Christoph August Tiedge (1752-1841) - Liebesgedichte

Christoph August Tiedge



Christoph August Tiedge
(1752-1841)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Laura's Lied

Dich, hoher Jüngling, liebt mein Herz,
Und muß es tief verhehlen!
O, könnte dir's ein Lüftchen nur,
Ein sanftes Lüftchen meiner Flur,
Im Abendhauch, erzählen!

Es sollte, wenn der Hain verstummt,
Und wenn Diana lüstern
Durch deine Buchenzweige schaut,
Wie ein verwehter Herzenslaut,
Um deine Laube flüstern.

Es sollte deinem Athemzug
Im Frühlingsduft begegnen,
Und Blüten, hell, wie Mondenlicht,
So leise, wie die Liebe spricht,
Auf dich hernieder regnen.

O, schweigend ruhe dann das Spiel
Der lauen Abendwinde,
Daß ein bethautes Blütenblatt
Die Stelle seiner Lagerstatt
An deinem Herzen finde!

Dann würde dir dieß sanfte Bild
Vielleicht die Seel' erschüttern,
Und eine liebende Gestalt,
Von säuselndem Gezweig' umwallt,
Durch deine Laube zittern.

Umfangen würde dich vielleicht
Ein wunderbares Ahnen;
Es würd' an den Platanengang,
Voll Ruh und Nachtigallgesang,
Dich die Erscheinung mahnen.

Dort sah ich dich: und plötzlich war
Mein Blick, mein Herz umfangen;
Das Lied auf meiner Lippe schwieg,
Und eine helle Röthe stieg
Mir heiß auf beide Wangen.

Die schönsten Blüten flatterten
Um dich, wie goldne Horen.
Dich sah ich nur, dich dacht' ich nur;
Verschwunden war mir die Natur,
Ich selbst in Nacht verloren.
(Band 2 S. 3-5)
_____



Die Feier

Hier ging Laura! Diese Lüfte
Haben heilig sie berührt,
Haben ihr die Opferdüfte
Schöner Zweige zugeführt.
Im Geflüster dieser Blätter
Trat sie hin an diesen Bach;
Und, wie junge Liebesgötter,
Flogen ihr die Blüten nach.

Wie mein Aug' an dieser Fülle,
Wie es an dem Schleier hing,
Der, gleich einer Knospenhülle,
Ihren Rosenlenz umfing!
So verhüllt in ihren Schleier,
Und noch mehr in sich verhüllt,
So steht ewig vor der Feier
Meiner Huldigung ihr Bild.

In den schlanken Pappelzweigen
Sanft vom Abendwind umwallt,
Seh' ich jedes holde Neigen
Ihrer schwebenden Gestalt;
Auf dem Apfelblütengange
Ruht mein Blick, als wiegten ihn
Blumen, welche Laura's Wange,
Leis' erröthend, überblühn.

Jeder blaue Stern der Quelle,
Sanft, wie Huld, und klar, wie Licht,
Malt ihr Auge mir, dieß helle,
Geistige Vergißmeinnicht;
Und die zarte Anemone,
Bricht sie aus der Knospe vor,
Gleicht dem Munde, den zum Throne
Sich die Lieblichkeit erkor.

Wehet im Violengrunde
Ihres Athems Lispel nicht,
Der: "ich schwebt' auf ihrem Munde" -
Stolz zu meiner Ahnung spricht?
Hör' ich nicht, wenn Philomele
Durch die Pappeln triumphirt,
Ihren Ton, der aus der Seele
Mir die Stille weggeführt?

Feiern will ich jene Quelle,
Die den holden Blick empfing,
Weihen jede Rasenstelle,
Ueber die ihr Wandel ging.
Da, da will ich niedersinken,
Wie am heiligsten Altar;
Will den Hauch der Lüfte trinken,
Der vielleicht ihr Athem war.
(Band 2 S. 5-8)
_____



Die Ueberraschung

Einen Tag vergess' ich nimmer,
Einen Tag, voll Licht und Glanz;
Roth umfloß der Abendschimmer
Seinen grünen Frühlingskranz.
Laura trat im weißen Schleier,
Wie das Leuchten eines Strahls,
Sinnend trat sie in die Feier
Meines schönen Ulmenthals.

Töne hört' ich fern verhallen;
Laura sang in das Getön
Grün verhüllter Nachtigallen:
"Schön ist Gottes Erde, schön!"
Und die hellen Blüten schwebten
Taumelnd über sie herab;
Aber ihre Töne bebten
Mir im Herzen auf und ab.

Wie von weicher Luft getragen,
Kam die schöne Wandlerin!
O, sie kam aus Blumentagen,
Ging zu Blumentagen hin!
Solche Heiterkeit, gemildert
Durch den Schleier, floß, wie Licht,
Das den innern Frieden schildert,
Um ihr liebliches Gesicht.

Blicke, welche sie umflogen,
Bienen gleich am Lindenhain,
Wurden lichte Träum', und sogen
Himmelsphantasieen ein.
Dieses Lächeln auf der Wange!
Diese Stirn, voll Frühlingssinn!
Welch Gefühl! ich sah ihr lange,
Lange nach! sie schwand dahin.

Flammen eines Purpurbandes
Schlugen, lieblich hell, hervor
Aus den Falten des Gewandes,
Das im Grase sich verlor,
Und sich, wie ein weißes Wölkchen,
Das die Huldgestalt umfloß,
Kaum berührend, auf ein Völkchen
Nickender Violen goß.

Lüfte, die den Schleier trugen,
Herrschten ruhig durch den Hain;
Nur die Nachtigallen schlugen
In das stille Fest hinein:
Denn hier wandelte die reine,
Schimmernde Gestalt; ihr Blick
Ließ in diesem Feenhaine
Seligkeit und Glanz zurück.

Heller wird der Lenz hier blühen,
Heller blühend einen Pfad
Durch den grünen Tempel ziehen,
Den die Herrliche betrat.
Da, da seh' ich noch sie schweben
Durch das dunkle Grün des Thals,
Wie das schöne, stille Leben
Eines hohen Ideals.

