Johann Heinrich Voß (1751-1826) - Liebesgedichte

Johann Heinrich Voß



Johann Heinrich Voß
(1751-1826)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

 



Der Maiabend

Umweht von Maiduft, unter des Blüthenbaums
Helldunkel sahn wir Abendgewölk verglühn,
Des vollen Monds Aufgang erwartend,
Und Philomelengesäng' im Thalbusch.

Lau war die Dämmrung; traulicher scherzten wir
Mit nachgeahmter Fröhlichkeit. Bald verstummt
In holdem Tiefsinn, saß das Mägdlein,
Stammelte: Wollen wir gehn? und ging nicht.

Die Hand in meiner zitterte. Bleib, o bleib!
Kaum athmend lallt' ich's. Wonne! da fügten wir,
Nach manchem Freundschaftskuß, den Brautkuß,
Nicht Philomela noch Mond bemerkend.
(S. 121)
_____



Die Trennung

Denkt mein Mädchen an mich? Balsamischer duftet vom Regen
Garten und Flur; Lichtglanz träufelt vom grüneren Busch.
Gottes Donnergewölk im farbigen Gurte des Friedens
Rollt ostwärts, und blitzt freundlich zurück in das Thal.
Aber geheftet den Blick auf den Bach, der voller hinabstürzt,
Gleit' ich sanft, wie im Traum, gegen die schäumende Fluth;
Und mein horchendes Ohr hört geistiges Stimmengelispel
Gleich jungfräulichem Laut', unter des Falles Geräusch.
Denkt mein Mädchen an mich? und umweht mit der lieblichen Ahndung
Hier in des Mai's Anhauch etwa ihr Engel mein Herz?
O bei der lauteren Seel' Aufschwung zur erhabensten Tugend,
Wann fast Engelgefühl Aug' ihr und Wange verklärt!
Bild' aus ätherischem Duft, o Genius, bilde das Mägdlein,
Wie sie mit Wehmuth fern ihres Erkorenen denkt!
Irrt sie im buschigen Thale, mit frohen Gespielinnen unfroh,
Senket den Hut, und hört selber die Nachtigall kaum?
Pflückt sie ohn' Absicht Blumen, und hastiger jetzt des Hollunders
Knospende Dold' am Sitz, wo die Beschattung uns barg?
Träumt sie am Quell, den einst in gehöhleter Hand sie mir darbot;
Bis die Vertraute mit sanft warnendem Lispel sie weckt?
Nein, in der dunkelen Laub' einsiedlerisch, trauert das Mägdlein;
Dort, wo sie mir gesellt lächelte, weinet sie jetzt!
Die ihr die wallenden Blätter mit Duft durchathmet und Kühlung,
Weht mir den Rosenzweig, freundliche Weste, zurück.
Hingeneigt auf die Hand, von bräunlichen Locken umflattert,
Lehnt sie die Stirn seitwärts an den gebogenen Ast.
Thränen bethau'n ihr Wangen und Hand; vollherziges Lautes
Nennet sie mich, und schwer zittert der Busen empor.
Hemm, o Selma, den Gram! Um mich zwar fließet die Thräne;
Aber wie duld' ich es, dich, holdeste, weinen zu sehn!
Der im dämmernden Thal der Unsterblichkeit unsere Seelen,
Ewig verbunden zu sein, ähnliches Triebes erschuf,
Dann die umhüllten der Hut gleichherziger Engel vertraute,
Und durch Wundergeschick beide vereinigte Gott:
Dunklere Wege des Heils, nicht Trennungen ordnet der Vater;
Bald, bald wieder vereint, feiern wir ewigen Bund.
Säusele sanft, o West! Leis' athmet sie; und auf die Wimpern
Gießt mein Genius ihr duftigen Schlummer herab.
Hell nun bildet der Traum: dem begrüßenden Bräutigam horcht sie
Athemlos, und umarmt, schmachtendes Lautes, und bebt.
Schau, wie aus schwebender Wolke der Glanz im beregneten Maithal,
Schimmert ein Lächeln ihr hold über das Rosengesicht.
(S. 122-123)
_____



