Carl Sternheim (1878-1942) - Liebesgedichte

Carl Sternheim




Carl Sternheim
(1878-1942)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:


 






Vorfrühlingsfieber wühlen in den Gliedern,
Zerglügen sie in Mittagen und Nächten
Zu wirren Schöpfermassen, die sich wünschen:
Ach daß wir frische wilde Blüten brächten.

Nicht ziemlich ist's in diesen milden Winden
Mit dir du liebe Wilde zu spazieren.
Ist's doch nicht lange, daß wir Menschen wurden,
Und bald verlockt es uns: auf allen Vieren.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 9)

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Gnadenreiche

Willst du der Richter meines Lebens sein?
Der Abend hüllte dich in süßes Glüh'n,
Durch unsern Garten ging ein stilles Blüh'n
In Hollerbüsche und Jasmin.

Das Haupt, das blondumsponnen du gesonnt
Im großen roten sich zutode flammen
Des Goldlichtballes, hobst du hoch.

Ward Einer einst gekreuzigt doch,
Und duldend wollt die Mörder er verdammen
Und hat es nicht gekonnt.

In unserm Garten kam ein wildes Blüh'n
Aus Hollerbüschen und Jasmin.

Umgoldet standen wir in süßem Glüh'n.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 10)

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Das alles seh ich nie mit allen andern
Auf abendlichen Seelenwandergängen,
Wohl Ritterhallen giebt's an Weingehängen,
Auch Wolkenballen, die am Himmel wandern
Und uns wie wundervolle Rüpel dünken,
Auf Steppenrossen tollende Araber.

Doch will da alles unter Abendwipfeln
In einem heißen, leisen etwas gipfeln.

Mit dir sitz ich auf langen, schmalen Bänken
Und male mit der Hand in Abendstrahlen,
Und in uns ist ein starkes, stolzes Prahlen:
Wir könnten unsre Arme ja verschränken
Und unsre Leiber, unsre Küsse trinken.

Und unsre Größe ruht in einem Aber.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 11)

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Blumen an ihrer Brust

Die Mandelblüten auf dem schmalen Bande,
Sie blühen weiter, suchen ihre Kräfte
Aus deines Busens jungem Mutterlande,
Und munter schlürfend, schwellen ihre Säfte.

Es ist ein stilles Bild: das frische Prangen
Von diesen Trieben und von deinem Leibe;
Wetteifernd steigt in deine Mädchenwangen
Auch schon ein heller Schein, so was vom Weibe.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 14)

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Waldfeuerfest

An Schlanken Stämmen langes Epheuranken,
Das weiß ich noch, und flüsterndes Geschwirre,
Das hört ich, eh' wir in die Matten sanken,
Und uns umfing das stiere, wilde Irre.

Ein rasches Fallen, stumm verspielte Hände,
Ein banges Zueinander, auf und nieder
Und blanke, sehnsuchtskranke Menschenglieder:

Im Raschellaub verstöhnte es am Ende.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 14)

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Nacht am Krankenbett

Ich leg dir Sterne in dein Mädchenbett,
Sie werden sich an deine Reinheit schmiegen
Und lächelnd da wie bei Verwandten liegen.

Und sinke glücklich nieder im Gebet:
Du bist ein gutes Kind, dein Herz ist rein,
O dieses ganze milde Jungfrausein.

Sprüht früh herein ein geiler, heißer Schein
Und stört dir deine traumesfaule Ruh,
Dann hole ich den dichten Vorhang zu.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 16)

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Fanale

1.
Scheideflammen

Um unsre Plätze ist ein heilig Schweigen,
Und unsre Flüsse hält ein großes Stocken,
Von unsern Bäumen tiefes Niederneigen,
Und in den Lüften zittern wirre Glocken.

Ich schreite einsam zu den weißen Steinen
Und lasse rote Flammen aufwärts schlagen,
"Du bist gegangen", soll es weithin sagen,
Und zu mir tritt ein grenzenloses Weinen.


2.
Heilige Stätte im Hain

Die Stätte, da du morgens sorgend fragtest
Um meinen Frieden und um meine Freuden,
Sie muß ein stummes Heiligtum bedeuten,

Ich will nicht wieder sie betreten.

Und erst wenn Jahre kamen, Jahre gingen,
Soll mir ein Enkelkind die Blumen grüßen,
Die still da überall Erinnerung sprießen

Und mir von ihnen Flüstergrüße bringen.


