Wilhelm Wackernagel (1806-1869) - Liebesgedichte

Wilhelm Wackernagel



Wilhelm Wackernagel
(1806-1869)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Rebecca und Benjamin

Ueber die breite Haide
Gieng ein schön Mägdelein.
Eine Feder sah sie wehen.
"Es wartet der Liebste mein."

Sie kam zur grünen Linde,
Zum kühlen Brünnlein hin.
"Gott grüße dich, Rebecca!"
"Gott grüß dich, Benjamin!"

Er lag in ihren Armen,
Er schlief mit Küssen ein.
Da blühten rothe Rosen,
Es sang ein Vögelein.
_

"So weh mir weh mir armen!
Wach auf geliebtes Herz!
Ich sehe drey Reiter kommen,
Gewappnet in Stahl und Erz."

Küss und ihre Thränen,
Sie weckten ihn nicht auf.
Klagend rann die Quelle
Dahin in leisem Lauf.

"So weh mir weh mir armen!
Wach auf Geliebter mein!
Es kommen auf schnellen Rossen
Die schlimmen Brüder mein."

Sie mocht ihn nicht erwecken,
Er lag in schwerem Traum.
Traurig fielen Läuber
Vom grünen Lindenbaum.

"So weh mir weh mir armen!
Wach auf Geliebter mein!
Ob dir stehn mit Schwertern
Die schlimmen Brüder mein."
_

Es liegen zwey blutige Leichen,
Sie schlafen den letzten Traum;
Sie deckt mit dunkeln Schatten
Der grüne Lindenbaum.

Es liegen zwey blutige Leichen
Am kühlen Brünnlein im Thal;
Da blühen rothe Rosen,
Es singt die Nachtigall.
(S. 5-6)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Reisebild

Wie lustig die Bäume rauschen im Wind,
Fink und Drossel singen,
Fasanen schwirren hoch empor
Auf goldrothen Schwingen.

In diesem grünen Waldrevier,
Da blieb' ich wie gerne!
Aber weit weit muß ich noch
In unliebe Ferne.

Bald bei des Jägers Töchterlein
Sitz ich im Häusel drinnen,
Dann knüpf ich mit ihr am Wiesenfleck
Die schneeweißen Linnen.

Ei aller Herzen Jägerinn,
Du hast mir wohl gefallen;
Ei du schönes züchtiges Kind,
Dein denk ich vor allen.
(S. 7)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Frühlingsständchen

Auf auf! der Lenz ist wieder da der holde!
Er fleugt auf Winden schon von Wald zu Walde
Und hüpft in Luft von Dolde schon zu Dolde.

Er schaukelt hin und her auf grünen Zweigen,
Daß rundum stiebt der Blüten weißer Regen,
Mitjubelnd Blumen sich zu Blumen neigen.

Nun will auch ohne Halt mit Liedern schallen
Der Vögel Schaar, die Luft schlägt bunte Wellen,
Das Laub erbebt dem Lied der Nachtigallen.

Auch mir ist nun von Tönen all umrungen
Mein Herz, daß es vor Lust noch will zerspringen:
Zu dir hat sich mein erstes Lied erschwungen.

Der Lenz hat mit dem Schlagen seiner Flügel
Die alte Scheu verjagt, gesprengt die Riegel;
Die neue Lust bricht meiner Zunge Zügel.

Flehend heb ich zu dir gefaltne Hände:
Schilt nicht, wie manche Blume wieg im Winde,
Daß ich mein Auge nach der schönsten wende.

Schilt Holde nicht: zagend erstummt mein Klimpern,
Schlagenden Nachtigallen weicht mein Stümpern.
Schilt Holde nicht und schleuß zum Schlaf die Wimpern.
(S. 8)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Mägdleins Leid

So singet und springet,
Ihr kleinen Waldvöglein:
Ihr habt eur Lieb gefunden,
Ihr mögt wol fröhlich seyn.

Einsam in seiner Kammer
Halt ich stille Wacht.
Der Lenz ist gekommen,
Mir hat er nichts gebracht.

Laß blühen und verblühen
Den rothen Rosenhag!
Was sollen mir alle Blumen,
Die ich nicht brechen mag?

Froh wär ich so gerne,
Ich weine nach der Lust,
Mir möchte zerspringen
Das Herz in der Brust.

Erschlagen ist mein Herze
In eiserne Bande drey:
Hätt ich ein Lieb gefunden,
Sie brächen all entzwey.
(S. 9)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Herzen Brunne
Ritornell

Im Walde quillt ein Wasser tief und dunkel;
Die Sonne steigt: da greift nach ihrem blanken
Bild und verlierts und harrt aufs neu der Brunne.

Um meines Herzens alte Thränenquellen
Webt sich nun rings von Blumen bunte Hülle,
Das kalte Dunkel deckt ein froher Lenze.

Von einem Blick, der sich zu mir gewendet,
Ward mir nach Nächten neuer Tag verkündet,
Und ewig steht sein Schein in meinem Herzen.
(S. 13)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Ständchen mit Frost

Du Gute mit dem rosenrothen Munde,
In dunkler Nacht steh ich bei kaltem Winde
Und harre dein schon eine lange Stunde.

In dunkler Nacht steh ich bei kaltem Winde.
Kein Fenster klirrt und gibt mir frohe Kunde,
Kein Blumenstrauß von meinem süßen Kinde.

Du thust nach Weiberart, mein liebes Mädchen:
Hast langes Haar, dabei ein kurzes Müthchen.
Der Wind geht scharf: Kind, öffne mir dein Lädchen.

Und läßt dus, hast du mich damit verloren:
Soll ich die lange Nacht hier draußen frieren,
Leicht kommts, daß mir auch ist die Lieb erfroren.
(S. 17)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Vier Liebhaber

Lebe wohl du alte Liebe!
Jetzt beginnt ein neues Leben,
Und mit sehr vernünft'gem Streben
Fühl ich andre Herzenstriebe.
Tieck

Der Resignierende
Was geschehen ist, ist geschehen;
Wie es ist, so muß ichs nehmen.
Gern wohl würd ichs anders sehen;
Doch so muß ich mich bequemen,
Wie sich noch mein Glück wird drehen;
Schöner zwar, wenns stehen bliebe,
Wie es einmal angefangen.
Doch, das mich zurücke triebe,
So groß fühl ich kein Verlangen:
Lebe wohl du alte Liebe!


Der Bekehrte
Geh ich jetzt nun durch das Städtchen,
Schauend durch die Fensterscheiben,
Wie die schmucken netten Mädchen
Schäkernd von der Spindel treiben
Blonden Flachs in zarten Fädchen, -
Jeder hätt ich sonst gegeben,
Der ein Bändchen, der ein Sträußchen,
Kuß und liebes Wort daneben:
Doch ich weiß, im letzten Häuschen -
Jetzt beginnt ein neues Leben.


Der Behagliche
Als ich gestern sie gefraget,
Ob sie mich zur Ehe wollte,
Hat sie freundlich Ja gesaget.
Alles kam, wies kommen sollte,
Alles steht, wies mir behaget:
Ja ich spring ins schönste Leben
Recht hinein mit beiden Füßen;
Will mir drum auch Mühe geben
Ihr das Daseyn zu versüßen,
Und mit sehr vernünft'gem Streben.


Der Vielliebe
Wandl ich Abends durch die Gassen
Bei den Brunnen, bei den Linden,
Will sichs just nie anders passen:
All die schönsten muß ich finden,
Jede will sich finden lassen;
Keine, der ich schuldig bliebe,
Alle liebreich hintergangen:
Nur im Wechsel freut mich Liebe,
Und bei andern rothen Wangen
Fühl ich andre Herzenstriebe.
(S. 20-21)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Veylchens Bitte

Nun in Gärten gen dem Lenzen
Blumen glänzen,
Will das Herz mir springen.

Geht mein Lieb mit leisen Tritten,
Geht inmitten
Liljen, reinste Lilje -

Bricht mit linden weißen Händen
Aller Enden
Hohe stolze Blumen.

Grüßend rauschen Tulipanen,
Bunte Fahnen
Schwingen Hyacinthen.

Dreister auch die Veylchen blickend,
Bieten nickend
Sich ihr dar zu Händen.

"Hell vor aller Blumen Scheine,
Süße, Reine,
Schaue, schaue nieder!"
(S. 22)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Ixion

Bei Rom und bei Jerusalem,
Beim alten und beim neuen Bund,
Wenn ich so alt auch würde wie Methusalem,
Doch liebt ich dich nur alle Stund.

Wär ich wie Alexander reich
Und nennt ich all den Erdring mein,
Doch würd ich stäts wie Tschionatulander reich
Durch deine Lieb alleine seyn.

Ach säng auch wie Arion ich,
Was hülfe Kunst, was hülfe Sinn?
Was frommts, daß wie ans ew'ge Rad Ixion ich
In deine Näh gezaubert bin?
(S. 27)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Irrstern

Nachtigall, Nachtigall,
Gib mir deine Flügel
Und deinen süßen Schall:
So schwing ich mein Gefieder
Und schwebe mit dem schönsten Ton
Zu ihren Füßen nieder.

Röselein, Röselein,
Gib mir deine Düfte
Und deinen rothen Schein,
Daß ich im stillen Garten
Nach meiner Herzgeliebten kann
Mit Augen schaun und warten.

Herzelieb, Herzelieb,
Gib mir Licht mit Blicken,
Ach Lieb und Leben gib!
Wie irr ein Himmelssterne
Ring ich nach deiner Augen Schein
Und bleib ihm ewig ferne.
(S. 28)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Die Fischerin

Und hörest dus nicht rauschen
Im Wasser, holdes Kind?
Ein Herze fährt so traurig
Durch Wogen und durch Wind.

