Kurt Tucholsky (1890-1935) - Liebesgedichte

Kurt Tucholsky



Kurt Tucholsky
(1890-1935)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



Für Mary

Gibst du dich keinem-? Bist du nur blond und kühl?
Demütigt dich ein starkes, heißes Gefühl?
Wir sind allein. -

Jeder ist so vom andern durch Weiten getrennt,
daß er nicht weiß, wo es lodert und flammt und brennt -
Wir sind allein. -

Selten nur springt ein Funke von Blut zu Blut,
bringt zur Entfaltung, was sonst in der Stille ruht -
Wir sind allein. -

Aber einmal - kann es auch anders sein -
Einmal gib dich, - und, siehst du, dann wird aus zwein:
Wir beide -
Und keiner ist mehr allein. -
(S. 109)
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Mit einem Kalender
Für M. G.

Zwar ist er schon ein bißchen angebrochen -
da fehlen Blätter, fast ein zwölftel Jahr -
allein was kümmern uns die wenigen Wochen,
wer schert sich lang um das, was war.
Da waren Mädchen, aber nicht die rechte
und Nächte - -
dumme, langwierige, dunkle Nächte ...

Halloh! Tanz mit den jungen Beinen
in unsere heiße Gegenwart!
Wir sind uns, Blonde, doch im reinen:
ein Narr, wen Frau Moral noch narrt.
Nun kommen - aber spring und wage -
Tage
glückliche, frohe, liebe Tage -!
(S. 109)
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Eine Frage und keine Antwort
Für M. G.

Der Tauber ruckt zur Taube,
der Herr Baubau liebt Frau Baubau;
es balzt auf grüner Laube
Frau Nachtigall im Abendblau.
Selbst die dicken fetten Kröten
krampfen sich in Liebesnöten -
Amor läßt sie nicht in Ruh -
Ja, wozu?
wozu?
wozu? -

Der Mensch, dies Lebewesen
(wies scheint, vom lieben Gott gemacht),
macht nicht viel Federlesen
und küßt fast jede liebe Nacht.
Selbst Klein-Peter wird recht eitel,
bügelt sorgsam sich den Scheitel,
zwängt sich in die lacknen Schuh -
Ja, wozu?
wozu?
wozu? -

Wir sind doch Marionetten,
das Blut, es schreit, wir beugen uns
in goldene Liebesketten
bei Fräulein Hinz und Fräulein Kunz.
Warum denk ich nur das eine:
liebe, hohe, schlanke Beine -
warum fühl ich immer: Du ...
Ja, wozu?
wozu?
wozu?

(S. 110)

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Die kleine Ungeduldige
Für Mary

Rosenketten. Heiße Augen.
Walzertakt und Geigenklang.
Lippen, die zum Küssen taugen.
Weißer Schnee und Wippwappgang.
Selbst in diesen grellen, kalten
Zeiten ist das Leben bunt ...
doch du legst den Mund in Falten:
"Ist das alles? -
Pe!
Na und? -"

Sind die Ritter Marionetten?
Gliederpuppen, dumm und stumm?
Russen, Balten, Deutsche, Letten
nur dein braves Publikum?
Brunst, Verzückung, Haß, Emphase -
immer aus demselben Grund -
doch du bläst durch deine Nase:
"Ist das alles? -
Pe!
Na und? -"

Ist das alles? -
Sieh, ein Schlauer
sieht sich erst das Ganze an:
Hinter jener dicken Mauer
demaskiert sich erst der Mann.
Und auf grünen Liebeswegen
fahre nur in schlankem Trab
mit Geduld zu Amors Segen - -
Wart's nur ab!
(S. 111)
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Frühling im Hochgebirge

"Die Blonden sind sehr kalte Leute,
Die Liebe macht sie niemals heiß.
Was sonst die Damen so erfreute,
das läßt sie kalt. Sie sind vom Eis."