3.
Vorabend

Vorabend war's, der lange bang geahnte.
Wir mußten unsre letzten Gänge machen
Und schritten so in lieben sich verlieren.

Wir konnten einer noch den andern spüren,
Die Sonne gab ein letztes leises Lachen,
Das sich durch dunkle Zweige zu uns bahnte.

Dann standen wir an irgend einem Orte,
Und lehnten uns an Starkes, uns zu halten;
Wir wußten um den Abschied keine Worte.

Und hatten nur ein großes Händefalten.


4.
Es lag wohl auch in deinen schlanken Gliedern
Das Lied, das meine Seele trunken sang.

Wenn Abendläuten über Erde klang,
Mußt ich dir deinen Händedruck erwidern.

Dann dacht ich das: Wer solche Hände
Doch einmal weich um seinen Nacken fände.


5.
Wir spielten König einst und Bettlerin,
Ich sprach von meines Reiches Macht und Weite,
Und wie es täglich größer ward und mehr verstanden,
Du schrittest träumend zögernd mir zur Seite.

Ich aber schwieg und lächelte im Stillen,
Wie eigenlos ich war in deinen starken Banden,
Und wie das ganze ging nach Deinem Willen;
Wir spielten Bettler einst und Königin.


6.
Helferin in schwacher Stunde

Vorm Regen traten wir ins dichte Laub des Sommers,
Bei einer Eiche standen wir und blieben ruhig.
In deinen Haaren troff das Wasser,
Dunkel sank die weiche Flut dir auf die Schultern.

Und wie ich darum bebte, sprachst du helfend:
Wie unsre Seele nur im Großen Klaren atmen!


7.
Ich habe dir für Tausende zu danken,
Auch für dein gutes lächelndes Vergeben.

Ich werde ewig deinem Dienste leben
Und daran, daß ich dich gegeben, kranken.

Zum Wahlkampf standest du und meine Seele,
All deine Herrlichkeit und all mein Dichten.

Du selber sagtest todesmutig: Wähle,
Und wußtest: Wählen heißt, auf dich verzichten.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 21-23)

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Mädchenlied

Wie weiße Narzissen
Ist mein bleiches Gewissen,
Ein wirrender Duft,
Ein Schreien.

Einst war es wie Veilchen,
Das ist nun ein Weilchen,
Eh ich das gewußt:
Zu zweien.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 24)

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Als mir ein wundersames blasses Kind
Die alte matte Freudenschale gab
Zu trinken, nahm ich, trank und sank hinab
Ins Nebelgrab, war wieder jung und blind.

Was ich durch hartes Ringen mir errang
Es starb, als ich berauscht von Ihrem trank,
Die Blasse schloß die schmalen Augen dicht,
Und mir entwich mein tiefes Silberlicht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 25)

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Der Tag

Da ich die wilden Wunderzüge kenne,
Die dein gepeitschtes Blut stillsündig geht,
Vergiebst du's wohl, wenn ich dich füglich nenne:
Du schmutzgewordnes Kindernachtgebet.

Ich fluch dem Tage, da der süße Saft,
Der wie ein Lichtquell leuchtend dich durchquerte,
Sich wandelte zu glüher Sprudelkraft
Und da mit wirren Wünschen aufbegehrte.

Der Tag, da unter Mädchens glattem Oben
Sich hügelig ein weiches Blühen hob,
Der Tag, da gliederfrische Knaben woben
Um dich ihr zitternd rüdes Frauenlob.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 26)

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Ich weiß vom wechselnden Erblassen
Erröten deines weichen Leibes,
Ich scheide Lieben gleich vom Hassen
Im Schweigen eines reichen Weibes.

Ich weiß von treugemeinten Eiden
Und leide durch gebrochne Schwüre,
Ich weiß nun, da wir Beiden leiden:
Uns schreckt die halb schon offne Thüre.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 28)

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Dann

Für kleine Mädchen ist ein süßer Raub
Der Knaben wilde wundervolle Jugend,
Und jede weiß den ränkehaften Platz,
Da sie ihm breitet ihre reife Tugend.