Und hörest dus nicht klingen
Im Schilf, im grünen Ried?
Da hab ich dir gesungen
Ein sehnend Abendlied.

"Dein Liedlein und dein Herzlein
Behalte fein für dich!
Fängt sich heut nichts im Netze,
So denk dabei an mich."
(S. 29)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Abailard und Heloise

Abailard und Heloise
Saßen in dem grünen Gärtchen.
Flüsternd Abendwinde spielten
Mit des Buchs verschlagnen Blättern.

Beide hatten längst vergessen,
Was zu lesen, was zu schreiben,
Streiften bebend sich an Händen,
Mahlten in den Sand mit Reisern.

Sagt, was kümmert wol die beiden?
Also bleich sind ihre Wangen.
Welches Glück will ihnen scheinen?
Also glänzt ihr Auge lachend.

"Herrinn mein, und wär ich Paris,
Sollt ich theilen, nie erhielte
Venus jenen goldnen Apfel:
Eurer Hand würd ich ihn bieten."

"Abailard, so holdem Diener
Lohnen würd ich nicht wie Venus,
Würd euch geben als Gebieter
Selbst mein Herze, selbst mein Leben." -

Was nun weiter noch geschehen,
Weiß ich nicht, noch sagts mein Liedchen:
Nur ein Vöglein war zugegen,
Das sie hörte, treu verschwiegen.
(S. 30)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Neue Adelszier

Durch wilden Wald geheimen Weg
Tret ich mit irren Füßen.
Mein Herze fährt in Freuden hoch,
Denkend der viel reinen süßen.

Zerhaun und schartig ist mein Schwert,
Mein Haar in Staub ergrauet:
Wie kam euch solch ein Thorenwahn,
Augen, daß ihr nach ihr schauet?

Gebrochen ist des Adels Zier
Von meinem Helm und Schilde:
Nun hüt ich herzentief und fest
Mir als Zeichen die viel milde!
(S. 31)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Liebesstern

Springe spring mein flinkes Roß,
Spring über Hecken und Graben!
Wo durch die Linden ein Sternlein blinkt,
Wol hin mit lustigem Traben!
Ei du funkelnder Liebesstern!

Klinge kling mein rundes Horn,
Kling über Anger und Haide!
Zwey Augen schaun in den Wald hinein,
Die geben Liebe nach Leide.
Ei du funkelnder Liebesstern!

Singe sing Frau Nachtigall,
Sing durch die rauschenden Aeste:
"Thu auf den Riegel, thu auf die Thür,
Thu auf du Liebste, du Beste!"
Ei du funkelnder Liebesstern!
(S. 32)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Tristan und Isolde
Bruchstücke

Das Goldhaar
Zu Tintajol unter Krone gieng
Marke der viel reiche.
"Wo find ich ein also edel Weib,
Das mir sey geleiche?"

"Wir wissen nirgend Königs Kind"
Sprachen die Vasallen;
"Der gezieme zum Schwäher euch,
Kein König ist von allen."

Herr Tristan in einem Fenster stund,
Schauend an Meeres Wogen.
Da kam über die blaue Flut
Eine Schwalbe geflogen.

Aus dem Schnabel ihr entglitt
Ein Haar in Goldes Schimmer.
"Herrinn sey, die trägt dies Haar,
Kein andere nimmer!

Diesen Goldsonnenschein
Zier unsers Landes Krone!
Wohl ihm, dem ein so holder Leib
Lohnt mit Minnelohne!

Laßt mich suchen die schöne Magd
Zu Wasser, zu Lande:
So kehrt euch Lieb und hohe Lust
Heim mit Tristande."

Bereitet ward ein Reiseschiff
Von Tristan mit Sinnen.
Suchen des Landes Königinn
Fuhr er fröhlich hinnen.


Die Brautwerbung
Isolde dachte des Spielemanns
In Herzen und in Sinne,
Von Gedanken bleich und roth
Saß die Königinne.

"Seine Farbe, wie ist sie licht!
Sein Antlitz, wie schöne!
Wie süß sein rother Mund erklingt,
Hebt er die Meistertöne!

Er richtete wohl ein Königreich
Mit gewaltiger Hande:
Nun muß er fahren irren Weg
Von Lande zu Lande.

Wie wohl ziemt ihm dies gute Schwert,
Der Helm roth von Golde!
Ach Tantris, armer Spielemann!
Ach Königskind Isolde!"

Sie prüfte mit kindlichem Spiel
Die Waffen allzumahle,
Sie wägte mit schneeweißer Hand
Das Schwert von lichtem Stahle.

"Weh! wie ward dem scharfen Schwert
Die schartige Lücke!
Weh! wie füget sich ihr wohl
Das mordliche Stücke!

Weh! so ward von diesem Stahl
Mein Oheim erschlagen!
Nach Freud ein also großes Leid
Muß ich immer klagen."

Zornig zückte sie das Schwert,
Sie schwang es in Handen,
Sie gieng, da sie im Bade fand
Tantris-Tristanden.

"So weh dir, Tristan, daß du bist!"
Rufte Isolde
"Nun geb an dir dein eigen Schwert
Rache Morolde!"

"Und hätte Morolt Rach an mir
Durch Frauenhand erworben,
Die Sonne, die von Irland geht,
Wie wär ihr Glanz erstorben!

Hätte rächend ein Frauenzorn
Mordend den Gast verderbet,
Die Lilie, die in Irland blüht,
Wie wär ihr Schein entfärbet!"

Zaudernd senkte sie das Schwert,
Tristan bat mit Sinnen;
Isolden Zucht der Zorn entwich:
Das Schwert warf sie hinnen.

"Schön Isolde, wär ich nun
Von eurer Hand erstorben,
Uebel wäre meinem Herrn
Botschaft geworden.

Frau, eurer süßen Minne gehrt
Ein Ritter viel kühne:
Frau, nehmt ihr für Moroldes Tod
Die Botschaft zur Sühne?

Frau, zu Füßen neigt sich euch
Eine Königskrone:
Frau, bietet ihr noch das Schwert
Der Botschaft zum Lohne?

Frau, nehmet zur Sühnung ihr
König Markes Minne,
Grüßt Cornwallis das reiche Land
Die Schönst als Königinne.

Euch sucht ich von Land zu Land
Auf schwebendem Kiele:
Euch dien ich nun und immerdar
Mit Schwert und Saitenspiele."


Minnezauber
Schnell trugen die Kiele hin
Die Magd und ihr Gesinde,
Den zarten Frauen thaten weh
Wasser und die Winde.

Sie waren gefahren auf öder Flut
Manche Wassermeile.
Tristan gab der Königinn
Mit Rede Kurzweile.

"Mägdlein, gebt mir eures Weins:
Mich beginnet dürsten."
Einen Becher von lauterm Glas
Brachten sie dem Fürsten.

Er bot ihn vor mit Züchten dar
Zu Isolden Hande.
Sie trank und gab ihn aber hin
Herren Tristande.

Was sehnet Herz zu Herzen sich
Den beiden all zur Stunde?
Aug in Auge was schauen sie?
Was seufzet Mund nach Munde?

Sie saßen nach der Röthe bleich
In liebem Verlangen,
Suchend und fliehend den Wechselblick
Mit freudigem Bangen.

Nun war auch Brangäne die Magd
Aber dar gekehret,
Da sie die beiden Zagenden fand,
Den Becher geleeret.

"Isolden Mutter Zauberkunst,
Die trägt welch Gewinnen!
Ach König Marke, wie gehrt dein Weib
Nach deines Neffen Minnen!

Isolden Mutter, wie galt ich dir
Huld mit übeler Treue!
Ach König Marke, nach träger Hut
Bring ich dir Leid und Reue!"

Sie nahm das Glas mit bebender Hand,
Sie trat zu Schiffes Rande.
"Schaffen solltest du Lieb und Lust,
Nun schufst du Schaden und Schande."

Klagend warf sies in die See.
"O weh mir und o Leide!
Sie haben der Minne lebenden Tod
Nun getrunken beide."


Tristans und Isolden Tod

1.
"Trinket, müder fremder Mann"
Sprach zu ihm Frau Isolde.
Da warf er in den kühlen Wein
Einen Ring von Golde.

Frau Isolde den Becher hub
Zu ihrem rothen Munde.
"Ach Himmel! meines Freundes Ring!
Wes sendet er mir Kunde?"

Heimlich trat die Königinn
Zu Herren Ganhardinen,
Lachend aus Augen freudenvoll,
Ihre Wangen schienen.

"Frau, viel böse Botschaft ists,
Die ich komme werben.
Herr Tristan liegt zu Karke siech,
Wundensiech zum Sterben."

Frau Isolde bitterlich
Weinte aus Innbrünsten.
"Ihr möget heilen euren Freund
Mit euren Meisterkünsten.

Tretet nieder in den Port,
Sitzt in meine Barke:
Von Norden wehet ein frischer Wind,
Der führet uns nach Karke.

Ihr tragt sein Leben in eurer Hand,
In eurer Augen Scheine.
Heil der Giftwunde hofft
Er von euch alleine."

Heimlich trat sie in das Schiff
Mit heilvollen Salben.
"Hüte Gott das wilde Meer
Meines Freundes halben!"

Er führte das Schiff von Tintajol
Mit Kunst und mit Fleiße.
Freudig zog er in die Luft
Schöne Segel weiße.

"Die weißen Segel künden ihm,
Ihr folget mir dannen;
Anders schwarze voller Leid
Säh er aufgespannen."

"Friste Gott zu meiner Kunst
Tristan den viel guten!"
Segelwind trugen sie
Durch die ruhigen Fluten.