Abschied

Blüht, o Blumen, am warmen Strahl und feiert
Mit wetteifernder Pracht des Maies Ankunft.
Der, von Lerchen umtönt und Nachtigallen,
Lächelnd heut' vom entwölkten Himmel schwebet.
Dennoch blühet ihr kaum so schön und festlich,
Als die seidenen Blumen, die mir Anna
Blau und roth in dem silberweißen Atlas
Aufblühn hieß, und mit ihres blonden Haares
Schön'rer Blume durchflocht. In kühler Dämm'rung,
Aufgeweckt von des Herzens froher Unruh',
Schlich sie leise, die Schwester nicht zu wecken,
Mit erröthender Wang', aus weichem Lager,
Spannt' im Rahmen die helle Seid', umschimmert
Von der purpurnen Früh', und stickte sorgsam
Unter Laub und Vergißmeinnicht und Rosen,
Von der Locke des schönen Haars gezieret,
Ihren Namen: damit ihr Freund, entfernt auch,
Ihres holden Gesprächs und holden Lächelns
Nicht vergäße, noch ihres warmen Kusses.
(S. 129)
_____



Launende Liebe

Das Mädchen
Unerhört scheint's, wenn ich nachsinn', unerhört,
Wie der braunlockige Wildfang mit dem Trotz,
Der hervorbricht aus der Sanftmuth,
Im Gebüsch dort sich vermaß!

Was belohnt dich für das Kränzlein, das so schön
Von dem Feldhut mir zurückstrahlt in dem Born?
Es belohn' ach! war die Antwort,
Mich ein gutwilliger Kuß!

Ja ein gutwilliger! denk doch! Ich entfloh;
Denn empor stieg mir die Schamröth' und der Zorn!
Unerklärbar, wie das Kränzlein
Um den Feldhut ich behielt!

O warum nicht, wenn es sein muß, ihn geraubt!
Zu bestehn ist ja die Schamröth' um den Kuß,
Den nach jungfräulicher Abwehr
Man hinwegreibt mit der Hand!

Der Jüngling
So entfleuch denn, o du Jungfrau, die so freundliche Melodie singt,
Wie mit Arglist die Siren' einst, und, du zaubernde Basiliskin!
Mit dem Anblick so bethört!

Ich umwand dich mit dem Kränzlein: o da lächelte die Gestalt mir
Mit dem Kränzlein im Krystallborn, und ich schauderte vor Entzückung
In dem Tonfall des Gesangs.

Da der Wahnsinn zu dem Brautkuß mich begeisterte, da entflohst du
In das Hainthal. O wie schalkhaft, ob ich folgete, du dich umsahst;
Ich verstand wohl, und ich blieb.

Bei der Gottheit Aphrodita's und der Chariten im Gefolg' ihr!
Wenn die Huld nicht ihn gefügt hat zu gefälligerer Vereinung,
Und die Anmuth ihn geweiht;

Wenn die starrsinnige Jungfrau ihn entheiliget, daß gefühllos
Er den Mund streift: bei der Kypris und den Chariten! mir ein Abscheu
Ist der unkußliche Kuß!

Doch vergiß, Herz, das emporhebt, wie sie lächelte, da das Kränzlein
Um den Feldhut ich herumwand, und mit leiserer Melodie nun
Wie mich ansah aus dem Born!


Aussöhnung

Der Jüngling
Einsam ruhest du, Mädchen, hier
Am mitkundigen Born? Lieblich bezauberte
Dein Gesang; und im Traum' entzückt
Noch dein unter dem Kranz lächelndes Angesicht.

Das Mädchen
Einsam wandelst du, Jüngling, her
Zum mitkundigen Born? Rede, gefiel im Ernst
Mein Gesang? O bekränzt von dir,
Sah ich röther vor Scham glühen die Wang' im Born.