Unvergeßlich sah ich immer
Ihr entschwebendes Gewand,
Bis der letzte, weiße Schimmer,
Wie ein schöner Traum, verschwand!
Und der reiche, unermeßlich
Phantasieenreiche Hain -
Unvergeßlich, unvergeßlich
Wird er meinem Herzen sein.
(Band 2 S. 8-11)
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Die Entfernte

Goldne Zeit, als, durch die Gartenbäume,
Mir die Nachtigall entgegen schlug,
Und das Leben mich, durch lichte Räume
Himmelblauer Frühlingstage, trug!
Oedes Ziel nach einer schönen Reise,
Die voll Frucht- und Blumenkronen hing!
O wie war's, als ich, in Laura's Kreise,
Hoch umher, wie ein Bekränzter, ging!

Sonnig stiegen vor mir Höhn und Tiefen,
Wie ein Meer von Blumen, ab und auf;
Kränze winkten, Götterstimmen riefen
Triumphirend die Begeistrung auf;
Und die Seele fühlte sich erhaben,
Reich das Herz. Und nun! was bin ich nun?
Was Vergöttrungsaugenblicke gaben,
Mußte das auf Augenblicken ruhn?

Wie ein Geist, der von dem Wiederhalle
Seines Lebens und vom Schatten lebt,
Irr' ich stumm und einsam noch um alle
Jene Stellen, wo einst sie geschwebt.
Da, wo Tön' und Blüten sie umwallten,
Fühl' ich noch ein geistig lindes Wehn.
Und dann ist's, als seh' ich die Gestalten
Großer Tage vor mir auferstehn.

Weinend ruf' ich jene sanften Schauer
Ihrer Laub' in mein Gefühl herein;
Und sie flößen dann der tiefen Trauer
Meiner Thränen Seelenhoheit ein.
Dann beschleicht es mich, mit leisem Glanze;
Hell erscheint die hohe Freundin mir,
Mit dem grün und weißen Mädchenkranze;
Meine ganze Seel' ist Traum von ihr.

Wenn ich dann so fern die Huldin glaube:
O dann flüstert's meinem Herzen zu:
"Blick' empor! die weite Sternenlaube,
Welche dich hüllt, deckt auch ihre Ruh."
Ja, das ist das Traumbild, das den Schwachen
Immer täuscht, und das er immer liebt!
Geist des Lebens! laß mich auferwachen
Zu dem Leben, welches Laura giebt!
(Band 2 S. 11-13)
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Wiedersehn

Wiedersehn!
Endlich tönt dir mein Willkommen!
Meine höchsten Huldigungen
Sollen dir entgegen wehn!
Endlich hab' ich dich errungen!
Hell, wie Frühlingsauferstehn,
Leuchtest du, o Wiedersehn!

Wiedersehn!
Neues, rosenvolles Leben!
Noch verhüllet dich ein Schleier;
Aber er wird niederwehn,
Und du wirst, zur Krönungsfeier,
Hell aus deiner Wolke gehn.
Laura werd' ich wiedersehn!

Wiedersehn!
Ja, ich werd' in deinem Lichte,
Heller Strahl aus dunkeln Nächten,
Hoch in deinem Lichte stehn!
Welche Kronen soll ich flechten?
Wie soll ich dein Fest begehn,
Wonnevolles Wiedersehn?

Wiedersehn!
Dir gebühret Harfnerfeier!
Lindenblüten, taumelt nieder
In das festliche Getön!
Töne meiner Herzenslieder
Sollen dich im Duft umwehn,
Hochwillkommnes Wiedersehn!

Wiedersehn!
Sieger mögen, ruhmbeladen,
Unter zugeworfnen Kränzen,
Stolz durch Volksgepränge gehn!
Bluttrophäen mögen glänzen!
Sanft, wie Harfenlispel wehn,
Ist der Liebe Wiedersehn.

Wiedersehn
Ist der Liebe schönste Feier.
Gebt mir Kronen! Rosenkronen!
Meine Königin soll schön,
Wie die Lieb', in Rosen thronen!
Opferduft soll dich umwehn,
Feierliches Wiedersehn!
(Band 2 S. 14-16)
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Laura's Tod

Laura starb! o, naht euch sanft, ihr Lenze!
Weiße Blumen streut auf ihre Gruft!
Und, im Lispel der beseelten Kränze,
Schwebe heiliger die Abendluft!
Engel! schmückt die Amaranthenlaube,
Die den neuen Himmelsgast empfing!
Meine Seele wohne bei dem Staube,
Der um Laura's Erdenwandel hing!

Ach! die Erdenwelt kann nicht erstatten,
Was in ihr die Engelwelt verlor!
Aus erloschnen Tagen schweben Schatten
Meiner abendlichen Trauer vor,
Daß ich mich an diese Todten reihe;
Und die Gruft, wo meine Trauer wacht,
Sei der Altar meiner höchsten Weihe,
Sei die dunkle Feier meiner Nacht!

Hochgeheiligt, wie die Schlummerhöhle,
Der die Blum' ihr Todtenopfer weiht,
Und melodisch, wie die Harfenseele,
Lisple dort die Abgeschiedenheit!
Sanfter, stiller wird das Herz dort brechen,
Am zerfallnen Huldigungsaltar:
Da will ich, zur Stille will ich sprechen,
Was sie war, die hohe Laura war.

Ja, sie war mir, was die guten Götter
Dem verlaßnen Erdensohne sind:
Sonnenschein in dunkelm Lebenswetter,
Das aus nächtlich finstern Urnen rinnt.
Sanft war sie, wie Luft vom Blumenhügel
Ihre Huld, wie Duft der Liljenflur,
Und ihr Geist ein unbefleckter Spiegel
Der, durch sie verherrlichten, Natur.

Jede Wahrheit, die sich mir bewährte,
Strahlte schöner mir ihr Geist zurück;
Alles, was ich that und litt, verklärte
Sich in ihrem engelreinen Blick.
Leite dann, o Wehmuth, mich zur Laube,
Welche Laura zärtlich auferzog;
Wo - wie unvergeßlich! - oft ihr Glaube
Der Vergötterung entgegen flog!