2.
"Schön Isolde, mein Gemahl,"
Sprach Tristan mit Minnen
"Schauen auf das weite Meer
Tritt an die Zinnen.

Erblickst du nirgend ein Segel weiß?
Vernimmst du nirgend Ruder,
Ob von Cornwallis die Königinn
Bringe dein Bruder?"

"Nicht Segel seh ich schwarz noch weiß,
Noch hör ich Ruder klingen.
Aus stiller Welle die Fische nur
Nach Sonnenstralen springen."

"So führt mich hinnen der grimme Tod
Bei wenigen Stunden."
Er rang mit seines Siechthums Qual,
Ihn brannten die giftigen Wunden.

"Tritt an die Zinnen, mein Gemahl,
Isolde viel holde,
Ob unter weißem Segel naht
Von Cornwallis Isolde."

"Nicht Segel seh ich schwarz noch weiß,
Noch hör ich Ruder klingen.
Oede Wellen rühren nur
Die Seeschwalben mit Schwingen."

"So seh ich dich viel süßes Weib
Mit Augen nimmer wieder."
Ans Herz griff ihm der grimme Tod,
Es zuckten seine Glieder.

"Schön Isolde, mein Gemahl,
Tritt aber zu schauen,
Ob bringe dein Bruder Ganhardin
Heil und meine Frauen."

Weißhand Isolde sah an die See
Mit bitterlichem Weinen.
"Schnell wie ein Pfeil von der Senne fliegt,
Seh ich ein Schiff erscheinen."

"So nahet dem Siechthum liebes Heil,
Der meinen Leib verderbet.
Sag an das Segel, mein Gemahl,
Wie es sey gefärbet."

"Am Maste wehet ein Segel schwarz!
Sprach die Unholde.
"Uebel gilt dir deine Treu
Die blonde Isolde."

Da riß seinen jungen Leib
Das Gift im letzten Schmerze,
Die Wang erblich, das Auge brach,
Es zersprang sein Herze.

"So weh mir, weh mir weh!"
Sprach sie all mit Schrecken
"Schneeweiß ein Segel freudig weht!"
Sie mocht ihn nicht erwecken.


3.
Das Schifflein ans Gestade stieß.
"Der Glocken stilles Läuten,
Zum Münster hin der Leute Drang,
Was soll das bedeuten?"

"Herr Tristan an der Bahre liegt,
Man singt ihm die Vigilien.
Weißhand Isolde hält da Hut,
Die sie brach, der Lilien."

Die blond Isolde zum Münster wankt,
Ihr Auge nimmer weinet,
Nimmer klagt ihr bleicher Mund,
Ihr Herze war versteinet.

Die blond Isold ins Münster trat.
Da weint über der Bahre
Mit windenden Händen sein Gemahl,
Mit gerauftem Haare.

"Weich hinnen!" rufte Ganhardin
"Du hast ihn getödtet!"
Voll Scham und Scheu sie dannen schlich,
Von Thränen geröthet.

Mit brechenden Augen neigte sich
Die holde Königinne.
Herz an Herze, Mund an Mund,
Starb sie in Tristans Minne.


4.
Ein Schiff stieß an zu Tintajol,
Das floß daher von Karke;
Darinne saß mit sinkendem Haupt
Der reiche König Marke.

Heim brachten mit Herzeleid
Der König und seine Holden
Todt sein Weib und den Neffen sein,
Todt Tristan und Isolden.

"So weh euch, Vater und Mutter, weh,
Die ihr mich geboren!
Nun hat die Kron auf meinem Haupt
All ihren Glanz verloren.

Lieb Weib und lieber Neffe mein,
Weh, daß ihr gestorben!
Liebestreue bis in den Tod
Wie bist du nun verdorben!

Rede, die trug den Zauberwein,
Wie schufest du Leide!
Rosenblumen ohne Falsch,
Wie blichet ihr beide!"

Zween Särge wurden da gewürkt
Von weißem Marmelsteine,
Darin der reine Tristan lag
Und Isolde die reine.

Marke leitete sie zur Gruft
Mit Würden und mit Ehren;
Beide er neben einander schuf
Mit Klagen und mit Zähren.

Er suchte der beiden Lieben Grab
Den Abend, den Morgen;
Er lebte ihm viel leiden Tag
Mit Klagen, mit Sorgen.

Aus Tristans Grabe sprossen empor
Rosenblumen die holden;
Brennend in Liebe schauen sie
Sehnend nach Isolden.

Da huben sich zu Isolden Haupt
Grüne Weinreben,
Die voll Treue den Rosenbaum
Umranken und umweben.
(S. 33-45)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Goldringelein

Schwimm hin, schwimm her Goldringelein
Tief unten im kühlen Bach,
Schwimm hin ins weite wilde Meer,
Fahr ihrer Treue nach.

Bei einer grünen Linde
Sah ich sie zum letzten Mahl.
Sie hat ihren Ring verloren,
Verloren die Treu zumahl.

Nun welkt der Linde grünes Laub,
Da sterben Blumen und Gras.
Es schweigt der kleinen Vögel Sang,
Der eh so fröhlich was.

So wandl ich weltalleine
Im stillen dunkeln Tann
Und weine heiße Thränen,
Daß ich nicht sterben kann.
(S. 48)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Verregnetes Ständchen

Wach holdes Kind, horche der Saiten Klange,
Horche dem kleinen Lied, das ich dir bringe:
Wie Mädchenlieb und Treue währts nicht lange.

An allen Laden schlich ich auf und nieder:
Alles schläft fest, der Saiten leises Plaudern
Vernimmt Niemand und die verstohlnen Lieder.

Begonnen ists, wie bring ichs nun zu Ende?
Gleichgültig wärs dir, wenn ich auch gestünde,
Wie dich so gerne herzten Mund und Hände.

Was hilfts denn, wenn ich dir nun auch verkünde,
Wie ich dir eigen bin ohn Wank und Ende?
Du lachtest, wenn ich all die Nacht hier stünde.

Was frommt mir so mein Singen und mein Sagen?
Kann wie Amphion Felsen ich bewegen?
Bezähmen wilden Sinn durch Lautenschlagen?

Und doch will mich mein Singen nicht verdrießen,
Wie sich auch öffnen alle Wolkenschleußen,
Daß ich schier muß sammt meinem Lied verfließen.

Hörst du die Ström an deines Fensters Gitter
Schlagen und rauschen durch der Linde Blätter?
Hör ich nicht auf, verregnets mir die Cither.
(S. 49)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Im Kriege

Auf ihr Vögel! auf ihr Winde!
Fliegt geschwinde!
Ueber Wasser, über Hügel
Schwinget eure Flügel!

Grüßt mit Wehen, grüßt mit Singen,
Grüßt mit Klingen
Eine, die in öder Kammer
Sitzt in stillem Jammer!

Sterne, blickt mit liebem Scheinen
Auf ihr Weinen,
Grüßet, tröstet, sprecht mit Schimmer:
"Dein gedenk er immer.

Der nun zieht nach wehnden Fahnen
Rothe Bahnen,
Der nach Trommeln und nach Pfeifen
Muß das Feld durchstreifen,

Sehnend schaut er nach uns fernen
Himmelssternen,
Bricht mit seinem guten Schwerte
Sich zu dir die Fährte."
(S. 52)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Erfüllte Sehnsucht

Saß ein Mägdlein weinend
Einsam am Fensterlein.
"Wo find ich noch ein Herze,
Das will mein eigen seyn?" -

"Was nahet meinem Hause
So leis und so geschwind? -
Ueber Klee und Blumen
Streicht der Abendwind."

Es rauschen die Bäume
Und sangen die Vöglein hell,
Muntrer und muntrer
Sprang der Wasserquell.

"Was regt sich an der Mauer?"
""Ein müder Jägersmann.""
Von zitternden Händen
Ward ihm aufgethan.

Sie saß mit funkelnden Blicken
Zu ihm bei Brot und Wein.
Sie führt ihn mit schämenden Wangen
Ins stille Kämmerlein.

"Mein Liebster der ist schöne,
Mein Liebster der ist gut:
Des hab ich all mein Leben
Viel fröhlichen Muth."
(S. 53)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Jägersbraut

Mein Schatz das ist ein Jägersmann
Im Walde,
Ein grünes Röckel das trägt er an
Im Walde,
Im Wald, im Wald, im grünen Wald,
Wo das Jagdhorn schallt,
Wo die Büchse knallt,
Im Walde!

Durch Berg und Thal sein Hörnlein schallt
Im Walde.
Mein Herzgeliebter, und kommt er bald?
Im Walde, u. s. w.

Wär ich sein kleines Jagdhörnlein
Im Walde,
Das sollt ein Herzen und Küssen seyn
Im Walde,
Im Wald, im Wald, im grünen Wald,
Wo das Jagdhorn schallt,
Wo die Büchse knallt,
Im Walde!
(S. 54)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Und wieder ein Ständchen

Und wieder tönt dein Sang zu später Stunde:
Stille die Flügel falten alle Winde,
Zuhorchend führt der Sterne Heer die Runde.

Ich lausch und sing und sing und lausche wieder:
Wie kühler Thau sich senkt auf Kronen müder
Blumen, so fleußt dein Lied ins Herze nieder.

Dem wilden Vogel mag ich mich vergleichen,
Der lang in Freyheit Wald und Feld durchstrichen:
Zuletzt muß sie des Klobens Trügniß weichen.

Knechtschaft und Noth lohnt ihm sein süß Verlangen:
Je mehr die Flügel schlagend dannen ringen,
Je fester immer gibt er sich gefangen.

Höre den Klagesang, mein Lieb, mein Leben:
Umschleuß mit Armen mich: nur also lieben
Fesseln ergeb ich mich ohn Widerstreben.
(S. 55)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Ueberglücklich

Wie faß ich, wie glaub ich
Mein Glück und all die Lust?
Brich nicht zuckend in Freude,
Brich Herze nicht die Brust.