Der Jüngling
Aber wunderlich lohntest du
Mir den Huldigungskranz! Einer Verlobten gleich
Beim argwöhnischen Bräutigam,
Bogst dem Flehenden du spröde den Mund hinweg.

Das Mädchen
Aber wunderlich flehtest du,
Daß ich Mädchen erschrak! Gleich dem gebieterisch
Anbefehlenden Ehemann,
Jüngling, fodertest du, was nur erschmeichelt wird.

Der Jüngling
Wenn mit schmeichelndem Flehn ich nun
Schamhaft foderte; sprich, wärst du gefälliger?
Weh mir! wieder entflammt der Zorn
Deine Wang' und den Blick senkest du abgewandt!

Das Mädchen
Du voll trotziges Ungestüms!
Du, der alles verargt, selber die Blödigkeit
Noch unkundiger Mägdelein!
Nimm, o Trauter, die liebathmende Seel' im Kuß!
(S. 146)
_____



Minnelied

Der Holdseligen
Sonder Wank
Sing' ich fröhlichen
Minnesang:
Denn die Reine,
Die ich meine,
Winkt mir lieblichen Habedank.

Ach! bin inniglich
Minnewund!
Gar zu minniglich
Dankt ihr Mund;
Lacht so grußlich,
Und so kußlich,
Daß mir's bebt in des Herzens Grund!

Gleich der sonnigen
Veilchenau',
Glänzt der wonnigen
Augen Blau;
Frisch und ründchen
Ist ihr Mündchen,
Wie die knospende Ros' im Thau.

 Ihrer Wängelein
Lichtes Roth
Hat kein Engelein,
So mir Gott!
Eia, säß' ich
Unablässig
Bei der Preislichen bis zum Tod!
(S. 153)
_____



Minnelied im Mai

Ei! seht mir, ei!
Wie hold der Mai
Die Luft aus Wolken kläret;
Daß Wald und Au'
Mit bunter Schau
Und Vogelsang sich hehret!

Verklärung schafft
Des Maien Kraft
Auch meiner Kunigunde;
Daß rother Schein
Den Wängelein
Erblüht, und ach! dem Munde.

Aus Kränzen rollt
Der Locken Gold,
Und bläuer glänzt das Äuglein.
Und tönt ihr Schall;
O Nachtigall,
Biß still im grünen Zweiglein.

Ahi! ahi!
Nun lächelt sie
So minniglich, die Hehre
Gar sanft mir's thut;
Bin baßgemuth,
Denn ob ich Kaiser wäre!

Solch Ehrenkleid
Von Lieblichkeit
Ward wenig Fraun gegeben!
Wem nicht behagt
Die reine Magd,
Muß gar von Sinnen leben.
(S. 154)
_____



An ein Mädchen
Bei Überreichung einiger Gedichte

Von der Unschuld Röthe glühend
Herrscht die Ros' im Blumenbeet,
Blöd' auf schwanken Sproß entfliehend,
Wenn zu frech ein Zephyr weht.

Aber wenn verschämt ein laues
Morgenlüftchen näher schwebt,
Hold im Perlenschmuck des Thaues,
Nimmt sie seinen Kuß, und bebt.

Nimm, du Rosenmädchen, bitt' ich,
Deines Sängers Weihgeschenk:
Sanft ist jeder Laut und sittig,
Und der Unschuld eingedenk.
(S. 154)
_____



Die Schlummernde

Eingewiegt von Nachtigallentönen,
Schlummert sie, die Königin der Schönen:
Frischer grünt der Thron der Königin,
Weste wehn ihr Maiendüfte hin.

Lächle sanft, mit hohen Engelmienen
Ist die That des Tages dir erschienen;
Strecke froh die schönen Händ' empor,
Denn dir schwebt des Himmels Palme vor.

Oder hebt ein zärtliches Verlangen
Dir die Händ', und röthet deine Wangen?
Und bin ich's, dem dieses Lächeln winkt?
Der entzückt an deinen Busen sinkt?

