Ernst Stadler (1883-1914) - Liebesgedichte

Ernst Stadler



Ernst Stadler
(1883-1914)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 



An die Schönheit

So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder die vom Sonnenleuchten trunken
ein Lächeln um den Mund voll süßem Bangen

und ganz im Strudel goldnen Lichts versunken
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken

kühl schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter die von Dunkel triefen

und ihre Hände tasten voll Verlangen
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel
das hinter roten Wäldern hingegangen - -

ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 15-16)
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Stille Stunde

Schwer glitt der Kahn. Die Silberweiden hingen
schauernd zur Flut. Und bebend glitt der Kahn.
Und deine Worte fremd und klanglos fielen
wie blasse Mandelblüten leicht und leuchtend
zum Fluß aus dessen schwankem Grunde spiegelnd
die hellen Wiesen lockten und der Himmel
und allen Lebens traumhaft Bild indes
vom flirrenden Geäst durchsungner Kronen
der Abend in Rubinenfeuern sprühend
sich golden in die lauen Wolken schwang.

Und deine Worte sanken mit dem Rauschen
erglühter Wasser und dem süßen Takt
tropfender Ruder fremd und schwer zusammen
in eine dunkle Weise hingeschleift
vom matten Licht der Dämmerung die schon feucht
die Wiesen überrann ein Kinderlied
aus Spiel und Traum gefügt das weich wie Flaum
blaßroter Wölkchen durch den bebenden Glanz
der Wasser ging und still im Abend losch.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 19-20)
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Abendleuchten

Wie die Hand einer Geliebten ist dein Licht
wenn du über schwanke Brücken schreitest
leicht gewölbt aus bebendem Kristall.
Sprühend schleift des Kleides goldner Saum
über Ackerfurchen über Wälder
webt im Gleiten über wirre
grüne moosumtropfte stille Weiher
zarte Maschen drängt und schäumt
über alle dunklen Dolden
alle großen weißen Glocken
schwanken bis zum Rand gefüllt im roten Duft.
Und die zitternden gleitenden Weiden hängen
schwer im Glanz und durch die Lindenkronen
sickert flirrend dünner güldner Regen.

Wie die Hand einer Geliebten ist dein Licht
wenn die Gassen seltsam stehn und schauern
zwischen Glut und Schatten. In den Fenstern
schwebt dein irrer Schein. Aus Kuppeln
alter Kirchen strömt er nieder aus dem Singen
enggeschmiegter Mädchen die in Reihen
dämmrig weite Abendstraßen hingehn in den Augen
Märchenleuchten leise singend hingehn
 wo im fernen Tal der blasse Strom
wie mit schwerem Gold beladen rinnt und glüht.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 21-22)
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Herbstgang

Und strahlend unter goldnem Baldachin
um starre Wipfel funkelnd hingebreitet
und Kronen tragend gehn wir hin
und flüsternd gleitet
dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.
Aus wilden schwanken lachenden Girlanden
rieselt's wie goldner Staub
und webt sich fließend ein in den Gewanden
und heftet wie Juwelen schwer
sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt
in grellen Wirbeln vor uns her
und sinkt aufstiebend in das wirre Meer
kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt
wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...

Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.
Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.
Ein feiner dünner Nebel staut
und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser
und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.

Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser
und atmend steigen wir auf steilen Stufen.
Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.
Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.
Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.
Und dunkel trägt uns schon der große Traum.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 24-25)
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Einem Mädchen

Du über deren Lippen leis in linden
Frühsommernächten trunkne Worte schweben:
Nun will ich deinen jungen Leib umwinden
und deiner Seele süße Last entbinden
und aller Träume wundervolles Weben

in Märchenaugen rätselhaft gespiegelt
wie Lilien sich zu dunklen Wassern neigen -
Schon fühl ich schwankend in gelöstem Reigen
aus Purpurschächten zauberkühn entriegelt
ein Fremdes Ahnungsvolles wirkend steigen -

Schon trägt vom jungen Morgenwind gezogen
das goldne Schiff uns auf geklärten Wellen
zu neuem Meer. Schon sehen wir im hellen
Dunstflor der Fernen weiß vom Gischt umflogen
die blauen Inselkuppen ladend schwellen

gestreift von früher Sonne scheuem Schein
in warmem Kranz die sanften grünen Buchten -
Schon steigen wir durch Tal und feuchte Schluchten
und schauen strahlend über schwarzem Hain
 die Wundergärten die wir sehnend suchten -

und betten uns in goldne Blüten ein.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 34-35)
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Der gelbe Mond
(Nach Henri de Régnier)

Der lange Tag erlosch im gelben Leuchten
des Monds der weich sich zwischen Pappeln hebt
indes der Hauch des Weihers der im feuchten
Schilfröhricht schläft duftend im Dämmer schwebt.