Sehen soll ich sie, sehen,
Schauen der Augen Stern,
Der mein todmüdes Herze
All durchblitzte von fern.

Sie wird mir freundlich reichen
Die liebe linde Hand,
Die die Lilien tränkte,
Zum Stab die Rosen band.

Sie wird mit liebem Gruße
Vergüten alles Leid.
Erstummen muß ich, erblinden
Vor ihrer Prächtigkeit.

Verhänge Sonne die Zügel!
Fleug Zeit hindann!
Eil o eile Stunde,
Da ich sie sehen kann!
(S. 61)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Letztes Ständchen

Noch öfter ist mein Nachtsang dir erklungen,
Als Blüten an der grünen Linde hangen:
Und welchen Lohn hab ich damit errungen?

Klingend und singend wie viel dunkle Stunden
Hab ich in Sturm und Nachtthau hier gestanden!
Und welchen Dank hat all mein Dienst gefunden?

Für Freude Hohn und Spott und Haß für Liebe!
Ich würde, welch ein Lied ich auch erhübe,
Die Thür nur hüten gegen nächtge Diebe.

Verwünscht die Stunden, die ich lauschend schaute!
Verwünscht, die dir ertönten, Sang und Saite!
An deiner Wand zertrümmert sey die Laute!
(S. 62)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Der Brunne

Sie kommt nicht mehr zum Brunnen
Mit ihrem Krügelein,
Sie will mich nicht mehr kennen,
Vergessen hat sie mein.

Fahrt zu des Brunnen Grunde,
Blumen, die sie mir gab!
Ich habe mir gebrochen
Ein Kräutlein, heißt Schabab.

Von meinem armen Herzen
Ein Brunne nimmt den Lauf:
Schau ich nach ihrem Fenster,
Zu Berge steigt er auf.
(S. 63)

Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828
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Du und ich

Mein Herz ist trübe, deines ist gut und rein;
Ich welke schon, du aber erblühest kaum;
Ein Blatt bin ich vom Reif entfärbet,
Du die bethauete Rosenknospe.

Dieselbe Sonn' entzündet, derselbe Stern
Durchflimmt das Morgenroth und das Abendroth:
Doch ach! es liegt der Schweiß des Tages,
Liegen die Grauen der Nacht dazwischen.
(S. 5)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Aphrodite

Sie stieg empor aus salz'gen Wellen,
Der Liebe Göttinn, unverletzt,
Verschönert nur, wie Rosen schwellen
Verschönt, wenn kühler Thau sie netzt.

Umsonst daß sich dein Auge röthet:
Mit solchen Waffen siegst du nie;
Nie wird in Thränen sie getödtet:
Geboren wird aus Thränen sie.
(S. 9)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Im Grabe

Meine Liebe, meine Treue
Kamen auch ins Grab mir nach,
Und mich halten Leid und Reue
Wie in alten Nächten wach.

Während meine Brust vermodert,
Glüht mein Herz noch wie zuvor,
Und als rothe Blume lodert
Neu der heiße Schmerz empor.
(S. 13)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Die Lerche

Die Lerche fährt als Liebespfeil
Mit tönendem Gefieder
Und steigt hinauf, und kehrt in Eil
Als Pfeil der Liebe wieder.

Zwei Herzen die sich lang vermißt
Hat sie aufs neu verbündet:
Im Himmel und auf Erden ist
Ein Liebesfeur entzündet.
(S. 51)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Gottes Rose

Noch hält wie eine Rosenblume
Der Herr die Erd' in leichter Hand;
Nach seinem liebsten Eigenthume
Schaut er in Freuden unverwandt.

Und immer wird die Rose blühen,
Von Winterhauchen ungeknickt,
Und voll und immer voller glühen
Am Segen, den sein Auge blickt.

Bis endlich eines Tags das Lieben
Vom Liebesrosenball entweicht:
Da welkt sie hin, und rings verstieben
Die Blätter duftlos und erbleicht.
(S. 62)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Lern' es einmal doch!

Herz, du bist so alt geworden,
Und bist noch so jung,
Noch so kindisch jung geblieben,
Daß du immer für dein Lieben
Noch begehrst Erwiederung.

Daß du meinst, für treues Mühen
Zieme sich auch Dank,
Nicht an still erlittner Plage
Allerletztem Leidenstage
Noch im Kelch der bittre Trank.

Herz, du bist so alt geworden:
Lern' es einmal doch,
Daß du sollst nach beßerm Lohne,
Anderm Kranz und andrer Krone
Sänftlich tragen Kreuz und Joch.

Sei die Blume, die zertreten,
Da sie eben blüht,
Wieder grünt und blüht von vornen!
Trag' am Haupte still die Dornen,
Und die Rosen im Gemüth!
(S. 85-86)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Lieder aus dem Brautstande I. - LXX. (1-70)


I.
Es blüht mein Herz wie eine Rose,
Die frisch aus einem Grab' entspringt,
Und überm dunkelgrünen Moose
Die rothe Freudenfahne schwingt.

Begraben hatt' ich alle Freuden;
Den reichen Schatz der Liebe sah
Ich stäts an Andre nur vergeuden:
Ich stund als armer Bettler da.

Wer hörte mich, wer sah mich Armen?
Da kamest du, o meine Lust,
Und zogst aus innigem Erbarmen
Der Liebe mich an deine Brust.

O wohl! nun kann ich ihn verschmerzen,
Den langen kummervollen Pfad,
Da mich auf ihm zu solchem Herzen
Ein gnäd'ger Gott geleitet hat.

Ich zog an meinem Wanderstabe
Nach schlechtem Golde weit hinaus,
Und trage nun die höchste Gabe,
Die schönste Perle mit nach Haus.
(S. 169-170)


II.
Nichts schönres ist als eine Braut:
Wie eine weiße Rose blüht,
Von mildem Morgenthau bethaut,
Von Morgenschimmer angeglüht;

Sie wiegt und neigt sich dann und wann,
Und lächelt vor sich hin, und schaut
Dich feuchten Auges träumend an:
Nichts schönres ist als eine Braut.
(S. 171)


III.
Durch dunkle Fluten zog mein Kahn;
Nun endlich hab' ich ihn im Hafen:
Ich danke Gott, und leg' ihn an,
Und geh' in Frieden auszuschlafen.

In deinem Herzen ist die Ruh
Für meine Seele zubereitet,
Und schirmend hältst die Hände du
Auf dieses müde Haupt gebreitet.
(S. 171)


IV.
"Darf ich sagen, o vergönne,
Liebster, ach wovon mir bangt?
Ob ich jemals so dich könne
Lieben, wie mein Herz verlangt;

Ob, wie brünstig immer glühen
Möge meines Herzens Glut,
Nicht noch heißre Flammen sprühen
Könnte dieser Liebesmuth."

Liebste, frage nicht und zage!
Liebe wie das Herz es giebt!
Ohne Maß und Zahl und Wage
Liebe du und sei geliebt!

Unergründlich, unbegriffen,
Ruht die Lieb', ein tiefes Meer:
Miß nicht! aber laß uns schiffen
Freudig überm Abgrund her!
(S. 172)


V.
Gestern lieb und heute lieber,
Lieb und immer lieber noch!
Unsres Liebens Quell, o blieb' er
Immer so im Wachsen doch!

Immer so im Wachsen bleiben
Wird er, und durch alle Zeit
Noch als Strom die Wogen treiben
Bis ins Meer der Ewigkeit;

Bis er wieder sich ergossen
Dort ins Weltmeer, dem zur Frist
Auf geheimem Gang' entflossen
Unsres Liebens Brünnlein ist.
(S. 173)


VI.
Ueber meine Lippen komme
Nimmer ein unheilig Wort;
Nur das Reine, nur das Fromme
Finde hier noch seinen Ort;
Süß und labend rinn' und quelle
Immer helle
Gute Rede fort und fort.

Lippen, denn zu guter Stunde
Einer stillen Abendzeit,
Da ich Ihr zum schönsten Bunde
Mich geeint und mich gezweit,
Hat bei einem langen bangen
Armumfangen
Euch der Liebsten Kuß geweiht.
(S. 174)


VII.
Ein Wort ist mir ins Herz geschrieben:
Das schaut die Seele lächelnd an;
Das Wort "Ich will dich ewig lieben,
Mir auf der Welt der liebste Mann."

Ach! meine Seele saß und senkte
Den Blick in ein unendlich Grau:
Da klang dieß Wort, und weckt' und tränkte
Und labte sie mit süßem Thau.

Und kam wie Gottes Wort zu scheiden
Den Tag vom Graun der Dämmerung:
Erschreckt entflohn die alten Leiden,
Und alte Freuden wurden jung.

In meines Herzens tiefste Räume
O schaue her, geliebte Braut!
Da hat der Fleiß verliebter Träume
Nun eine Opferstatt gebaut.

Da weih' ich dir bei einem Brande,
Der keusch in alle Zeiten glüht,
Erfüllt mit Süßem bis zum Rande
Ein tief verbittertes Gemüth.
(S. 175-176)


VIII.
O du mein Mond in stiller Nacht,
Der über mir am Himmel wacht,
Und mit mir wacht und träumet,
Und wenn ich schlafe meinen Traum
Mit duft'gem Silber säumet!

Du immer nah und immer fern,
Mein Morgenstern, mein Abendstern,
Vorbotinn aller Wonne!
Und alle Wonne selber du,
Du Mond, du Stern, du Sonne!

