Richard von Volkmann (1830-1889) - Liebesgedichte



Richard von Volkmann
(1830-1889)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Troubadour
(Frau Clara Stockhausen zugeeignet)

Ihr ließt mir bittres Leid gescheh'n,
Ich klag' euch an, Frau Minne;
Umsonst laß ich mein Tüchlein weh'n
Thalab von hoher Zinne:
Den ich in treuem Herzen mein',
Er wird es nicht erspähen,
Auf blauem Feld im Sonnenschein
Viel weiße Wölkchen wehen.
Lenk' um, lenk' um dein Rößlein
Auf oft begang'ne Spur,
Kehr' heim zu deinem Schlößlein,
Mein holder Troubadour!

Du vielgescholt'ne Winterzeit,
Wie sehn' ich dich zurücke!
Da lag mein Sänger eingeschneit
Mir hinter Wall und Brücke.

Die Funken stoben im Kamin,
Der Wind schlug an die Scheiben,
Doch er sang mir von Waldesgrün,
Lenzlust und Rosentreiben.

Nun lacht in güldnem Staate
Die Erde maienfroh -
Aus meiner Kemenate
Ein Vöglein mir entfloh.
Lenk' um, lenk' um dein Rößlein
Auf oft begang'ne Spur,
Kehr' heim zu deinem Schlößlein,
Mein holder Troubadour!

Ach! allverehrt und allbekannt,
Wo weilt er jetzt, der Traute?
Vor fremden Ohr, in fernem Land,
Wo klingt jetzt seine Laute?
Wer beugt sich ihm? Wer neigt sich ihm?
Wirft ihm ein Kränzlein nieder?
Wer jauchzt ihm zu mit Ungestüm
Um meine süßen Lieder?

Nicht tragen kann ich länger
Des Scheidens herbe Qual,
Kehr' heim, geliebter Sänger,
Herzwonniger Gemahl!
Es lacht in güldnem Staate
Die Erde maienfroh;
Der meiner Kemenate,
Zum Leide mir, entfloh:
Lenk' um, lenk' um dein Rößlein
Auf oft begang'ne Spur,
Kehr' heim zu deinem Schlößlein,
Mein holder Troubadour!
(S. 182-183)
_____



Roter Wein

Ich hab' getrunken roten Wein,
Davon mein Aug' hat hellen Schein,
Davon ein loderndes Feuer
Mir geht durch Mark und Bein.

Es war kein Wein zur Glut entfacht
Auf Aßmannshausens Bergeswacht;
Es war kein roter Burgunder,
Der das Herz doch fröhlich macht.

Der Wein, davon ich Rausch mir trank,
Er floß in keinem Glase blank,
Ihn schwenkte nicht im Becher
Ein Page schmuck und schlank.

Ich trank ihn in der Dämmerstund'
Von einem roten Mädchenmund,
In langem, seligem Zuge,
Da der Mond am Himmel stund.

Da der Nebel wallte im weiten Raum
Und Blüten stob der Lindenbaum
Und Nachtigallenlieder
Priesen der Liebe Traum!
(S. 184)
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Ständchen

Es hat mit seinem bunten Spiel
Der Rausch des Tages ausgeglüht;
Hernieder auf die Erde fiel
Des Abends blaue Glockenblüt'.
Hoch schwimmt der Mond im Lüftemeer,
Viel tausend Sterne knospen auf,
Da rauscht der Wald, vom Schlummer schwer,
Und Tau und Schimmer liegt darauf.

Die du dort oben, ernst und still,
Die Wange an die Scheibe lehnst,
Und dich in deiner Träume Füll'
Doch unbeschaut und einsam wähnst:
Was heimlich durch das Herz dir geht,
Was selig glänzt von deinem Aug':
Es flammt's der Sterne Nachtgebet,
Es lacht von jedem Blütenstrauch.

Mir schlägt's lebendig an die Brust,
In tausend Wogen bricht's herein:
Nicht dir allein ist deine Lust,
Nicht deine Wonne dir allein!
Was dir und mir gemeinsam ist,
Was schöner noch als Ros' und Mai,
Die du dort oben einsam bist -
Was birgst du's in geheimer Scheu?

Tagüber mit beklomm'nem Mut
Hab' ich ein heimlich Wort gesucht,
Doch wie ein Strom mit jäher Flut
Entrauscht am Tag der Stunden Flucht.
Nun hat der Abend mir gesagt
Das Wort, das mir verschlossen blieb;
O, komm herab, du traute Magd,
Ich will dir's sagen! Komm mein Lieb!
(S. 185-186)
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Verfängliche Fragen

Gestern kam zu mir ein holdes Mädchen,
Sprach: Weil du ein Dichter bist, so kündest
Du gewiß mir, Lieber, was vergeblich
Tag um Tag ich zu ergrübeln suche:

Leuchtend über meines Vaters Garten
Steht jedwede Nacht ein Stern jetzt, rötlich
Strahlt sein Schimmer und die Wölkchen ordnen
Goldgesäumt sich um ihn her im Kreise.
Nie sah so noch einen Stern ich funkeln!
Was er funkelt, möcht' ich gerne wissen.

Und vor unserm Haus im dunkeln Taxus
Jeden Abend singt ein kleiner Vogel;
Braun ist sein Gefieder, aber reizend
Fließt der Ton ihm aus der lieben Kehle.
Niemals sang mir noch so süß ein Vogel!
Was er singt, das möcht' ich gerne wissen.

Doch das Wunderbarste sag ich billig
Dir zuletzt: in meinem eig'nen Fenster
Ist seit dreien Tagen eine Blume
Aufgeblüht, die niemand kennt im Hause.
Herrlich prangen ihre weißen Blätter,
Goldne Fäden hängen aus dem Kelche
Und des Dufts balsamische Wellen zittern
Wie Gedanken durch mein stilles Zimmer.
Nie noch sah ich eine solche Blume!
Was sie duftet, möcht' ich gerne wissen.