Ahnten wir wohl als wir im Sonnenbrand
auf heißem Feld und scharfen Stoppeln schritten
als unsrer Füße Spur im dürren Sand
sich purpurn malte wie von blutigen Tritten

ahnten wir als der Liebe Flammen rot
in unsern gramzerwühlten Herzen glühten
ahnten wir als die heiße Glut verloht
daß ihre Asche unsern Abend sollt' behüten

und daß der herbe Tag sterbend in Duft gehüllt
vom Hauch des Weihers der im feuchten
Schilfröhricht schläft hinlösche in das gelbe Leuchten
des Monds der zwischen Pappeln steigt
und still sich füllt?

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 36-37)
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Erfüllung

Im Dämmer glommen die gemalten Wände.
Ich sah dich an vom großen Schweigen trunken:
Und bebend fühlt ich deine weichen Hände
und stammelnd sind wir uns ans Herz gesunken.

Wie Kinder die in weißen Frühlingskleidern
hinlaufen durch die knospenhellen Hecken
und zwischen Büscheln lichtumschäumter Weiden
und braunen Halmen spielend sich verstecken

in Baches Silber wundernd sich beschauen
und jubelnd folgen bunter Falter Glänzen
und Knospen brechen von besternten Auen
und singend sich mit Blütenkronen kränzen

bis glühend sie in seligem Ermatten
zur Quelle steigen leichten Spiels vergessen
und zitternd unter schwanker Birken Schatten
die zarten Lippen ineinander pressen.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 69-70)
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Tage

1.
Klangen Frauenschritte hinter Häuserbogen,
Folgtest du durch Gassen hingezogen
Feilen Blicken und geschminkten Wangen nach,
Hörtest in den Lüften Engelschöre musizieren,
Spürtest Glück, dich zu zerstören, zu verlieren,
Branntest dunkel nach Erniedrigung und Schmach.

Bis du dich an Eklem vollgetrunken,
Vor dem ausgebrannten Körper hingesunken,
Dein Gesicht dem eingeschrumpften Schoß verwühlt -
Fühltest, wie aus Schmach dir Glück geschähe,
Und des Gottes tausendfache Nähe
Dich in Himmelsreinheit höbe, niegefühlt.

2.
O Gelöbnis der Sünde!
All' ihr auferlegten Pilgerfahrten in entehrte Betten!
Stationen der Erniedrigung und der Begierde
an verdammten Stätten!
Obdach beschmutzter Kammern, Herd in der Stube,
wo die Speisereste verderben,
Und die qualmende Öllampe, und über der
wackligen Kommode der Spiegel in Scherben!
Ihr zertretnen Leiber! du Lächeln,
krampfhaft in gemalte Lippen eingeschnitten!
Armes, ungepflegtes Haar!
ihr Worte, denen Leben längst entglitten -
Seid ihr wieder um mich,
hör' ich euch meinen Namen nennen?
Fühl' ich aus Scham und Angst wieder den einen Drang
nur mich zerbrennen:
Sicherheit der Frommen,
Würde der Gerechten anzuspeien,
Trübem, Ungewissem, schon Verlornem
mich zu schenken, mich zu weihen,
Selig singend
Schmach und Dumpfheit der Geschlagenen zu fühlen,
Mich ins Mark des Lebens
wie in Gruben Erde einzuwühlen.

3.
Ich stammle irre Beichte über deinem Schoß:
Madonna, mach' mich meiner Qualen los.
Du, deren Weh die Liebe nie verließ,
In deren Leib man sieben Schwerter stieß,
Die lächelnd man zur Marterbank gezerrt -
O sieh, noch bin ich ganz nicht aufgesperrt,
Noch fühl' ich, wie mir Haß zur Kehle steigt,
Und vielem bin ich fern und ungeneigt.
O laß die Härte, die mich engt, zergehn,
Nur Tor mich sein, durch das die Bilder gehn,
Nur Spiegel, der die tausend Dinge trägt,
Allseiend, wie dein Atemzug sich über Welten regt.

