Josef Sutner (1784-1835) - Liebesgedichte

 




Josef Sutner
(1784-1835)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Mira im Gebet

Am Hochaltar' mit himmlischem Verlangen
Erhebt zu Gott sich Mira's fromme Seele:
Des Lenzes Morgenröthe ihre Wangen,
Das Aug' der Spiegel einer reinen Quelle!

Ein Engel ist sie auf geweihter Stelle,
Ihr Herz hat Trost durch das Gebet empfangen;
Ihr glänzt der Lohn der Zukunft klar und helle,
Im Busen hält den Himmel sie umfangen.

Vertrauen zeigen lächelnd ihre Blicke,
Vom Auge strahlt zu ihres Geistes Glücke
Der Gottheit reiche Vaterhuld zurücke!

Und Jünglinge, die Mira beten sehen,
Vom Himmel einzig ihre Gunst erflehen,
Und liebetrunken aus dem Tempel gehen.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 7)

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Die Menschheit

In Einsamkeit ist sich der Mensch zur Bürde;
Das Weib ist schwach im Unschuldstande;
Der Mann, erkennet er der Jungfrau Würde,
Verschenkt die Freiheit bald um Rosenbande.

Dem menschlichen Geschlechte blüht die Myrthe,
Sie reifet schön in jedem Vaterlande:
Den Zärtlichen, den treue Liebe führte,
Umschlingt sie selbst noch an des Grabes Rande.

Die Liebe zähmt des Mannes rauhe Sitte,
Sie führet ihn durch der Gefahren Mitte:
Er folget ihrem Wink' mit sicherm Schritte.

Die Jungfrau ist der Schöpfung schönste Blume;
Sie reift in ihres Leibes Heiligthume
Der Tugend Werkzeug zu der Menschheit Ruhme!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 8)

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Erscheinung

Die Glocke zwölfmal schlägt, und Alles schweiget;
Ihr Bild allein die Mitternacht mir zeiget.
Ihr holdes Bild erscheint im öden Raume,
Beglückend mich mit bilderreichem Traume.

Indem ein Seufzer ihrer Brust entsteiget,
Sie zärtlich sich zu mir hernieder neiget.
Der Hoffnung Zweig entsproßt zum starken Baume,
Der Geist entfesselt sich vom Sinnenzaume;

Und fühlend meines Busens süße Leiden,
Gewähret sie, - die Welt mag mich beneiden! -
Mir Träumenden der Minne reinste Freuden!

Vom Himmel ist ein Gott herabgestiegen!
Des Körpers Schwächen müssen unterliegen -
Nur Geisteskraft kann ewig glorreich siegen!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 9)

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An Mira
bei der Ueberreichung eines Blumensstraußes

Am dritten Maitag', hoch durch Dich beglücket,
O Mira, habe ich den Strauß gepflücket:
Aus vielen Blumen hatte ich zu wählen -
Ich nahm vom Felsen dort Perpetuellen!

Wenn hart das Schicksal auf das Herz mir drücket,
Erwacht die Hoffnung, welche mich entzücket;
Die Augen fangen an, sich zu erhellen,
Um mit der Liebe Thränen zu vermählen.

Wie diese Blumen niemals sich entfärben,
Und selbst im Sturm' des Winters nicht verderben,
Wird meiner Liebe Flamme nie ersterben!

Wenn unsre Formen, Edle, auch veralten,
Der Geist wird immer reiner sich gestalten,
Und seinen Werth der Ewigkeit entfalten!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 10)

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Einsamkeit

In einer Frühlingsnacht, im Mondenscheine,
Glückseligkeit ich in der Brust vereine;
Aus der Gestirne ätherreinen Strahlen
Akkorde reiner Geister mir erschallen.

Die Zähre, die der Liebenden ich weine,
Der Blütenduft im jungen Lindenhaine,
Und süße Töne froher Nachtigallen
Mir zum Genusse einen Himmel malen!

Verschollen ist des Busens lautes Stöhnen,
Befriedigt ruht des Herzens stilles Sehnen,
Und trocken sind des Auges jüngste Thränen:

Ach, daß mein Himmel ewig offen bliebe!
In sich vereinen sich die edlern Triebe. -
Der höchste Lohn der Liebe ist - die Liebe!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 11)

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Der Himmel der Liebe

Wenn lusterfüllt mit himmlischem Genusse
Mein Geist Dich zärtlich weckt mit leisem Kusse,
Wird nicht Dein Aug', o Mira, mit Entzücken
Mitleidig auf den kranken Skalden blicken?

Ach, Thränen zeigt mit zärtlichem Ergusse
Dein blaues Aug' mir sanft zum Morgengrusse;
Ach, Thränen, die das Herz mit Leiden drücken,
Mit Seligkeit den Liebenden beglücken!