Der Knabe nimmt. Ein blasser Wehmutstaub
Hängt plötzlich dann an seinen müden Gliedern,
Und in ihm ist ein klarer kalter Satz,
Wo vorher alles wirbelte in Liedern.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 29)

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Ehenächte

Ich träume so: Ehenächte,
Du und ich, und einer dächte
Wie der andre. Stille Finger,
Nur ein mäßiges Erwarmen
Keine sich Zutoderinger,
Ein verzichtendes Umarmen.

Tiefer Schlaf.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 29)

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Wie deine Macht doch unter alten Bäumen
So anders ist als in den kleinen Räumen
Der Häuser, und auch deine Schönheit klarer
Und deine maienfrische Wahrheit wahrer.

Die Blumen auf dem arg verschloßnen Hut
Sie leuchten bunt, als blühten sie am Stock,
Und selbst der rechtverlegte Faltenrock
Glüht auf von dem, was still darunter ruht.

Es ist wohl auch, daß ödes Menschentum
Sich nun nicht mehr in deine Einheit drängt ...
Die Sängerschar, der Falter, den man fängt,
Die surren munter deinen jungen Ruhm.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 30)

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Aufforderung zum Tanz

Wirf die langen Kleider nieder,
Laß den weißen Leib erglänzen,

Sing das üppigste der Lieder,
Wiege dich in weichen Tänzen.

Mische Lustgefühle, Brünste,
Biege dich in tiefem Winden,

Fühl, wie fieberische Dünste
Sich in dir zum Licht entzünden.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 31)

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Kann dich nimmer wiederfinden;
Wo bist du liebes Bildchen hin?
Liebes Bildchen komm doch wieder.

In dem wirren Aufundnieder
Find ich nur den einen Sinn:
Dich und unsre süßen Sünden.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 33)

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Sommergang

Eine lose Sommerrose
Hab ich mit mir heimgebracht,
Bunter Segen allerwegen
Blühte in der Wundernacht.

Da ich pflückte, tiefbeglückte
Sie von ihrer Schwestern Reih,
Heiße Hände ohne Ende
Thaten mit mir allerlei.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 34)

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Die große Beute eines reichen Tages
Lag hinter uns, in unsern Abendlohn
Verschmolzen große Glocken vollen Ton.
Ich aber bat dich schmeichelnd leise: sag es.

Da du die Augen schlossest vor dem Strahlen,
Das laut aus mir von dir Erlösung rief,
Begann der See, der vor uns fast schon schlief
In scheuer Rührung groß dein Bild zu malen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 35)

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Da im Schatten seltner Bäume
Männer still das Bett bereiten
Für die hellen Menschenfreuden
Für die großen Götterträume,

Und in wirrem Liebeskleide
Selig sich zum Weibe senken
Lächelnd eines Liedchens denken
Walthers von der Vogelweide.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 36)

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Aus deinem Gürtel quoll ein blühend Büschel
Von buntem Julisegen, deine Brüste
Enthauchten quälend süße Mädchenlüste.

Und da ich dir die schlimmen Ösen löste
Und hellen Segen in die Hände nahm,
Erwachte langsam deine matte Scham

Und flüsterte ein viel zu spätes: Tröste.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 37)

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Die liebe Zeit und ihre Kinderträume
Dicht vor der Thür die goldnen Lindenbäume
Und rings die Wege über Felder, Wiesen
Und unsre Wölfe, schwarzen Männer, Riesen.

Der blanke Weiher, wenn die Fröste kamen
Wir uns bei frohen kleinen Händen nahmen,
Und irgendwo das heimlich dichte Fleckchen,
Da ich begriff: ich Hosen und du Röckchen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 37)

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Was einzig war in diesem Wunderjahre:
Die großen Augen und die süßen Fieber
Das goldne Licht am flammenden Altare,
Und deine Stimme, wenn sie bebte: lieber.

Die mächt'ge Pracht in deiner Glieder Rauschen,
Wenn sie zum wilden Minnedienst sich schickte,
Verrückte Küsse, tiefes Händetauschen,
Und wenn der Pendel so verloren tickte.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 39)

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Bitteres Erfahren

Die Tannen rauschen. Irgendwann
Klagt eine Nachtigall, und dann
Hebst du das bange Haupt.

In Büchern steht ein stilles Lied,
Daß auch zersprüht, was hoch geglüht.
Ich hatt' es nicht geglaubt.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 40)

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Unterm Weichselbaum. Und deine weißen
Hände greifen tief ins Licht.
Deine weißen Hände möcht ich beißen,
Und du giebst sie nicht.