4.
Dann brenn' ich nächtelang, mich zu kasteien,
Und spüre Stock und Geißel über meinen Leib geschwenkt:
Ich will mich ganz von meinem Selbst befreien,
Bis ich an alle Welt mich ausgeschenkt.
Ich will den Körper so mit Schmerzen nähren,
Bis Weltenleid mich sternengleich umkreist -
In Blut und Marter aufgepeitschter Schwären
Erfüllt sich Liebe und erlöst sich Geist.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 13-16)
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Metamorphosen

Erst war grenzenloser Durst,
ausholend Glück, schamvolles Sichbeschauen,
Abends in der Jungenstube, wenn die Lampe ausgieng,
Zärtlichkeiten überschwänglich hingeströmt
an traumerschaffne Frauen,
Verzückte Worte ins Leere gesprochen
und im Blut der irre Brand -
Bis man sich eines Nachts
in einem schalen Zimmer wiederfand,
Stöhnend, dumpf, und seine Sehnsucht über einen trüben,
eingesunknen Körper leerte,
Sich auf die Zähne biß und wußte:
dieses sei das Leben, dem man sich bekehrte.
Ein ganzer blondverklärter Knabenhimmel
stand in Flammen -
Damals stürzte Göttliches zusammen ...
Aber Seele hüllte gütig enge Kammer,
welken Leib und Scham und Ekel ein,
Und niemals wieder war Liebe so sanft,
demütig und rein,
So voller Musik wie da ...
Dann sind Jahre hingegangen
und haben ihren Zoll gezahlt.
Aus ihrem Fluß manch' eine Liebesstunde
wie eine Mondwelle aufstrahlt.
Aber Wunder wich zurück, wie schöne hohe Kirchen
Sommers vor der Dämmerung in die Schatten weichen.
Eine Goldspur wehte übern Abendhimmel hin:
nichts konnte sie erreichen.
Seele blieb verlassen,
Sehnsucht kam mit leeren Armen heim,
so oft ich sie hinausgeschickt,
Wenn ich im Dunkel, nach Erfüllung rang,
in Hauch und Haar geliebter Frau'n verstrickt.
Denn immer griffen meine Hände
nach dem fernen bunten Ding,
Das einmal
über meinem Knabenhimmel hieng.
Und immer rief mein Kiel nach Sturm -
doch jeder Sturm hat mich ans Land geschwemmt,
Sterne brachen, und die Flut zerfiel,
in Schlick und Sand verschlämmt ...
Daran mußt' ich heute denken,
und es fiel mir ein,
Daß alles das umsonst,
und daß es anders müsse sein,
Und daß vielleicht die Liebe nichts
 als schweigen,
Mit einer Frau am Meeresufer stehn
und durch die Dünen horchen,
wie von fern die Wasser steigen.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 18-19)
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Betörung

Nun bist du, Seele, wieder deinem Traum
Und deiner Sehnsucht selig hingegeben.
In holdem Feuer glühend fühlst du kaum,
Daß Schatten alle Bilder sind, die um dich leben.

Denn nächtelang war deine Kammer leer.
Nun grüßen dich, wie über Nacht die Zeichen
Des jungen Frühlings durch die Fenster her,
Die neuen Schauer, die durch deine Seele streichen.

Und weißt doch: niemals wird Erfüllung sein
Den Schwachen, die ihr Blut dem Traum verpfänden,
Und höhnend schlägt das Schicksal Krug und Wein
Den ewig Dürstenden aus hochgehobnen Händen.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 20)
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Lover's Seat

Im Abend sind wir steile
grünbebuschte Dünenwege hingeschritten.
Du ruhst an mich gedrängt.
Die Kreideklippe schwingt ihr schimmerndes Gefieder
über tiefem Meere.
Hier, wo der Fels
in jäher Todesgier ins Leere
Hinüberlehnt, sind einst zwei Liebende
ins weiche blaue Bett geglitten.

Fern tönt die Brandung.
Zwischen Küssen lausch ich der Legende,
Die lachend mir dein Mund
in den erglühten Sommerabend spricht.
Doch tief mich beugend
seh' ich wie im Glück erstarren dein Gesicht
Und dumpfe Schwermut
hinter deinen Wimpern warten und das nahe Ende.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 35)
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Gang in der Nacht

Die Alleen der Lichter, die der Fluß
ins Dunkel schwemmt, sind schon erblindet
In den streifenden Nebeln.
Bald sind die Staden eingedeckt. Schon findet
Kein Laut den Weg mehr aus dem trägen Sumpf,
der alles Feste in sich schluckt.
Die Stille lastet. Manchmal bläst ein Wind
die Gaslaternen auf. Dann zuckt
Über die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts
und schießt zurück. Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor
wie Rümpfe wilder Schiffe auf entferntem Meer
und gleiten
Wieder in Nacht. O diese Straße,
die ich so viel Monde nicht gegangen -
Nun streckt Erinnerung hundert Schmeichlerarme aus,
mich einzufangen,
Legt sich zu mir, ganz still, nur schattenhaft,
nur wie die letzte Welle Dufts
von Schlehdornsträuchern abgeweht,
Nur wie ein Spalt von Licht, davon doch meine Seele
wie ein Frühlingsbeet in Blüten steht -
Ich schreite wie durch Gärten.
 Bin auf einem großen Platz.
Nebel hängt dünn und flimmernd
wie durch Silbernetz gesiebt -
Und plötzlich weiß ich: hinter diesen Fenstern dort
schläft eine Frau, die mich einmal geliebt,
Und die ich liebte. Hüllen fallen. Eine Spannung bricht.
Ich steh' bestrahlt, besternt in einem güldnen Regen,
Alle meine Gedanken laufen wie verklärt durchs Dunkel
einer magisch tönenden Musik entgegen.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 41)
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In der Frühe

Die Silhouette deines Leibs steht in der Frühe
dunkel vor dem trüben Licht
Der zugehangnen Jalousien. Ich fühl, im Bette liegend,
hostiengleich mir zugewendet dein Gesicht.
Da du aus meinen Armen dich gelöst, hat dein geflüstert
»Ich muß fort« nur an die fernsten Tore
meines Traums gereicht -
Nun seh ich, wie durch Schleier, deine Hand,
wie sie mit leichtem Griff das weiße Hemd
die Brüste niederstreicht ...
Die Strümpfe ... nun den Rock ...
das Haar gerafft ... schon bist du fremd,
für Tag und Welt geschmückt ...
Ich öffne leis die Türe ... küsse dich ... du nickst,
schon fern, ein Lebewohl ... und bist entrückt.
Ich höre, schon im Bette wieder,
wie dein sachter Schritt im Treppenhaus verklingt,
Bin wieder im Geruche deines Körpers eingesperrt,
der aus den Kissen strömend
warm in meine Sinne dringt.
Morgen wird heller. Vorhang bläht sich.
Junger Wind und erste Sonne will herein.
Lärmen quillt auf ... Musik der Frühe ...
sanft in Morgenträume eingesungen schlaf ich ein.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 43)
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Kleine Schauspielerin

War man glücklich eingestaubten Bänken,
Lehrerquengeln und den Zeichen an der Tafel,
die man nicht verstand, entzogen,
Abends im Theater, auf die Brüstung hingebogen,
Fühlte man sich Himmel köstlich niedersenken.

Nur im Spiele wollte Glück sich geben,
Wo sich Traum ein ungeheures Sein erfand,
Und den Händen, die zum ersten Mal nach Leben
Griffen, rollte Wirklichkeit dahin wie loser Sand.

Aber wenn du vor den Bühnenlichtern schrittest,
Lächeltest und eingelernte Worte sprachst,
war Wunder aufgehellt,
Mit Musik und Beifall und geputzter Menge glittest
Du ins Herz, warst Weib und Ruhm und Welt.