So spricht mein kluges Kind. - Indessen
ich glaube nicht, was sie da meint.
Man will und kann es nicht vergessen:
wie ists denn, wenn die Sonne scheint?

Im Schatten liegen Gletscherspalten
dumpf, finster und unnahbar da.
Man friert im Mark. In jene kalten
und frostigen Höhlen niemand sah.

Man friert im Mark ... Da blasen Winde
die Wolken fort, die Sonne ruft -
leis tropft es schon, geschwind, geschwinde -
am Gletscher weht ein warmer Duft.

Ein warmer Duft aus andern Landen -
Es taut. Es schmilzt mit einem Mal:
Und was so lange widerstanden,
das schäumt als Quelle nun zu Tal. -
(S. 112)
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Bekehrung
Für Mary

Du spuckst und beißt und bist so böse
und runzelst Stirn und Augenbraun -
und wenn ich dir das Schuhband löse,
willst du mir nicht ins Auge schaun.
Du bist sonst lieb, ein weiches Schätzchen -
jetzt aber Feind im Séparée ...
Und alles durch das erste Sätzchen:
On n'est jamais le premier.

Das ist kein Schimpf. Es gibt so viele,
so viele Männer auf der Welt.
und es gibt viele Liebesspiele
(was jedem Mädchen wohl gefällt).
Da reißt nun nichts. Man bleibt wie immer,
man weiß das Liebes A-B-C,
ein Jungfräulein ... und doch ein Schimmer ...
On n'est jamais le premier.

Man wills auch nicht.
Von Blondheit trunken
will man vergessen, wer man ist.
In eine weiße Brust versunken
pfeift man auf alle Liebeslist.
Man hat dich lieb. Du sollst nicht grollen,
du Schrumpelhexe, Zauberfee -,
laß ab vom Mäulchenziehn, vom Schmollen:
Man glaubts.
On est le premier. -
(S. 112-113)
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Mit einem Schächtelchen

Das ist das tiefste Wesen aller Frauen:
sich in das eigene Bildnis zu versenken,
sich spiegelnd zu genießen und zu denken:
Ich bin, ich wirke, und ich darf mir trauen -

Ich will dir einen kleinen Spiegel schenken.
Du sollst dich rasch-kokett darin beschauen;
wie prüft so schnell ein Blick aus deinen blauen
und lustigen Augen (die den Durstigen tränken)!

Du bist es anders, aber noch einmal.
Dich grüßt dein Bild - ganz kann es dir nicht gleichen -
wo rechts ist, ist dort links - und doch der Strahl
der so geliebten Linien, Züge, Zeichen ...
Du Bildnis meiner selbst, du sollst nicht weichen:
Denn du bist ich, nur anders, noch einmal. -
(S. 113)
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Erinnerung

Wie tanzt durch meine Träume Josephine!
Das gute Kind! wie war sie dick und rund!
In luftiger Seide und sonst sine-sine,
so satt, so frisch und so gesund!

Sie neigt sich und sie spricht: "Weißt du noch, Junge?
Die Havel blitzt, es rauscht der Wind im Schilf,
es gibt Tomaten, Eier, Pökelzunge,
du stopfst, bis du nur hauchst: Luft, Samiel, hilf!

Und dann das Band und dann ein Schlaf im Freien!
und immer dieses helle, weiße Licht!
Ich glaub, du, das war Sünde mit uns zweien -
wir liebten uns, und das, das darf man nicht!"

Sprachs und verschwand. Durch graue Gaseschleier
der Zigarette schau ich in die Luft -
Ja damals! Damals gabs noch Spiegeleier
und Butter und den warmen Bratenduft ...

Dahin, dahin. Ich seh auf den Kalender:
Eins, neun, eins, acht! wir haben unser Heer,
wir haben Belgien und Serbien als Pfänder -
doch das ist weg ... und kommt nicht mehr.
(S. 118-119)
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Für Mary

Die Verse sind mir leider ausgegangen -
Es ist so heiß.
Ich habe nur ein lästerlich Verlangen
nach Blond und Weiß.
Beamte, Akten, Schieber, bunte Bauern -
ein dummes Land.
Wie lange nur soll dieser Spaß noch dauern?
Gib mir die Hand.

So weit, so weit weg mag ich nicht immer bleiben,
was nutzt Papier!
Und nach dem allerletzten Feldpostschreiben
bin ich bei Dir. -
(S. 121)
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Auf einen Ring
Für Mary

Ring einer Frau, du funkelst an meiner Hand,
grüßt du herüber, von ihr, aus dem weiten Land?
Zauberring, ich drehe dich nur ein Mal -
und da steht deine Herrin vor mir im Saal.

Zauberring, ich trage dich Nacht und Tag,
und wir lauschen auf jeden langsamen Glockenschlag.
Was ich las und lebte und sah und litt,
alles liest und erlebst und siehst du mit.

Peitscht der Hagel und pfeifen die Winde ums Haus,
gab ich hochatmend das letzte der Kräfte aus,
fühl ich nur deinen kantig geschliffenen Stein,
und du läßt mich ruhig und ganz geborgen sein.

Einmal aber geb ich dich zurück.
Was ist dann? Eine Ehe? Ein blondes Glück?
Du bist da und das, was ich nie verlor.
Tiefer glüht dein Rot, hell blitzt dein Gold empor.
(S. 124)
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 Sehnsucht nach der Sehnsucht

Erst wollte ich mich dir in Keuschheit nahn.
Die Kette schmolz.
Ich bin doch schließlich, schließlich auch ein Mann,
und nicht aus Holz.

Der Mai ist da. Der Vogel Pirol pfeift.
Es geht was um.
Und wer sich dies und wer sich das verkneift,
der ist schön dumm.

Denn mit der Seelenfreundschaft - liebste Frau,
hier dies Gedicht
zeigt mir und Ihnen treffend und genau:
es geht ja nicht.

Es geht nicht, wenn die linde Luft weht und
die Amsel singt -
wir brauchen alle einen roten Mund,
der uns beschwingt.

Wir brauchen alle etwas, das das Blut
rasch vorwärtstreibt -
es dichtet sich doch noch einmal so gut,
wenn man beweibt.

Doch heller noch tönt meiner Leier Klang,
wenn du versagst,
was ich entbehrte öde Jahre lang -
wenn du nicht magst.

So süß ist keine Liebesmelodie,
so frisch kein Bad,
so freundlich keine kleine Brust wie die,
die man nicht hat.

Die Wirklichkeit hat es noch nie gekonnt,
weil sie nichts hält.
Und strahlend überschleiert mir dein Blond
die ganze Welt.
(S. 191-192)
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 Nach einer Nacht

Wie sieht die Welt heut freundlich aus!
Du lachst vergnügt am Spiegel
und kratzt dir etwas Rouge heraus
aus dem Pomadentiegel.
Ich lieg noch auf dem Tigerfell.
Und alles ist so hell, so hell.

Die Morgenzeitung. Während du
mir sagst: "Du Dummer! Dummer!"
les ich vom neusten deutschen Clou,
vom Krach der Baltikumer.
Herr Winnig schützt noch die Bagasche.
Ach! laßt mich allesamt zufrieden!

Das Sonnenlicht scheint abgeblaßt.
Du bastelst schwer geschäftig.
Was du da so zu schuften hast!
Jetzt planscht du, aber kräftig.
Das Zeitungspodium betritt
Herr Noske als ein Kesselschmied.

Gefangenenfrage und der Papst,
die Kleiderlausverbreitung -
was du mir liehst, was du mir gabst,
frißt gierig meine Zeitung.
Ein Nachhall zittert und verklingt ...
Die Stimmung sinkt, die Stimmung sinkt.