Wart, es kommt die Zeit, daß deine Glieder
Alle mein sind, und daß du
Mir von unten jubelst immer wieder:
Beiß doch, beiß doch zu.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 40)

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Willkommen

In deiner Brust die Wunden trüber Stunden,
Auf deiner Stirn das Mal von schlimmen Qualen,
Hast du den hohen Weg zu mir gefunden,
Verstandest du mein einsam großes Strahlen.

Willkommen hier. Und magst du lang verweilen,
In meinen tiefen Gärten Frieden finden,
Ich will dich ganz mit weichen Händen heilen,
Dir Blumen um das wilde Bluten binden.

Und weiße Maienveilchen will ich nehmen,
Daß sie die dunklen müden Augen schützen,
Und sonnengleiche mächt'ge Chrysanthemen
Erwähle ich zu deines Leibes Stützen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 41)

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Carriere

War einmal ein kleines Mädchen,
Hatte einen roten Rock,
Eine weiße Kinderseele,
Sonnengoldiges Gelock.

Wurde eine große Dame,
Ging in Seide reich einher,
Hatte alles; hatt' nur keine
Weiße Kinderseele mehr.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 42)

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Das Ende

Ich wußt vom ersten Anbeginn
Das Ende:
Die Hände
Auf einem blonden Haupt im Abendglühn.

Dieselben, die an manchem Weib
Zerglühten,
Verrieten
Die Sehnsucht immer nach dem reinen Leib

So war der Weg mir stets bewußt
In Sünden,
Zu finden
Hab schließlich ich dann das Ziel gewußt.

Auf einem blonden Haupt im Abendglühn
Die Hände
Das Ende ...

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 7: Frühwerk
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 20 1967 (S. 42)
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Einst haben wir gesessen
Am Wasser beim Mondenschein,
Uns fast vor Liebe gefressen
Am Wasser im dunkelen Hain.

Als heut' ich die Stelle betreten,
Wo einst ich Liebe gekannt,
Da hörte ich Liebesflöten
Und bin weit fort gerannt.

Und nicht beschlich mich betrüben
Um dich, du blondes Kind,
Um den nur, der dich kann lieben,
Ach nur um den Armen, der blind.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 12)

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Und wär' ich krank, daß Hoffnung
Zu leben nicht mehr wär',
So rief' ich schnell mein Liebchen
Ans Sterbebette her.

Wir durften uns nicht sehen,
So lang ich leben konnt',
Ich werd' nun von dir gehen,
Nachdem ich mich gesonnt

Zum erst' und letzten Male
In deinem süßen Blick,
Den mir niemand kann nehmen,
Der ach mein höchstes Glück.

Wir durften uns nicht sagen,
Daß wir geliebt uns beid',
Dazu woll'n wir benutzen
Die kurze sel'ge Zeit.

Wir durften uns nicht küssen,
Weil man's nicht gerne sah,
Küß mich in langem Kusse,
Lieb, denn der Tod ist nah.

Jetzt wollen sie verwehren
Den letzten Wunsch mir nicht,
Es ist ja bald zu Ende,
Es ist mein letzt' Gericht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 13)

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Der Mann, der liebt, muß zum Verbrecher werden;
Er wird zum Dieb an der, die er begehrt;
Das Höchste stiehlt er schamlos der Geliebten,
Und trotzdem ist nur sie, nicht er entehrt.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 22)

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Wir waren ganz alleine
Mit unsrer Seligkeit,
Der Mond mit mildem Scheine
Schien just zur Abendzeit.

Im Kummer und im Glücke
Ist mir der Mond sonst wert,
Doch giebt es Augenblicke,
Wo auch der Mond mich stört.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 27)

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Doch wenn du glaubst, du nahmst mir alles,
Als du mir deine Liebe nahmst, dann, Weib,
Bist du im Irrtum. Nein, es giebt noch Schön'res
Als einen schönen Mädchenleib.

Vor mir geschaut und ganz von mir verstanden,
Schwebt ob der Menschheit eine Lichtgestalt,
Sie bindet ihren Jünger fest mit Banden,
Sie hält ihn ganz in leuchtender Gewalt.

Und läßt dein Anblick selig mich erzittern
Und die Berührung deines Körpers mich erglühn,
Ach, nach der Wonne heiligen Feierstunden
Stets Wolken über Menschenliebes Himmel ziehn.

Doch sie entfacht ein stetig glimmend' Feuer
Dem Wesen, dem sie schenkte ihre Gunst.
Nun nenn' ich dir das Ideal, das ewig teuer
Mir bleiben wird. Es ist die Kunst.


Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 27)

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Abends dann, wenn milde Sommerluft
All die Welt in laue Mattheit wiegt,
Sich mein heißgeliebtes junges Mädchen
Fest in fremden Mannes Arme schmiegt.

Abends dann, wenn milde Sommerluft
Schmeichelnd, säuselnd über Gräbern ruht,
Tobt in meinen kalten, toten Adern
Heiß und sehnend wild das Blut.
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Und von seinem Arm umschlungen
Trittst du an mein blühend' Grab.
Schaust verschämt, verliebt und lächelnd
Auf mein Bett herab.

Pflückst für deinen jungen Buhlen
Eine rote Blume sacht.
Und er küßt dich auf dein Mündchen,
Und sein Herze lacht.

Und ich lach' im Grabe drunten
Und bin närrisch, toll vergnügt,
Wie so weise, so vorzüglich
Alles Gott gefügt.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 30)

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Wir standen am Saume des Waldes am Bahndamm.
Die Barriere hemmte uns. Du hattest eine Hand
Mit dem rotbraunen Handschuh auf die Stange gelegt
Und sahst nach dem Zuge, der, noch in weiter Ferne,
Sausend herankam.

Ich raunte, nicht mehr mächtig meiner Sinne,
Weil das Blut mir tosend zu Kopf rann,
Aus Liebe, aus Leidenschaft zu dir:
Ich stürze mich unter seine Räder,
Daß sie malmend über mich rasen,
Wenn Sie mein Flehn nicht erhören.

Du hobst den Kopf, und fein lächelnd,
O unglaublich fein lachend,
Sagtest du leise:
So etwas thut man, sagt's aber nicht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 33)

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So ein kleiner Mädchenbusen
Ist ein lyrisches Gedicht,
Spricht von allerhand sehr Schönem,
Und Bestimmtes sagt er nicht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 37)

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Nebel

Abendnebel flutet über die Erde,
Ich sehe nicht drei Schritte weit,
Höre nur, wie die Bode rauscht.

Die Luft ist februarkalt.
Eine alte Frau geht an mir vorüber,
Mich schüttelt ein heimliches Grauen.

In Berlin, in der Behrenstraße
Liegst du auf weichen Divankissen,
Schlürfst Thee, knabberst petis fours.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 44)

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Fallende Blätter

Im herbstlichen Walde
Zitternde Blätter,
Zitternde Blätter
Wir zwei.

Um uns streicht
Mitleidlos grausam
Ein wilder Wind,
Reißt an den Röcken,
Wühlt in den Haaren.
Da fass' ich dich um den Leib,
Daß wir erwarmen.

Im herbstlichen Walde
Fallende Blätter,
Fallen die Blätter
Auf uns zwei.

Langsam seh' ich
In deinem großen Auge
Den Tropfen auftauen -
Und niedergleiten.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 55)

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Mir bebte noch ein lichtes, leises Dämmern,
Von deiner Schönheit und von deinem Kuß
Im Herzen. Meine frohe Seele sandte
Dir einen letzten lieben Gruß.

Also war meine Jugend.

Dann nahm ich meinen Stock, ging in die Welt,
Mir einen Platz im Leben zu erstreiten,
Es ging nicht lang, ich sehnte mich nach dir
Und mocht' das dumme Streiten gar nicht leiden.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 58)

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Es war im Sommer,
Und ein helles Kleid
Hascht' ich auf einer grünen Wiese,
Ein helles Kleid und langes Haar,
Das Kind hieß Liese.

Und Liese stand
Und sah mich lange an:
Was willst du denn von mir auf grüner Wiese?
Ich aber sagte leise nur:
Ach, liebe Liese.

Ach, liebe Liese, machte sie mir nach.
Du scheinst es wirklich selber nicht zu wissen.
Dann nahm sie mich und faßte mich,
Erstickt' mich fast mit ihren wilden, weichen Küssen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 63)

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Ihr lieben gründer unseres guten glücks,
ihr eichenwege, bergeshöhen, teiche,
ihr jungen sonnenkönigreiche.

ein leuchten irrte sel'gen blicks
auf unsern händen, die sich innig hielten
und in vergessenheit die schöpfung spielten.

Wie trieb der wind dein kleid mir um das knie,
der dunkle duft, der in den buchen ruhte,
lag balde schwer so dir und mir im blute.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 69)

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Ich hüllte innig dich und mild und tief
- Und du verdientest, daß ich kniete -
Ich hüllte dich in Licht und lauter Liebe,
Und mein Gebet war lang, bevor ich schlief.

Da sah ich dich - du sahst mich selig an -
Und da geschah's, daß ich erbebte,
Dein Leib gestand - du sahst mich immer an -
Daß laut in dir ein Pfand der Liebe lebte.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 70)

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Gute Nacht

Du schlaf nun sanft. Und wenn der Morgen steigt,
Erfreun mich die erfrischten Frauenglieder.
Ich küss' dich dann, du giebst es herzlich wieder,
Und in mir ringt ein kleines Lied zum Licht.

Zwölf Uhr vom Turm. Und alles, alles schweigt.
Ich spiele mit Gedanken noch ein Weilchen
Und denk' mir über dies und das mein Teilchen.
- Unendlich schön dein ruhendes Gesicht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 77)

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Wunderblume

So schön, so schön! Wem soll ich dich vergleichen,
Da du dich selbst ja immer übertriffst?
Und keine Werte sind, die mir geeignet scheinen,
Dir auch das Wasser nur zum Mund zu reichen.

So gut, so gut. Wie soll ich dir denn sagen,
Wie sehr ich deine Güte oft empfand.
Du hast ja alle Not und Dunkelheit genommen
Und machst mich glücklich wie in Kindertagen.

Und rein, so rein. Dich wird in bess'ren Welten,
Wo andre vor dem Sonnenthrone knien
Und schluchzend ihre schlimmen Menschensünden beichten,
Allvater liebreich streicheln und nicht schelten.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 79)

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Wir haben nun in dreimal sieben Tagen
Auf stiller Insel unser Glück empfunden
Und haben einen Blumenstrauß gebunden
Von schönen Seufzern und entzückten Klagen.

Nun muß ich scheu dir ein Bedenken sagen:
Mich schmerzen meine tiefen Liebeswunden,
Sie woll'n so schnell wie deine nicht gesunden,
Mir ist sogar, ich müßt' den Doktor fragen.

Ein Schleier legt sich leicht um mein Genießen,
Und in den Ohren schmerzt ein dumpfer Ton,
Ich möchte manchmal beide Augen schließen.

Dann winkt mir deine Hand den süß'sten Lohn,
Ich folge, und ich weiß, ich muß es büßen.
In meinen Wonnen grinst ein böser Hohn.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 80)

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Und plötzlich halten jetzt die strengsten Pflichten
Mein übervolles Selbst in hartem Bann,
Und will mein Herz sich bäumen dann und wann,
Bald schweigt's und kehrt zurück zu stillem Dichten.

Auf meinen Knabenmut mußt' ich verzichten,
Und alles, was ich jetzt noch will und kann,
Ist, daß der Friede, den ich um dich spann,
Dich schütze bis nach glücklichem Verrichten.

Für deine schlimmen Ungezogenheiten
Hab' ich die gleiche, stete milde Güte.
Ich lächle über deine Albernheiten

Und bring' von draußen dir des Frühlings Blüte.
Um deinen Körper lass' den Blick ich gleiten
Und bete jeden Abend: Gott behüte.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 81)

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Als du in meinen Liedern siegtest
Und jedes andere Bild verschwand,
Erstieg vor meinem Auge wieder
Der Jugend großes Wunderland.

Und Gärten, die ich lang gemieden,
Hast du von neuem mir geschenkt,
In denen tiefer Kinderfrieden
An Blumen und an Bäumen hängt.

Und wenn wir durch die Gänge schritten,
Wo überall Erinnerung sprach,
Wie wurde da aus Not und Ängsten
Der schöne Wille wieder wach.

Den früher oft ein heilig' Feuer
In meiner Knabenbrust entfacht
Und der nun - hörst du - neu geboren
So groß und stolz und freier lacht.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 85)

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Bitte, bitte, lieber Gott,
Laß es keine Seele wissen,
Was ich thue, was ich treibe,
Erntete nur Spott.

Wie ich alle Stunden über
Von der einen dicht' und träume,
Willenlos an ihrer Hand
Pflicht und Tagewerk versäume.

Und wenn's dunkelt, ein verhängtes
Helles Fensterchen belausche
Und an einem stillen Schatten
Tief erbebend mich berausche.

Bitte, bitte, lieber Gott,
Laß es keine Seele wissen,
Erntete nur Spott.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 88)

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Du hast dein junges Leben
In meine Hand gegeben
Und hältst dich stumm und still

Und bleibst in scheuem Harren.
Ich mach' mit dir nun, was ich will,
Du schaust und schweigst

Und hältst mich doch zum Narren.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 90)

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Dein demütiger Blick und deine schlichte Einfalt
Gaben mir das Bild meiner Jugend wieder.
Mir fielen plötzlich einige Lieder ein,
Demütige, schüchterne Jünglingslieder,

Die von neuen Gefühlen sprachen
Und auf den Knieen Liebe gestanden,
Von bittenden Händen und glühenden Lippen,
Zu denen sich andere junge Lippen fanden.

Vom Mondschein ist die Rede und von einem dunklen Zimmer,
Von einem Abend und von einem Namen.
Seltsam, wie mit diesen Knabenliedern
Plötzlich alle meine Thränen kamen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 90)

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Nun ist schon manches liebe Jahr,
Da jedes von uns einsam war,
Vergangen.

Vom Suchen müd, vom Weinen matt,
Fand irgendwo ich eine Statt,
An der ich blieb und träumte:
Von einem jungen Frühlingstag,
Da deine Hand in meiner lag
Und alle Pflicht versäumte.

In meine große Einsamkeit
Von dir kein Wort in all der Zeit,
In hunderttausend Stunden.
Ich hörte nur von ungefähr,
Daß deine Seele traurig wär'
Und all dein Glanz verschwunden.

Ich weiß es wohl, du weißt es auch,
Von deinem Mund ein einz'ger Hauch,
Von mir zu dir ein einz'ger Laut -
Wir wären Bräutigam und Braut.

Und werden uns nicht wiedersehen -
Und werden leben und vergehn
In Sehnen und in Bangen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 91)

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In einer tiefernsten Nacht,
Kein Schlaf wollte kommen,
So sehr ich müde war vom Leben,
Von dir und mir und Gewalten,
Die uns die Sonne verdeckten.
In dieser Nacht
Dacht' ich mir noch ein Liedchen aus.

Für unser Kind.
Beide Augen voll Thränen,
Schwer von Jammer und Gram
Und ganz voll Sehnsucht nach Ruhe,
Schlaf und Vergessenheit,
Reihten sich aus meiner Seele
Heitre, lächelnde Gedanken
Zu einem Tanzlied fürs Kind.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 92)

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Aus dem hellen Glanz der Winternacht,
Den Edelsteinen an allen Bäumen,
Schöner als dein schönstes Träumen,
Hätt' ich dir gern eine Krone gemacht.

Und aus dem Atlas, weiß und schwer,
Durch den unsere seligen Füße schritten,
Hätt' ich dir, Königin, süß und hehr,
Einen schimmernden Krönungsmantel geschnitten.

Und so an deines Königs Hand,
Mit weißem Geschmeide ganz behangen,
Wärest du strahlend unverwandt
Tief in den Himmel hineingegangen.

Da sah ich in deines Auges Grund
Eine Thräne langsam auferstehen.
Mich fror - und aller Glanz erlosch;
Verstohlen bat ich: laß uns gehen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 97)

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Es träumt der Knabe selig und schwer:
Drüben, die sich bückt beim Mähen,
Dieses Mädchens Leib sei weiß,
Heißer als der Julimittag,
Und ihr Atem müsse glühen,
Ihre Augen Flammen sprühen.
Wenn er heimlich jetzt sie fasse
Und sie in die Garben stoße
Und sie unter sich zerwürge,
Würden alle diese Gluten
Über ihm zusammenschlagen.

Und er dehnt sich und er wühlt sich
Tiefer in den weichen Boden,
Und er meint, des jungen Weibes
Pracht an seinem Leib zu fühlen.
Sieht noch ihre bunten Röcke
Tiefer sich zur Erde bücken,
Einen schmalen weißen Streifen -
Und ein donnerndes Entzücken
Reißt ihm seinen Leib entzwei,
Und den Himmel merkt er fallen
Und der Sonne Flammengluten
Über sich zusammenschlagen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 98)

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Abends unter meinem Baume
Fand ich heute Wunderbares,
Ein Paar große blaue Augen
Unterm Schmucke blonden Haares.

Hinter einem Strauche blieb ich
Ihr verborgen, und ich lauschte,
Wie sie mit der eignen jungen
Seele Frag' und Antwort tauschte.

Was ich hörte, war nichts Neues;
Junge Träume, unverbunden;
Doch ich meine, niemals hätt' ich
Alles das so schön empfunden.

Ihre schlanken Hände brachen
Eine weiß' und blaue Blüte,
Und ihr Antlitz füllte strahlend
Sich mit ihres Heilands Güte.


Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 99)

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Weißt du, was das heißen soll?

Als ich heute wiederkam,
Schien dein Blick mir tiefer, dunkler,
Deine Hände waren schöner.

Und im Raum war alles eng,
Angefüllt und übervoll,
Und die Menschen waren kleiner,
Als ich sie zuletzt gesehen.

Und von deinen Blumen kam es
Über mich und wuchs und schwoll,
Thränen hatt' ich in den Augen -

Was das nur bedeuten soll?

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 100)

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Gestern spielte irgendwo
Eine gottbegabte Hand
Mozart, aus dem Figaro -
Weißt du, wer da vor mir stand?

Zwischen dir und diesen Tönen
Webt ein wundersames Band,
Deine, seine Seele haben
Wohl dasselbe Vaterland.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 102)

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Diese jungen Mädchen tanzen
Mit Begeist'rung in den Blicken,
Wenn sich starke Männerhände
Fester in die Hüften drücken.

Und die jungen Leiber biegen
Innig sich und eng zusammen,
Auf der Pracht der jungen Brüste
Hüpfen flüchtig dunkle Flammen.

Wem gehören diese Finger,
Die im Taumel fest sich halten,
Sie zu spalten, sie zu lösen,
Braucht es stürmische Gewalten.

Scheint es nicht, als sein die Paare
Festgefügt aus einem Gusse,
Als umarmten die Gestalten
Sich in einem wilden Kusse?

Und als liege so im Tanze
Aller Liebe Saat und Samen;
Was da wirbelt, ist des Lebens,
Neuen Seins entzücktes Amen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 106)

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Du armes Herz, das sehnt und träumt
von einer Seele, der es sich erschließt,
von einem Schooß, in dem es weinen kann,
in den all seine Sehnsucht fließt.

Noch ärmer, wer, bei gleichen Menschen
und ganz begriffen und geliebt,
den Tod sich wünscht, weil ihm auf Erden
kein Glück Zufriedenheit bis morgen giebt.

Dann aber denk' ich einen Allerärmsten,
der irgendwo sehr einsam ist und still,
mit leerem Blick die Tage kommen sieht
und nichts mehr wünscht und nichts mehr will.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 107)

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Junge Frauen im Sonnenglanz
träumen vom Wunder. Sie liegen im Grase
selig und stumm; vom Morgen zum Abend
sind sie nicht müde, des Wunders zu warten, -
liegen und träumen.

Taub für das Leben, hören sie hell
hinter die Stunden und hoffen und spüren,
ob sich vom ewigen Segensquell
nicht eine Welle zu ihnen will rühren, -
träumen und hoffen.

Sehet nur! Seht! Die Thore sind weit
offen, und eine jede ist Braut!
Längst ist die Sonne schlafen gegangen;
aber mit dunklen, lodernden Wangen
harren sie noch auf den leisesten Laut,
stumm auf das Wunder.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 107)

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Sieh, dort fällt ein Vogel ein
in das hohe grüne Gras,
weißt du das,
was mag es für ein Vogel sein?

Halt! da ruft er. Komm doch nah,
leise, daß er uns nicht hört,
Schritt um Schritt, gleich sind wir da,
still, sonst wird er aufgestört.

Aber sieh, es sind ja zwei!
Sieh doch! Plötzlich um uns beide
wuchs das hohe grüne Gras
in den Himmel ganz auf einmal,
war kein Laut mehr auf der Haide.


Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970 (S. 109)


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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Sternheim




 

 


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