Sey mir heilig, kleine, grüne Pforte,
Wo sie mir ein Myrtendenkmal brach,
Und mit weihendem Gefühl die Worte:
"Laß uns selig sein!" - begeistert sprach -
"Selig unter diesen Rosen wohnen!
Ja, es war wohl eines Gottes Ruf,
Der den Frühling und die Rosenkronen
Und den Himmel und die Liebe schuf." -

Gott zu schauen in den Sonnengleisen,
Und im Veilchen, das im Schatten keimt,
Im Orkan, der auffährt, und im leisen,
Holden Lüftchen, das in Liljen träumt:
Diese Wonne flammt' ihr im Gesichte;
Die Natur, zur Priesterin geweiht,
Stand verklärt, im Sommerabendlichte,
Zwischen ihr und Gottes Herrlichkeit.

Da, da neigte sich das Taggetümmel
Zum verstummenden Gefühl hinab.
Hob die Fromme mich empor zum Himmel?
Oder zog den Himmel sie herab?
Nichts vernahm ich von dem wilden Tosen,
Vom Gewühl der fluchbeladnen Zeit;
Ruhe ging, im Schatten ihrer Rosen,
Wie der Liebe stille Seligkeit.

Mußte solche Harmonie verhallen?
Oedes Leben! der bewölkte Mond
Blickt in die zerfallnen Tempelhallen,
Wo ein klagenreiches Echo wohnt.
Jene Luft, die einem Liljenbeete,
Mit dem süßen Raube, sich entschwang,
Und durch ihre Rosenzweige wehte,
Zittert schweigend durch den Laubengang.

Komm und rausche durch die Rosenzweige!
Komm und hauch' in ihren Opferduft,
Daß so schrecklich nicht die Stille schweige,
Einen Seufzer nur, o Abendluft!
Einen Seufzer, gleich dem tiefen Schauer,
Der um Laura's letzte Stunde floß,
Jene Stunde, die mit Nacht und Trauer
Mein verlaßnes Dasein übergoß!

Da schon Dunkelheit ihr Auge deckte,
Als sich los ihr heilig Leben wand,
Ihre Heimath dort schon war - da streckte
Sie zum letzten Mal nach mir die Hand -
Und - ein schönes Dasein war vorüber! -
O, du Thräne, die dem Aug' entschleicht,
Brenne nicht so! dort - von dort herüber
Hat ein Engel mir die Hand gereicht.
(Band 2 S. 16-20)
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Erinnerung

Einst umsprangen mich geliebte Quellen,
Als ich durch das Blumenleben ging,
Das mit seinem Frühling um die Stellen,
Um die Mahle schöner Tage hing.
Anders klang das Lied der Nachtigallen,
Und des Waldes Tiefe minder hohl:
Welche Lieder hör' ich jetzt? in allen
Tönt mir Laura's sanftes Lebewohl!

Wenn die Mitternacht den Schlummerlosen
Dicht umringt mit ihrer Einsamkeit,
Oder wenn der Morgen seine Rosen
Durch das Fenster auf mein Lager streut:
O, Erscheinung aus verblühten Tagen!
Weich umwallet, wie ein Wolkensaum,
Den die jungen Morgenwinde tragen,
Dann ihr Schleier meinen wachsten Traum.

Aber sie - wo ist der Glanz der Quelle,
Welchen sie mit ihrem Lächeln schmückt?
Wo der Garten? wo die Lieblingsstelle?
Wo der Strauch, dem sie die Blum' entpflückt?
Wo der Wald, und wo des Waldes Tiefe,
Der ihr Herz sich in die Arme wirft? -
O, ihr, meine Lieder, meine Briefe,
Glücklich, wenn ihr sie begleiten dürft!

Haucht ein leises Schauern in die Düfte,
Wo die Ros' im Abendlichte nickt!
Athmet Wehmuth in den Kuß der Lüfte,
Der sich kühl auf ihre Wange drückt:
Dann vielleicht, dann blickt sie zu dem Sterne,
Den sie kennt und liebt; und diesen Blick
Strahlt das Huldgestirn, aus seiner Ferne
Wiederscheinend, in mein Herz zurück.

Welche Oede, wenn mich die Geschichte
Lauter Tage freudenlos umrauscht,
Bis ich in den Schooß des Waldes flüchte,
Wo kein fremdes Leben mich belauscht!
Ach, da harr' ich, bis der Abend dunkelt,
Bis die Nacht mit ihrer Sternengluth,
Durch die Wölbung meiner Buchen funkelt,
Wo sonst alles, nur mein Herz nicht, ruht!
(Band 2 S. 21-22)
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Frühling

Der Frühling war gekommen; leise Lüfte
Vom Mittaglande streiften warm herein,
Und schlugen weckend an die kleinen Grüfte
Der Blumen in dem frühen Hain.

Schon ward es laut an Hügeln und in Thalen;
Da stickte sich ihr Festgewand die Au;
Und durstig tranken schon die Morgenstrahlen
Aus goldnen Krokosbechern Thau.

Es füllte sich das Laubdach grüner Hallen,
Durch die so hell herein der blaue Himmel sah;
Und einzeln riefen frohe Nachtigallen:
"Steh auf, Gesang! der Lenz, dein Freund, ist da!"

Nun kam zur Nachtzeit, aus des Nordens Wüsten,
Ein Sturm, und riß den Hain aus seiner Ruh:
Da schlossen Blumen, die sich froh begrüßten,
Die holden Auge wieder zu.

Der Morgen wird den Wonnempfang vermissen;
Die Nacht beging den finstern Tempelraub;
Ein Nordsturm hat es kalt hinweggerissen,
Das kaum entsproßte, frische Laub.

Wohin mit deinen Nachtigallenstunden?
Wohin, o Lenz, mit deinem Rosenlicht? -
Ein Frühlingstag ist - eh' er kam, verschwunden;
Jedoch mit ihm verschwand der Frühling nicht.

O Bild des Lebens! mich umfangen
Die stillen Schatten der Vergangenheit!
Viel theure Menschen sind von mir gegangen;
Entlaubt und arm ist meine Zeit!

Ach! Scheidestunden sind das herbe Wetter,
Das nächtlich, wie ein tief verhüllter Geist,
Durch unsre Gärten fährt, und frische Blätter
Vom grünen Baum des Lebens reißt.

So kann und darf nichts Heiliges verwehen!
Versinken nichts, was Himmelsblüten treibt!
Ob auch hinweg geliebte Menschen gehen:
Die Liebe selbst, die hohe, bleibt!
(Band 2 S. 23-24)
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Raisa

Ein Wetter raset durch das Dunkel
Der Nacht, die donnernd wiederhallt;
Vom Himmel blickt kein Sterngefunkel,
Und Regensturm zerreißt den Wald.

Ein jedes Leben ruht geborgen,
Und bang' verkriecht sich jeder Wurm;
Nur Raisa trägt ein Herz voll Sorgen
Hinaus in den empörten Sturm.

Sie hört nicht, wie vom Donnerschlage
Die weite Felsenküste dröhnt;
Sie hört nur sich, nur ihre Klage,
Die aus der tiefen Brust ertönt.

Und dunkler, als der Himmelsbogen,
Ist von dem nächtlich finstern Schmerz
Ihr schönes Jugendaug' umzogen,
Und laut und ängstlich schlägt ihr Herz.

Sie reißet sich durch den verworrnen,
Durchnäßten Busch, und ihre Brust
Und ihren Hals zerfleischen Dornen;
Doch fühlt sie nicht den Blutverlust.

Am Meere ragt ein Felsenrücken
Vor allen Höhen schwarz hervor,
Da windet, zwischen Felsenstücken,
Die arme Raisa sich empor.

Sie blickt, vom lauten Sturm umfangen,
Hinunter in die grause Wuth
Beschäumter Wellen, und die Schlangen
Der Blitze zischen auf der Fluth.

Die Fischer - trotz dem wilden Grimme
Des Sturms, der mit den Wellen rang -
Vernehmen Raisa's süße Stimme,
Die von dem Felsen her erklang.

"Ach, weh mir! weh! ich bin verloren!
Sieh her, wie mich der Schmerz zerfleischt!
Ach, hättest du mir nie geschworen!
Wie grausam hast du mich getäuscht!"

"Du, den mein Blick so freundlich grüßte,
Wie Blumenglanz und Sonnenschein,
Du lässest jetzt, in dieser Wüste
Der Dunkelheit, mich so allein!"

"Ach, könntest du das Weh ermessen,
Das mich erdrückt mit seiner Schmach!
Komm, komm zurück! ich will vergessen,
Was mir das Herz im Busen brach!"

"Eh' du erschienst, war Blumenlesen
Mein Thun, und Unheil kannt' ich nie.
Bei Gott! ich war ein glücklich Wesen!
Die Eltern liebten mich, ich sie."

"Du kamst! ach, da vergaß ich Beide,
Vergaß mein Jugendspiel, und hing
An dir, du meine Augenweide,
Du, der mein ganzes Herz umfing!"

"Es war, als ob das Wort der Liebe,
Dieß süße: 'Raisa, du bist mein!'
Die Seel' aus meiner Seele triebe,
Und in die deinige hinein."

"Ein Engel sprach aus deinen Mienen,
Ein Bild von Gottes Herrlichkeit
War mir in deinem Blick erschienen!
Ich lebt' in einer neuen Zeit!"

"O, hätte doch, im süßen Hoffen,
Bestrahlt von deiner Augen Licht,
Der Streich des Todes mich getroffen:
So wüßt' ich untreu dich doch nicht!"

"Für Raisa ist nun kein Erbarmen,
Kein Hoffnungsstrahl! Dir ruht fortan
Ein andres Mädchen in den Armen,
Das buhlend dich mir abgewann!"

"Ich lag und träumt' in süßem Frieden,
Dich hielt im Arm die Träumerin!
Ich faßte Luft; und mit Chroniden
Entfloh die fremde Buhlerin!"

"Laut rief ich aus! 'O hätt' ich Flügel,
Um meinem Liebling nachzuziehn!'
Ich eilt' hinaus, bestieg die Hügel -
Und, welch ein Schmerz: ich sah dich fliehn!"

"Dir, süßer Freund, gab ich mein Leben,
Als du mit Liebe zu mir kamst!
Komm, mein Chronid, zurückzugeben,
Was du mit dir von dannen nahmst!"

Sie sprach's und stürzt bewußtlos nieder;
Gehemmt ist ihres Blutes Lauf;
Kalt bebt der Tod durch ihre Glieder;
Doch endlich schreit sie wieder auf.

"Schau, wie sich meine Sinn' empören!
Mein Odem röchelt dumpf und hohl!
Du hörst nicht, willst mich nicht mehr hören:
So sei es dann - leb' wohl! - leb' wohl!"

"Schwarz ist die Welt, wie eine Höhle,
Das Leben eine lange Pein;
Nach Ruhe dürstet meine Seele:
Ihr wilden Fluthen sargt mich ein!" -

Sie stürzet in die Fluth ihr Leben!
Chronid, dir galt ihr letztes Ach!
Ein Donner, daß die Felsen beben,
Ruft ihren Tod dem Flüchtling nach.

Jetzt richtete die innre Strafe
Sich in Chronidens Brust empor;
Sie schreckt ihn nächtlich aus dem Schlafe,
Und führet Raisa's Bild ihm vor.

Ihn faßt die Wuth der finstern Reue,
Zerstört sein ganzes Lebensglück.
Er weint; doch seine Vielgetreue
Weint er vom Tode nicht zurück.

Er fluchet seiner neuen Liebe,
Reißt los sich von Ludmillens Hand,
Als ob ein böser Geist ihn triebe.
Er flieht, und seine Spur verschwand.
(Band 2 S. 25-30)
_____



Salomonische Lieder

1.
Der Winter ist vergangen,
Der Regen ist dahin,
Und Wiesenblumen prangen
Zum Kranz der Schäferin.

Schon wird, den Hain durchirrend,
Die Turteltaube laut,
Die liebend girrt, und girrend
Das Nest der Liebe baut.

Schon treibt die von den Todten
Erstandne Lebenskraft
Im Feigenbaume Knoten;
Die Ranke trieft von Saft.

Sie duftet in die Laube
Den Wohlgeruch hinein.
Komm, Freundin, süße Taube,
Komm in den Rebenhain!

Laß unter frohen Chören
Von Wald- und Feldgetön
Mich deine Stimme hören,
Und deine Schönheit sehn!

Denn lieblich sind die Töne,
Wenn deine Stimme schallt,
Und hold ist deine schöne,
Sanft blühende Gestalt.
(Band 2 S. 157-158)


2.
Wechselgesang

Sie
Du, den meine Seele liebt, o sage,
Sag', in welchen Rosen weidest du?
Unter welchem Nachtigallenschlage
Deckt die Ceder deine Mittagsruh?

Sage mir, wo duften dich die Myrten,
Und die Liljen, und die Rosen an?
Sage mir es, daß ich bei den Hirten
Nicht vergebens irre, süßer Mann! -


Er
Fehlt dir Kunde, lieblichste der Frauen?
So geleite, holde Schäferin,
Deine Lämmer hin nach jenen Auen,
Weide nach den Hirtenhäusern hin!

Tritt hervor, und wecke das Entzücken!
Alles, was der Schönheit Strahlen leiht,
Soll dich, königliches Mädchen, schmücken,
Schmücken soll dich jede Herrlichkeit! -


Sie
Schauet meinen Freund! ihr könnt nicht irren;
Hoch und herrlich wandelt er einher.
Lieblich, wie mein Busenstrauß von Myrrhen,
Kräftig-mild, wie Traubensaft, ist er. -


Er
Meine Freundin, durch sich selbst geschmücket,
Ragt vor allen Weibern hoch empor!
Seht, aus ihren Taubenaugen blicket
Ihre schöne Unschuldseel' hervor!


Sie
Schön ist er, und Lieb' und Lenz bereiten
Uns ein grünes, duftendes Gemach.


Er
Schön ist sie; um unsre Traulichkeiten
Schwebt ein Cedern- und Cypressendach.
(Band 2 S. 158-160)


3.
Sulamith
Schön ist mein Geliebter! - Dort ging er hinab. -
Seht den holden Mann! schwarze Locken wallen,
Gleich dem Wasserfalle, seine Stirn herab;
Herrlich strahlt sein Haupt; schön ist er vor Allen.

Schön ist mein Geliebter! Seinem Aug' entblickt
Sanfter Taubensinn, voll Huld und Güte;
Seine Wange blühet, wie vom Lenz geschmückt;
Und sein holder Mund glänzt, wie Rosenblüte.

Wie die Kraft der Myrrhe, süß und würzereich,
Ist der holde Mund, wo die Suada waltet;
Seine Hand ist blendend, zart ist sie und weich;
Stolz, wie Libanon, ist mein Freund gestaltet.

Er ist, wie die Ceder; rein, wie Elfenbein;
Seine Stimm' ist süß, gleich den Harfenlauten:
So ist mein Geliebter. Führt ihn mir herein!
Töchter! ich beschwör' euch, sucht mir meinen Trauten!

Er ist hin gegangen zu den Spezerei'n,
Die der Gartenflor duftig ihm vergeudet;
Hin ist er gegangen zu dem Gartenhain,
Wo er Rosen bricht, und in Rosen weidet.
(Band 2 S. 161-162)


4.
Wer ist, die glänzend vor dem Volke,
Herab von Sarons Höhen schwebt,
Wie eine lichtbestrahlte Wolke,
Die aus dem Dufthain sich erhebt?

Sie blühet herrlich, wie die Mandel,
Wenn sich die Lerche hören läßt;
Und schön und herrlich ist ihr Wandel;
Sie naht sich, wie ein Frühlingsfest.

Ihr Haupt ist, wie die Cederspitze,
Die auf dem Libanon sich neigt;
Ihr Auge gleich dem stillen Blitze
Der Sommernacht, wenn alles schweigt.

Seht, ihres Mundes Perlenreihe,
Mit Rosenpurpur überwebt,
Um den der Liebe süße Weihe,
Das seligheitre Lächeln schwebt!

Gleicht ihre Rede nicht dem Thaue,
Der eine Blumenflur erquickt?
Ihr Schweigen ist die stille Aue,
Worauf der Stern der Liebe blickt.

Von Wohlgerüchen trieft die Schwinge
Der Luft; sie ward in Rosen wach,
Und trägt die seidnen Lockenringe
Der hohen Fürstentochter nach.

So schön sie ist in keuscher Hülle:
Kein Fremder dürfe sich ihr nahn!
Nur mir sey diese Gartenfülle
Voll Lieb' und Frühling aufgethan!

Ich will zum Myrrhenberge gehen;
Ich will das frisch ergossne Grün,
Und meinen Weihrauchhügel sehen,
Ob meine Würzgesträuche blühn.

Die Winde, die auf Bergen schliefen,
Stehn auf, und werden milde Luft,
Daß würzig meine Myrrhen triefen.
Die Holde bade sich in Duft!

Komm, meine Huldin, meine Taube!
Komm, athme lenzisches Gefühl!
Zeuch ein in meine Gartenlaube,
Denn meine Laub' ist frisch und kühl!

Sei hoch und herrlich mir willkommen,
Die du von Sarons Höhen kamst!
Dein Blick hat mir das Herz genommen:
Vergüte mir, was du mir nahmst.
(Band 2 S. 162-164)
_____



Ständchen

Entschlummre, schön Liebchen, schon flattert's im Stall!
Heut' hatten wir Kränzchen, und morgen ist Ball!
Das Herz und die Aeuglein bedürfen der Ruh:
Drum schließe, schön Liebchen, nur beides hübsch zu!

Es haben die Füßchen nur wenig geruht,
Nur selten erlosch auf der Wange die Gluth;
Nun löse der Schlaf die Lebendigkeit ab,
Sonst nützet das Leben zu schleunig sich ab.

Es ist ja das Leben ein liebliches Spiel;
Wir spielen nicht lange: drum spielen wir viel.
Wohl kostet es Zeit, um die Zeit zu verthun:
Drum ist es auch billig, dazwischen zu ruhn.

Viel Kronen des Sieges erwarbst du dir heut';
Da ging denn dies Herzchen, wie Festtagsgeläut.
Drum schlafe nun, Liebchen, schlaf ruhig und wohl,
Sonst klopfet das Herzchen die Seite noch hohl!

Und morgen umflattert, mit Kränzen geziert,
Das Leben uns, welches die Geige regiert.
Horch! hörst du? schon brummet der Nachtwächter: elf;
Drum schlafe, schön Liebchen, bis morgen um zwölf!
(Band 3 S. 4-5)
_____



Eros

Weih', o Lenz, dem Gotte
Keuscher Sympathien
Eine Rosengrotte!
Wölb' ein Baldachin
Liedervoller Bäume,
Die um seine Träume
Grüne Schatten ziehn!

Liebe sucht die Stille,
Wo sie, grün umbaut
Von des Lenzes Fülle,
Sich dem Hain vertraut,
Wenn im Abendflüstern
Hesper kommt, und lüstern
Durch die Zweige schaut.

Liebe liebt vor allen
Einen dunkeln Wald,
Der von Nachtigallen
Feiernd wiederhallt.
In die süßen Lieder
Schauern Blüten nieder
Um die Huldgestalt.

O! das sind die Töne,
So die Liebe wählt,
Wenn sie ihre schöne
Fabel uns erzählt,
Und, ihr hingegeben,
Einem schönern Leben
Sich das Herz vermählt.
(Band 3 S. 5-6)
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Nach einem alten Liede

O, möchte mein Liebchen ein Rosenstock seyn!
Dann nähm' ich von draußen den Liebling herein,
Und stellt' ihn vor's Fenster, im Frühlingeswehn:
Da könnt' ich ihn immer und immerdar sehn.

Da sollt' ihn erquicken die herrliche Luft,
Und mich sollt' entzücken sein lieblicher Duft;
Ich küßte den Duft mir, bei heimlichen Schein
Des Mondes, in's innerste Leben hinein.

Ich wollte wohl Morgens und Abends ihn schaun,
Ihn sanft mit der Kühle des Quelles bethaun:
Dann flüsterten rosige Lippen mir zu:
"Ich bin ja dein Liebchen; mein Liebchen bist du!"

Und nahten die lüsternen Bienelein sich:
Dann spräch' ich: - "Mein Liebchen trägt Honig für mich;
Zieht weiter, ihr Bienlein, zum blühenden Hain,
Und laßt mir mein Liebchen das meinige seyn!"

Es kämen auch freundliche Lüftchen daher,
Und neckten und scherzten und buhlten umher.
Die sprächen wohl huldige Wörtchen mir zu:
"Wir lieben, was hold ist; wir lieben, wie du."

Es flatterte dann aus dem holden Gebüsch
Ein purpurnes Blättchen, so duftig und frisch,
Mir leis' auf die Wange; da wurzelt' es ein,
Da blüht' es wohl schöner, als draußen im Hain.

Und riefe die Mutter: "O, Töchterchen mein!
Dir glüht ja die Wange, wie Morgenrothschein!"
Da spräch' ich: "Das haben die Rosen gethan;
Die Rosen am Fenster dort hauchten mich an."
(Band 3 S. 6-8)
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Ida

Sieh, der Mond ist heimgegangen:
Nur ein leiser Schimmer bleibt,
Und mich dränget das Verlangen,
Das mich zu den Linden treibt.

Bei den zwei vertrauten Linden,
An dem Wieseneingang dort,
Soll ich meinen Likas finden;
Lieb' und Treusinn halten Wort.

Knarre nicht, du kleine Pforte!
Abendluft begleite still
Mich zu dem geliebten Orte,
Wo er mich erwarten will!

Werd' ich ihm auch so gefallen?
Meine Locken sollen glatt
Von der Stirn herniederwallen,
Wie er sie geflochten hat.

Ach! wie quält die Langeweile!
Horch! - das ist sein Flötenton!
Eile, frohes Mädchen, eile!
Der Geliebte wartet schon.

Und ich kann ihm mit Vertrauen,
Und mit liebefrohem Muth
In die klaren Augen schauen:
O, mein Freund ist fromm und gut!

Rosen nehm' ich mit und Beeren:
So will ich von dannen ziehn!
Dieses Körbchen soll er leeren;
Mit den Rosen kränz' ich ihn.
(Band 3 S. 13-14)
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Lizidas

Könnt' ich ein Lüftchen seyn:
Das wär' ein Leben,
Immer in Feld und Hain
Sie zu umschweben,
Oder, im kühlen Hauch
Wehender Schwingen,
Ihr von dem Blütenstrauch
Opfer zu bringen!

Wär' ich ein Blütenblatt:
Eh' ich verschwände,
Nähm' ich zur Lagerstatt
Lidias Hände,
Oder in ihrem Schooß
Wählt' ich zu sterben!
Wahrlich! kein schönres Loos
Könnt' ich erwerben!

Könnt' ich ein Vogel seyn:
Wieder und wieder
Säng' ich nur ihr allein -
Liebende Lieder,
Ließe bei ihr allein
Häuslich mich nieder,
Kehrte zum offnen Hain
Nimmermehr wieder.

Fragt ihr mich aber: was
Wärst du noch lieber?
Freilich ihr Lizidas
Wär' ich doch lieber!
Lust und Gesang vollauf
Wollt' ich ihr spenden,
Und sie wohl tragen auf
Liebenden Händen;

Gründlich ihr Fensterlein
Draußen umstricken,
Sollten zu ihr hinein
Rosen dort nicken,
Sollte die Rosen dann
Weinend umschlingen:
"O, ich beglückter Mann!"
Wollt' ich dann singen!
(Band 3 S. 15-17)
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Der Kosack und sein Mädchen

Olis
Schön Minka, ich muß scheiden! -
Ach! du fühlest nicht das Leiden,
Fern auf freudelosen Haiden,
Fern seyn von dir!
Finster wird der Tag mir scheinen,
Einsam werd' ich stehn und weinen,
Auf den Bergen, in den Hainen,
Ruf' ich, Minka, dir!

Nie werd' ich von dir mich wenden!
Mit den Lippen, mit den Händen
Werd' ich Grüße zu dir senden
Von entfernten Höhn!
Mancher Mond wird noch vergehen,
Ehe wir uns wiedersehen -
Ach, vernimm mein letztes Flehen:
Bleib' mir treu und schön!

Minka
Du, mein Olis, mich verlassen?
Meine Wange wird erblassen,
Alle Freuden werd' ich hassen,
Die sich freundlich nahn!
Ach! den Nächten und den Tagen
Werd' ich meinen Kummer klagen,
Alle Lüfte werd' ich fragen,
Ob sie Olis sahn!

Tief verstummen meine Lieder,
Meine Augen schlag' ich nieder;
Aber - seh' ich einst dich wieder,
Dann wird's anders seyn!
Ob auch all' die frischen Farben
Deiner Jugendblüte starben:
Ja mit Wunden und mit Narben
Bist du, Süßer, mein!
(Band 3 S. 17-18)
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Russisches Volkslied

Immer ging ich hin zum Strande,
Blickte nach dem blauen Rande,
Von dem fernen, fremden Lande,
Da, wohin mein Liebster ging.

Manche Stimme sprach beklommen:
"Er wird nicht mehr wiederkommen!"
Doch der Schmerz ist weggenommen,
Der an meinem Herzen hing.

Fort sind alle Furchtgespenster,
Denn mein liebster Freund, mein Schönster
Blickte plötzlich in das Fenster,
Wo ich stand mit meinem Gram.

Nein, ihn durfte nichts mir rauben;
Und ich hielt ihm Treu und Glauben
Hier am Fenster hingen Trauben,
Und die reiften, als er kam.

Schöner blühn nun meine Wangen;
In Erfüllung ist gegangen
Meine Hoffnung, mein Verlangen;
Mein Geliebter hielt mir Wort.

Unter trauten Herzergüssen,
Unter seligen Genüssen,
Unter Liedern, unter Küssen,
Gehn die Tage fort und fort.


Er
Du, die ich im Herzen trage,
Hochgeliebtes Mädchen, sage,
Sage mir, seit welchem Tage
Gabst du deine Liebe mir?


Sie
Als du meine Hand berührtest,
Mich zum grünen Garten führtest,
Und mein Haar mit Blumen ziertest,
Ach! da klopfte was in mir.

Immer mußt' ich nun dich grüßen,
Und, als hätt' ich was zu büßen,
Ging ich dann mit schweren Füßen,
Doch ich wußte nicht, wohin.


Er
Was mit mir sich zugetragen,
Weiß ich selber nicht zu sagen;
Aber Berge wollt' ich tragen,
Seit ich dein Geliebter bin.
(Band 3 S. 19-21)
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Mirta

Als aus der grünen Hülle
Die erste Rose drang,
Trat, in der Abendstille,
Zur reichen Purpurfülle
Die sanfte Mirta hin und sang:

Du blühst zum schönsten Preise
Des Frühlingstages hier!
Was naht so lind und leise
Sich deinem Schimmerkreise?
Das Abendlüftchen naht sich dir.

Ein zärtliches Verlangen
Läßt nimmer dich in Ruh;
Es streichelt dir die Wangen,
Und will dich zart umfangen;
Du nickst ihm hold und freundlich zu.

Wenn's tief im Haine düstert,
Dann naht es sich vertraut
Der Huld, nach der es lüstert,
Und schwärmt und spielt und flüstert,
Und nennt dich leise seine Braut.

Es bringt dir, wenn die Schwüle
Des Mittags dich verletzt,
Erquickend frische Kühle:
Da steh' ich dann, und fühle,
Wie süß mich solches Spiel ergötzt.

Dann wird's um mich so helle,
Denn Lykon fällt mir ein,
Der munterste Geselle:
Wär' ich an deiner Stelle,
Was müßte dann wohl Lykon seyn?

Wie wollt' ich mich bemühen,
Vor aller Blüt' am Strauch,
Recht schön für ihn zu blühen;
Ich würde röther glühen,
Berührt von seinem sanften Hauch.

Ich würde, wenn er grollte,
Nur freundlicher noch sein;
Und wenn er ausruhn wollte
Von Scherz und Spiel: er sollte
Dann hier im grünen Zelte ruhn.

Und wieder beim Erwachen,
Da sollten Spiel und Scherz
Ihm frisch entgegen lachen,
Recht fröhlich ihn zu machen:
So, Röschen, träumt ein Mädchenherz.
(Band 3 S. 21-23)
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Idola

Bei Gott, sie ist aus Huld und Licht geboren!
Und Luft aus einem Nachtigallenhain
Ward von den Musen auserkoren,
Ihr erster Athemzug zu seyn!

Da leuchtete die erste Weihestunde;
Und mit ihr kam der Geist der Harmonien,
Der in dem Lächeln auf dem holden Munde,
Wie zartes Rosenlicht erschien.

Und das Gefühl, das ihrer feinen Seele
Vom Liebesgotte mitgegeben ward,
Erwacht' und glich der jüngsten Philomele,
Die auf den ersten Frühling harrt.

Nun tönt es fort und fort in ihrem Beben,
Wie eine sonnenhelle Lerchenflur,
Um welche nur die sanftern Götter schweben,
Die Friedensgötter der Natur.

Ein Wohllaut in der Welt des Widerstreites,
Ist all' ihr Daseyn Huld und Harmonie;
Und wenn sie liebt: dann setzet sie ein zweites,
Erhöhtes Seyn in Melodie.

Da, wo sie naht, muß jeder Mißton schweigen;
Und selbst die Thrän' an ihrem Huldgesicht
Ist Morgenthau an jungen Rosenzweigen,
Der einen schönen Tag verspricht.

Wer darf in dieser Tagesfülle wohnen,
In diesem klaren Himmelswiederschein:
O selig, seliger, als trüg' er Kronen,
Wird dieser Mann der Liebe seyn!
(Band 3 S. 24-25)
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Idola

Sie trat daher, und ihre Blicke scheuchten
Das Nebelgrau vom trüben Tage fort;
Ihr Lächeln war ein sanftes Leuchten,
Und heller Geist ihr ernstes Wort.

Aus diesem Wort hab' ich die Gluth getrunken,
Die auf dem Herde meines Herzens glüht,
Und warm und hell aus meinem Geiste Funken,
Und Liedermuth in meine Seele sprüht.

Die Kraft, die Feuerkraft der tiefsten Wahrheit
Sprach wundermächtig meiner Seele zu!
Ihr ganzes Wesen - welche Klarheit,
Voll Leben, und doch so voll Ruh'!

Ich nahte mich mit leisem Zagen,
Da schimmert' es um meine Bahn!
Ihr sanfter Blick hat mich empor getragen,
Mich unbefangen ihr zu nahn.

Ihr sanfter Blick! - o wahrlich! solche Blicke,
Sind Mächte, denen Preisgesang gebührt;
Sie bau'n geheimnißvoll die Brücke,
Die Geister zu einander führt.

Und wenn der Schmerz auf dieser Brücke stünde:
Er würde, sanft berührt von Paradieseswehn,
Tief unter sich die Welt der Sünde
In grauen Nebeln schwimmen sehn.
(Band 3 S. 26-27)
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Andenken

Hier saßen wir im Kühlen,
Vom Rosenzweig' umblüht.
Hier schwelgte das Gemüth
In seligen Gefühlen,
Bis wir den Silberkahn
Des Halbmond in der Ferne,
So friedlich durch die Sterne
Herüberschiffen sahn,
Als brächt' er nun dem Kummer,
Der tiefe Schmerzen litt,
Beruhigung und Schlummer
Aus bessern Welten mit.

Und unsre Seelen ließen,
Von keinem Sturm berührt,
Den Zeitstrom sich ergießen,
Wohin ein Gott ihn führt.
Wir frohen Schwärmer flogen,
Als hätten wir das Kleid
Des Staubes ausgezogen,
Auf zur Unendlichkeit.
O, seelenvolle Träume
Begrüßten feierlich
Die stillen Weltenräume,
Wo unsre Geister sich
Dereinst besprechen würden:
Warum so harte Bürden
Die Schulter dir verletzt?
Warum auf diesem Runde
Die schicksalvollste Stunde
Dich feindlich ausgesetzt?
Warum der Schmerz hienieden
Der Unschuld heilgen Schlaf
Und den geweihten Frieden
Erhabner Seelen traf? -

Jetzt rauscht' es in den Zweigen.
Ein Ton der Liebe sprach,
Der, tief verhüllt, das Schweigen
Der Mondnacht unterbrach.
Die Garten-Philomele
Begann' den Nachtgesang.
Als innig Seel' um Seele,
Wie Arm um Arm, sich schlang:
Da stand in deinen Blicken
Hell, wie ein Stern, die Lust;
Du sankst an Hehra's Brust
In taumelndem Entzücken.
Ein süßes Nachgetön
Der weihevollen Stunde
Verweilt' auf Hehra's Munde,
Und wie war Hehra schön!

Die dunkle Lock' umwehte
Die helle Stirn so leicht.
Wie um die frühe Röthe
Ein Schattenwölkchen schleicht.
Es leuchtete, wie helle
Begeistrung, ihr Gesicht.
O, dieser heilgen Stelle
Vergess' ich ewig nicht! -
Ihr Menschenstürme ruhtet;
Auf Blumenstellen lag,
Mit Nachtglanz wie umflutet,
Der eingesungne Tag.

Wer wird die Stellen schirmen?
Schon donnert West und Nord
Im wilden Streit, und stürmen
Die arme Menschheit fort,
Daß sie verwüstet werde.
Verwüster! haltet ein,
Und gönnet doch der Erde,
Ein Paradies zu seyn!
O, Paradiese schaffen
Ist mehr, als Glück der Waffen!
Euch ward dazu die Kraft,
Ihr hohen Völkerhirten! -
Ein Kranz von heilgen Myrten
Dem, der das erste schafft!
(Band 3 S. 27-31)
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Trost in Briefen

Hervor, ihr seelenvollen Klänge,
Die mir die holde Freundin sang!
All' ihre Briefchen sind Gesänge,
Sind ihres Herzens Wiederklang.

Was ihrem Geist entfließt, sind Melodieen,
Die zart, wie Duft, und klar und schön,
Den Schwänen gleich, durch meine Seele ziehen,
Hoch über Welt und Zeit mich zu erhöh'n.

Kaum sanken hier zur Ruh' die Stürme nieder,
So fahren sie schon dort im wilden Chor,
Wie schwarze Rachegeister, wieder
Aus ihrer finstern Ruh' empor!

Tief, tief verhüllen sich die guten Sterne;
Hin zum entlegnen Himmel flieht die Ruh';
Die Lüfte wehn mir aus der Ferne
Das Wehgeschrei der Menschheit zu.

Mit Nachtgewölk' ist meine Seel' umhangen;
Mein Herz, vordem ein lichtumfloss'ner Wald,
Durch den die frohen Töne klangen,
Ist dunkel nun, und stumm, und kalt!

Und wenn ich in die Einsamkeit mich rette,
Wo ich des Hirten Liebe sang:
Dann frag' ich mich: Ist das die Musenstätte,
Wo meine Liederwelt verklang?

Nur ihr, ihr Briefe, werdet nie verhallen,
Wenn längst kein Liederfest mehr meinen Hain verschönt;
Ihr seid darin die Nachtigallen,
Aus denen fort und fort ein schöner Frühling tönt.

Hervor, ihr seelenvollen Briefe!
Euch ruf' ich an: Laßt von dem Grau'n
Der bösen Zeit mich in des Herzens Tiefe,
Wo Gott und Engel wohnen, schau'n!
(Band 3 S. 35-37)
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Aus: C. A. Tiedge's sämmtliche Werke (Band 1-10)
Leipzig 1841
Vierte Auflage Renger'sche Buchhandlung (Fr. Volckmar)


 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_August_Tiedge



 

 


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