O dann schweigt, ihr Nachtigallenchöre,
Daß kein Laut den holden Traum zerstöre.
Oder singt im Tone, dem besiegt
Näher stets das blöde Weibchen fliegt.
(S. 155)
_____



Selma

Sie liebt, mich liebt die Auserwählte!
Ein Engel kam von ihr
Im Abendlispel, und erzählte
Die leisen Seufzer mir.
Für mich, o Selma, bebt im Stillen
Dein Herz voll süßer Qual,
Und schöne Sehnsuchtsthränen hüllen
Der blauen Augen Strahl.

Leih' mir, o Blitz, die Flammenflügel!
Leih', Sturm, die Schwingen mir!
Hin über Strom und Thal und Hügel
Flieg' ich entzückt zu ihr!
Und heulte Tod aus tausend Flüssen,
Von tausend Felsen Tod;
Ich will, ich will die Thränen küssen,
Und fliege durch den Tod!
(S. 156)
_____



Der Bräutigam

Eil', o Mai, mit hellem Brautgesange!
Eil', und röthe meines Mädchens Wange,
Und die Rose für den Hochzeitkranz!
Alles taumelt; mir versiegt der Oden;
Unter meinem Fuße brennt der Boden!
Eil'! ich überfliege deinen Glanz!

Unsre Seelen schuf in Edens Thale
Gott aus Einem morgenrothen Strahle,
Ähnlich sich, wie Wechselmelodie'n;
Wie zwei Küsse, nach einander strebend,
Die auf heißen Lippen, wonnebebend,
Zucken, und zu Einem Kusse glühn!
(S. 159)
_____



Die Laube

Mit des Jubels Donnerschlägen
Gab die Wolke Gottes Segen,
Und der Fluren Opferduft
Wallet lieblich durch die Luft.

Und die Wolke steht umzogen
Von des Friedens hellem Bogen,
Unter dem der Blitz noch spielt,
Der des Tages Gluth gekühlt.

Und die Sonn' am blauen Himmel,
Rings umschwebt von Glanzgewimmel;
Und das grüne Weizenthal,
Überströmt vom milden Strahl.

Und auf lichtem Beete funkeln
Mohne, Rosen und Ranunkeln;
Bienen, schwer von Honigseim,
Sumsen goldgeflügelt heim.

Alle freun sich, alle loben,
Wachteln unten, Lerchen oben;
Und die Heerd' am Bache springt,
Und der rasche Bauer singt.

Und da wandelt Ernestine
Forschend durch des Gartens Grüne,
Achtet nichts, erblickt mich hier
In der Laub', und fliegt zu mir.
(S. 160)
_____



Frühlingsliebe

Die Lerche sang, die Sonne schien,
Es färbte sich die Wiese grün,
Und braun geschwollne Keime
Verschönten Büsch' und Bäume!
Da pflückt' ich am bedornten See
Zum Strauß ihr, unter spätem Schnee,
Blau, roth und weißen Güldenklee.
Das Mägdlein nahm des Busens Zier,
Und nickte freundlich Dank dafür.

Nur einzeln grünten noch im Hain
Die Buchen und die jungen Mai'n;
Und Kresse wankt' in hellen
Umblümten Wiesenquellen:
Auf kühlem Moose, weich und prall,
Am Buchsbaum, horchten wir dem Schall
Des Quelles und der Nachtigall.
Sie pflückte Moos, wo wir geruht,
Und kränzte sich den Schäferhut.

Wir gingen athmend, Arm in Arm,
Am Frühlingsabend, still und warm,
Im Schatten grüner Schlehen
Uns Veilchen zu erspähen:
Roth schien der Himmel und das Meer;
Auf einmal strahlte, groß und hehr,
Der liebe volle Mond daher.
Das Mädchen stand und ging und stand,
Und drückte sprachlos mir die Hand.

