht. Das
Menschengeschlecht hat die Merkwürdigkeit, just weil jeder Einzelne nach
Gottes Bild geschaffen ist, daß "der Einzelne" höher ist als das
"Geschlecht".
Daß dieses eitel genommen und entsetzlich mißbraucht werden kann: concedo.
Aber Christentum ist das. Und hier eigentlich soll die Schlacht
geschlagen werden.
(S. 404)
_____
1848
Es
ist eine gefährliche Sache, in der Ewigkeit anzukommen mit Möglichkeiten,
die man selber verhindert hat, zur Wirklichkeit zu werden. Die Möglichkeit
ist ein Wink von Gott. Ihr soll man folgen. Die Möglichkeit zum Höchsten
ist in jedem Menschen, ihr soll er folgen. Will Gott es nicht, so laß ihn es verhindern, aber selber muß man sich daran
nicht verhindern. Ich habe im Vertrauen auf Gott gewagt, aber es glückte
mir nicht: darin ist ja Friede und Ruhe und Gottes Vertrautheit. Ich habe
nicht gewagt: das ist ein höchst unseliger Gedanke, eine Plage für die
ganze Ewigkeit.
(S. 302)
_____
1851
Ein
Apostel in unserer Zeit.
Dächte ich mir einen solchen in unserer Zeit, er würde sich ganz des
Predigens enthalten, um wenn möglich die Aufmerksamkeit auf das Existieren
hingelenkt zu bekommen . . .
Man kastriert einen Menschen, um ihn zu einem Sänger zu machen, der so
hohe Töne nehmen kann, wie kein natürlicher Mensch es kann: so sind auch
diese Redner, christlich verstanden, Kastraten, der eigentlichen
Manneskraft beraubt, die das Existentielle ist, aber den Ton können sie so
hoch nehmen, so hinreißend usw., wie kein wahrer Christ es kann.
(S. 462)
_____
1850
Auch
dieses ist mir eine unerklärliche Form von Geistlosigkeit, wie ein Mensch
so auf Tag und Stunde einen bestimmten Eindruck von dem Religiösen haben
kann: an Weihnachten Weihnachtsfreude und so überhaupt nicht an den
Karfreitag denken, am Karfreitag tief trauernd und so überhaupt keinen
anderen Eindruck haben. Das ist der beste Beweis dafür, daß einem das
Religiöse etwas ganz und gar Äußerliches ist.
(S. 400)
_____
31. Aug. 1837
Welcher
Typus für die Geschichte des menschlichen Herzens ist doch der Zug bei den
Juden, daß sie, da es ihnen verkehrt ging in der Welt, die
Hoffnung auf einen Erlöser entstellend, einen irdischen Messias
erwarteten? Wie erinnert das an die vielen Träume von Geld, das heilen und
beruhigen soll, von einer glücklichen Ehe, vom Unterkommen in einem
bestimmten Amt, Karriere usw. Jeder Christ hat auch seinen irdischen
Messias gehabt.
(S. 80-81)
_____
1844
Eigentlich
ist Gott terminus medius in allem, was ein Mensch sich
vornimmt; der Unterschied zwischen dem religiösen und dem bloßen Menschen
ist, daß dieser letzte nichts davon weiß - darum ist das Christentum die
höchste Verbindung zwischen Gott und Mensch, weil es eben dieses zum
Bewußtsein gebracht hat.
(S. 164)
_____
1849
Darin hat
Luther wieder völlig recht. Den Glauben kann niemand sehen, er ist ein
Unsichtbares, so daß keiner entscheiden kann, ob ein Mensch den
Glauben hat. Aber der Glaube soll erkannt werden an der Liebe. Nun hat man
ja freilich wieder die Liebe zu etwas Unsichtbaren machen wollen, aber
dagegen würde wohl Luther mit der Schrift protestieren; denn christlich
ist die Liebe Liebeswerk. Es ist eigentlich ein unchristlicher Begriff von
Liebe, daß sie ein Gefühl sei oder ähnliches. Das ist nämlich die
ästhetische Definition, paßt deshalb auch auf das Erotische und alles
solches. Aber christlich ist Liebe Liebeswerk. Christi Liebe war
nicht ein innerliches Gefühl und das tiefe Herz usw., sondern sie war das
Werk der Liebe, das sein Leben war.
(S. 357)
_____
1845
Die Sünde
in einem Menschen ist gleich dem griechischen Feuer, das nicht gelöscht
wird mit Wasser - hier nur mit Tränen.
(S. 169)
_____
1844
Die
Menschen scheinen nicht die Sprache empfangen zu haben, um die Gedanken zu
verbergen [Talleyrand, und vor ihm schon Young in den
Nachtgedanken], sondern um zu verbergen, daß sie keine Gedanken haben.
Die Aufgabe ist nicht, wie die Dummheit der Menschen meint: das
Christentum vor den Menschen zu rechtfertigen, sondern: sich selbst zu
rechtfertigen vor dem Christentum.
(S. 163)
_____
8. Dez. 1837
Ich
habe so oft nachgedacht, ob ich, wenn ich Gott dankte für etwas, ob es da
mehr die Furcht war, es zu verlieren, die das Gebet abpreßte, oder ob
es mit der religiösen Sicherheit geschah, die die Welt überwunden hatte.