Und ich sprach zu ihr: Du liebes Mädchen,
Heute Morgen in der achten Stunde,
Da die Sommersonne dir zu Häupten
Lange zögernd auf dem Kissen spielte -
Doch du schliefst noch fort, bis weiter rückend
Endlich dir der Strahl die Augen küßte -
Was du da geträumt, das singt der Vogel,
Strahlt der rote Stern am nächt'gen Himmel
Und das Gleiche duftet auch die Blume.
Neige mir dein Köpfchen, daß ich leise
Dir ins Ohr es sage, und es keiner
Weiter hört.

Da fuhr sie auf erschrocken
Und umfing mein Haupt mit beiden Armen
Mit den Händen mir dem Mund verschließend:
Pfui! Was seid ihr Dichter doch für lose
Leute! rief sie aus: - Um Gottes willen
Schweige still und sag' es nicht der Mutter.
(S. 186-187)
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Es war einmal ein Königssohn

Es war einmal ein Königssohn,
Der hatte ein Mädchen lieb;
Viel mehr als seines Vaters Thron
Hatt' er das Mädchen lieb.

Er kam zu ihr jedwede Nacht:
Herzlieb, mach' auf die Thür!
Es rauscht der Regen, es blitzt, es kracht,
Dein Königssohn ist hier.

Die Treppe sie eilend hinuntersprang:
"Zurück den Riegel, zurück!"
Um seinen Nacken den Arm sie schlang:
"Mein Stern, mein Liebster, mein Glück!

Gieb her den Mantel, gieb her den Helm,
Das Schwert von der Seite gieb!
Nun sage, du lieber, du böser Schelm:
Und hast du mich auch noch lieb?" - -

Und graute der Morgen, so jagt' er davon,
Und am Fenster sie grüßend stand:
"Ade, mein Liebster, mein Königssohn,
Nun hat dich das ganze Land!

Das ganze Land und die weite Welt,
Und die Leute groß und klein;
Doch am Abend kommst du mir wieder, gelt?
Dann hab' ich dich ganz allein!

Dann will ich dich herzen, so lieb als ich kann,
Und dir küssen den Mund und den Hals;
Denn die Liebe fängt immer von vorne an,
Die findet kein Ende! - Niemals!" - -
(S. 187-188)
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Mein Augentrost

Ist ein Blümlein Augentrost,
Steht im tiefen Wald;
Wem das Leben wild getost,
Den macht still es bald.

Ob die Wange thränbetaut,
Ob auch bleich der Mund,
Wer es einmal angeschaut,
Wird von Schmerz gesund.

Da mir Gott zu eigen gab
Solch ein Blümlein wert,
Keiner andren Lust und Lab'
Mehr mein Herz begehrt.

Höchstes Glück hab' ich erlost,
Aller Sehnsucht Trieb:
Die du bist mein Augentrost,
Grüß' dich Gott! mein Lieb.
(S. 189)
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An zwei kleine Füße

Schon viel zu gern und viel zu viel
Sah ich den langen Tag,
Wie einer, den ein Traum befiel,
Zwei kleinen Füßen nach.

Fest um die feinen Knöchel schließt
Der schwarze, knappe Schuh;
Der Saum des Kleides wallt und fließt
Und deckt sie neidisch zu.

Nun kommt die Nacht im Sternenschein,
Der Mond tritt still herfür:
Die beiden Füßchen flink und klein
Die wohnen über mir.

Sie trippeln hin und trippeln her,
Wohl kenn' ich ihren Gang,
Den Takt der Schritte viel zu sehr
Und lausche auf den Klang.

Doch bald wird's oben still und stumm,
Es hüllt der Schlaf mich ein:
Da geh'n mir gar im Kopf herum
Die Füßchen flink und klein.

Sie trippeln hier und trippeln dort
Und finden jeden Steg
Als wär's an wohlbekanntem Ort
Ein vielbegang'ner Weg.
(S. 189-190)
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Frühlingslied

O komm! der Lenz ist wieder da,
Es klingen ihre Lieder ja
Die Vöglein im Geäst.
Vor allen die Frau Nachtigall,
Die lockt die ganze Nacht mit Schall
Ihr Herzgemahl zu Nest.

Wer springen und noch hüpfen kann,
Und wer den Hut noch lüpfen kann,
Der jubiliert und lacht,
Singt: heißa, heißa trallala,
Nun sind die Blumen alle da
Und steh'n in heller Pracht!

Mein Herz ist wie die ganze Welt,
Von Duft erfüllt und glanzgehellt
Und voller Liebesschalls!
Herzlieb, es läßt mir keine Ruh',
Mir ist, ich müßt' in einem zu
Dir fallen um den Hals!
(S. 190-191)
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Mädchenlied

Ungeduld
Schafft die Huld
Uns des Frühlings lange;
Reizend lacht
Blütenpracht
Bei der Vögel Sange:
Die du tief im Schoße
Noch des Kelches säumst,
Sage doch, o Rose,
Was du heimlich träumst?

Tag um Tag
Schau'n wir nach,
Geh'n wir in den Garten;
Aber noch
Trog uns doch
Immer unser Warten.
Weckt dich denn die Wonne
All des Jubels nicht?
Scheint die Frühlingssonne
Dir nicht ins Gesicht?

Duft und Glast
Jeder Ast,
Blüten allerwegen!
Mandelreis,
Ehrenpreis,
Flieder, goldner Regen!
Du nur fehlst zum Feste,
Alle warten drauf;
Rose, allerbeste,
Blüh' doch endlich auf!

Kommst du dann
Spät noch an,
Mußt du Strafe haben.
Brechen dich
Sicherlich
Für die wilden Knaben.
Statt getreu zu hegen
Deine süße Blut,
Stecken sie verwegen
Dich auf ihren Hut.
(S. 191-192)
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Ueber Land

Am Himmel geh'n die Sterne,
Der Mond hat hohen Stand -
Mein Lieb ist in der Ferne,
Mein Herz ist über Land!

Will mit der Nacht denn kommen
Kein Trösten traumgesandt?
Die Ruh' ist mir genommen,
Mein Herz ist über Land!

Ich meint', ich könnte lassen,
Herzlieb, von deiner Hand;
Nun sing' ich's auf den Gassen:
Mein Herz ist über Land!

Nun sing' ich: Wind und Wellen,
Die geh'n zum fernsten Strand -
Wer reist euch nach, ihr schnellen?
Mein Herz ist über Land!
(S. 193)
_____



Hochsommer

In schwüler Mittagsstunde
Lieg' ich am Bach ins Gras gestreckt;
Kein Laut in weiter Runde,
Der mich aus dämmerndem Traume weckt.

Leicht in den Lüften weben
Sommerfäden den silbernen Zwirn,
Halme und Gräser schweben
Über der Brust mir und über der Stirn.

Und Bienen und Schmetterlinge
Blaue Libellen umsummen mich leis:
Viel süßere, heimliche Dinge
Trag' ich im Herzen, die keiner weiß.

Buntschimmernde Liebesgedanken,
Lange verborgen in tiefer Gruft,
Sie heben die Flügel, die schwanken,
Und schwirren hinaus in den Sommerduft.

Ich seh' sie flattern und gaukeln
Um wehende Gräser im Sonnenstrahl,
Wie Elfen auf Blumen sich schaukeln,
Ein lustiges Völkchen allzumal.

Freut euch, ihr goldnen Dinger,
Die Lust wird rasch zu Ende sein,
Des Herzens dunkler Zwinger
Schließt bald euch alle wieder ein.
(S. 193-194)
_____



Costa

Ein keckes Lächeln
Auf bleichen Lippen,
Stand früh am Morgen
Der schwarze Costa
Vor seiner Thür.
Er strich den Bart sich,
Ein Liedchen trällernd,
Und ließ im Kreise
Die Augen schweifen,
Als wär' der Fürst er
Vom Chier-Lande -
Doch seine Rechte
Trug er im Bund.

Zum Brunnen kamen
Die Chier-Mädchen;
Sie kannten alle
Den schwarzen Costa,
Sie grüßten alle,
Und nickten freundlich,
Und jeder gab er
Zurück den Gruß.

Zuletzt von allen,
Mit stolzem Nacken
Und raschen Schrittes
Kam noch die Schönste;
Sie hob die Blicke
Nicht auf vom Boden,
Und im Vorbeigehn
Nur frug sie leis:

Du schwarzer Costa,
Du lieber Junge,
Du Herzensbester,
Du Allerschönster
Im weiten Chios!
O sprich, was trägst du
Den Arm im Bund?

Da sprach der Jüngling:
Du blonde Nina,
Du liebes Mädchen,
Du Herzensbeste,
Du Allerschönste
Im weiten Chios!
Ich will dir's sagen,
Doch weine nicht!

Als gestern Abend
Von deinem Fenster
Ich stieg, Ninetta,
Lag auf der Lauer
Dein stolzer Bruder,
Der wilde Lazos,
Und seine Kugel
Traf mir zerschmetternd
Den rechten Arm.

Reich' mir dein Mündchen,
Du holdes Mädchen!
Leer ist die Straße,
Es sieht es keiner!
Und säh' er's selber,
Der wilde Lazos:
Um deine Küsse
Wie gern noch gäb' ich
Den ander'n Arm!
(S. 194-196)
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Die Ungetreue
Neugriechisch

Durch des Dorfes lange Straße bin ich
Heut' gewandert in der Mittagsschwüle;
Öd' und einsam lag sie. Auf den Dächern,
Auf den Söllern brütete die Sonne,
Und die Träume spielten vor den Thüren.
Langsam ging ich; wo der Weg hinauf sich
Hebt zum Berge, in dem letzten Hause,
Saß am off'nen Fenster eine Jungfrau.
Emsig mit den schlanken Fingern stickte
Sie ein weißes Tuch mit goldner Borte.
Zögernd hab' ich sie gegrüßt, und zögernd
Nickte mit dem Kopf sie, wieder grüßend,
Doch den Blick nicht hob sie von der Arbeit.
Wie sie aussieht, sollst du gern erfahren:
Blonde Haare, schwarze Brau' und Wimper -
Aber frage nicht nach ihrem Namen;
Wollt' ich nennen ihn, so müßt' ich nieder
Setzen auf die Steine mich am Wege
Und das Haupt in meine beiden Hände
Müßt' ich legen um mich auszuweinen.
(S. 197)
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Unerwiderte Liebe
Neugriechisch

Nur um zweierlei noch bitten
Möcht' ich dich, du stolzes Mädchen,
Schenke mir von deinem Haar
Nur ein einz'ges goldnes Fädchen.

Gieb dazu mir eine Nadel,
Meine Augen zuzunähen:
Schließen will ich immerdar,
Die dein leuchtend Bild gesehen!
(S. 197-198)
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Die Cypresse
Neugriechisch

Lass' vom Sturme meiner Liebe
Dich zu mir hernieder neigen,
Schlanke, ragende Cypresse!
Schönes Mädchen, sei mein eigen!

Spricht die Stolze: Husch, mein Hähnchen!
Lauf' in uns'res Nachbars Garten,
Daß sie dort dir Futter streuen! -
Ich will auf den Adler warten.
(S. 198)
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Ringeltanz

Nun ruft: Juchhe! mit Schalle,
Ihr Knaben auf dem Plan,
Ihr holden Mädchen alle,
Der Ringeltanz hebt an;
Und reicht euch froh die Hände,
Stimmt jubelnd an den Sang:
Der Winter ist zu Ende,
Der uns bedrückt so lang.

Scheu wie ein Dieb so ging er
Heimlich von Hof und Haus,
Weist nach ihm mit dem Finger
Und zischt den Griesgram aus!
Und droht er, euch zu schrecken,
Von fern noch mit der Hand:
Ihr Knaben nehmt den Stecken
Und jagt ihn aus dem Land.

Die Herrschaft ist gelinder,
Der nun wir unterthan,
Das sind zwei Königskinder
Mit Wonne angethan,
Holdselig von Gebärde,
An Huld einander gleich,
Die bringen auf die Erde
Das neue, goldne Reich.

"Herr Mai," so heißt das eine,
Er lugt schon hinterm Haus,
Und schwingt im Sonnenscheine
Den vollsten Blütenstrauß.
Das and're heißt: "Frau Minne,"
Bereitet ihr den Thron,
Sie heischt in stolzem Sinne
Von jedem Zins und Frohn!

Schon kommen sie geschritten,
Frischauf! und schlingt den Reih'n,
Und schließt in eure Mitten
Die neue Herrschaft ein:
Singt: Ringel, Ringel Reihe,
Verneiget euch den Zwei'n;
Frau Minne und Herr Maie,
Ihr müßt gefangen sein!
(S. 198-199)
_____



Der Bettler

Wintertag. Die Flocken treiben
Durch die enge Flucht der Gassen,
Und hernieder von den Dächern
Hängen kalt und schwer die Zapfen.
Aber drin im dunklen Stübchen,
Wo die Mutter mit der Tochter
Spinnend sitzt am warmen Herde,
Prasselt lustig auf die Flamme
Und die roten Lichter wirft sie
Spielend auf den blanken Estrich.

Horch! da klopft es an der Thüre
Leise klopft es, doch vernehmlich -
Wär's auch nur für Mädchenohren,
Die versteckt im Busch der Locken
Lauschen und die feinsten Dinge
Hören auf der weiten Erde.
Zögernd auf nach kurzem Säumen
Hebt die Jungfrau sich vom Sitze;
Leise auf den Zehen schreitet
Sie hinaus: da steht der Liebste
Vor der Thür': Um Gottes willen,
Geh', die Mutter ist zu Hause!
Warte doch! Und beide Arme
Schlingt sie um dem Hals dem Jüngling,
Drückt ihn an die Brust und küßt ihn. -
In das Zimmer tritt sie wieder,
Schüttelt sich den Schnee vom Kleide. -

"War's ein Bettler?" Ja, ein Bettler,
Mütterchen, ein armer Bettler!
"Sag', was hast du ihm gegeben?"
Eine Kleinigkeit nur, Mutter!
Spricht das Mädchen, und errötend
Beugt sie sich und schürt das Feuer,
Daß die Flamme lohend aufschlägt,
Und wie goldne Mückenschwärme
Tanzend über ihrem Scheitel
Im Kamin die Funken fliegen.

"Gieb den Bettlern nicht zu reichlich,"
Mahnt die Mutter sorgend wieder,
"Denn sie kommen viel zu oft."
Schweigend rückt den Stuhl zum Herde
Sich das Mädchen. Schweigend greift es
Wieder zur verlass'nen Spindel,
Und wie sie im Kreise wirbelt,
Wiederholt es in Gedanken
Still die Worte: Viel zu oft! - -
(S. 200-201)
_____



Nachtigallenlied

"Tiu, Tiu,
Gott grüß' di, min Fru!
Och, wat sin wi doch hüt
För glückselige Lüt!"

Laß doch dein Singen, Nachtigall,
Es macht mich gar zu trübe;
Was hilft mir auch dein Schwätzen all
Von Lieb' und nur von Liebe?

Ich weiß ja wohl, wie süß sie thut,
Du brauchst mir's nicht zu sagen;
Hätt' ich wie du so frischen Mut,
Viel heller wollt' ich schlagen.

So lüpf' doch deine Federlein,
So flieg' doch auf, geschwinde!
Und sing' vor ihrem Kämmerlein
Im grünen Ast der Linde.

Was auch ins Ohr ihr raunt der Mai,
Sie will davon nichts wissen,
So sag' ihr du, wie lieb es sei,
Das Herzen und das Küssen.

"Tiu, Tiu,
Gott grüß' di, min Fru!
Och, wat sin wi doch hüt
För glückselige Lüt!
Zicküth!" - -
(S. 201-202)
_____



Gegenüber

Wozu ist das Fenster!
Um dran zu sitzen.
Wozu ist das Köpfchen?
Es aufzustützen.
Wozu die Hand?
Um die Augen zu schützen.
Wozu sind die rosigen
Fingerritzen?
Um durchzublitzen!
(S. 202)
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Geburtstagskind

Am Sommerhimmel keine Wolk',
Kein Laub, kein Halm sich regt -
Du lust'ges Musikantenvolk,
Frischauf! die Stunde schlägt!

Dem schönsten Mädchen nah und fern
Gilt unser Morgengruß;
Ob's wohl von Nöten, liebe Herrn,
Daß ich sie nennen muß?

Fein stille durch das Gartenthor
Zu zweien nun marschiert,
Dann Horn und Flöte rasch hervor
Und brav los musiziert!

Hei! wie das schallt! des Liedes Ton
Schwingt sich zu ihr hinauf
Und grüßt sie hold. Da ist sie schon,
Das Fenster thut sich auf!

Da ist sie schon, die süße Maid,
Und winkt und dankt heraus;
Wie reizend steht zum weißen Kleid
Ihr Rosenkranz und Strauß!

Ruft vivat! vivat hoch! geschwind!
- Nun ratet, wen ihr schaut?
Ein rosiges Geburtstagskind,
Juchhe! und meine Braut!
(S. 203)
_____



Zwei Volkslieder

I.
Der Zauberbrunnen
Es springt ein Zauberbrunnen
Im Wald an kühler Statt:
Den stillt kein Wein, kein Wasser,
Den macht kein Brot mehr satt,
Der fragt nach Vater und Mutter nicht,
Wer dort getrunken hat.

"Ach Mutter, liebste Mutter,
Vor Durst vergeh' ich gar;
Im Wald da fließt ein Brunnen,
Der treibt ein Wasser klar;
Ich höre bei Tag, ich höre bei Nacht
Sein Rauschen immerdar."

Ach Kind, herzbeste Tochter,
Du bist noch viel zu klein;
Ich hab' im tiefen Keller
Ja Bier genug und Wein,
Und gingst du mir zum Wald hinaus -
Ich bliebe wohl ganz allein. -

Sie thät den Krug sich langen,
Der überm Herde hing;
Sie schürzte sich die Röcke,
Zum Wald sie heimlich ging:
Am Brunn' ein feiner Knabe stand,
Trug einen goldnen Ring.

"Grüß' Gott, grüß' Gott, Herzliebste
Lang' hab' ich ausgeschaut!
Mein Schloß steht hoch am Berge,
Das ist von Gold gebaut;
Mein Roß, das grast am Lindenbaum
Und wartet auf die Braut."

Schön Dank du feiner Knabe,
Kein Freier thut mir Not;
Ich will so schön noch bleiben,
Schneeweiß und rosenrot;
Daheim mein süßes Mütterlein,
Das grämte sich zu Tod.

Mein Mütterlein, die holde,
Die hat mein treulich acht,
Die strählt mir früh die Haare,
Derweil sie singt und lacht;
Die küßt an jedem Abend mir
Die Stirn zur guten Nacht.

"Ich will mit goldnem Kamme
Das Haar dir strählen fein;
Ich will, Herzlieb, dir singen
Die schönsten Lieder mein;
Mit Küssen will ich dich wecken auf
Und schläfern mit Küssen ein!"

Er streift' ihr an den Finger
Das Ringlein, so er trug;
Da nickte sie ihm leise,
Da bot er ihr den Krug.
Sie trank ihn aus bis auf den Grund,
Das Wasser war süß genug.

Er hob sie auf sein Rößlein,
Sie sprach nicht Nein, noch Ja;
Er schlug um sie die Arme,
Wußt' nicht, wie ihr geschah.
Sie ritten den grünen Rain entlang -
Kein Mensch sie wieder sah.


II.
Wenn's schneiet rote Rosen, / Wenn's regnet kühlen Wein
Der Abendsonne Feuer
Erlischt schon auf den Höh'n,
Ade, nun muß ich scheiden
Auf Nimmerwiederseh'n!

"Ach kehrst du niemals wieder,
Herzallerliebster mein?"
Wenn's schneiet rote Rosen,
Wenn's regnet kühlen Wein!

Und fort ist er gezogen;
Noch von des Berges Wand
Sah grüßend sie ihn schwenken
Das Tüchlein in der Hand.

Und hat ihm nachgeschauet
So lang in bitt'rem Schmerz,
Bis ihr in tausend Thränen
Zerflossen ist das Herz. -

Wohl ist zurückgekehret
Der Knab' nach langem Jahr,
Da lag im tiefen Grabe
Die seine Wonne war;

Da sproß auf ihrem Hügel
Lang' schon die Rose rot:
Was blühst so hell, o Rose?
Dein Schwesterlein ist tot!

Zum Grabe thät er schreiten
Und nieder thät er knien,
Da warf die Blütenblätter
Der Rosenstock auf ihn;

Da fielen Tau und Thränen:
Du Heißgeliebte mein,
Nun schneit's ja rote Rosen,
Nun regnet's kühlen Wein!
(S. 204-207)
_____



Brief

Wie hier sich's lebt, des Glücks so ganz entkleidet,
Ich brauch' es dir, Geliebte, nicht zu sagen:
Die Stunden kleben und die Wünsche jagen,
Seit mich von dir der Pflichten Mißgunst scheidet.

Doch was mir die Erinn'rung fast verleidet,
Das Trennungslos am schwersten läßt ertragen,
Ist der Gedanke, daß in schön'ren Tagen
Bei dir ich sündlich meine Zeit vergeudet.

Ich konnte sicher, mahnt mich das Gewissen,
Noch hundertmal dich, Heißgeliebte, küssen,
Und tausendmal die stille Hand dir drücken.

Und hunderttausendmal, wo ich's versäumet,
Am Strahle deiner Augen mich entzücken.
Sag', träum' ich jetzt; hab' ich zuvor geträumet?
(S. 212-213)
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Liebesquell

Ja, ich gesteh's, erst bin ich nachgegangen,
So wie der Jäger schleichet nach dem Wilde,
Nur deines Leibes reizendem Gebilde,
Dem Lächeln deines Munds, dem Schein der Wangen.

Doch schwände heute noch, der dich umfangen,
Der Jugendglanz mit seiner süßen Milde,
Wie um die Blume, welkend im Gefilde,
So würd' ich trauern um verlor'nes Prangen;

Doch meine Liebe wäre nicht verloren!
Nicht äuß're Schöne hat sie groß gezogen.
Ob auch von äuß'rer Schöne sie geboren.

Die du, ein Quell, mich tränkst mit Taues Wogen,
Dein Rauschen sprach zuerst mir in den Ohren
Die Flut verkündend, die ich nun gesogen!
(S. 213)
_____



Erster Frühling

Vor dem Thore, wo in sanftem Bogen
Um des Hügels Fuß der Fluß sich windet
Wie ein Knabenarm um Mädchenhüften,
Liegt der Liebsten Haus in stillem Garten;
Und derweil rundum die ersten Blüten
Zögernd aus der Knospe Haft sich ringen,
Und nur spärlich Büsche noch und Bäume
Mit dem ersten jungen Grün sich schmücken:
Hat der Frühling seinen ganzen Zauber
Dort verschwenderisch schon ausgegossen,
Und die Leute, die vorüber wandeln,
Bleiben steh'n und staunen ob dem Wunder.
Gelbe Primeln, weiße Anemonen
Blühen, Veilchen, Krokus und Narcissen,
Und herab von Kirsch- und Apfelbäumen
Weht der Blütenflocken Schneegestöber. -

Kaum zwei Wochen sind es her; vorüber
Längst zwar schien es mit des Winters Strenge;
Nieder von den Bergeshängen stürzten
Off'nen Arms und jauchzend sich die Bäche,
Triumphierend stand die Sonn' am Himmel,
Und hinauf in den krystall'nen Äther
Schmetterte ihr Morgenlied die Lerche:
Doch in gleicher Schärfe, heut' wie gestern,
Durch die Fluren wehte noch der Ostwind,
Und der Frühling zögerte zu kommen.

Endlich, endlich kam der Langersehnte!
Aus dem Thale stieg er auf zum Städtchen.
Purpurn glühten ihm vom Weg die Wangen;
Denn auf beiden Armen hochgetürmet,
Trug er eine reiche Last, der Gute:
Gelbe Primeln, weiße Anemonen,
Veilchen, Krokus, Kirsch- und Apfelblüten.
Lose hatte er zur duft'gen Garbe
Sie gebunden; und dem Kind vergleichbar,
Das dem Vater zum Geburtstagsfeste
Seine Gabe darbringt - selbst am meisten
Freut es ihrer sich; es strahlt sein Antlitz,
Und den Vater bald und bald die Gabe
Schaut entzückt es an - so ließ der Frühling
Wechselnd auf der bunten Last sein Auge
Selig ruh'n und wonneselig wieder
Über sie in alle Fernen schweifen.

Also schritt er; und bald hier bald dorthin
Blüten streuend kam er zu der Liebsten
Hause. Sieh! da lehnte an dem Fenster
Just die Holde, und dem hochwillkomm'nen,
Ach so oft erbet'nen Gaste sie
Sehnsuchtsvoll ins Angesicht. Da schrie er
Laut vor Freude auf; die beiden Arme
Hob er auf zu ihr und auf zum Himmel,
Und in süßem Schrecken, ihr zu Füßen,
Ließ er nieder auf die Erde fallen
All den Reichtum! -

Seit dem Tage liegt nun
Ganz in Blüten dort das Haus begraben.
Überall, von Büschen und von Bäumen,
Weht der Blütenschnee; ein bunter Teppich
Dehnt der Rasen sich. Wir aber beide
Wandeln durch den Garten, und geschäftig
Les' ich aus der Liebsten dunklem Haare
Die verwehten weißen Blütenflocken.
(S. 214-215)
_____



Dem Säumer

Kommst du morgen Geliebter? Ich will dich festlich empfangen;
Zärtlich sollst auf den Knien du mir, Verhätschelter, ruh'n!
Schwatzen sollst du, und wolltest von tausend nichtigen Dingen
Du mir erzählen - es kann's keiner so reizend wie du -
Niemand soll mir herein, dich zu stören! Ich harre ja lang' schon
Deiner! So komme mir nun sehnlich erwarteter Brief!
(S. 216)
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Nachtlied

Von dir, die du der Frieden bist,
Entrissen mir der Frieden ist;
Trost hat mir Trost genommen,
Die Nacht ist still, die Schatten zieh'n,
Die Sterne hoch am Himmel glüh'n,
Kein Schlummer will mir kommen.

Wie Wolken über Bergeshöh'n
Gedanken übers Herz mir geh'n
Tausend und aber tausend.
Wer mag sie halten? Fassen? Wer?
Sie kommen und gehen; wohin? woher?
Wie der Wind durch die Zweige brausend.

O, legtest du, Herzlieb, die Hand
Mir auf der Stirne heißen Brand,
Wie bald ich Ruhe fände!
Aus deines Friedens reichem Glück
Schenk' mir nur einen Liebesblick,
So hat mein Gram ein Ende!
(S. 216)
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Sonnenaufgang

Als wir uns zuerst begegnet,
Und im Spiegel meiner Augen
Du bewußt zum erstenmale
Deiner ganzen Mädchenschöne
Zauberische Pracht geschaut:

O, wie zucktest bang erschrocken
Du zusammen! O, wie senktest
Du die Wimpern rasch zu Boden;
Purpurn über Stirn und Wangen
Zog es dir wie Frühgewölk.

Aber mir - wie Morgenschauer,
Die den jungen Tag verkünden,
Traf's das Herz und fröstelnd fühlt' ich
Mich erbeben. Zögernd legt' ich
Auf die Schulter dir die Hand.

Und so standen still und sprachlos
Wie gebannt wir und verzaubert,
Und in Gluten und in Schauern,
Groß und klar ob unsern Häuptern
Ging der Liebe Sonne auf.
(S. 217-218)
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Glück

Ich lieg' im Gras,
Denke mir dies und das;
Sehe hinauf zu den Wolkenlämmern,
Fang' an zu dämmern.
Da überkommt mich was
Ach! hab' ich dich?
Küssest du mich?
Ist es ein Traum? Ein Gedicht?
Ich weiß es nicht. -
Ich seufze tief:
Wie schön, wie wunderschön ich schlief!
(S. 218)
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Kleine Lieder
(1854-56)

I.
An deinem treuen Herzen
Sind sie vorbeigegangen,
Und haben nicht gesehen
Darin das Blüh'n und Prangen.

Ich aber hab' gesehen,
Gott hat mein Aug' gesegnet,
Seit ich auf meinem Pfade
Dir bin zuerst begegnet.

Ich hab' hinabgeschauet
Wie von dem Berg zum Thale
Der stille Wand'rer schauet
Im glüh'nden Abendstrahle:

Da liegen all die Hügel
Bedeckt von Nebelschwingen,
Der Fluß treibt still die Wellen
Und Abendglocken klingen.
(S. 219)


II.
Du hast so fromme Sitte,
Du hast so stille Weise,
Du kommst und grüßest freundlich
Und gehest wieder leise.

Und lächelst meinen Worten,
Die wirr und unstet schwanken;
Und hast mir doch bezwungen
Herz, Sinne und Gedanken.

Es haben mich geblendet
Gesenkte Augenlider,
Die Sprache stummen Mundes
Hallt mir im Traume wieder.
(S. 220)


III.
Sage, warst du früher nicht
Eine Rose in dem Hage?
Bei den Rosen, ganz gewiß,
Muß ich dich gesehen haben.

Oder warst vielleicht ein Stern
Über mir in Lüften, sage?
Bei den Sternen, ganz gewiß!
Muß ich dich gesehen haben.
(S. 220)


IV.
Wer wird auch am Tage
Goldenes Sterngefunkel
Und die Blumen des Feldes
Suchen im Abenddunkel?

Wer wird seiner Liebsten
Im Traum viel Holdes sagen,
Und tagüber sie nimmer
Anzureden wagen?
(S. 221)


V.
Ein beringtes Fingerlein
Streifte heut' von ungefähr
Mir die Wange. Ach es war
Sicher nur von ungefähr!

Wüßt' ich, was es, da's geschah,
Sich gedacht - nur ungefähr,
Meinen kleinen Finger gäb',
O, wie gern, darum ich her.

Hüt' dich, hüt' dich, Fingerlein,
Denn ein arger Dieb ist Wer;
Gar zu gern dein Ringlein dir
Stöhle er, und noch viel mehr.

Weiß und schlank und flink bist du,
Wie ein Fischlein tief im Meer -
Hüte dich, er fängt dich doch
Noch einmal, von ungefähr!
(S. 221)


VI.
Ich hatt' ein Blümlein wunderhold
Gepflanzt in meinem Garten;
Und da ich in die Fremde ging,
Wer sollt' nun seiner warten?

Lieber Regen und goldner Sonnenschein,
Beregnet's und bescheint es;
Als ich ihm hab' ade gesagt,
Da klagt' es, und da weint' es.

Lieber Regen und goldner Sonnenschein,
Was macht es, sagt, was macht es?
Es spricht, es dächte deiner nicht,
Und wenn's so spricht, dann lacht es.
(S. 222)


VII.
Und wärst du mein, du schlankes Kind,
Ich wär' zufrieden überall,
Und säß' ich drauß' im Winterwind,
In kalter Luft beim Flockenfall.

Und säß' ich draußen weißbeschneit,
Barfuß, barhaupt auf freier Flur,
Ich wär' getrost und ohne Leid,
Als schneit' es Rosenblätter nur.

Du sollst nicht wissen, daß es stürmt;
Ich will mich beugen über dich;
Ich bin der Schutz, der dich beschirmt,
Dein gutes Obdach, sicherlich!

Ich fühl' ja nicht den Sturmwind geh'n,
Ich fühl' ja nicht den kalten Schnee,
Ich spür' nur deinen Atem weh'n,
Und in dein Aug' ich niederseh'!
(S. 222-223)


VIII.
Ist der Himmel davon im Lenz so blau,
Daß er auf die blumige Erde schaut?
Oder so blumig die Erde im Lenz,
Weil darüber der sonnige Himmel blaut?

Hab' ich so lieb dich, mein Kind, so lieb,
Weil du gar so lieblich und reizend bist?
Oder bist du so reizend nur,
Weil die Liebe ins Herz dir gekommen ist?
(S. 223)


IX.
Es klopft an die Scheiben der Lindenbaum
Mit dem Zweige blütenbehangen:
Steh' auf! Steh' auf! Was liegst du im Traum?
Die Sonne ist aufgegangen!

Die Lerche ist wach, die Büsche weh'n,
Die Bienen summen und Käfer;
Und dein fleißiges Lieb hab' ich auch schon geseh'n, -
Steh' auf, Langschläfer, Langschläfer!
(S. 223)


X.
Flog zum Süden eine Schwalbe,
Bald ihr nach die Schwestern wandern:
Ist bei dir erst ein Gedanke,
Folgen gar zu bald die andern.

Führt den Hut von Bergeshöhe
Mir zu Thal des Windes Wogen:
Hütlein, wollst mein Herz mir grüßen,
Ist dir längst vorausgeflogen!
(S. 224)


XI.
Gieb mir die süßen Düfte,
Die deinem Kelch entschweben!
Sprach der wehende Wind, und das Veilchen
Hat sie ihm alle gegeben.

Gieb mir dein Herz und dein Auge,
Deine Lust, dein Hoffen, dein Beben!
Sprach ich, und die Geliebte
Hat es mir alles gegeben.
(S. 224)


XII.
In der Früh', wenn die Sonne kommen will,
Da steigen die Lerchen hoch;
Sie sehen, sie hören die Sonne nicht
Und wissen ihr Kommen doch.

Sie wissen ihr Kommen, wie ich es weiß,
Wenn zu mir du trittst, mein Kind;
Ich säh' dich kommen und wär' ich auch
Auf beiden Augen blind.

Und kämst du daher mit den Winden geweht,
Mit den Wellen im Flusse gerauscht,
Und wär' ich geboren mit taubem Ohr,
Ich hätte dein Kommen erlauscht.

Ich würde nicht fragen: Bist du's mein Lieb?
Und wär' ich auch taub und blind.
Wer fragte denn auch seine rechte Hand
Und sein Haupt, ob sie bei ihm sind?
(S. 225)


XIII.
Mein Lieb, dein holdes Angesicht,
Das leuchtet wie der Tag,
Das leuchtet wie der Sonne Licht,
Die jeden laben mag.

Und stieg' von ihrer stolzen Wacht
Die Sonn' zur ew'gen Ruh':
Die Sonne, die ins Herz mir lacht,
Herzliebster Schatz, bist du!

Ich höb' auf meinem Arm empor
Dich in die Nacht hinein:
Ihr roten Rosen brecht hervor,
Hier ist der Sonnenschein!
(S. 225)


XIV.
Ich fragte: wie haben die Lieder all
In deiner Brust nur, o Lerche, Raum?
Wie trägst du auf deinem braunen Gezweig
Nur all die Blüten, o Apfelbaum?

Wie birgst du in deinem bescheid'nen Kelch,
O Veilchen, nur alle die Düfte lind?
Sie sprachen: wie fasset die Liebe all
Dein kleines Herz nur, du Menschenkind?
(S. 226)


XV.
Ich lass' dich nicht, o Liebste mein,
Ich hab' dich viel zu lieb dazu.
Läßt auch die Sonn' von ihrem Schein? -
Sie hat ihn viel zu lieb dazu.

Läßt von der Kühle auch der Quell,
Der Wald von seiner Schattenruh'?
Wer möchte flieh'n dein Auge hell? -
Ich hab' es viel zu lieb dazu.
(S. 226)


XVI.
Da schon mein Lieben, still, bescheiden,
Dir solchen hohen Glanz verlieh'n,
So möcht' ich Perlen wohl und Bänder
Dir in die dunklen Haare zieh'n;

So möcht' ich eine Kron' von Golde
Dir drücken auf die Stirne dein,
Um an dem doppelt schönen Glanze,
Mich thöricht, wie ein Kind, zu freu'n!
(S. 226-227)


XVII.
Sieh', du hast den bunten Strauß
Mir am Busen ganz zerknickt,
Spricht mein Lieb, wenn gar zu fest
An das Herz sie mich gedrückt.

Und du küßt mich viel zu oft,
Alle Leute sagen's doch!
Spricht mein süßes Lieb zu mir,
Spricht mein Lieb, und küßt mich noch.

Warum weinst du? sprach mein Lieb,
Als ich von ihr scheiden ging;
Und an ihrer Wimper Saum
Perlend Thrän' an Thräne hing.
(S. 227)


XVIII.
Unter dem Fliederbusch
Sind wir gesessen,
Schweigender Lust berauscht,
Sprachvergessen.

Da sprach der Fliederbusch:
Eins möcht' ich wissen,
Ob wohl zwei Lippen sind,
Nur um zu küssen?

Hielt lang' den Odem an,
Euch zu belauschen;
Wenn ihr denn schweigen wollt,
Will ich eins rauschen!
(S. 228)


XIX.
Es weckt meine Liebe
Die Lieder immer wieder;
Es wecken immer wieder
Die Liebe meine Lieder.

Die Lippen, die da träumen
Von deinen heißen Küssen,
In Sang und Liedesweisen
Von dir sie tönen müssen.

Und wollen die Gedanken
Der Liebe sich entschlagen,
So kommen meine Lieder
Zu mir mit Liebesklagen!

So halten mich die Banden
Die beiden immer wieder:
Es weckt das Lied die Liebe,
Die Liebe weckt die Lieder.
(S. 228)


XX.
So laß uns gehen Hand in Hand,
So laß uns wandern durch das Leben,
Gedenk' der Stunde, die uns band,
Und eins dem andern still ergeben!

Wohl ist die Welt kein Gartenland;
Doch schau' zur Ferne ohne Beben!
Auf steilem Pfad, im Sonnenbrand,
Will ich die treue Hand dir geben.
(S. 229)
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Willst du denn, mein altes Herz, ewig jung verbleiben?

In des Winters langer Zeit
Wähnt' ich es gelungen,
Daß mein Herz nach hartem Streit
Nieder ich gerungen.

Ach, zum Unglück oder Glück,
- Ich entscheid' es nimmer, -
Kehrte noch einmal zurück
Mir des Lenzes Schimmer!

Und in all der Blütenpracht
Schwellendem Getriebe
Fühl' ich wieder deine Macht
Alte Jugendliebe!

Willenlos durch Lust und Schmerz
Laß ich hin mich treiben -
Willst du denn, mein altes Herz,
Ewig jung verbleiben?
(S. 274)
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Was mir dein süßes Herz gewinnt

Es glaubt der Mond, daß immerdar
Im Schimmer liegt die Welt;
Er sah sie ja viel tausend Jahr
Und immer mondgehellt.

Er sah sie, wenn in lauer Luft
Des Grases Wogen weh'n,
Berauscht vom eig'nen Blütenduft
Die hohen Linden steh'n.

Er sah sie, wenn zur Winterzeit
Der Sturm die Flügel schwellt,
Vom Froste glitzernd, weißbeschneit -
Und immer mondgehellt.

So kennst du mich, du holdes Kind,
Bestrahlt von deinem Glanz;
Was mir dein süßes Herz gewinnt,
Ist dein Geschenk nur ganz.

Du wähnst mich frei von Schuld und Bann,
Weil mild mein Gruß dir klingt;
Und siehst mich mit dem Auge an,
Das mir erst Frieden bringt!
(S. 274-275)
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Aus: Richard Leanders [Richard von Volkmann]
Sämtliche Werke
Leipzig 1899
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_von_Volkmann


 

 


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