Die Mark in Holland steht neun Cent.
Wie ist Germania billig!
Doch findet jeder Leutnantsgent
noch heut das Mädchen willig.
Und les ich nun voll Kümmernis
auch noch vom Zentrumskompromiß -:
dann fall ich leise vons Gerüst.
Wir haben ganz umsonst geküßt.
(S. 262-263)
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Die Insel

Ich konnte kaum die Nacht erwarten,
nun war sie da.
Eintrat ich in den Liebesgarten -
und bin dir nah.

Die Skala der Gefühle spielen wir:
ein Duett.
Du exzellierst in allen Stilen -
adrett ... kokett ...

Scham. Abwehr. Weichen. Überfließen.
Ermattung. Schlaf.
Wie wir uns lose treiben ließen ...
Du schlummerst brav.

Der Morgen graut. Da rutscht die Zeitung
leis durch den Spalt.
Die böse Mittlerin, die Leitung -
Das Schlagwort knallt.

Im Dämmern les ich eine Zeile:
"Herr Müller spricht."
Hart tickt die Uhr in dummer Eile.
Wir bleiben nicht.

Wir treiben fort. In das Gerinsel
blick ich zurück.
Du gabst auf einer kleinen Insel
ein kleines Stundenglück.
(S. 316-317)
_____



Wenn die Muse küßt ...!

Daß du mich nicht erhörst, o Ernestine,
das macht, daß meine Dichtkunst stockt.
Apollo mit der Versturbine
kommt nicht mehr angesockt.

Woraus entsteigen unsre Prachtsonette?
Das Drama, wo ekstatisch stelzt?
Dem Tintenfaß? O Mädchen, dette
die Neese ins Gesicht behältst!

Des Dichters Aug, in schönem Wahnsinn rollend,
blickt schwärmerisch auf das, was rund.
Couplet, flieg auf! Er kann nur: wollend
und auf die Damens furibund.

Heut abend ... Und die Schreibmaschine klappert.
Das edle Maß der alten Poesie
fließt her von Weimar, bis es überschwappert ...
Im Hintergrund sitzt sie.

Der Morgen schwiemelt. Müde, an den Wänden,
kraucht Theobald - wer weiß, woher - ins Zelt.
Jetzt hat die keusche Leserin in Händen,
was er vor jener Nachtschlacht hergestellt.

Du Liebe! Löse dich und tu den Rock aus!
Auf deinen Schultern ruht es voll und ganz:
Gibst du dich mir, dann steh ich einst im Brockhaus
Schalmei bis Tigerschwanz.
(S. 333-334)
_____



An ihr

Auf deinen großen Füßen, Ernestine,
Führ ich dich auf den neuen Presseball.
Du trägst Chiffon. Und deine Fragemiene
Ist überall.

"Der Legationsrat?" - Ja, mein Kind, das ist er!
"Du, der da? mit dem goldenen Knopflochdings?
Und, Theo, wo - wo tanzt der Herr Minister?"
Von rechts nach links.

"Und, Theo, ist die Presse auch am Platze?"
Ja, Kind - der Handelsteil steht am Balkon.
Da die Kritik - und der da, mit der Glatze -
Das ist das Feuilleton!

"Und, Theo, kommt der Film auch in den Saal hin?
Auf Conny Veidt bin ich ganz scharf und toll!"
Pst! Nicht so laut! Da steht doch die Gemahlin:
Die Gussy Holl!

So muß ich dich belehren, liebste Perle.
Und voller Neugier siehst du manch Gesicht.
Ach, Ernestine - du liebst lauter fremde Kerle -
Nur Tigern nicht.
(S. 351)
_____



An die Berlinerin

Mädchen, kein Casanova
hätte dir je imponiert
Glaubst du vielleicht, was ein doofer
Schwärmer von dir phantasiert?
Sänge mit wogenden Nüstern
Romeo, liebesbesiegt,
würdest du leise flüstern:
"Woll mit der Pauke jepiekt -?"
Willst du romantische Feste,
gehst du beis Kino hin ...
Du bist doch Mutterns Beste,
du, die Berlinerin -!

Venus der Spree - wie so fleißig
liebste du, wie pünktlich dabei!
Zieren bis zwölf Uhr dreißig,
Küssen bis nachts um zwei.
Alles erledigst du fachlich,
bleibst noch im Liebesschwur
ordentlich, sauber und sachlich:
Lebende Registratur!
Wie dich sein Arm auch preßte:
gibst dich nur her und nicht hin.
Bist ja doch Mutterns Beste,
du, die Berlinerin -!

Wochentags führst du ja gerne
Nadel und Lineal.
Sonntags leuchten die Sterne
preußisch-sentimental.
Denkst du der Maulwurfstola,
die dir dein Freund spendiert?
Leuchtendes Vorbild der Pola!
Wackle wie sie geziert.
Älter wirst du. Die Reste
gehn mit den Jahren dahin.
Laß die mondäne Geste!
Bist ja doch Mutterns Beste,
du süße Berlinerin -!
(S. 380-381)
_____



Für seine Meli
1918. -
1920. -
1923?

Ich blättre so in diesen Seiten
und ich seh vor mir ein blondes Haar.
Vor meinen Augen laß ich weiten
ein neues Jahr.

Auf allen Blättern eine Frage.
Ich seh der Wochen lange Reihn ...
Ich könnt an jedem dieser Tage
einst glücklich sein.
(S. 410)
_____



Ehekrach

"Ja -!"
"Nein -!"
"Wer ist schuld?
Du!"
"Himmeldonnerwetter, laß mich in Ruh!"
- "Du hast Tante Klara vorgeschlagen!
Du läßt dir von keinem Menschen was sagen!
Du hast immer solche Rosinen!
Du willst bloß, ich soll verdienen, verdienen -
Du hörst nie. Ich red dir gut zu ...
Wer ist schuld -?
Du."
"Nein."
"Ja."

- "Wer hat den Kindern das Rodeln verboten?
Wer schimpft den ganzen Tag nach Noten?
Wessen Hemden muß ich stopfen und plätten?
Wem passen wieder nicht die Betten?
Wen muß man vorn und hinten bedienen?
Wer dreht sich um nach allen Blondinen?
Du -!"
"Nein."
"Ja."
"Wem ich das erzähle ...!
Ob mir das einer glaubt -!"
- "Und überhaupt -!"
"Und überhaupt -!"
"Und überhaupt -!"

Ihr meint kein Wort von dem, was ihr sagt:
Ihr wißt nicht, was euch beide plagt.
Was ist der Nagel jeder Ehe?
Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.

Menschen sind einsam. Suchen den andern.
Prallen zurück, wollen weiter wandern ...
Bleiben schließlich ... Diese Resignation:
Das ist die Ehe. Wird sie euch monoton?

Zankt euch nicht und versöhnt euch nicht:
Zeigt euch ein Kameradschaftsgesicht
und macht das Gesicht für den bösen Streit
lieber, wenn ihr allein seid.

Gebt Ruhe, ihr Guten! Haltet still.
Jahre binden, auch wenn man nicht will.
Das ist schwer: ein Leben zu zwein.
Nur eins ist noch schwerer: einsam sein.
(S. 584-585)
_____



Sie schläft

Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit -
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück -
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt ...
pick-pack ...

"Sie schläft mit ihm" ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen,
aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück -
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück,
kann ich dein Gefährte sein.
(S. 612)
_____



Liebespaar am Fenster

Dies ist ein Sonntag vormittag;
wir lehnen so zum Spaße
leicht ermüdet zum Fenster hinaus
und sehen auf die Straße.
Die Sonne scheint. Das Leben rinnt.
Ein kleiner Hund, ein dickes Kind ...
Wir haben uns gefunden
für Tage, Wochen, Monate
und für Stunden - für Stunden.

Ich, der Mann, denke mir nichts.
Heut kann ich zu Hause bleiben,
heute geh ich nicht ins Büro -
... an die Steuer muß ich noch schreiben ...
Wieviel Uhr? Ich weiß nicht genau.
Sie ist zu mir wie eine Frau,
ich fühl mich ihr verbunden
für Tage, Wochen, Monate
und für Stunden - für Stunden.

Ich, die Frau, bin gern bei ihm.
Von Heiraten wird nicht gesprochen.
Aber eines Tages will ich ihn mir
ganz und gar unterjochen.
Die Dicke, daneben auf ihrem Balkon,
gibt ihrem Kinde einen Bonbon
und spielt mit ihren Hunden ...
So soll mein Leben auch einmal sein -
und nicht nur für Stunden - für Stunden.
Von Kopf zu Kopf umfließt uns ein Strom;
noch sind wir ein Abenteuer.
Eines Tages trennen wir uns,
eine andere kommt ... ein neuer ...
Oder wir bleiben für immer zusammen;
dann erlöschen die großen Flammen,
Gewohnheit wird, was Liebe war.
Und nur in seltenen Sekunden
blitzt Erinnerung auf an ein schönes Jahr,
und an Stunden - glückliche Stunden.
(S. 619-620)
_____



Wahre Liebe

Wenn ich so müd nach Hause komm,
zerredet und zerschrieben:
dann sitzt du da, so lieb und fromm.
Man muß, man muß dich lieben!
Die Nacht gleich einem Feste ist.
Ich weiß, daß du die Beste bist.
Und warum ist das? Nämlich:
Du bist so himmlisch dämlich.

Du hast es gut.
Du ahnst es nicht,
was Stalin jüngst gesprochen;
weißt nichts vom leipziger Reichsgericht
und nichts von Kunstepochen.
Du hältst einen Puff für ein Hotel
und Bronnen für einen lauteren Quell ...
Ich liebe dich. Weil ... nämlich ...
Du bist so himmlisch dämlich!

Mein blondes Glück! Von Zeit zu Zeit
tu ich ein bißchen fremd gehn.
Die andern Frauen sind so gescheit
und lassen das noch im Hemd sehn.
Dann kehr ich reuig zu dir zurück
und genieße tief atmend das reine Glück ...
Dumm liebt zweimal.
Nämlich:
Du bist so himmlisch dämlich -!
(S. 718)
_____



Der andre Mann

Du lernst ihn in einer Gesellschaft kennen.
Er plaudert. Er ist zu dir nett.
Er kann dir alle Tenniscracks nennen.
Er sieht gut aus. Ohne Fett.
Er tanzt ausgezeichnet. Du siehst ihn dir an ...
Dann tritt zu euch beiden dein Mann.

Und du vergleichst sie in deinem Gemüte.
Dein Mann kommt nicht gut dabei weg.
Wie er schon dasteht - du liebe Güte!
Und hinten am Hals der Speck!
Und du denkst bei dir so: "Eigentlich ...
Der da wäre ein Mann für mich!"

Ach, gnädige Frau! Hör auf einen wahren
und guten alten Papa!
Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren
ständest du ebenso da!
Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen;
dann kennst du ihn in Unterhosen;
dann wird er satt in deinem Besitze;
dann kennst du alle seine Witze.
Dann siehst du ihn in Freude und Zorn,
von oben und unten, von hinten und vorn ...
Glaub mir: wenn man uns näher kennt,
gibt sich das mit dem happy end.
Wir sind manchmal reizend, auf einer Feier ...
und den Rest des Tages ganz wie Herr Meyer.
Beurteilt uns nie nach den besten Stunden.
Und hast du einen Kerl gefunden,
mit dem man einigermaßen auskommen kann:
dann bleib bei dem eigenen Mann!
(S. 726-727)
_____



Malwine

Ich habe mich deinetwegen
gewaschen und rasiert.
Ich wollte mich zu dir legen
mit einem Viertelchen,
mit einem Achtelchen -
Malwine!
Doch du hast dich geziert.

Der Kuckuck hat geschrien
auf deiner Schwarzwalduhr.
Ich lag vor deinen Knien:
"Gib mir ein Viertelchen!
Gib mir ein Achtelchen!
Malwine!
Ein kleines Stückchen nur!"

Dein Bräutigam war prosaisch.
Demselben hat gefehlt,
dieweil er mosaisch,
ein kleines Viertelchen,
ein kleines Achtelchen ...
das hätt dich sehr gequält!

Du hast mir nichts gegeben
und sahst mich prüfend an.
Das, was du brauchst im Leben,
sei nicht ein Viertelchen,
und nicht ein Achtelchen ...
das sei ein ganzer Mann -!

Mich hat das tief betroffen.
Dein Blick hat mich gefragt ...
Ich ließ die Frage offen
und habe nichts gesagt.
Daß wir uns nicht besaßen!
So aalglatt war mein Kinn.
Nun irr ich durch die Straßen ...
Malwine -!
und weine vor mich hin.
(S. 730-731)
_____



Herz mit einem Sprung

Im Gesicht und auch in Sachsen,
wo die Meise piepst,
laß ich den Bart mir wachsen,
weil du mich nicht mehr liebst.
Susala und dusala -
weil du mich nicht mehr liebst.

Wir waren beide einsam;
auch ich als Woll-Agent.
Die Herzen waren gemeinsam,
Die Kassen waren getrennt.
Susala und dusala -
Da bin ich konsequent.

Du sagst, du wärst im Training
Wohl für ein Fecht-Turnier.
Du aßest gar nicht wenig
und hattest nie Geld bei dir ...
Susala und dusala -
Man ist ja Kavalier.

Du aßest frisch und munter
nicht ohne jeden Charme
die Karte rauf und runter,
die Küche kalt und warm.
Susal und dusala -
dem Kellner schmerzt der Arm.

Ich fand das übertrieben
und sah dich zornig an.
Ein Mann will gratis lieben,
sonst ist er gar kein Mann!

Ich kann dich nicht vergessen.
Noch heut könnt ich dich maln.
Du hast zuviel gegessen ...
Wer kann denn das bezahln!
Susala und dusala -
Wer kann denn das bezahln!

Ums Kinn starrn mir die Stoppeln.
Mein Vollbart ist noch jung.
So fahr ich nun nach Oppeln
zu ner Versteigerung ...
Doch mein Herz,
doch mein Herz,
doch mein Herz
hat einen Sprung -!
(S. 750-751)
_____



Sie, zu ihm

Ich hab dir alles hingegeben:
mich, meine Seele, Zeit und Geld.
Du bist ein Mann - du bist mein Leben,
du meine kleine Unterwelt.
Doch habe ich mein Glück gefunden,
seh ich dir manchmal ins Gesicht:
Ich kenn dich in so vielen Stunden -
nein, zärtlich bist du nicht.

Du küßt recht gut. Auf manche Weise
zeigst du mir, was das ist: Genuß.
Du hörst gern Klatsch. Du sagst mir leise,
wann ich die Lippen nachziehn muß.
Du bleibst sogar vor andern Frauen
in gut gespieltem Gleichgewicht;
man kann dir manchmal so gar trauen ...
aber zärtlich bist du nicht.

O wärst du zärtlich!
Meinetwegen
kannst du sogar gefühlvoll sein.
Mensch, wie ein warmer Frühlingsregen
so hüllte Zärtlichkeit mich ein!
Wärst du der Weiche von uns beiden,
wärst du der Dumme. Bube sticht.
Denn wer mehr liebt, der muß mehr leiden.
Nein, zärtlich bist du nicht.
(S. 774)
_____


Aus: Kurt Tucholsky Gedichte
Herausgegeben von Mary Gerold-Tucholsky
Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg 1992



Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky

 

 


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