(S. 85)
_____
12. Mai 1839
Ich sage
von meinem Leid, was der Engländer von seinem Hause sagt: mein Leid ist
mein castle.
(S. 108)
_____
1841
Und
in Wahrheit, es gibt im Leiden eine Gemeinschaft mit Gott, einen Pakt der
Tränen, der an und für sich so sehr schön ist.
(S. 134)
_____
1843
Je
mehr ein Mensch über einen andern erhöht ist, den er liebt, desto mehr
wird er [menschlich gesprochen] sich versucht fühlen, ihn zu sich
heraufzuziehen; aber desto mehr wird er [göttlich gesprochen] sich bewegt
fühlen, zu ihm hinabzusteigen. Das ist die Dialektik der Liebe. Sonderbar
genug, daß man dies im Christentum nicht gesehen hat, sondern beständig
von Christi Menschwerdung gesprochen hat als einem Mitleiden oder als
einer Notwendigkeit.
(S. 140)
_____
1846
Das, was
gerade die Wissenschaft so schwierig macht, übersieht man ganz. Man nimmt
an, daß jeder, und so auch der Mann der Wissenschaft, wisse, was
er [ethisch] in der Welt tun soll - und nun opfert er sich für seine
Wissenschaft. Aber die ethische Besinnung selber war ja das, was zuerst
hätte getan werden müssen - und so würde vielleicht die ganze Wissenschaft
stranden. Sein persönliches Leben hat da der Mann der Wissenschaft in ganz
anderen Kategorien als sein wissenschaftliches, aber eben jene ersten
waren ja die wichtigsten. Der Mann der Wissenschaft betet z. B. - und sein
ganzes Streben hat es nun eilig damit, Gottes Dasein zu beweisen. Aber wie
kann er denn innerlich beten, wenn sein Wesen zersplittert ist in diesem
Selbstwiderspruch. Und wenn er innerlich betet, so fragt es sich, wie er
von seinem Beten übergeht zu der Beschäftigung mit seiner Wissenschaft, es
fragt sich, wie er als Mann der Wissenschaft sich selbst versteht im
Beten, und wie er als Betender sich selbst versteht, ein Mann der
Wissenschaft zu sein.
(S. 183-184)
_____
1843
Es ist
ganz wahr, was die Philosophie sagt, daß das Leben rückwärts
verstanden werden muß. Aber darüber vergißt man den andern Satz, daß
vorwärts gelebt werden muß. Welcher Satz, je mehr er durchgedacht wird,
eben damit endet, daß das Leben in der Zeitlichkeit niemals recht
verständlich wird, gerade weil ich in keinem Augenblick völlige Ruhe
bekommen kann, um die Stellung einzunehmen: rückwärts.
(S. 157)
_____
1850
Der Mann -
das Weib
. . . Und verglichen mit dem Mann hat das Weib immer wesentlich mehr von
dem, was gewiß nun einmal wie darauf berechnet ist, einem Menschen
Scherereien zu machen und ihn unglücklich zu machen in dieser Welt, aber
von welchem doch, in verschiedenem Sinn, das Leben ausgeht: sie hat mehr
Herz.
(S. 438)
_____
1851
Der Glaube
ist alles
Ohne den Glauben stolpert man über eine Strohhalm [Petrus wird bange vor
einem Mädchen - und er verleugnet Christus], mit dem Glauben versetzt man
Berge . . .
(S. 464)
_____
29. Okt. 1837
Darum
halte ich soviel mehr vom Herbst als vom Frühjahr, weil man im Herbst nach
dem Himmel sieht - im Frühjahr auf die Erde.
(S. 83)
_____
1843
Man
sagt, daß die Erfahrung einen Menschen klug mache. Das ist recht
unvernünftig geredet. Wäre da nichts Höheres als Erfahrung, so würde sie
ihn gerade verrückt machen.
(S. 141)
_____
1846
Jedes
Naturphänomen beruhigt, und um so mehr, je länger man darauf
sieht oder hört. Jedes Kunstprodukt erregt Ungeduld. Das Gesetz für ein
Feuerwerk wird zuletzt sein, daß es in fünf Minuten abgebrannt sein soll,
je kürzer, desto besser. Aber des Windes Sausen, der Wellen Wechselsang,
das Flüstern des Grases gewinnt mit jeder Minute, die man darauf hört.
(S. 189-190)
12. Mai 1839
Es ist
recht bemerkenswert, daß, während alle anderen Bestimmungen, die
von Gott ausgesagt werden, Adjektive sind, "die Liebe" ein Substantiv ist,
und man würde schwerlich darauf fallen, zu sagen: "Gott ist lieb". So hat
die Sprache selbst das Substantielle ausgedrückt, das in dieser Bestimmung
liegt.
(S. 108)
_____
17. Juli 1840
Es
ist doch ein Gleichgewicht in der Welt. Dem einen gab Gott die Freuden,
dem andern die Tränen und Erlaubnis, einmal zuweilen sich auszuruhen in
Seiner Umarmung - und das Göttliche reflektiert sich doch weit schöner in
dem tränengeblendeten Auge, so viel schöner der Regenbogen ist als der
klare blaue Himmel.
(S. 125)
_____
23. Sept. 1837
Es ist
immer der Moses unseres Lebens [d. h. unsere ganze volle poetische
Lebenskraft], die nicht in das verheißene Land hineinkommt; es ist nur der
Josua unseres Lebens, der hinkommt. Wie Moses zu Josua, verhält sich
unseres Lebens poetischer Morgentraum zu seiner Wirklichkeit.
(S. 82)
_____
23. Jan 1839
Es
soll mit den Seelenzuständen des Menschen sein wie mit den Buchstaben in
den Lexika, einige sind so stark und voluminös entwickelt, andere haben
bloß ein paar Wörter unter sich - aber ein vollständiges Alphabet soll die
Seele haben.
(S. 103)
_____
12. Sept. 1838
Das ist
gerade das Tiefe im Christentum, daß Christus sowohl unser Erlöser
ist wie unser Richter, nicht daß einer unser Erlöser ist, ein anderer
unser Richter, denn so kämen wir ja doch ins Gericht, sondern daß der
Erlöser und der Richter derselbe ist.
(S. 97)
_____
16. Febr. 1839
Furcht
und Zittern ist nicht primus motor in dem christlichen Leben, denn
das ist die Liebe; aber es ist das, was die Unruhe ist in der Uhr -
es ist des christlichen Lebens Unruhe.
(S. 105)
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1848
Wenn
Kinder einen ganzen Tag zusammen sind, so spielen sie miteinander oder was
sie sonst tun mögen, und diese Beziehungen zueinander, diese Relativität
wird ihnen die Wirklichkeit, in welcher sie sozusagen ein jeder respektive
ernstliche Größen sind. Aber dann kommt plötzlich Botschaft, der kleine
Peter, Christian, Sören oder Hans oder wie er sonst heißen mag, solle
heimkommen. So greift das Absolute störend ein. So auch mit den Älteren -:
mit dem Religiösen im Zusammenleben mit den Älteren. Nun geht er hin und
redet mit den anderen ernsthaften Männern darüber, was er in der Welt sein
will, daß er das und das sein will, und es scheint den
anderen ernsthaften Menschen, daß er ein ernsthafter Mann ist, fast genau
so ernsthaft, wie die anderen. Aber dann kommt plötzlich Botschaft, daß er
heimkommen solle -: das Gottesverhältnis macht sich geltend. Siehe, darum
kann der wahrhaft Religiöse niemals es bis zu der besonderen Art von Ernst
bringen, der der allgemeine ist in der Welt, dem, der das Gottesverhältnis
ausläßt. Das Kind kann nicht die Erlaubnis bekommen, sich in dem
Sinnesbetrug festzusetzen, daß das Verhältnis zu den anderen Kindern das
Ganze sei - denn es kommt die Botschaft, daß es heimkommen solle.
(S. 292)
_____
1850
Wer den
Nächsten haßt, hat kein Kindesrecht bei Gott; ja nicht bloß hat er
kein Kindesrecht, sondern er hat keinen "Vater". Gott ist nämlich nicht
eigens mein oder irgendeines Menschen Vater [entsetzliche Vermessenheit
und Narrheit!], nein, er ist nur Vater in der Bedeutung von: Vater aller,
also nur mein Vater, insoweit er Vater aller ist. Wenn ich nun einen hasse
oder bei ihm leugne, daß Gott sein Vater ist - so ist nicht er es, der
verliert, sondern ich: Ich habe so keinen Vater.
(S. 441)
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1851
Das bloß Humane
Es
ist unglaublich, wie frech mancher heutzutage auf das bloß Humane im
Gegensatz zum Christentum sich beruft.
Aber was ist es denn, was wir jetzt das Humane nennen?
Es ist ein verflüchtigtes Christentum, ein Kulturbewußtsein, ein Bodensatz
des Christentums.
Man müßte zu diesen Humanisten sagen: schafft doch das bloß Humane her -
denn das Humane, das wir jetzt haben, ist eigentlich das Christentum, wenn
es auch dasselbe nicht haben will; aber ihr könnt nicht mit Recht es als
das Eure nehmen im Gegensatz zum Christentum.
(S. 477)
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1848
Das
Gottesverhältnis ist das einzige, das Bedeutung gibt. Das sieht man
eminent in Christi Leben. Da war ein Tag, ein Tag, der vermutlich auch
seine Begebenheit gehabt hat, von der alle als dem ungeheuer Wichtigen
gesprochen haben - an diesem Tag salbte ein Weib Christi Haupt - welche
Unbedeutendheit; und doch ist all das andere vergessen, nur sie im
Gedächtnis. Aber nie, scheint mir, tritt die göttliche Würde, das Bewußtsein davon, Gott zu sein, stärker hervor in Christi Leben, nicht
wann er ein Wunder tut, als da Er zeigt, welche unendliche Realität Sein
Leben hatte, daß eine so unbedeutende Begebenheit ewig erinnert zu werden
verdient, daß ein unbekanntes Weib, ein verschwindendes Nichts unsterblich
wird, bloß weil sie eines Tages Sein Haupt salbte!
(S. 276)
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13. Febr. 1839
Das ist
die vollste Prophezeiung, die je gewesen ist, da Christus sagt: Es ist gut
für euch, daß ich fortgehe, da war der Augenblick, da Christi
irdisches Dasein in dem Grad seine Reife erlangt hatte, da sein Leib
eingedörrt war, wie die Frucht es ist, wenn ihre Zeit vorbei ist, da die
ganze göttliche Fülle nicht mehr länger Raum finden konnte in irdischer
Gestalt als individuelle Existenz.
(S. 105)
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17. Juli 1840
Einen
Mystiker hört man gleichwie gewisse Vogelschreie nur in der Stille der
Nacht; sehr oft hat deshalb ein Mystiker nicht so große Bedeutung für die
lärmende Mitwelt wie nach einiger Zeit in der Stille der Geschichte für
den lauschenden Geistesverwandten.
(S. 124)
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1854
Das Weib
. . . in einem müßigen Augenblick fiel es mir heute beim Gehen ein: wenn
man um der Kuriosität willen einen Augenblick dächte, daß der Mann Kinder
gebären könnte - ich bin überzeugt, es würden recht schwere Geburten
werden und warum? Unter anderem auch weil er nicht schreien wollte; er
würde zu sich selber sagen: Du bist ein Mann, es ziemt sich nicht zu
schreien, du mußt sehen, den Schrei zurückzuhalten. Das Weib dagegen
schreit auf der Stelle - und dieser Schrei unterstützt, wie bekannt, die
Geburt.
In jedem Weib ist durch diese instinktive Klugheit etwas Geniales, genial
kürzt sie ungeheuer ab, verglichen mit dem Mann, der von tausend
Reflexionen beschwert ist und unter anderen auch von einer zuweilen doch
nur dummfeierlichen Vorstellung von eigener Würde, davon: Mann zu sein.
(S. 557)
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1848
Das
Lächeln des Sokrates. Man glaubte, dieses Lächeln sei boshaft, aber das
war es nicht. Weil es seine einzige Lust und Freude war, zu sehen, wie es
gelang, einen andern leer zu fragen - darum lächelte er. Denke Dir einen
Künstler [der da also nichts damit zu tun hat, andere auszufragen]; in dem
Augenblick, wo die Idee zu einem großen Kunstwerk ihm recht klar wird,
lächelt er. Und so auch ein Denker, wenn er etwas richtig begriffen hat.
Wenn es keine so geistlose Kunst wäre zu angeln, so würde der Angler auch
lächeln, wenn der Fisch anbeißt. Dies ist das Lächeln der
Intellektualität.
(S. 264)
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7. Jan. 1839
Das ist
die Verwirrung mit uns, daß wir zugleich der Pharisäer sind und
der Zöllner.
(S. 103)
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1848
Furchtbares Mißverhältnis! Die Schrift sagt, daß ein Mensch in der
Ewigkeit Rechenschaft ablegen soll für jedes ungebührliche Wort, das er
geredet hat - und das ist doch der letzte Trost, den man hat, daß man zum
mindesten in der Ewigkeit von Zeitungen frei sein soll.
(S. 310)
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1845
Wenn die
Untertanen in einem Land, wo ein König auf dem Throne ist, sich hinsetzen
und untersuchen wollen, ob es doch richtig sei, einen König zu haben, so
möchte er wohl rasend werden. Und so benimmt man sich gegen Gott - man vergißt, daß Gott da ist, und überlegt, ob es richtig, annehmlich
sei, einen Gott zu haben.
(S. 176)
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1846
Eben,
weil Gott nicht Objekt sein kann für den Menschen, da Gott das Subjekt
ist, eben darum erweist auch das Umgekehrte sich absolut: wenn einer Gott
leugnet, so tut er Gott keinen Schaden, sondern vernichtet sich selbst;
wenn einer Gottes spottet - so spottet er seiner selbst.
Je reiner ein Mensch ist, desto mehr nähert er sich auch im Verhältnis zu
andern Menschen dem, für sie nicht Objekt sein zu können. Doch bleibt hier
natürlich immer ein unendlicher qualitativer Unterschied.
(S. 225)
_____
19. Mai 1838 vormittags 10½ Uhr
Es gibt
eine unbeschreibliche Freude, die ebenso unerklärlich uns
durchglüht, wie der Ausbruch des Apostels unmotiviert eintritt: "Freuet
euch und wiederum sage ich: Freuet euch". - nicht eine Freude über dieses
oder jenes, sondern der Seele feuriger Ausruf "mit Zunge, Mund, aus
Herzensgrund": Ich freue mich mittels meiner Freude, von, in, an, bei,
wegen und mit meiner Freude - ein himmlischer Kehrreim, der gleichsam
plötzlich unsern übrigen Gesang abschneidet; eine Freude, die gleichwie
ein Windhauch kühlt und erfrischt, eine Welle des Passates, der aus dem
Hain Mamre zu den ewigen Wohnungen bläst.
(S. 91)
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1854
Die Unruhe
Wie der
Fischer, wenn er das Garn gelegt hat, im Wasser Lärm macht, um die Fische
seinen Weg zu jagen und desto mehr zu fangen; wie der Jäger mit der Schar
der Treiber das ganze Terrain umspannt und das Wild in Menge aufscheucht
zu der Stelle hin, wo es geschossen werden soll: so jagt Gott, der geliebt
werden will, mit Hilfe von Unruhe nach den Menschen.
Das Christentum ist die intensivstärkste, die größtmögliche Unruhe, es
läßt sich keine größere denken, es will [so wirkte ja Christi Leben] das
Menschendasein beunruhigen von tiefsten Grund aus, alles sprengen, alles
brechen.
. . . Wo einer Christ werden soll, da muß Unruhe sein; und wo einer Christ
geworden ist, da wird Unruhe.
(S. 572)
_____
26. Dez. 1837
Warum ruht
die Seele so aus und stärkt sich beim Lesen von Märchen? Wenn ich müde bin
von allem und "satt des Tages", sind Märchen immer ein Bad der Erneuerung,
das sich für mich so wohltuend erweist. Hier sind
alle irdischen, alle endlichen Sorgen zu Ende; die Freude, ja das Leid
selbst ist unendlich [und gerade deshalb wirken sie so ausweitend
wohltuend]. Man zieht aus, um den blauen Vogel zu finden, wie die
Prinzessin, auserlesen zur Königin, einen andern das Reich besorgen läßt,
um selber ihren unglücklichen Geliebten zu suchen. Und welches unendlich
tiefe Leid liegt nicht darin, daß sie als Bauernmädchen verkleidet
umherirrt, zu einem alten Weibe sagt, dem sie begegnet: "Ich bin nicht
allein, meine gute Mutter; ich habe ein großes Gefolge bei mir von Kummer,
Sorgen, Leiden." Man vergißt so ganz und gar das einzelne private Leid,
das jeder Mensch für sich haben kann, um zu versinken in dem allen
gemeinsamen tiefen Leid, wodurch man so leicht versucht wird, zu wünschen,
einem alten Weibe zu begegnen, zu dem man sagen könnte "meine gute Mutter"
- oder einem jungen Mädchen, das rund um die Erde irrt nach ihrem
Geliebten, um zusammen die Pilgerfahrt anzutreten. - Oder, welche stark
aushaltende ewige Freundschaft liegt nicht in derselben Geschichte darin,
daß der Zaubermeister, der "Huldreich" beschützt, achtmal rund um die Erde
wandert und nun nach Gewohnheit zuerst lange ins Horn stößt und danach
fünfmal mit aller Kraft ruft: "O Huldreich, König Huldreich, wo bist du?"
- Oder wenn da erzählt wird von einem König oder einer Königin, die eine
einzige Tochter hatte - da war nicht die Rede von Finanzen . . . sie rufen
nicht die Stände zusammen - nein! alle Ammen rufen sie zusammen.
(S. 85-86)
_____
1848
Daß ein Mensch zehn, zwanzig, dreißig Jahre hat hinleben können, ohne
gemerkt zu haben, daß Gott da ist: oh, das ist furchtbar, zu verschulden,
daß Gott einem so zürnt. Denn Gott ist der Liebende, und die erste Form
ist just die, daß er liebend darauf aufmerksam macht, daß er da ist; daß
man hingeht und schläft, ohne aufmerksam zu werden auf Gott. Aber das ist
Gottes Zorn, einen Menschen wie ein Tier hinleben zu lassen, das er nicht
anruft.
(S. 281)
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9. Nov. 1849
Wenn
ein Araber in der Wüste plötzlich in seinem Zelt eine Quelle entdeckte, so daß er also beständig Quellwasser im Überfluß hätte: wie
glücklich würde er sich preisen - so auch, wenn ein Mensch, der qua
sinnliches Wesen beständig nach außen gekehrt ist, in der Meinung, daß
seine Glückseligkeit außer ihm liege, plötzlich nach innen gekehrt wird
und entdeckt, daß die Quelle in ihm liegt; geschweige, wenn er die Quelle
entdeckt, die das Gottesverhältnis ist.
(S. 385)
_____
1846
Nach und
nach, wie Aufklärung und Bildung zunehmen und die Forderungen höher und
höher werden, wird es natürlich schwieriger und schwieriger, als Philosoph
die Forderung der Zeit zufrieden zu stellen. Im Altertum forderte man:
Geistesgaben, Freiheit des Sinns, Leidenschaft des Denkens. Man vergleiche
die heutige Zeit, nun fordert man in Kopenhagen, daß ein
Philosoph auch dicke oder doch wohlgeformte Beine haben soll, und daß
seine Kleider nach der Mode sitzen sollen. Das wird schwieriger und
schwieriger, es sei denn, man begnüge sich mit der letzten Forderung
allein und nehme an, daß jeder, der dicke oder wohlgeformte Beine hat und
dessen Kleider nach der Mode sitzen, ein Philosoph ist.
(S. 185)
_____
7. Okt. 1837
Mein Leben
ist leider allzu konjunktivisch, Gott gebe, ich hätte eine indikativische
Kraft.
(S. 82)
_____
29. Okt. 1837
Alle
anderen Religionen sind oblique Reden, der Stifter tritt zur Seite
und führt einen anderen redend ein, sie gehören deshalb selber unter die
Religion - das Christentum allein ist direkte Rede [Ich bin die Wahrheit].
(S. 83)
_____
28. Sept. 1849
Es ist mit
dem Verhältnis zu Gott nicht wie mit dem Verhältnis zu einem Menschen, daß, je länger sie zusammenleben und je näher sie einander
kennenlernen, desto näher sie einander auch kommen: oh, umgekehrt im
Verhältnis zu Gott; je länger man zusammenlebt mit ihm, desto unendlicher
wird er - und desto weniger wird man selber. Ach, als Kind schien es einem
doch, daß Gott und Mensch gut zusammen spielen könnten. Ach, als Jüngling
träumte man doch davon: wenn man recht unbedingt und rasend sich
anstrengen wollte wie ein Verliebter, wenn auch anbetend, so ließe sich
das Verhältnis doch noch zustande bringen. Ach, als Mann entdeckt man, wie
unendlich Gott ist, und den unendlichen Abstand. Dies ist die Entdeckung,
sie hat etwas gemeinsam mit der sokratischen Unwissenheit, mit der nicht
begonnen wurde, sondern geendet - daß es endete mit Unwissenheit!
(S. 375)
_____
9. Okt. 1835
Es geht
mit dem Christentum oder mit dem Christwerden wie mit jeder
Radikalkur, man setzt sie aus solange wie möglich.
(S. 44)
_____
9. Juli 1837
Es
gibt einzelne Dinge, die einem nicht leid werden, wenn man z. B. in einem
Wald Schnitter das Gras mähen hört und sie alle auf einmal einhalten, um
die Sense zu wetzen, ein Laut, der monotonisch wiederkommt
wie der Kehrreim in den alten Weisen - wie eine Art Gebet und Anrufung.
(S. 74)
_____
1846
Wenn die
Naturwissenschaften zu Sokrates' Zeiten entwickelt gewesen wären, wie sie
jetzt sind: so wären alle Sophisten Naturforscher geworden. Der eine hätte
ein Mikroskop vor seiner Boutique hängen gehabt, um Kunden anzulocken, ein
anderer ein Schild, auf dem stand: hier sieht man mit Hilfe eines Riesenmikroskopes, wie ein Mensch denkt; hier, wie das Gras
wächst. - Ausgezeichnete Motive für einen Aristophanes, besonders wenn man
Sokrates mit dabei sein und in ein Mikroskop gucken ließe.
(S. 222)
_____
1846
Von
den Naturwissenschaften aus wird sich die traurigste Differenz zwischen
Einfältigen ausbreiten, die einfältig glauben, und Gelehrten und
Halbstudierten - die durch ein Mikroskop gesehen haben. Man darf da nicht
mehr wie in alten Tagen freimütig seine Rede von dem einfältig Höchsten an
alle, alle, alle Menschen richten, gleichgültig, ob sie schwarz sind oder
grün, ob sie große Köpfe haben oder kleine: man muß erst sehen, ob sie
Gehirn genug haben - um an Gott zu glauben. Hätte Christus das mit dem
Mikroskop gewußt, so hätte er zuerst die Apostel untersucht.
(S. 222-223)
_____
1846
Es geht
den meisten Systematikern im Verhältnis zu ihren Systemen, wie wenn ein
Mann ein ungeheures Schloß baut und selber seitwärts in einer
Scheune lebt, sie leben nicht selber in dem ungeheuren systematischen Bau.
Aber in geistigen Verhältnissen ist und bleibt dies ein entscheidender
Einwand. Geistig verstanden müssen eines Mannes Gedanken der Bau sein,
worin er wohnt - sonst ist es verkehrt.
(S. 188)
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1849
Wehe,
wehe, wehe über die Tagespresse! Käme Christus heute in die Welt: so wahr
ich lebe, er nähme sich zum Ziel nicht die Hohenpriester - sondern die
Journalisten.
(S. 335)
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13. Juli 1837
Man wirft
den andern vor: daß sie zu sehr Gott fürchten. Sehr richtig,
denn um richtig Gott zu lieben, dazu gehört auch, daß man Gott
gefürchtet hat; die Liebe des Spießbürgers zu Gott tritt ein, wenn das
vegetative Leben in voller Wirksamkeit ist, wenn die Hände behaglich über
dem Magen sich falten und von dem in einem weichen Lehnstuhl
zurückgelehnten Kopf ein schlaftrunkener Blick zur Decke sich hebt.
(S. 80)
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15. April 1838
Das
Leben läßt sich erst erklären, wenn es durchgelebt ist, gleichwie auch
Christus erst begann, die Schriften zu erklären, um zu zeigen, wie sie von
ihm lehrten - als er auferstanden war. (S. 90)
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24. Nov. 1834
Der Stein,
der vor Christi Grab gelegt wurde, scheint mir passend der
Stein der Weisen genannt werden zu können, insofern seine Wegwälzung
nicht bloß den Pharisäern, sondern nun 1800 Jahre hindurch den Weisen so
viel zu schaffen gemacht hat.
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13. Juli 1837
Das
Heidentum kommt niemals näher zur Wahrheit als Pilatus: was ist Wahrheit?
und darauf kreuzigen sie sie. Dank, Lichtenberg, Dank! weil du sagst: daß es nichts Kraftloseres gibt, als mit einem Literaten der
Wissenschaft zu reden, der selber nicht gedacht hat, aber tausend
literarhistorische Umstände weiß. "Es ist fast wie die Vorlesung aus einem
Kochbuch, wenn man Hunger hat". O Dank für diese Stimme in der Wüste, Dank
für diese Labung. Wie der Schrei eines wilden Vogels in der Stille der
Nacht die ganze Phantasie in Bewegung setzt, stelle ich mir vor, daß es
nach einem lang andauernden Geschwätz mit einem solchen gelehrten
Umgangssüchtigen war, der ihn vielleicht eines glückseligen Augenblicks
beraubte. Leider steht in dem Exemplar, in welchem ich lese, ein Zeichen
daneben, das mich stört; denn ich sehe schon im Geist den einen oder
andern Journalisten, der dieses Werk sorgfältig durchgegangen hat, um sein
Blatt zu füllen mit Aphorismen oder Lichtenbergs Namen, und dadurch
hat er mir leider etwas von der Überraschung geraubt. Sie führen Liste
gleichwie Leporello, aber was ihnen fehlt, ja darin steckt es; während Don
Juan verführt und genießt - notiert Leporello Zeit, Ort und das
Signalement des Mädchens.
(S. 78-79)
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7. Juli 1838
Gott
schafft aus nichts, wunderbar, sagst du. Ja gewiß, aber er tut das,
was wunderbarer ist: er schafft Heilige aus Sündern.
(S. 91)
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3. Febr. 1839
Das
Göttliche kann sich gut rühren unter den irdischen Verhältnissen, und es
braucht nicht deren Vernichtung als Bedingung für sein Hervortreten, so
wie ja Gottes Geist für Moses sich offenbarte im Dornbusch, der brannte,
ohne verzehrt zu werden.
(S. 104-105)
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6. Nov. 1837
Ahnung ist
das Heimweh des irdischen Lebens nach dem Höheren, nach der
Anschauung, die der Mensch in seinem paradiesischen Leben gehabt haben
muß.
(S. 84)
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8. Dez. 1837
Ich
glaube, daß ich, wenn ich einmal ein ernster Christ werde, mich am
meisten darüber schämen werde, daß ich es nicht früher geworden bin,
sondern zuerst alles andere versuchen gewollt habe.
(S. 85)
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1846
Wie gerne
wollte ich nicht lesen und lesen; es ist mir, als würde es eine Abkürzung
sein. Und doch glaube ich, daß ich weiter komme mit Geduld - auf
dem langen Weg des Selbstdenkens.
(S. 225)
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1847
Alle
Menschen wünschen, mit großen Männern, großen Ereignissen usw.
gleichzeitig zu sein oder zu werden, Gott weiß, wieviele Menschen
eigentlich gleichzeitig mit sich selbst leben. Gleichzeitig mit sich
selbst sein [also nicht mit dem Künftigen der Furcht oder der Erwartung,
oder mit der Vergangenheit] ist Durchsichtigkeit in Ruhe, und dies ist nur
möglich durch das Gottesverhältnis, oder dies ist das Gottesverhältnis.
(S. 253)
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1847
Ob wohl
ein Mensch, der ein Wunder tun könnte, darauf halten würde, die Brosamen
aufheben zu lassen? Ach, bloß bei einem überflüssigen Gastmahl ist es
Brauch, die Gläser in Scherben zu schlagen, um den Überfluß zu
bezeichnen. Aber Christus tut ein Wunder, kann jeden Augenblick ein Wunder
tun - und er läßt die Brocken sammeln. Daß ein Armer sagt: Brocken sind
auch Brot, das hört man - aber daß der Reichste zugleich, als wäre er der
Ärmste, die Brocken sammelt: das ist göttlich.
(S. 253-254)
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17. Jan. 1837
Die
Philosophie wirft bei jedem Schritt, den sie macht, eine Haut von sich,
und in die kriechen die dümmeren Anhänger hinein.
(S. 68)
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9. Juli 1837
Es
ist so unmöglich, daß die Welt ohne Gott bestehen kann, daß, wenn Gott
sie vergessen könnte, sie augenblicklich untergehen würde.
(S. 74)
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1854
Alles - Nichts
Gott
schafft alles aus Nichts - und alles, das Gott gebrauchen will, macht er
zuerst zu nichts.
(S. 563)
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1851
Geist
ist: welche Macht eines Menschen Erkenntnis über sein Leben hat. Der,
welcher vielleicht mit einer unrichtigen Vorstellung von Gott doch dem
nachkommt, was diese unrichtige Vorstellung an Selbstverleugnung von ihm
verlangt, hat mehr Geist als der, der vielleicht sogar gelehrt und
spekulativ die richtige Gotteskenntnis hat, die aber überhaupt keine Macht
über sein Leben ausübt.
(463)
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17. Jan. 1837
Es gibt
viele Menschen, die zu einem Lebensresultat kommen gleichwie Schulbuben;
die hintergehen ihre Lehrer dadurch, daß sie das Fazit aus dem
Rechenbuch abschreiben, ohne selbst die Aufgabe gerechnet zu haben.
(S. 59)
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9. Juli 1837
Es gibt
wenig Worte, mit denen die Menschen, ohne es zu wissen, so viel sagen wie
mit dem Wort: orientieren; das ist ein weltgeschichtliches Memento - die
ganze Geschichte geht vom Osten aus, dem Ausgangspunkt des
Menschengeschlechts.
(S. 76-77)
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17. Jan. 1837
Das ist
der Weg, den wir alle gehen müssen - über der Seufzer Brücke hinein in die
Ewigkeit.
(S. 66)
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8. Okt. 1836
Es
gilt im Leben aufzupassen, wann das Stichwort für einen kommt.
(S. 56)
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1854
O
Gott!
Ja, o Gott, Du hast doch Plage mit uns Menschen! Ach, wenn ich beim
Gedanken an alle Deine Wohltaten gegen mich meinen Sinn sammeln will, um
Dir recht zu danken - ach, da finde ich mich oft so zerstreut, die
verschiedenartigsten Gedanken durchkreuzen meinen Kopf, und es endet
damit, daß ich Dich bitten muß, mir zu helfen, Dir zu danken - aber das
könnte doch ein Wohltäter verlangen, daß man ihm nicht neue
Ungelegenheiten bereite durch das Verlangen, daß er einem sogar helfen
solle, ihm zu danken!
Oh, und wann die Sünde einen Augenblick Macht bekommt über mich in neuer
Sünde - wenn da meine Seele trostlos wird, so weiß ich zuletzt nichts
anderes zu tun, als Dir zu sagen: Du mußt mir helfen. Du mußt mich
trösten, auf etwas kommen, worin ich recht Trost finde, so daß meine
Schuld sogar sich erklärt, indem sie mir weiter hilft, als ich gekommen
war. Welche Unverschämtheit - Du bist es ja, gegen den ich sündigte, und
nun von Dir zu verlangen, daß Du mich darüber trösten sollst.
Und doch weiß ich, daß es Dir nicht mißfällt, unendliche Liebe, denn das
ist doch in einem gewissen Sinn ein Zeichen von Fortschritt! Hat die Sünde
ganz Macht über einen Menschen, so darf er gar nicht an Dich denken;
kämpft er mit ihr, aber nicht aus all seiner Macht, so darf er höchstes
nur sich selber anklagen bei Dir und Dich um Vergebung bitten. Aber kämpft
er aus all seiner Macht, redlich - da erst konnte es ihm einfallen, daß Du
für ihn Partei ergreifst oder auf seiner Seite bist, daß Du es bist, der
ihn trösten muß, daß er bei Dir, anstatt bloß sich anzuklagen, sich
beklagen darf, fast als wäre es etwas, das ihm zugestoßen ist.
(S. 568-569)
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1847
Die jetzt
lebende Christenheit lebt eigentlich so, als wäre das Verhältnis dieses:
Christus ist der große Held und Wohltäter, der uns ein für allemal die
Seligkeit gesichert hat, nun sollen wir bloß froh sein und vergnügt über
die unschuldigen Güter des irdischen Lebens und ihm den Rest überlassen.
Aber Christus ist wesentlich das Vorbild, also sollen wir ihm
gleichen, nicht bloß Nutzen von ihm haben.
(S. 253)
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1850
Die Nachfolge
Die
rechte Nachfolge entsteht nicht dadurch, daß da gepredigt wird: Du
sollst Christus nachfolgen; sondern dadurch, daß davon gepredigt wird, was
Christus für mich getan hat. Faßt und fühlt ein Mensch dieses recht tief
und wahr, wie unendlich viel es ist, so folgt die Nachfolge schon.
(S. 443-444)
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März 1836
Das ganze
menschliche Leben ließe sich gut wie eine große Rede auffassen, in der die
verschiedenen Menschen die verschiedenen Redeteile repräsentieren [das
ließe sich vielleicht auch auf die Staaten im Verhältnis zueinander
überführen]. Wie viele Menschen sind bloß Adjektiva,
Interjektionen, Konjunktionen, wie wenige sind Substantiva, Verba, wie
viele sind Kopula!
(S. 50)
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Jan. 1852
"Der Professor"
Der Philosoph war im früheren Altertum eine Macht, ethische Macht,
Charakter - das Kaisertum sicherte sich dadurch, daß es - sie entlohnte,
sie zu "Professoren" machte.
So auch mit dem Christlichen.
Der Professor ist der Kastrat: aber er hat sich nicht entmannt um des
Reiches Gottes willen, sondern umgekehrt, um recht hineinzupassen in diese
charakterlose Welt.
(S. 496)
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6. Jan. 1839
Vater im Himmel! Wenn der Gedanke an Dich in unserer Seele erwacht, so laß
ihn nicht erwachen wie einen aufgeschreckten Vogel, der verwirrt
umherflattert, sondern wie ein Kind aus dem Schlaf mit seinem himmlischen
Lächeln.
(S. 103)
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1851
"Wer seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz verschließt" - ja, er
schließt mit jenem auch Gott aus.
Es ist mit der Liebe zu Gott und mit der Liebe zu dem Nächsten wie mit
zwei Türen, die auf einmal aufgehen, so daß es unmöglich ist, die eine
aufzuschließen, ohne auch die andere aufzumachen, und unmöglich, die eine
zu schließen, ohne auch die andere zu schließen.
(S. 464)
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Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949