Wo Neid und Haß die Seelen nicht verwunden,
Wird rein die Seele körperlos entbunden,
Und Liebe öffnet ihre Rosenstunden.

Der Götterfunke - Seele - ewig lebet,
Vom Staub' der Hülle sich der Geist erhebet,
Und immer reiner nach Verklärung strebet!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 12)

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Auf dem Wurmsee

Der Wellenmädchen Chor mit leichtem Flügel
Empfängt sammt Mira mich mit Spiel und Scherzen,
Und zieht uns freundlich nach dem Wasserspiegel,
Den Geist befreiend von der Fesseln Erzen.

Der Sonne Elfe naht vom grünen Hügel,
Und heilet zart des Grames alte Schmerzen:
Erbrochen ist des Kummers schwarzes Siegel,
Der Freude öffnen froh sich unsre Herzen!

Versöhnet beut dem menschlichen Geschlechte
Der Liebende voll Inbrunst seine Rechte,
Daß er um seine Stunden Blumen flechte.

Im kranken Busen wird es klar und helle,
Den Leib umfaßt die keusche Spiegelwelle,
Und reine Wollust labt die freie Seele!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 13)

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Kampf und Triumph

Mit Blumen hast du, Mai, mich übergossen,
Auf weiche Frühlingsmatten zart gebettet:
Die schönste Nacht des Daseins ist genossen,
Und Mira's Mädchenehre ist gerettet! -

Die Geister, welche in einander flossen,
Hat Liebe fest zur Einigkeit verkettet;
Was diese stört, wird aus der Brust gestossen,
Bis sich der schöne Feierabend röthet:

Dann werden wir mit jugendlichen Kräften, -
Ach, daß nicht Hoffnungen uns länger äfften! -
An eine Ewigkeit die Liebe heften;

Dann werden unsre Seelen sich umschlingen,
Zum reinen Aether durch die Wolken dringen,
Und ewigpreisend ihren Hymnus singen!


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 14)

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Die Thräne der Liebe

Die Thränenperle, Mira's Aug' entflossen, -
Sie fiel auf meine Hand von ihren Wangen, -
Hat über mein Gemüth sich ausgegossen,
Gefesselt meiner Sinne Glutverlangen.

Ein Abälard ist mir vorausgegangen:
Nur ihn erblicke ich als Schmerzgenossen!
Wie ihn, hält mich der Liebe Drang gefangen,
Aus dem des Himmels Rosenblüten sprossen.

Dieß Streben führt der Seligkeit entgegen!
Die Lebenssorge weicht aus meinen Wegen,
Und Liebe, Mira, gibt uns ihren Segen!

Wir können jedes Erdengut entbehren:
Was wechselseitig wir von uns begehren,
Die Geister sich in Ewigkeit gewähren!


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 15)

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Wehmuth

Ach, Deine Thränen mir das Herz entzünden!
O Mira, laß die Qualen uns vernichten,
Umarmend uns aus diesen Räumen flüchten,
Die feindlich unsers Geistes Schwingen binden!

In Gottes Armen nur ist Heil zu finden;
In ödes Nichts die Erdengüter schwinden!
Laß rein uns zu der Sonne Raum, zum lichten,
Vom Druck' befreit, des Geistes Streben richten!

Sieh, klar des Himmels gold'ne Sterne winken!
Laß mich mit Deinem Athem Leben trinken,
Und sterbend Dir am Busen niedersinken!

Doch, edle Mira, Du mußt mit dem Theuern
Auf Einem Kahn' aus diesem Sturme steuern,
Und mit dem Skalden die Erlösung feiern!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 16)

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An Mira

Du Heilige, sey zärtlich mir willkommen!
Der Anblick Deiner Reize gönnt dem Frommen,
Verdrängend Sinneslust, bezaubernd süße,
Der reinsten Liebe himmlische Genüße!

Das Klosterzelt, das Dich in Schutz genommen,
Beschirmt Dich, wenn Barbaren feindlich kommen!
In diesen Mauern hörst Du meine Grüße,
Und auf Dein Bild empfängst der Ehrfurcht Küße.

Sey hold der Bitte, die in mir sich reget,
Und gönne mir, was zart mein Herz beweget,
Wenn sich im Grab' mein Leib zur Ruhe leget!

Ich will mein Leiden lebenslange dulden,
Verzeih, wenn ich gefehlet, mein Verschulden!
Vergeltung, Mira, geben Deine Hulden.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 17)

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Schwermuth

Wie ist, o Liebe, deine Gunst mir bitter!
Und doch, o Himmlische, wie sind mir süße
Der Wehmuth-Leiden quälende Genüße!
Ist ohne ihnen mir nicht Alles Flitter?