Herrlich lag beisammen,
was sich dann zerstückte,
In beseelte Stummheit
waren tausend Liebesworte eingedrängt,
Wenn man Abends scheu und heiß
an deinen Fenstern sich vorüberdrückte,
 War Erfüllung schimmernd
wie ein Rosenregen ausgesprengt.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 44)
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Glück

Nun sind vor meines Glückes Stimme
alle Sehnsuchtsvögel weggeflogen.
Ich schaue still den Wolken zu,
die über meinem Fenster in die Bläue jagen -
Sie locken nicht mehr,
mich zu fernen Küsten fortzutragen,
Wie einst, da Sterne, Wind und Sonne
wehrlos mich ins Weite zogen.
In deine Liebe bin ich
wie in einen Mantel eingeschlagen.
Ich fühle deines Herzens Schlag,
der über meinem Herzen zuckt.
Ich steige selig
in die Kammer meines Glückes nieder,
Ganz tief in mir, so wie ein Vogel,
der ins flaumige Gefieder
Zu sommerdunklem Traum
das Köpfchen niederduckt.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 45)
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In diesen Nächten

In diesen Nächten friert mein Blut
nach deinem Leib, Geliebte.
O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser
aufgestaut vor Schleusentoren,
In Mittagsstille hingelagert
reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen.
Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält.
Wann kommst du, Blitz,
Der ihn entfacht,
mit Lust befrachtet, Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel
von sich sperrt? Ich will
Dich zu mir in die Kissen tragen
so wie Garben jungen Klees
In aufgelockert Land.
Ich bin der Gärtner,
Der weich dich niederbettet.
Wolke, die
Dich übersprengt,
und Luft, die dich umschließt.
In deine Erde
will ich meine irre Glut vergraben und
 Sehnsüchtig blühend
über deinem Leibe auferstehn.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 46)
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Der Flüchtling

Da sich mein Leib
in jener Gärten Zaubergrund verirrte,
Wo blauer Schierling
zwischen Stauden dunkler Tollkirschblüten stand,
Was hilft es, daß ein später Tagesschein
den Knäuel bunter Fieberträume mir entwirrte,
Und durch das Frösteln grauer Morgendämmerungen
sich mein Fuß den Ausweg fand?

Von jener Nächte
frevelvollen Seligkeiten
Gärt noch mein Blut
so wie mit fremdem Fiebersaft beschwert
Und aus dem Schwall der Stunden,
die wie hingejagte Wolken mir entgleiten,
Bleibt tief mein Traum
wie über blaue Heimatseen in sich selbst gekehrt.

Um meines Lebens
ungewisse Schalen neigen
Und drängen sich die Bilder,
 die aus Urwaldskelchen aufgeflogen sind,
Und meine Wünsche wollen,
wilde Vogelschwärme, in die Tannenwipfel steigen,
Und meine Seele schreit,
wehrlose Wetterharfe unterm Wind.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 49)
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Die Jünglinge und das Mädchen

Was unsern Träumen Schönheit hieß, ward Leib in dir
Und holde Schwingung sanft gezogner Glieder
Im Schreiten, anders nicht als wie in einem Tier.
Doch unsre Sehnsucht sinkt zu deinen Füßen nieder,

Erhöhung stammelnd wie vor dem Altar,
Und daß dein Blick Erfüllung ihr befehle,
Was blind in deinem Körper Trieb und Odem war,
Das wurde staunend unserm Suchen Sinn und Seele.

Du ahnst nicht dieser Stunden Glück und Qual,
Da wir dein Bild in unsern Traum versenken -
Doch du bist Leben. Wir sind Schatten.
Deiner Schönheit Strahl
Muß, daß wir atmen, funkelnd erst uns tränken.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 54)
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Der Morgen

Dein morgentiefes Auge ist in mir, Marie.
Ich fühle, wie es durch die Dämmerung mich umfängt
Der weiten Kirche. Stille will ich knien und warten, wie
Dein Tag aus den erblühten Heiligenfenstern zu mir drängt.

Wie kommt er sanft und gut
und wie mit väterlicher Hand
Umschwichtigend. Wann wars,
daß er mit grellen Fratzen mich genarrt,
Auf Vorstadtgassen,
wenn mein Hunger nirgends sich ein Obdach fand -
Oder in grauen Stuben mich
aus fremden Blicken angestarrt?

Nun strömt er warm wie Sommerregen über mein Gesicht
Und wie dein Atem voller Rosenduft, Marie,
Und meiner Seele dumpf verwirrt Getön hebt sanft sein Licht
In deines Lebens morgenreine Melodie.

Aus: Ernst Stadler Der Aufbruch Gedichte
Kurt Wolff Verlag München 1920 (S. 60)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Stadler

 

 


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