O du mein Leid, du meine Lust!
Du eine Ros' an meiner Brust,
Ein Dorn in meinem Herzen!
Ich drück' ihn tief ins Herz hinein,
Und liebe dich mit Schmerzen.
(S. 177)


IX.
Ob du singen kannst, und wie?
Schatz, du hast mir nie gesungen:
Doch mit süßer Melodie
Bist du mir ins Herz erklungen.

Hoch am Himmel ziehst als Stern
Meines Glückes du die Pfade,
Du verliehen mir vom Herrn
Als Verwesrinn seiner Gnade.

Jeder Stern hat seinen Klang:
Aber vor den andern allen
Hör' ich, Braut, von deinem Gang
Süßen Ton hernieder wallen.
(S. 178)


X.
Wie die Perle still geborgen
In der Muttermuschel ruht,
Also hat mit süßen Sorgen
Dich mein Herz in seiner Hut;

Hinter wohlverschloßnen Thüren
Wahrend dich so gut es mag,
Sicher dich hindurch zu führen
Durch des Meeres Wellenschlag;

Von den Wogen fortgezogen,
Ungesäumt und ungehemmt,
Bis die letzte aller Wogen
Mich ans Todesufer schwemmt.
(S. 179)


XI.
Schön angethan mit Sammt und Seide,
Mit Gold und Silber ganz gestickt,
Ihr Blumen all auf freier Heide,
Und die ihr aus den Gärten blickt:
Ihr winkt und blinkt, ihr neigt und nickt
Mir nicht zu Liebe, nicht zu Leide.

Nur Eine seh' ich, Eine glänzen
Auf einem Thron von Lust und Schmerz:
Sie wiegt das Haupt, und Rosen kränzen
Mir Heid' und Anger allerwärts;
Bekränzt mit Rosen, neigt mein Herz
Sich vor der Fürstinn aller Lenzen.
(S. 180)


XII.
Griechisch nicht und nicht Latein
Braucht es um zu Gott zu beten:
In sein eignes Herz hinein
Heimlich still kann jeder treten.

Und so frag' ich nicht ob du
Bist gelehrt auf vieles Wissen:
Liebste, sei nur immerzu
Treu zu lieben mich beflissen.

Treu zu lieben, und es ist
Ein Gebet dein ganzes Leben,
Und dem Gott der Liebe bist
Du als Priesterinn ergeben;

Und ins Buch des Lebens ein
Hat dich seine Hand geschrieben.
Griechisch nicht und nicht Latein
Braucht es um getreu zu lieben.
(S. 181)


XIII.
Laß mich ruhen dir zu Füßen,
Laß mich lauschen nur und schaun,
Lauschen wie von deinen süßen
Lippen süße Worte thaun,
Schaun wie deine liebefeuchten
Augen auf mich niederleuchten,
Daß die Seele mir durchzittert
Tief ein wonneselig Graun.
(S. 182)


XIV.
Die Liebe schlief und träumte schwer
In meines Herzens Nächten;
Da kamest leise du daher,
Und rührtest mit der Rechten
Ihr Haupt: da floh der Schlaf von dann;
Sie sprang empor und lachte.
Und immer lacht sie noch dich an,
Die seliglich erwachte.
(S. 182)


XV.
In Osten wohnt die Liebste mein,
Grad' unterm Thor der Sonnen:
Sie schöpft auch täglich neuen Schein
Aus unversiegtem Bronnen.

Sie bleibt nie aus: sie ist so treu,
Sie kommt mit goldnen Stralen
Mir immer gleich und immer neu
Den Himmel rings zu malen;

Und läßt ein volles Meer der Lust
Auf meine Blumen triefen,
Und wecket die in meiner Brust
Die Vögel nächtlich schliefen.
(S. 183)


XVI.
Hoch ob meiner Seele Reichen,
Mir im Herzen mitteninn
Thronest sonder gleichen
Du als Königinn.

Doch zum Zepter und zum Throne
Mangelt eines noch fürwahr:
Braut, die Myrtenkrone
Dir ins dunkle Haar.
(S. 184)


XVII.
Wie ein Vogel musicierend
Ueber seiner Heimat kreist,
So von Grund' auf jubilierend
Schwebet stäts um dich mein Geist;

Treulich hin durch alle Räume
Dich geleitend über Tag:
Aber Nachts in deine Träume
Rauschet noch sein Flügelschlag.
(S. 184)


XVIII.
Herz, es ist ein kleines Leiden -
Laß mich sehn ob ich uns tröste -
Daß der Schöpfer von uns beiden
Mir allein dir Zunge löste;

Daß wenn ich auf Sangesschwingen
Schweb' im goldnen Sonnenstrale,
Du nur horchen meinem Singen
Und verweilen must im Thale.

Herz, daß ich empor mich schwinge,
Ist ja nur um heim zu kehren;
Daß ich dichte, daß ich singe,
Ist ja nur um dich zu ehren;

Daß dein Ohr mir freundlich lausche,
Daß dein Herz sich dran erfreue:
Bis den Himmel ich vertausche
Mit dem stillen Nest aufs neue;

Bis nach meinem Jubelpsalme
Wieder ich herniederfliege,
Und mich unterm Schirm der Halme
Still an deinen Busen schmiege.
(S. 185-186)


XIX.
Die du um mein Scheiden weinst,
Liebste, aus betrübtem Muthe,
Diese Thräne kommt dir einst
Noch an jenem Tag zu gute,
Wo von Glorien umblitzt,
Gott der Herr zu richten sitzt
Über Bös' und Gute.

Denn ein Engel wird sich dein
Bittres Weinen heute merken,
Und es in die Wag' hinein
Legen zu den guten Werken,
Wenn du je gesündigt hast,
Um der guten Schale Last
An Gewicht zu stärken.
(S. 187-188)


XX.
Dürstend nach der Liebe Kelche,
Hungernd nach der Liebe Brot,
Irrt' ich um, und litt o welche
Tausendfache Herzensnoth!

Irrt' ich um im glutentfachten
Ungebahnten Wüstensand:
Himmel, soll ich hier verschmachten
Ferne vom gelobten Land?

Herr, mit aufgethanen Armen
Steh' ich und erschloßnem Herz:
Auf mich Armen mit Erbarmen
Schaut kein Auge niederwärts?

Und es schaute! Mild geregnet
Kommt aus Wolken lieberoth,
Braut, dein Lieben, ein gesegnet
Manna, Manna, Himmelsbrot!
(S. 189)


XXI.
Liebste, ja du bist mein Schatz,
Bist es nun und alle Stunden,
Schatz den an geweihtem Platz
Ich nach langen Mühn gefunden,
Schatz den Geister guter Art
Treulich haben mir bewahrt
Und geholfen ihn erkunden.

Schatz, ich habe lange dich
Hin und her in allen Landen,
Dich gesucht wie emsiglich!
Und nun hab' ich dich in Handen,
Und nun bist du mein, bist mein,
Must an mich gebunden sein
Ewiglich mit Zauberbanden.

Schatz, und all dein Überfluß
Soll für mich nun überfließen,
Mir gehören dieser Kuß,
Dieser Arme sanft Umschließen,
Dieser Lippen treues Wort,
Mir der ganze Liebeshort
Unerschöpflich sich ergießen!
(S. 190-191)


XXII.
Ein dunkler Strom durchs Graun der Nacht,
Still, einsam floß daher mein Leben;
Hoch in gespensterhafter Nacht
Sah ich den bleichen Mond nur schweben:
Erhellt von seinem Glanz allein,
Dem Glanze den er selber borgte,
Zog traurig ich dahin, und sorgte
Daß auch erlösche dieser Schein.

Und nun? Mit rothen Küssen hat
Mich angelacht der Morgenschimmer;
Die Lerche singt, die Sonne naht,
Und heller wirds und heller immer;
In heißen Stralen blitzt die Flut,
Froh rauschend geht es durch die Auen:
Getrost den Ocean zu schauen
Treibt mich ein neuer Jünglingsmuth.
(S. 192)


XXIII.
Träumend halb und halb im Wachen
Hab' ich oft mich Nachts belauscht,
Wie ich über tausend Sachen
Wort um Wort mit dir getauscht;
Bis das Traumgewebe schwand,
Gählings mitten durchgerissen,
Und umsonst in Finsternissen
Suchte dich die leere Hand.

So mit Fragen, so mit Klagen
Hat mich oft die Furcht beschwert
(Ach! an allem Glück verzagen
Hat das Unglück mich gelehrt):
Wie wenn all dein Liebesglück
Nur im Traume wär' ein Lachen?
Wie wenn dich ein gäh Erwachen
Würf' ins alte Nichts zurück?

Liebste, nicht dein Herz verklag' ich:
Nur mein Schicksal klag' ich an;
Frag' und zag' ich, das nur frag' ich,
Ob mich nicht ein Zauberbann
Hält gefangen, welcher mich
Nur ins Paradies läßt schauen,
Daß mir dann der Erde Grauen
Doppelt werde fürchterlich.
(S. 193-194)


XXIV.
Reben weben um den Baum
Treu und fest die Ranken:
Nächtlich hat im stillen Traum,
Täglich in Gedanken
Meine Sehnsucht auch ihr Thun
So mit Fleiß begonnen,
Daß du bist von Liebe nun
Ganz und gar umsponnen.
(S. 195)


XXV.
Schatz, von deinen Höhen fließt
Alles Wasser mir entgegen:
So von dir zu mir ergießt
Immer sich ein reicher Segen;
Schöpfen nur mit vollen Händen
Kann ich: gleichen Segen spenden
Kann ich nicht, und nicht den Fluß
Wiederum zu Berge senden.
(S. 195)


XXVI.
Selig mag ich wohl den Tag,
Selig ihn in allen Weisen,
Selig, selig, selig mag
Immerdar den Tag ich preisen,
Da ich, hochgeliebte Braut,
Dich erschaut zum ersten Male,
Da von meines Glückes Strale
Mir der erste Schein gegraut.

Damals noch ein kleiner Born,
Was mir jetzo strömt vom Herzen;
Kaum bemerkt ein Samenkorn
Ungeahnter Liebesschmerzen,
Ungeahnter Liebeslust:
Aber jetzo steht und strebt es
Als ein Baum, und rauschend schwebt es
Himmelan aus meiner Brust.

Komm und fasse meine Hand,
 Ruh' in dieses Baumes Schatten;
Schau' in das besonnte Land,
Auf die blumenbunten Matten;
Lausche wie vom Himmelsdom
Überwölbt mit guten Sternen,
Weit hinaus in alle Fernen
Strömet unsers Glückes Strom.
(S. 196-197)


XXVII.
Auf kahlen Fels ein dürft'ger Baum
Vom Zorn des Schicksals hingestellt,
Der an des Abgrunds schmalem Saum
Sich kaum mit nackten Wurzeln hält;

Den spät belebt des Frühlings Gruß,
Der Gruß des Winters früh verletzt,
Auf den nur selten seinen Fuß
Ein sturmverschlagner Vogel setzt:

So stand ich einsam, freudelos,
Von Wind und Wetter rings umdräut,
Und schaute sehnend in den Schoß
Des Thals, das sich geborgen freut.

Und nun, wie lieblich hat es sich
Gewendet, Braut, durch deine Hand!
Ich schau' umher, und sehe mich,
Auch mich im Thal, im grünen Land;

Und sehe vom verbrannten Fels
In kühlen Boden mich versenkt,
Wo eines unversiegten Quells
Gewässer meine Wurzel tränkt;

Und sehe rings den weiten Plan
Mit Bruderbäumen dicht bepflanzt,
Mit bunten Blumen angethan,
Vom Schwarm der Kinder froh durchtanzt.

An meine volle Krone schmiegt
Wie heimlich sich ein lauer Wind!
Ein Zweig im höchsten Wipfel wiegt
Die Nachtigall, das Frühlingskind.
(S. 198-199)


XXVIII.
Kein Lied erschwang sich aus der Kehle,
Die rege Zunge war verstummt:
Halb träumend nur noch hat die Seele
Ein altes bittres Lied gesummt;
Wie wohl die Schwalb' im Winterschlaf
Noch immer hegen mag die Trauer,
Daß sie des Herbstes kalter Schauer
In ihren besten Freuden traf.

Und siehe da! urplötzlich glänzte
Es durch die grause Finsterniß;
Es grünt' und blühte, mait' und lenzte;
Der Wolken schwere Decke riß:
Vom Frühlingswehn nur angerührt,
Zerstreute sie sich rings in Trümmern,
Und alles Leid und alles Kümmern
Ward mit ihr aus der Welt geführt.

Da hab' auch ich mich aufgeschwungen
Zu neuem Leben, neuem Sang;
Die alten Lieder sind verklungen:
Nun gilt es einen neuen Klang;
Zu singen gilt es Tag und Nacht
Unausgesetzt von einer Sonne,
Die Leben mir und Maienwonne
Und mir den Sang zurückgebracht.
(S. 200-201)


XXIX.
Sitzen sollt' ich, lesen, schreiben,
Bücher wälzen ohne Zahl:
Sieh! da blitzt mir durch die Scheiben
Hell ein Morgensonnenstrahl.

Und er spricht "So eben schein' ich
In das Angesicht auch ihr;
Und so bind' ich und verein' ich
Dich mit ihr und sie mit dir.

Merkst du nun daß ihr geschieden
Und doch ungeschieden seid?
Himmelher der gleiche Frieden
Eint euch in Glückseligkeit.

Darum auf! und unbeschrieben
Laß die Blätter alle ruhn;
Auf, und denk' an eure Lieben!
Und sie soll das gleiche thun."
(S. 202)


XXX.
Du bist mein Traum bei Tage,
Mein Wachen du bei Nacht;
All was ich thu' und sage,
Es ist an dich gedacht;
Du bists, um derentwillen
Im Stillen
Mein Herze weint und lacht.

In Liebesfluten schwebet
Die Seele wonniglich;
Dann schrickt sie auf und bebet
Und zweifelt selbst an sich:
Ich liebe dich von Herzen,
Mit Schmerzen,
Mit Freuden lieb' ich dich.
(S. 203)


XXXI.
Zwischen Weinen, zwischen Lachen
Strömte dieses Leben fort,
Bald in Wirbeln tief der Nachen,
Bald am bunten Blumenbord:
Endlich nun im sichern Port,
Soll ich weinen? soll ich lachen?

Lachen will ich nicht noch weinen:
Eine stille Seligkeit
Soll mir aus dem Herzen scheinen,
Lieblich wie zur Maienzeit
Rosen im bethauten Kleid
Weder lachen weder weinen.
(S. 204)


XXXII.
Ich lebt', und dennoch war ich todt:
Die Liebe hat mich neu geboren;
Ich hatt' in schwerer Träume Noth
Mich selbst vergessen und verloren:
Nun wach' ich auf, und finde wieder
Mich dir am Herzen, dir im Arm,
Und auf mich lächelt hell und warm
Ein Stral durch deine Augenlieder.

O Liebe, laß mich fort und fort
In diesen hohen Seligkeiten,
Laß mich in diesem sichern Port
Verweilen nun und alle Zeiten!
Und bald vergeß' ich all der Schmerzen
Die jemals dieses Herz bewegt,
Nun lauschend wie zusammenschlägt
Mit ihm der Schlag von deinem Herzen.
(S. 205)


XXXIII.
O du in meine dunkeln Thale
Vom Himmel mir herabgesandt
Mit einer vollen Segensschale,
Mein Engel, in der weißen Hand!
Vom Meer der Lieb' ist mild getroffen
Ein Thau auf dieses müde Haupt,
Und wieder liebt mein Herz und glaubt
Und schlägt in einem neuen Hoffen.

O sanft gelehnt am Liljenstabe,
Mein Engel du im lichten Kleid,
Sei mein Geleit du bis zum Grabe,
Und übers Grab noch mein Geleit!
O bleibe bei mir! ach es dunkelt
Aufs neue, läßt du mich allein,
Du von der Sonne mir ein Schein,
Die in der Welten Mitte funkelt.
(S. 206)



XXXIV.
O Auge das mir liebend glänzt,
O Mund der mir in Treuen lacht,
Ein Siegespreis der mich bekränzt
Und meiner Schläfe Kühlung facht!

Ich halte dich, und lasse nun
Dich nimmer aus der Hand, mein Glück,
Und steh' und schau' in stolzem Ruhn
Auf die durchmeßne Bahn zurück.
(S. 207)


XXXV.
Liebste, ja du bist die Rose,
Aller Blumen Königinn;
Ich der West der mit Gekose
Sanft dir streichelt Wang' und Kinn:
"Gieb aus deinen Ueberflüssen,
Gieb, Geliebte, mir ein Küssen!
Und zu Füßen dir im Moose
Sieh wie ich beseligt bin!"
(S. 207)


XXXVI.
Wenn du liebeflüsternd nieder
Dich zu mir, Geliebte, senkst,
Träumerisch auf mich und wieder
Lachend du dein Auge lenkst:

O da fühl' ich daß beschieden
Du mir bist das höchste Glück;
Da in Ruh' und tiefem Frieden
Spiegelt' dich mein Herz zurück.

Wie es mag dem See gemuthen
Wie er selig schauend schweigt,
Weil sich über seine Fluten
Hat der volle Mond geneigt.
(S. 208)


XXXVII.
Liebste, wenn uns Mund den Mund
Liebeflüsternd küßte,
Keinen wüßt' ich, der von Grund
Zu entscheiden wüßte:

Ob von dir die Küsse mir
Sein geschenkt als Gabe,
Oder ob die Lippen dir
Ich geküsset habe.

Wie im Küssen, also auch
Immerdar getrieben
Nach demselben schönen Brauch
Sei's in unserm Lieben.

Nicht daß meine Seele dein
Lieben gerne dulde,
Oder daß nur ich allein
Liebend dien' und hulde:

Eine ungeschiedne sei's,
Eine einz'ge Flamme,
Eine Ros' auf Einem Reis
Und aus Einem Stamme.
(S. 209-210)


XXXVIII.
Ein einzig süß vertraulich Wort,
Ein Kuß, den nimmer wir beschließen,
Soll unser beider Leben fort
Und fort bis hin zum Ende fließen;

Bis in das große Liebesmeer,
Das Ewigkeit die Menschen nennen,
Wir untergehn um nimmermehr
In Ewigkeiten uns zu trennen.
(S. 211)


XXXIX.
In deiner Heimat, meinem Herzen,
Da hast du dich, geliebte Braut,
Braut meiner Lust und meiner Schmerzen,
Als Heimchen heimlich angebaut.

Wie leichtlich kann man sich gewöhnen
An solcher Heimchen sanftes Lied!
Ich merke, lauschend diesen Tönen,
Nicht wie die lange Nacht entflieht.
(S. 211)


XL.
Ohne Schloß und ohne Riegel,
Eins dem andern aufgethan,
Spiegel schauend in den Spiegel,
Also ward auf ebner Bahn
Ich zu eigen deinem Herzen,
Mir zum Eigenthum dein Herz:
Wäre Liebe nicht ein Schmerz,
Wüßten wir von keinen Schmerzen.

Nicht daß erst nach saurem Werben,
Liebste, du mich ausgewählt;
Nicht daß lieblos wir mit herben
Proben uns zuvor gequält:
Raschen Einschlags ist begegnet
Herz dem Herzen, Hand der Hand,
Und es haben unser Band
Vater, Mutter gern gesegnet.

Darum laß uns doppelt danken,
Der uns solche Gnad' erwies,
Ihm, der unsrer Seele Ranken
Also leicht sich finden ließ;
Unsre Liebe steht in Blüte,
Und sie blüht aus seiner Macht:
Lob und Preis sei Ihm gebracht,
Und Gebet daß Er sie hüte.
(S. 212-213)


XLI.
Liebste, sieh! so schaut' ich drein,
Trüben Blickes, bittren Mundes,
Eh mein Herz sich freute dein,
Eh's gedachte dieses Bundes,
Eh ich wußt' und eh mir ahnte
Daß mir weit hinaus ins Land
Noch gewoben würd' ein Band
Und des Glückes Weg sich bahnte.

Liebste, sieh mich, und erschrick
Nicht zu sehr mich so zu sehen!
Deines Auges Sonnenblick,
Deiner Küsse Frühlingswehen,
All dein Lieben, es belaubte
Da mir noch die Schläfe nicht:
Freut dich jetzt mein Lenzgesicht,
Freu dich auch am Winterhaupte!

Freue dich und siehs mit Stolz,
Daß du solch ein Wunder konntest,
Daß du dieses dürre Holz,
Liebste Seele, so besonntest,
Daß in Wonnen mein Gemüthe
Wie ein grünes Eiland liegt,
Daß es wie ein Vogel fliegt
Jauchzend durch die Maienblüte.
(S. 214-215)


XLII.
"Horch! der Storch ist wiederkommen!"
Froh erzählt sich Groß und Klein;
"Hoch willkommen aufgenommen
Soll der Frühlingsbote sein,
Der im Winter uns entflogen
In ein fernes fremdes Land,
Hinter Bergen, über Wogen
Nun die Heimat wiederfand."

Frommer Vogel, rüst'ger Wandrer,
Mit den andern jubl' auch ich;
Weltdurchwandrer, hier ein andrer
Wandrer grüßt dich brüderlich,
Den das Heimweh auch getrieben
Hin und her durch alles Land,
Bis im Herzen seiner Lieben
Er die rechte Heimat fand.

Hier an dieser Stätte bau' ich,
Und die Flügel leg' ich ein:
Sicher bau' ich und vertrau' ich
Unvertrieben stäts zu sein;
Wieder mich von dannen treiben
Soll nicht Frost, nicht Sonnenbrand:
In der Heimat will ich bleiben,
Bleiben hier im Vaterland.
(S. 216-217)


XLIII.
Dem Kinde gleich das in der Wiege
Die Glieder dehnt in froher Ruh,
Ja, Braut, so wiege dich und liege
Und liegst in meinem Herzen du;

Und schauest milden Blicks entgegen
Dem, der auf dich sein Auge senkt,
Und, gebe Gott dazu den Segen!
Für dich auf tausend Freuden denkt;

Und lauschest gerne seinem Sange
Bei Tags Beginn, bei Tages Schluß,
Und duldest daß er dich umfange,
Und küssest wieder seinen Kuß.
(S. 218)


XLIV.
Frühling, sind das deine Boten,
Grauer Reif und weißer Schnee?
Wahrlich, liebe sähn die rothen
Rosen wir und grünen Klee.
Meinethalb! mit welchem Kleide
Du bekleidest Wald und Heide,
Mir ist wohl und nimmer weh.

Jenner, Hornung und dem Merzen
Hab' ich wenig nachgefragt,
Seit inmitten meinem Herzen
Mir ein Mai alltäglich tagt,
Ew'ger Flor von ew'gem Samen,
Von der Liebe Ja und Amen,
Das ein rother Mund gesagt.
(S. 219)


XLV.
Sein blaues Aug' hat aufgeschlagen
Der Himmel über Berg und Thal,
Und schickt den Frühling anzusagen
Weit aus ins Land den Sonnenstral.

Und keine Antwort aus den Wäldern:
Noch weilet fern die Nachtigall;
Noch keiner über grünen Feldern
Vernahm der Lerche frohen Schall.

Soll denn ein unerwiedert Lächeln
Der frühe Lenz vorübergehn,
Und seiner Lüfte lindes Fächeln
Kein Freudenlied gen Himmel wehn?

So schwinge du dich, meine Seele,
Zum Himmel auf, lobpreisend Ihn,
Der eine Seele sonder Fehle
Dir zur Genossin hat verliehn;

Der auch in deiner Nächte Dunkel
Hat einen Frühlingstag geschickt,
Geschickt den Strahl der mit Gefunkel
Aus treuen Liebesaugen blickt.
(S. 220-221)


XLVI.
Die aus des Segens Überflüssen
Ein gnäd'ger Himmel mir geschenkt,
Ich grüße dich mit tausend Küssen,
Dich die mein Herz in Freuden denkt.

Ich küsse dich mit tausend Grüßen
Und halte fest dich an der Hand,
Die aus der Fülle seiner Süßen
Ein gnäd'ger Himmel mir gesandt.
(S. 222)


XLVII.
Ein Blütenbaum drauf hell und warm
Die Maiensonne ruht,
Den emsiglich ein Bienenschwarm
Durchirrt mit frohem Muth:

So schwebt, von deiner Huld verschönt,
In Düften all mein Sinn;
Von lieblichen Gedanken tönt
Und wogt er her und hin.
(S. 222)


XLVIII.
O du vom Lebensbaum ein Reis,
Das mir der Herr gesendet,
Nun hat mein Mühen schwer und heiß
Wie lieblich sich geendet!

Mein Paradiesesreis, das will
Nun wurzeln mir im Garten!
Wohlan, so will ich lieb und still
Dich hegen, pflegen, warten;

Und ruhen will ich dann und wann
In deines Schattens Räumen,
Und mich aus dieser Erde Bann
Zurück nach Eden träumen.
(S. 223)


XLIX.
Liebste, ja du bist ein Kind,
Wie ein Kind verzagt und trutzig:
Überm Abgrund sonder Beben
Kann es heute lachend schweben;
Morgen machts ein seichter Bach
Bis zu hellen Thränen stutzig.

Also, welche Kleinigkeit
Läßt dich, Liebste, gleich verzagen!
Aber nach dem höchsten Lohne,
Aber nach des Lebens Krone,
Nach der Liebe konntest du
Frisch und froh zu greifen wagen.
(S. 224)


L.
Nicht darf ich fürder fragen:
"Geliebte, liebst du mich?"
Ich weiß es ja, du hegst mich
Und trägst mich
Im Herzen festiglich.

Noch brauch' ich mehr zu schwören
Wie theuer du mir seist:
Du weist, du bist mir eben-
So Leben
Und Leib und Seel' und Geist.

Wir wissen, uns vereinet
Die gleiche Liebestreu:
Sie altet unerkaltet;
Sie altet,
Und ist doch täglich neu.

Ein Paar von Kindern sind wir,
Die Eine Wiege wiegt,
Daß jedes mild' umfangen
Die Wangen
An den Gespielen schmiegt.

Braut, du bist meine Heimat,
Und ich dein Vaterland.
Wir haben uns; wir halten
Gefalten
In Treuen Hand in Hand.

Wir haben uns, wir haben
In Frieden uns und Ruh;
Wir lieben uns in Treuen:
In Treuen
Lieb' ich und liebest du.
(S. 225-226)


LI.
Daß es möglich wäre, nimmer
Hätt' ich, Liebste, das gedacht:
Höher stäts in mir und immer
Höher wächst der Liebe Macht.

Erst ein Fünklein, nun in Flammen
Wogend eine große Glut;
Ueber meinem Haupt zusammen,
Mich begrabend, schlägt die Flut.

Nun wohlan! Gott sei die Ehre:
Mich als Opfer bring' ich dar,
Daß sein Feuer mich verzehre
Auf der Liebe Hochaltar.

Nun wohlan! ein Feuerwagen
Sei die Liebe mir gesandt
Himmelan den Geist zu tragen
In der Liebe Vaterland.
(S. 227)


LII.
Wer in diesem Mai der frohste
Sei vor aller Welt?
Nicht der Zweig der rothberoste,
Nicht die brünst'gen Nachtigallen,
Nicht die Vögel all die schallen
Unterm Schattenzelt;

Nicht auf neubegrünten Wiesen
Dort das muntre Lamm:
Keiner ist der so gepriesen
Hat den Mai und so ihn preiset,
Als der nun zur Liebsten reiset,
Ich der Bräutigam.
(S. 228)


LIII.
Wie die Kinder wollen
Wir in Freuden stehn;
Wie die Kinder sollen
Meine Seel' und deine gehn.

Rechts und links uns bücken
Wollen auf der Au
Wir und Blumen pflücken
Lieblich rot und weiß und blau:

Sträuße draus zu binden,
Liebste, du und ich,
Kränze draus zu winden,
Du für mich und ich für dich.

Bis der Abend dunkelt,
Und zur Welt hinaus
Uns geleitend funkelt
Dort das Licht im Vaterhaus.

Dann mit frohen Tritten,
Dann mit frohem Sinn
In des Hauses Mitten
Treten wir zum Vater hin.

"Siehe! zu dem bunten
Kränzlein, das mich schmückt,
Hat die Blumen drunten
Alle mein Gespiel gepflückt."

Lächelnd hebt der gute
Vater uns empor,
Und mit frohem Muthe
Grüßt uns seiner Engel Chor.
(S. 229-230)


LIV.
Zu Jahrs Beginn da ist entsprossen,
Geliebte, unsres Liebens Baum;
Nicht Thränen haben ihn begossen:
Wir wissen ja von Leide kaum;
In blauer Luft, am Schein der Sonnen
Erwuchs er uns zu Trost und Wonnen.

Nun steht er in der Pracht des Maien,
Er schwillt von Blüten roth und weiß,
Und ahnungsvoll singt ob uns zweien
Die Nachtigall auf grünem Reis:
O Liebste, daß die Maienblüte
Der Herr vor Maienfrost behüte!

Damit sie fröhlich möge reifen
Den Sommer durch zur goldnen Frucht,
Die wir im Herbst vom Zweige streifen,
Die dauernd in der Tage Flucht
Uns noch in unerschöpften Speichern
All unser Leben soll bereichern.
(S. 231)


LV.
Eine Königinn solltest du sein
Und sitzen auf hohem Throne,
Einen Zepter in deiner Hand,
Auf deinem Haupt eine Krone.

Und Sclavinnen sollten, flink im Dienst,
Dir an die Seite treten,
Sclavinnen welche Schatten dir
Gäben und Kühlung wehten.

Den schattenden Schirm den hätten wir,
Den wußt' ich schon zu gewinnen:
Allein, großmächtigste Königinn,
Wo bleiben die Sclavinnen?

Zwar thu' ich nur halb was sich geziemt:
Doch wolle mich drum nicht strafen;
Sclavinnen bring' ich freilich nicht:
So nimm fürlieb mit dem Sclaven!
(S. 232)


LVI.
Die Sonne scheinet hell und warm,
Als wäre nichts geschehn:
Sie achtet nicht daß tief in Harm
Zwei Menschenherzen stehn.

Unstäte Wolken hin und her
Mir ziehen durch den Sinn,
Und Tropfen fallen heiß und schwer
Auf meine Seele hin.

Die Thränen sind es die mein Lieb
In unsern Kuß geweint,
Da's wieder auseinander trieb
Uns, die sich kaum vereint.

Ach! lang genug hatt' unser Herz
Geschwebt in lautrer Lust:
Nun ward uns auch der Liebe Schmerz
Recht bitterlich bewußt.

Drei Tage froh! am vierten sank
Aufs neu die Freud' ins Grab;
Berauscht vom bittren Leidenstrank,
Zieh' ich das Land hinab.

Wer achtets doch, daß tief im Harm
Zwei Menschenherzen stehn?
Die Sonne scheinet hell und warm,
Als wäre nichts geschehn.
(S. 233-234)


LVII.
Ich sehne bangend in Gedanken
Mich hin zu dir, geliebtes Haupt,
Wie Ranken los' und zitternd schwanken,
Weil ihre Stütze man geraubt;
Und greif' hinaus dich zu umschlingen,
Zu lehnen mich an deinen Arm:
Doch ach! vergeblich all mein Ringen!
Und nieder sink' ich tief in Harm.
(S. 235)


LVIII.
Wenn er sie und wenn sie ihn
Küßt und flüstert "Du bist mein",
Größre Freuden überschien
Nie der Sonnenschein.

Beide lehnen süß verwirrt
Brust an Brust und Haupt an Haupt:
Lilje von der Rose wird
Heimlich da umlaubt.
(S. 235)


LIX.
Du warst des Allerbesten werth:
Der Allerbeste bin ich nicht,
Und dennoch hast du zugekehrt
In Liebe mir dein Angesicht
Und mir in Liebe deinen Muth,
Als dir mein Herz entgegen schlug;
Ich war dir, Liebste, gut genug:
Drum, Liebste, bin ich dir so gut.
(S. 236)


LX.
Die Liebe findet immer Platz,
Und öfter noch ein Plätzlein.
Hab' ich auch keinen goldnen Schatz,
Ich hab' ein goldnes Schätzlein.
(S. 236)


LXI.
Wie sich mählig sammeln hier
Tisch und Bett und Stuhl und Schaft,
Gleichen nicht dem Gotte wir
Welcher eine Welt erschafft?

Bauen wir nicht unsre Welt?
Hast du nicht mit frohem Muth,
Wenn ein Schrank war hergestellt,
Auch gesprochen "Er ist gut"?

Und die Lust, sie geht nicht aus:
Hast mit immer neuer Lust
Du nicht auch für unser Haus
Immer neuen Rath gewußt?

Ehernen und irdnen Topf,
Der aus weitem Bauche nährt;
Besen auch mit rauhem Schopf,
Der vor unsrer Thüre kehrt.

Hier die Decke die das Bett,
Dort die uns den Tisch bedeckt,
Beide noch so warm und nett,
Wenn man sich nach ihnen streckt.

Eines aber laß uns ja
Nicht vergessen, liebes Herz!
Holz und Glas sind immer da,
Erd' und Eisen allerwärts:

Aber aber aber traun,
Wenn wir beide nicht schon jetzt
In die Welt die wir erbaun
Auch ein Paradies gesetzt;

Wie geschmückt sie sei, und wie's
Jahrelang genügen mag:
Herz, es ist fürs Paradies
Schon zu spät am ersten Tag.
(S. 237-238)


LXII.
Ich hatte dich, du warest hie;
Und nun, wo bist du hingekommen?
Mir ist als wenn vom Himmel sie
Den schönen Mond herabgenommen.

Ich schau' empor: doch nirgend lacht
Sein Schimmer mehr auf mich hernieder,
Und kalt und finster hängt die Nacht
Sich über meine Augenlieder.
(S. 239)


LXIII.
Ich denke dein, wie Nachts in Träumen
Die Rose noch der Sonne denkt,
Derweile die zu fernen Räumen
Schon ihren Wagen hat gelenkt;
Wie träumend sie gedenkt der Sonne,
Und ihr den Mund zum Kusse beut,
So küßt dich meine Seel' und freut
Sich heimlich der geträumten Wonne.
(S. 239)


LXIV.
Die zu einer sel'gen Stunde
Tief in meines Herzens Grunde
Wurzel schlug, ein edles Kraut,
Meine Liebe, meine Treue,
Meine Gute, meine Braut!

Wohl, und bald mein Weib geheißen!
Laß dich nimmer mir entreißen:
Nicht mehr kann ich dich zurück
Geben ohne daß von meinem
Herzen mit dir geht ein Stück.
(S. 240)


LXV.
Die wir treu einander tragen,
Eins am andern liebend ruhn,
Laß uns noch in späten Tagen
Also thun, wie heut wir thun,
Und wir sind in späten Tagen froh wie nun.

Mich zum Haupt hast du erkoren,
Du als Krone mich beglückt:
Bleibst du immer unverloren,
So mir in das Haar gedrückt,
Sieh wie lieblich eins das andre trägt und schmückt!
(S. 241)


LXVI.
Meine Seele, mein Herz!
Meine Lust und mein Schmerz!
Mein willst du werden, mein willst du sein,
Und mein auch bleiben, auf ewig mein,
In Freud' und in Noth,
Im Leben, im Tod!

Im Leben, im Tod,
In Freud' und in Noth
Mein liebendes Herz, mein treues Gesicht,
Ich halte dich fest und lasse dich nicht,
Meine Lust und mein Schmerz,
Meine Seele, mein Herz!
(S. 242)


LXVII.
Ich grüße dich, so wie man grüßt
Die Sonne die von ferne lacht:
Sie hat verscheucht und hat versüßt
Die Schrecken all der finstren Nacht.
Und weilet selber sie auch fern,
Ihr milder Schein ist heimlich nah:
Die Blume steht in Freude da
Und leuchtet selber wie ein Stern.
(S. 243)


LXVIII.
Der von dir ich dichtend spreche,
Der ich dichtend von dir sprach,
Sieh, ich wandle nur und breche,
Wie ich auch in deinem Garten
Hie und da und aller Arten
Blumen dir zum Strauße brach.

Blumen die ich nicht gezogen,
Blumen nur die ich gepflückt:
Dennoch glaubtest, mild gewogen,
Wenn mit deinen Eigenthumen
Ich dir nahte, deinen Blumen,
Dennoch dich von mir geschmückt.

So in deiner Liebe Garten
Wenn dein Dichter Blumen bricht,
Lieblichkeiten aller Arten,
Die ihm wachsen in die Hände:
Sein Geschenk ist deine Spende,
Deine Gabe sein Gedicht.
(S. 244)


LXIX.
Liebste, wenn wir gar nichts wüßten,
Du von mir noch ich von dir,
Oder wir uns meiden müßten,
Weil man dich mißgönnte mir;

Oder wir uns müßten meiden,
Weil es eigner Haß gebot:
Liebste, dieses wär' ein Leiden,
Liebste, dieses eine Noth.

Doch da sein von Gottes Hulden
Eins das andre kennt und nennt,
Laß es tragen uns und dulden,
Daß uns noch die Ferne trennt.

Und was kann uns auch gebrechen,
Da in Freuden all den Tag
Heimlich eins zum andern sprechen,
Herzen es und küssen mag?

Was gebrechen uns und fehlen,
Da ja über weiten Raum
Nächtlich können unsre Seelen
Wandern in des andern Traum?
(S. 245-246)


LXX.
Gott grüße dich, mein schlankes Reh,
Das wieder du wie munter,
Als gäbs kein Weh, im grünen Klee
Nun hüpft hinauf hinunter!

Vergiß nur nicht, wenn weit ins Land
Du springst und tief im Walde,
Vergiß die Hand nicht die am Band
Dich leitet balde balde.

Ja liebes Reh, wie wird dir sein,
Wenn ich dich erst umhege?
Mein Rehelein, wenns aus und ein
Stäts geht auf gleichem Wege?

Getrost! die Erde grünt auch hier,
Auch hier im engen Pferche,
Und über dir, gesandt von mir,
Schwebt singend eine Lerche.
(S. 247)

Aus: Neuere Gedichte von Wilhelm Wackernagel 1832-1841
Zürich und Frauenfeld
Druck und Verlag von Ch. Beyel 1842
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Wackernagel

 

 


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