Rothwangig, leichtgekleidet saß
Sie neben mir auf Klee und Gras,
Wo ringsum helle Blüthen
Der Apfelbäume glühten;
Ich schwieg; das Zittern meiner Hand,
Und mein bethränter Blick gestand
Dem Mägdlein, was mein Herz empfand.
Sie schwieg, und aller Wonn' Erguß
Durchströmt' uns beid' im ersten Kuß.
(S. 163-164)
_____



Der Kuss

Du Kleine, willst du gehen?
Du bist ein Kind!
Wie wolltest du verstehen,
Was Küsse sind?
Du warst vor wenig Wochen
Ein Knöspchen bloß;
Nun thut, kaum ausgebrochen,
Das Röslein groß!

Weil deine Wange röther
Als Äpfel blüht,
Der Augen Blau wie Äther
Im Frühling glüht;
Weil deinen Schleier hebet,
Ich weiß nicht was,
Das auf und nieder bebet:
Das meinst du, das?

Weil kraus wie Rebenringel
Dein Haupthaar wallt,
Und hell wie eine Klingel
Dein Stimmchen schallt;
Weil leicht, und wie gewehet,
Ohn' Unterlaß
Dein schlanker Wuchs sich drehet:
Das meinst du, das?

Ich sahe voll Gedanken
Durch junges Grün
In blauer Luft die blanken
Gewölkchen ziehn;
Da warfst du mich, du Bübin,
Mit feuchtem Strauß,
Und flohst wie eine Diebin,
In's Gartenhaus.

Nun sitz' und schrei' im Winkel,
Und ungeküßt,
Bis du den Mädchendünkel
Rein abgebüßt!
Ach gar zu rührend bittet
Dein Lächeln mich!
So komm, doch fein gesittet,
Und sträube dich.
(S. 164)
_____



Die Spinnerin

Ich saß und spann vor meiner Thür;
Da kam ein junger Mann gegangen.
Sei braunes Auge lachte mir,
Und röther glühten seine Wangen.
Ich sah vom Rocken auf, und sann,
Und saß verschämt, und spann und spann.

Gar freundlich bot er guten Tag,
Und trat mit holder Scheu mir näher.
Mir ward so angst; der Faden brach;
Das Herz im Busen schlug mir höher.
Betroffen knüpft' ich wieder an,
Und saß verschämt, und spann und spann.

Liebkosend drückt' er mir die Hand,
Und schwur, daß keine Hand ihr gleiche,
Die schönste nicht im ganzen Land,
An Schwanenweiß' und Ründ' und Weiche.
Wie sehr dies Lob mein Herz gewann;
Ich saß verschämt, und spann und spann.

Auf meinen Stuhl lehnt' er den Arm,
Und rühmte sehr das feine Fädchen.
Sein naher Mund, so roth und warm,
Wie zärtlich haucht' er: Süßes Mädchen!
Wie blickte mich sein Auge an!
Ich saß verschämt, und spann und spann.

Indeß an meiner Wange her
Sein schönes Angesicht sich bückte,
Begegnet' ihm von Ohngefähr
Mein Haupt, das sanft im Spinnen nickte;
Da küßte mich der schöne Mann.
Ich saß verschämt, und spann und spann.

Mit großem Ernst verwies ich's ihm;
Doch ward er kühner stets und freier,
Umarmte mich mit Ungestüm,
Und küßte mich so roth wie Feuer.
O sagt mir, Schwestern, sagt mir an:
War's möglich, daß ich weiter spann?
(S. 178)
_____



Gott, die Liebe

Gott ist die Lieb'! Ihr Himmel, hallet:
Die Lieb' ist Gott! im Sternenchor!
Aus unsers Herzens Tiefen wallet
Gesang: Die Lieb' ist Gott! empor.
Er warf wie Staub der Sonnen Sonnen;
Und Welten kreis'ten rings in Wonnen:
In matter Erdenfreude kreis't,
In Wonne bald, des Menschen Geist.