In Nichts versinken Ruhm und Gold und Güter;
Um Liebe ich den Tod als Freund begrüße;
Das Feindlichste ich gerne schuldlos büße,
Erhält den Schmerz sich nur der Minneritter!

Fortuna steht mit allen ihren Gaben,
Die Erde mir mit ihrem Gold und Schätzen,
Der Himmel selbst bei diesen Leiden offen:

Kann ich auch nur mich am Gedanken laben,
Beständigkeit in Miras Tugend setzen,
Und Lebenstrost durch ihre Liebe hoffen!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 18)

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Der kaiserliche Gruß

Um rein zu fühlen Plato's Liebesflammen,
Erlaube, daß ich Deine Stirne küße!
Ach, Mira, Dich als Seraph ich begrüße,
Wer nennt mein Leid mit seinem harten Namen?

Wenn Küsse aus der Wonneheimat stammen,
Und ich, - indem das Höchste ich genieße, -
Dein Thränenaug' an meine Lippen schließe,
Wird mein Gefühl ein Liebender verdammen?

Der kaiserliche Kuß sey Dir gereichet!
Dein Aug' ist naß, mein Bardenherz erweichet -
Welch Lebensgut, das diesen Küssen gleichet?

Des Himmels Thore sind mir aufgeschlossen:
Petrarka naht mit Thränen übergossen,
Und führet mich zu Lauras Schmerzgenossen.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 19)

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Mira's Vorzüge

In Deinem minnereichen Angesichte,
O Mira, hohe Würde wiederstrahlet:
Der Frühling Rosen auf die Wangen malet,
Sein Bild vollendend in des Morgens Lichte.

Es gleicht Dein Wuchs dem schwanken Stamm' der Fichte,
Wie Meeresschaum Dein keuscher Busen wallet,
Wie Aeolsharfen Deine Stimme schallet,
Die Locke schwelgt mit eigenem Gewichte!

Dein Schritt ist leicht, wie eines Zephirs Welle,
Dein Aug' der Spiegel einer klaren Quelle,
Der Gottheit Abglanz Deine reine Seele!

Sie, die wie Aetherstrahl durch Wolken dringet,
Die Seele ist es, die Dir Werth erringet,
Und Würde in der Formen Schönheit zwinget.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 20)

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Sehnsucht nach Mira

Wird länger Deine Elfe noch mich hassen?
Soll ungeküßt Dein Rosenmund erblassen?
Soll nimmer Deine Stimme mich entzücken;
Ich nimmer durch Dein Aug' zum Herzen blicken?

Darf ich Dich nicht an meinen Busen drücken,
Nur Thränen weinen hinter Deinem Rücken?
Hast Du das Haus der Irdischen verlassen,
Darf ich Dich, Mira, träumend nur umfassen?

Ach, ohne Trost soll ich mein Leiden tragen,
Nicht ihrem Herzen meine Liebe klagen,
Nur Wingolfs Schatten meine Hoffnung sagen!

Doch Muth! Geliebte werden einst sich finden,
Die Ewigkeit wird Myrthenkränze winden,
Und meinen Geist mit Mira's Geist verbinden!


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 21)

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Als Mira plötzlich erkrankte

Was will der Tod, nach dem nur ich verlange,
An Mira's Kammer mit dem Sensenstabe?
Gebt, Nornen, mir zuerst die Ruh' im Grabe,
Daß rein als Geist ich jenseits sie empfange!

Gewähre, Schicksal, in der Leiden Drange,
Daß ich an Mira sterbend noch mich labe!
Sie folge, wann ich ausgerungen habe,
Der Bahre bei dem Sterbeglockenklange!

Dann soll sie glücklich sich des Lebens freuen,
Dem schönsten Loose ihre Stunden weihen,
Und auf mein Grab mit Thränen Blumen streuen!

Mein Geist wird immer ihr zur Seite stehen,
Mit Seelenwollust ihre Wohlfahrt sehen,
Und für ihr Heil zu Gott um Segen flehen.


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 22)

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Versöhnung

Wenn Morgens ich mit kindlichem Gebete,
O Vater, fromm in deine Schöpfung trete,
Ist Liebe es, die keusch mein Herz erfüllet,
Und Sehnsucht nach Entkörperung mir stillet.

Mit Kraft, daß ich das höchste Gut mir rette,
Zerreiß' ich schnöder Leidenschaften Kette;
Daß ferner Gram in meiner Brust nicht wühlet,
Der reinen Liebe Glut das Blut mir kühlet.

Mit Innigkeit nach heißem Herzensdrange
Zum Bruderkuß' die Menschheit ich umfange,
Dann ich versöhnet nach dem Tod' verlange:

Doch, Mira, in des Herzens Ruhgenusse
Umfange ich bei dem Versöhnungsgrusse
Dich mit dem ersten und dem letzten Kusse!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 23)

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Trost in Thränen

Ach, Mira, Dir verdanke ich die Thränen,
Die meines kranken Herzens Leiden lindern,
Mein Hoffen mit der Ewigkeit versöhnen,
Und meine Furcht vor Todesschmerzen mindern!

Des Himmels Gnade allen frechen Sündern,
Die heimlich meiner reinen Liebe höhnen;
Und tiefe Ehrfurcht allen keuschen Kindern,
Die ungehört um Plato's Güter stöhnen!

Versieget, Thränen, nicht in Prüfungstagen,
Und fließet meinem Schmerz' in klaren Strömen,
Bis in dem Tod' mein Angesicht erbleichet:

In euch ist mir der letzte Trost gereichet,
Ihr sollet bald des Todes Krämpfe lähmen,
Und enden meiner Sehnsucht Liebesklagen!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 24)

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Eifersucht

Ich sah im Scheine halbverlosch'ner Kerzen
Mit Mira einen muntern Jüngling scherzen:
Schnell stand bei allem Trotz' und Widerstande
Durch Eifersucht das Herz im vollen Brande.

Wohin ich ängstlich mich auch immer wandte,
Im Argwohn' ich nur Schreckliches erkannte;
Doch zürnend riß mit Manneskraft die Schmerzen,
Dem Irrthum' fluchend, ich vom wunden Herzen.

Den Blinden sieht der Zwist in mir, den Tauben,
Dem Scheine gönn' ich niemals einen Glauben -
Ich lasse mir das Heiligste nicht rauben!

Nur zeitlich hat ein Fremdling sie geblendet,
Der Prüfungsaugenblick ist schon geendet,
Mir hat das Herz sie ewig zugewendet!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 25)

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Im Zimmer Nro. 11 zu **

Seid mir willkommen, eingeweihte Mauern,
Und Quelle du, die meine Flamme kühlet!
An diesem Orte muß ich heute trauern,
Weil Gram der Liebe mir im Busen wühlet!

Ein Traum der Nacht erfüllet mich mit Schauern,
Mein Sehnen nicht die Morgenröthe stillet;
Nur Nachtgespenster an den Thüren lauern,
Und mein Gemüth heut keine Ruhe fühlet!

Doch zart, wie Aeolsharfenlaute zittern,
Ertönen Mira's Worte, und erschüttern
Mein Herz, gleich Donnerschlägen in Gewittern.

Es schallt das Lied, in diesem Raum' gesungen,
Von Furcht und süßen Hoffnungen durchdrungen,
Dem Herzen heilige Erinnerungen!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 26)

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Seligkeit

Entfernt von Dir, umarmt Dich meine Seele!
Am Tage wachend, und bei Nacht im Traume
Mit Deinem Geist' ich mein Gemüth vermähle,
Entschwingend mich der Sinnwelt dunkelm Raume.

Die Frucht genießend von dem Lebensbaume,
Umglänzet uns der Sonne milde Helle:
Dort auf des Morgensternes lichtem Saume
Erreichen wir des Lohnes Ruhestelle.

Des Schöpfers Ruf entbindet unsre Zungen,
Und zeigt Genuß! Bald ist das Ziel errungen -
Zur Einheit sind die Seelen schon verschlungen.

Zum Licht' wird unser Geist vereint erhoben,
Um ewig dort, wo keine Stürme toben,
Den Schöpfer unsrer Seligkeit zu loben!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 27)

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Vision

Sanft decket Mira's und des Skalden Hülle
Mit seiner stummen Ruh' des Grabes Kühle:
Sie sind im wilden Sturme heimgegangen,
Den Lohn geprüfter Liebe zu empfangen!

Erlöset von der Erde Prunkgewühle,
Ist selig nun ihr Geist im Hochgefühle,
Wovon des Skalden Saiten festlich klangen,
Und tiefbewegend keusche Liebe sangen.

Geschmücket mit der Palme Friedenskränzen,
Betreten sie des Schattenreiches Grenzen,
Wo Tugenden mit Sonnenstrahlen glänzen.

Der Minne Lohn in jenen hellen Räumen,
Wo meiner Hoffnung Geistesblüten keimen,
Ist rein, wie zärtlich Liebende ihn träumen.


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 28)

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Frage

Was zärtlich bei Nacht mich vom Schlummer erwecket,
Mich freundlich im Strahle des Morgens begrüßet,
Mit Wollust die Stunden des Tages versüßet,
Ein glänzendes Licht in die Finsterniß stecket;

Was alle Gebrechen des Irdischen decket,
Was süßer der Arme als Reiche genießet,
Vom Himmel herein in das Herz sich ergießet,
Was niemals die Seele mit Lastern beflecket;

Was reich und gemüthlich den Busen mir füllet,
Tagtäglich verborgene Freuden enthüllet,
Die Glut in dem Blute durch Hoffnungen kühlet;

Und was mit des Herzens beglückendstem Triebe
Im Leben als friedlicher Pilger ich übe,
Ist dieses, o Mira, was anders, als Liebe?

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 29)

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Die Umarmung

Wie sich am Feigenbaum' die Rebe schlinget,
Und ihre Last zart seine Zweige drücket,
Die harte Frucht die weichliche umstricket,
Und nah' die Traube zu der Feige bringet:

So eines um die Huld des andern ringet,
Wenn Mira und den Skalden man erblicket;
Umarmt sie beide Plato's Traum beglücket,
Und laut Petrarka seinen Hymnus singet.

Ein reiner Geist, der Sinnenwelt entrissen,
Vereinet sie zu himmlischen Genüssen,
Daß sie entkörpert ihren Leib vermissen.

Im keuschen Aug' umarmen sich die Seelen,
Und zur Vollendung, welche fromm sie wählen,
Nur zwei beflorte Leichensärge fehlen.

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 30)

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Der Wohllaut

Der reinste Laut, der je aus Deinem Munde
In meine Ohren kam seit jener Stunde,
Als Du mich grüßtest an der Klosterporte,
Der schönste Inhalt aller süßen Worte

Gibt mir im trauten Du die frohe Kunde
Von Deines edlen Herzens zarter Wunde;
Und lusterfüllet an des Heiles Pforte
Geh' ich beglückt von diesem Gnadenorte.

Im Reich' des Klang's ich keinen Mollton kenne,
Den, wenn in keuscher Minneglut ich brenne,
Vor diesem Du ich sinnberauschet nenne!

Mit diesem Du hast Du Dich mir gegeben:
Ich fühle tief mein Glück; die Pulse beben, -
Der Eingeschlummerte erwacht zum Leben!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 31)

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Der Kuß

Des Mondes Silberlicht am Himmel pranget,
Und die Gestalt der Schöpfung hehr verkläret;
Als lächelnd Mira sich zum Skalden kehret,
Und seinen zarten Händedruck empfanget.

Ihr blaues Aug' ihm jeden Wunsch gewähret;
Vor ihm der zarten Weiblichkeit nicht banget,
Weil nur sein Geist nach ihrem Geist' verlanget,
Nicht sinnberauscht sein höchstes Gut entehret.

Der Sternenhimmel naht mit guten Zeichen,
Des Körpers Lüste scheu vom Busen weichen,
Und reine Freuden weiße Rosen reichen.

Wenn klar die Thräne in dem Auge blinket,
Der Flitter dieser Welt in Nichts versinket,
Und Seligkeit mein Geist aus Mira's Munde trinket!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 32)

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Vereinigung

Zu meinem Troste, Mira, hat vollendet
Dich mir als einen Engel Gott gesendet,
Der Plato's Liebesflammen rein belebet,
Mich geistig auf zu reinen Wesen hebet.

Zur reinen Seligkeit, die niemals endet,
Ist Deiner Liebe Streben hingewendet;
Nach Deinem Heil' auch meine Sehnsucht strebet,
Und mein Geschick mit Deinem Loos' verwebet.

Der Weg zum Ziel' des Lebens ist gefunden,
Des Körpers Fessel sind schon losgebunden -
Dem Staube hat der Geist sich frei entwunden!

Der Liebe Glut, wie Sonnenfunken helle,
Vereint zu einer reinen Freudenquelle
In zweien Körpern Eine fromme Seele!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 33)

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Liebe

Wenn heimlich ich, von Dir entfernt, mich härme,
Vor Deinem Bilde, edle Mira, schwärme;
Wenn off'ne Gräber ich am Kirchhof' sehe,
Und einsam unter tausend Menschen stehe;

Empfinde ich, o Liebe, deine Nähe,
Und fühle, wenn zu dir ich weinend flehe,
Im Busen bei der Welt bewegtem Lärme
Nur des Gefühles segenreiche Wärme!

Was einst Petrarka hoch im Lied' empfunden,
Was Balsam war auf Abälardens Wunden,
Ist zeitlos an die Ewigkeit gebunden.

Der Liebe Gut hat ewig Gott gegründet;
Mit seinem Hauch' sie unsern Geist entzündet,
Und an die Erde Himmelswonne bindet!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 34)

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Verklärung

Verlassend des Planeten kalte Zone,
Genießen Liebenden des Himmels Wonne:
Zur ernsten Stunde irdischer Zerstörung
Erscheint der Geist in glänzender Verklärung!

Den Skalden schmückt des Eichenlaubes Krone,
Und Mira ziert das weiße Kleid der Nonne:
Der Leichen Antlitz deutet auf Gewährung,
Ihr Geist entfloh der Sinnenwelt-Verheerung.

Die Seelen glänzen als zwei helle Sterne
Dem Erdenpilger aus des Raumes Ferne,
Und schließen auf das Reich des Formenlosen. -

Und Jünglinge und zarte Mädchen pflücken
Im Lenze jeden Jahres voll Entzücken
Vom Grab' der Myrthe Zweig und weiße Rosen.


Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 35)

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Platonismus

Mit Körpern nur die Geister sich verbinden,
Damit die Seelen zu einander finden:
Sogleich des Körpers Form entbehrlich scheinet,
Hat sich aus Mann und Weib Ein Geist vereinet.

Was unsre Geister, Mira, sich verkünden,
Muß reine Flammen nur in uns entzünden;
Und was mit voller Kraft der Geist verneinet,
Ist nicht das Gut, das jetzt dein Aug' erweinet!

Im Streben nach dem Höhern und dem Reinen,
Wobei die Formen regelos erscheinen,
Darf mit der Jungfrau sich der Mann vereinen.

Der Körper trägt der Sterblichkeit Gebrechen,
Der Liebe Geister fesseln keine Schwächen -
Das Urtheil wird die Ewigkeit uns sprechen!

Aus: Josef Sutner Plato's Schüler der Liebe 30 Sonetten
München 1831
J. Lentner'sche Buchhandlung (S. 36)

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Liebesglück
An Molly

Molly, deines Geistes schöne Grösse
Decket schonend meiner Schwächen Blösse,
Führt zu edlern Wesen hin mein Ich:
In dem Heiligthume keuscher Liebe
Wurden weicher meine stärkern Triebe,
Zärtlicher mein Adlerblick durch dich!

Alle ihre Gaben goß hernieder
Amathusia, da meine Glieder
Leben tranken in dem Liebeskuß';
Alles Rauhe floh aus meinem Busen,
Liebend zogen heimwärts meine Musen
Bei der Seelenliebe Ruh'genuß!

Mit Gefühlen reiner Geistessphären
Sog ich bei Umarmungen die Zähren
Aus dem liebetrunk'nen Auge ein;
Und der Thau, der dir vom Aug' geflossen,
Hat sich tief in meine Seel' ergossen -
Wusch mein Herz nach deinem Bilde rein!

Dank dir, guter Geist, der uns geleitet,
Sterblichen des Himmels Gut bereitet,
Der uns aus dem Staub' zur Gottheit trug -
Dank dir, grosses Wesen! Um auf Erden
Unter tausend Qualen froh zu werden,
Sind zwei Liebende sich schon genug!

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 60-61)

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Frauengenie

Schon fieng die Schöpfung an zu leben,
Schon pflegte Liebe jedes weiche Wesen,
Das meisterhaft aus Schöpfers Händen kam;
Die Henne nur allein vermißte noch das Männchen.
"Was soll ich mit der Henne, trautes Weib!"
So sprach zur Juno Zeus, "wird nicht das nützlichste der Thiere
Dem Menschen lästig in Gesellschaft gleicher Anzahl Männchen,
Die ihm das Futter nicht mit Eiern wieder lohnen?"
"Fürwahr!" entgegnete mit Lächeln Juno,
"Der Nutzen, den die Henne ihrem Nährer giebt,
Verschwände in des Männchens müßiger Gesellschaft;
Doch, Zeus, dafür weiß ich dir Rath:
Erschaffet schön, verliebt, galant das Männchen, dann
Begnügt ein Dutzend Weiber sich mit Einem Manne!"

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 61)

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An Marianne

Süß und schmerzlich drängt sich zum Herzen die Sehnsucht nach Liebe,
Lockt sie die Thräne vom Aug', ruft sie den Himmel in's Herz.


Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 88)

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Aphroditens Umarmung

Weichlich sich spannende Muskeln umschlingen die Nerven des Eros,
Eine Geberde und Sprach' zeigt sich in zweifacher Form.
Also des Jünglings seligstes Loos - der Körper begeistert
Durch der Liebe Gefühl, selig der Geist im Genuß'.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 171)

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An Kloe

Die Scheidestund' naht fürchterlich!
Mit Thränen im Gesicht'
Fleh' ich nur, Kloe, dieses dich:
Vergiß, vergiß mich nicht!

Es hält auf dieser Erde da
Nur alles kurze Zeit,
Doch Wiedersehen ist uns nah',
Dann Unzertrennlichkeit.

Wenn du vor mir am Ziele stehst
Auf jener Sonnenbahn,
Und sieggekrönt hinübergehst,
Gedenk' des Freundes dann!

Du liebtest mich - der Stolz sei mein,
Wenn mir mein Engel winkt,
Der Geist sich hebt, und das Gebein
In's Grab zur Ruhe sinkt.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 184)

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Der Traum
An Lilimene

Umschlungen von rankenden Reben,
Genoß ich im Schatten das Leben
Am hehr sich verklärenden Tag';
Um mich her entzückte mit zarten
Dianthen ein prunkvoller Garten,
Wo träumend am Gießbach' ich lag.

Ich schaute auf grünendem Moose
Des Frühlinges blühende Rose,
Dem schmachtenden Auge so schön!
Die stillen und lauigen Lüfte
Verbreiteten reizende Düfte
Um weichlich gerundete Höh'n.

Ich träumte voll himmlischer Wonne
Von keinem beneideten Throne,
Nach Paphos entführte mein Traum -
Ich sah mich von Nimphen umrungen,
Von freundlichen Amor'n umschlungen,
Und kannte mich Glücklichen kaum.

Durch blumige Pfade geleitet
Von tanzenden Feen begleitet,
Durchlief ich die himmlische Bahn;
Vom spielenden Zephir umwehet,
Von flatternder Segel gedrehet
War Amors gefälliger Kahn.

Libellen und Sylphen durchzogen
Mit leisem Gelispel die Wogen
Am schilfigen Ufer entlang;
Da hörte ich, schaukelnd gewieget,
Vom taumelndem Rausche besieget,
Cytherens vertrauten Gesang.

Ich küßte die reizende Rose,
Und fühlte nicht irdische Loose
Bei diesem geheimen Genuß.
Noch einmal du einsame Stille
Mit Wollust die Brust mir erfülle,
Noch einmal den labenden Kuß!

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 186-187)

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An die Schönen

Seid alle gegrüsset,
Ihr Blumen der Zeit,
Gesegnet, geküsset -
Der Liebe geweiht;
Denn kurz sind die Tage
Der Jugend beblümt,
Dem Alter ist Klage
Vom Alter bestimmt!

Einander zu lieben
Ist höchstes Gebot;
In zärtlichen Trieben
Ein lenkender Gott.
Das Feuer verlodert,
Die Zeit flieht zurück;
Genüsse erfodert
Das flüchtige Glück.

Des Liebenden Sonne
Strahlt ewigen Glanz,
Elisiums Wonne
Beut ihnen den Kranz!
Gefühl für das Leben
Begeistert die Brust,
Und Hoffnungen geben
Der Gegenwart Lust!


Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 233)

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An Louise

Gefüllt, wie die reifende Traube
Im herbstlichen Jahre entglüht,
Wie über dem üppigen Laube
Die Rose im Frühlinge blüht;
So gehet das Mädchen in's Leben,
Mit Lust und Gefahren umgeben.

Dem Auge entsprühet ein Feuer
Mit Liebe verheissendem Blick,
Harmonisch, wie Töne der Leier
Ist fühlender Seelen Geschick:
Der Liebe bezauberndes Wesen
Ist, Mädchen, im Blick' dir zu lesen.

Die Jugend mit stürmender Flamme
Durchtobet das wallende Blut
Des Mädchens, wie göttlicher Same
Entkeimet es redlich und gut;
Es tritt in das ernstere Leben
Mit Wählen, Verachten und Streben.

Laß brausen, Louise, die Flamme,
Laß toben das glühende Blut,
So reift dir der göttliche Same
Im Leben mit himmlischem Gut!
Das Leben verbrauset - zum Lohne
Erwirbt sich nur Tugend die Krone.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 235-236)

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An Kloe

Wenn aus dem Busen reiner Liebe Feuer flammet,
Das uns aus dem Naturgesetze stammet;
Dann wollen wir des Herzens höchstes Gut genießen,
Wenn auch dem Schicksal' unsre Thränen fließen.

Hinauf zu jener Höhe wollen wir uns schwingen,
Wo Engelchöre Harmonieen singen,
Wo Sterbliche zur Gottheit lebend übergehen,
Und ihres Wesens reinste Grösse sehen:

Und wenn beglücket unsre Geister im Gefühle
Versunken sind in tiefe heil'ge Stille;
Dann dürfen auch die Formen liebend sich umschliessen,
Und kein Verbot setzt Schranken unsern Küssen!


Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 236)

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Kloe

Schön sind Rosen
In den Gärten;
Schön sind Blumen
Auf dem Felde,
Schön sind Sterne
An dem Himmel;
Aber schöner
Als die Rosen
In den Gärten,
Schöner als die
Blumen auf dem
Felde blühen,
Schöner selbst als
Sterne glänzen,
Schöner noch ist
Kloe, wenn sie
Ihrem Freunde
Bei dem hellen
Mondenschimmer
Küsse reichet.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 245)

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An Amor

Kleiner Knabe,
Hör' mein Liedchen,
Höre meine
Fromme Bitte!
Wenn du wieder
Pfeile schnitzest,
Und den Köcher
Emsig füllest;
Schmiede einen
Pfeil von Eisen,
Daß er in das
Herz mir dringe;
Denn ich wollte
Nimmer lieben,
Und so ohne
Liebe wurde
Meine Brust zu
Einem Felsen.
Guter Amor,
Schmiede einen
Pfeil, ich möchte
Wieder lieben!

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 279)

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An Marianne
als sie mir einen Ring zum Namenstage überreichte

Du giebst mir der Ewigkeit Simbol hier als ein Denkmal der Treue,
Der Blick nach der endlosen Zeit frommet der Liebenden Wunsch.
Ja, Ewigkeit, dich hat die Liebe, Elisiums Tochter zur Mutter;
Du führest der Liebenden Wunsch ewig dem Zeitlosen zu!

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 282)

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Der Kuß
An Minna

Entflieht dir beim Kusse des liebenden Mädchens die menschliche Seele;
So kehrt beim erwiedernden Kuß göttlich sie wieder zurück.

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 286)

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Amorinischer Paroxismus
An Kloe

Daß sich Menschen wechselseitig lieben,
Dieß Gesetz hast, Schöpfer, du geschrieben;
Diese Weisung drang auch in mein Blut,
Darum bin ich allen Menschen gut;

Darum, Kloe, fühlst du reine Triebe,
Darum nährt dein Busen keusche Liebe,
Und entflammt dein Blut zum heissen Kuß:
Liebe heißt der edelste Genuß!

Liebe, Kind aus hoher Götter Samen,
Kühlend reinigen mich deine Flammen;
Aufwärts zieht es mich vom Erdenrund,
Seelenwollust thut dein Rufen kund.

Höre, Kloe, dieses Triebes Worte,
Hehr verkläret sind wir an der Pforte;
Höre, was des Herzens Pochen spricht,
Täuschung ist der Laut der Liebe nicht!

Deines Busens wahrheitsvolle Laute
Sind der Gottheit himmlische Vertraute;
Himmelan führt die betret'ne Bahn,
Und die Hoffnung eilet uns voran!

Diese Liebe, Kloe, soll uns binden,
Daß wir aus der Erde Irrweg finden -
Aufwärts! in der bessern Schattenwelt
Werden Täuschungen mit Licht erhellt!

Laß' nun, Schicksal, zu der Geister Glücke
Stürzen diese Welt in tausend Stücke;
Unser Loos zerstöret nicht Gewalt -
Unter Geistern ist sein Aufenthalt!

Aus: Vermischte Gedichte von J. Sutner
München 1824 in Commission bey E. A. Fleischmann (S. 303-304)

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Biographie:

Sutner, Josef, * 18.3.1784 Dietramszell/Obb., † 18.11.1835 München. - Lyriker.
Der Sohn eines Klosterschmieds besuchte das Dietramszeller Klosterseminar bis 1802, anschließend das Gymnasium u. Lyzeum in München. Ab 1809 bei verschiedenen Behörden provisorisch angestellt, wurde S. erst 1830 im bayerischen Finanzministerium als Rechnungsrevisor fest beamtet.
Seit 1805 arbeitete S. als poetischer Dilettant für Zeitschriften u. Zeitungen (U. a. »Eos«, »Volksfreund«, »Sonntagsblatt«), wobei er die Themen seiner Gelegenheitsgedichte u. Epen bevorzugt der vaterländ. Geschichte u. heimatl. Landschaft entnahm. S.s oft in Distichen gefaßte, topographisch exakte Spaziergänge zählen zu den frühesten Zeugnissen der literar. Entdeckung Oberbayerns; weniger überzeugend sind seine zahlreichen, oft »im verlängerten Hexameter mit möglichster Mißhandlung von Metrum und Wohlklang der Sprache« (Holland, S. 203) abgefaßten Kasualpoesien, Epigramme, Sonette, Liebes- u. Huldigungsgedichte, Balladen u. Romanzen, Fabeln u. Idyllen.

WEITERE WERKE: Karl der Große. Mchn. 1822. 21835. - Vermischte Gedichte. Ebd. 1824. - Theodo. Ebd. 1825 (Versepos). - Vermischte Schr.en. Ebd. 1828. - Plato's Schüler der Liebe. Ebd. 1831 (Sonettenzyklus). - Der Minnesänger. Ebd. 1835.
Aus: Autoren- und Werklexikon: Sutner, Josef, S. 2. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 19436 (vgl. Killy Bd. 11, S. 293)


 

 


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