Gott ist die Lieb', auch wann Gewittern
Der Städt' und Wälder Flamme saus't!
Wann aufgewühlt die Berge zittern,
Und hoch in's Land die Woge braus't.
Gott ist die Liebe, wann umnachtet
Auch Krieg und Pest die Völker schlachtet;
Wann auch der grause Geistestod
Der Völker Licht zu löschen droht.

Gott ist die Liebe! Bald erstehet
Der edle Geist in junger Kraft.
Der Morgenröthe Fittig wehet,
Und heiter strahlt die Wissenschaft.
Bald höher steigt und höher immer
Die Menschlichkeit, der Gottheit Schimmer;
Von Menschenlieb' und Menschenlust,
Der Wonnen Vorschmack, bebt die Brust.

Ob auch der Geist sich endlos hübe;
Vor dir ist, Gott, sein Wissen Dunst!
Die reinste Gluth der Menschenliebe
Ist nur ein Fünklein deiner Brunst!
Einst hebst du uns vom Lebenstraume
Zu deines Urlichts fernstem Saume!
Wir nahn mit Zittern deinem Licht,
Und hüllen unser Angesicht!
(S. 198-199)
_____



Die Braut am Gestade

Schwarz wie Nacht, brausest du auf, Meer!
Wie wogt, wie krümmt sich und schäumt Brandung!
Wer? o Gott! fliegt in dem Sturm? wer?
Und fleht, die Hände gestreckt, Landung?
Ein weites Grab
Wogt furchtbar, zum Tod winkend!
Auf rollt's und ab,
Nun strudelt das Schiff sinkend!

Ach ihr schweigt, Stimmen der Angst! schweigt!
Des Sturmwinds Todtengesäng' hallen!
Ach des Kiels Scheitergeripp steigt,
Und Männer, ringend mit Tod, wallen!
Mein Trauter, du?
Todt wallest du, todt? Jammer!
Gib, Meer, uns Ruh'!
Sei beiden uns Brautkammer! -

Also die Braut; und hoch vom Geklipp sprang
Sie hinab, wo die Fluth wild sich empor steilet.
Wehe, sie sank, hebt wieder das Haupt, sank!
Und des grausen Orkans Todtengeheul heulet!
Wer ist, der die Wogen hindurch strebt,
Wie mit göttlicher Kraft? O er lebt, lebt!
Schon trägt er, mit göttlicher Kraft
Sie dem brausenden Strudel entrafft;
Und gespornt vom zürnenden Fuß, zerschellen
Die Brandungen dort, hier sanftere Wellen.
Ihm ruht an dem Herzen die Braut, wird warm,
Und erwacht, o Wonn! in des Lieblings Arm!
(S. 212)
_____



Das Röselein

Am Bache blüht' ein Röselein,
Noch halb im grünen Schleier.
Da lauscht' ein West im nahen Hain,
Erregt von zartem Feuer.
Zu küssen kam er ungestüm;
Doch Blum' und Zweig entbebten ihm:
Dem Röselein war bange.

Der West erkannte bald die Schuld,
Und kam in sanftem Wallen.
Das Blümlein, ängstlich, doch voll Huld,
Ließ sich den Kuß gefallen.
Du duftest, rief er, gar zu schön!
Ein Düftchen nur laß mich verwehn!
Nun dufte fort, und prange!

O holdes Mägdlein, meine Lust,
Das kaum der Knosp' entstrebet,
Und noch, der Schönheit unbewußt,
Vor jedem Lüftchen bebet:
Wenn dir ein Sänger minniglich
Zu küssen naht, dann sträube dich;
Doch Mägdlein, nicht zu lange!
(S. 240)
_____


Aus: Sämmtliche poetische Werke
von Johann Heinrich Voss
Herausgegeben von Abraham Voss
Einzig rechtmäßige Original-Ausgabe in einem Bande
Leipzig 1835 Immanuel Müller
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Heinrich_Voß



 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite