Wilhelm Weigand (1862-1949) - Liebesgedichte

 

 

Wilhelm Weigand
(1862-1949)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Das ist ein Atmen in der Nacht

Das ist ein Atmen in der Nacht!
Die Dämmerfernen sind erwacht.
Im warmen Dunkel kommt beklommen
Der Sehnsucht heißer Hauch geschwommen.

Gleich einer Seele, die noch still,
Bevor sie stürmisch jubeln will,
Ist das Erwarten in den Lüften,
Die schwül und schwer von jungen Düften.

In meiner Seele über Nacht
Ist das Verlangen aufgewacht,
An einer schönen Brust zu liegen,
Geschlossnen Auges, glückverschwiegen.

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 13)

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Du

Zauber Deiner tiefsten Nähe,
Aller Himmelsfülle Ruh,
Wo ich gehe, wo ich stehe,
Bist nur Du es, bist es Du!

Sehnsuchtschauerndes Verlangen,
Aller tiefste Widerstreit -
Seit Dein Arm mich still umfangen,
Atmet rein die Brust befreit.

Wunschlos, fraglos, glückvollendet,
Ward mir Deine Himmelsruh,
Deren Zauber niemals endet,
Du, mein blühend Schweigen, Du! -

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 14)

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Fragment

Zuweilen aber schlugen
Die Nachtigallen fern.
Die Finsternisse trugen
Goldblinkend Stern an Stern.

Des Mondlichts Schimmerspuren
Auf allen Hügeln weit.
Mir aber war's, wir fuhren
Durch lichte Ewigkeit.


Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 15)

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In der Frühe

Kaum von meiner Wimper schieden
Traumgebild um Traumgebild,
Schreit' ich schon in Thau und Frieden
Durch das mailiche Gefild.

In Dein liebes Bild versunken,
Starr' ich in den Tag wie blind,
Wie von Deiner Nähe trunken,
Spielt um mich der Morgenwind.

Ob auch längst den Weg verließen
Meine Füße, merk' ich's kaum.
Ueber thaubeperlte Wiesen
Schreit ich immer noch im Traum.


Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 16)

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Abends

Laß ruhen Deine weiße Hand
In holdem Schweigen in der meinen,
Indessen ob dem blühnden Land
Sich Tag und Nacht im Frieden einen.

Wir wollen lächelnd immerfort
Auf uns're jungen Herzen hören.
Es soll kein Kuß, kein lautes Wort
Die wunderbarste Zwiesprach' stören.

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 17)

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Abend auf dem See

Golden Dämmern, Purpurgluten
Breit ergossen auf den Fluten.
Unnennbare Friedensstunde
Weiter wasserdunkler Runde.
Feucht in Deines Auges Gründen
Goldne Wunder sich entzünden.
Um Dein schönes Haupt, mein Leben,
Der Verklärung Schimmer weben.

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 18)

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Sommergarten

Goldengrüne Einsamkeit,
Stiller Sommergarten!
Sonnig Glänzen weit und breit,
Sprießen, Blühen, Warten.

Goldglanz ruht auf meinem Glück.
Zauber tiefster Stunden
Kehrt mit jedem Tag zurück,
Reicher als entschwunden.

Seliges Beisammensein!
Wie sich mir enthüllen
Deines Herzens Wunder, rein
Mich mit Glück erfüllen!

Uebervoll ist mein Gemüt,
Voller Seligkeiten,
Was da reift und leuchtend blüht,
Sprießt aus Trunkenheiten.

Voller drängt's mit jedem Tag,
Unerschöpflich schwellend.
Was noch Alles kommen mag,
Tiefster Brust entquellend!


Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 19)

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Hat die Liebe Wort gefunden

Hat die Liebe Wort gefunden,
Daß sie siegreich sich befreie,
Ist dem Herzen auch geschwunden
Ihre allerhöchste Weihe.

Sollen Leid und Liebe zeigen
Ewigen Zauber, mußt Du, einsam
Sie in gottverschlossenem Schweigen
Tragen durch die Zeit gemeinsam.

Kaum, daß aus den Liedern blicken
Darf ihr wahres Bild zuweilen
Und in's Leben Grüße schicken,
Flüchtig, im Vorübereilen.


Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 35)

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Rosen

Keine Rose darf ich pflücken,
Deine junge Brust zu schmücken!
Fromm der Gottnatur ergeben,
Ehrst Du jedes Blumenleben,
Daß es sich im Licht vollende
Unterm Schutze Deiner Hände. -

Doch im Traum der Sommernächte
Schlingen um Dein Haupt Geflechte
Reifer Rosen sich zum Danke;
Steuert, frei der Erdenschranke,
Deine Seele in dem großen
All auf einem Meer von Rosen.

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 79)

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Gigue
(Allegretto con moto ed espressivo)

Spiel mir die süße Gigue von Bach!
Dämmer weben im stillen Gemach,
Und schleierzart erquillt die Flut
Der Töne, drauf die Seele ruht:
Zwei Liebende sitzen lauschend wach
Im mondenhellen Dämmergemach.
Sie schweigen still. Sie reden nicht.
In ihrem Aug' glänzt Märchenlicht.
Sie lauschen still, belauschen nur,
Was ihrer Seele widerfuhr,
Da in dem Tanz des Einen Hand
Ein hold Geheimnis leis bekannt,
Das nun in Tönen goldrein lebt,
Und goldrein in das Dunkel schwebt.
Zwei Liebende sitzen lauschend wach - -
Spiel mir die süße Gigue von Bach!

Aus: Wilhelm Weigand Sommer Neue Gedichte
Verlag von Hermann Lukaschik
G. Franz'sche Hofbuchhandlung München 1894 (S. 88)

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Der Gefesselte

Unsichtbare Fäden binden
mich an meiner Liebe Wesen.
Was mein Auge sich erlesen,
kann mir nimmermehr entschwinden.

Schlägt das Schicksal eine Wunde
einem Reinen, einem Schönen,
webt um mich ein strahlend Tönen
wie verklärter Klage Kunde. -

Wenn ich einen Faden reiße,
zittern von geheimen Schmerzen
tausend Sterne, tausend Herzen,
tausend junge Knospen leise!

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 10)

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Auf einen Fächer

Weil nun so jung mein Sehnen ist
und leicht bewegt
wie dieses Fächers Regen, -
laß mich dir sagen:

Hell ist die Nacht von deiner Augen Licht
und lauscht und lauscht,
wie süß das langgezog'ne
sterndurchwob'ne Sehnsuchtslied
der hundert Geigen
über unsern Seelen weilt.
Und doch, ich weiß,
im düfteheißen Dunkel
stiebt es und stiebt wie eines Lachens Silberperle
und nur dein Blick bleibt,
nur ein bitt'rer Duft
auf meinem Leben.


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 28)

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Geständnis

Ja? - Dein Blick - ein leuchtend Heben! -
Sank auf deine Hand zurück.
Nur ein leises, leises Beben
dieser Hand verriet mein Glück.

Nur ein Zittern aus der Tiefe,
Zucken wie durch Schleierflor.
Doch Dämonen, die mir schliefen,
stürmten jäh in mir empor. -

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 29)

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Noch

Noch wollen deine Hände wehren
dem überströmenden Verlangen.
Noch trag' ich stumm ein scheu Begehren,
ein wundersam erzitternd Bangen.

Noch zagt mein Arm, dich zu umschließen,
noch bin ich rein und unerfahren!
Vergessen hab' ich es seit Jahren,
daß ich schon - schwieg in Paradiesen.

Noch steh' ich scheu vor heil'gen Thoren
in unnennbaren Königsträumen.
O laß, in Dumpfheit so verloren,
laß mich nicht länger, länger säumen!

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 31)

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Ein Augenblick

So sank mir endlich, Selige, deine Hülle!
Doch du, den Mund von süßem Weh umflossen,
hältst mir dein rosig' Augenlid geschlossen,
erschauernd vor des Herzens Flut und Fülle.

Sinnt deine Seele nach den zagen Träumen,
die einst dich Scheue glühend überfallen,
ein Lauschen wir vor lichten Tempelhallen,
wo aller Lust geweihter Wogen schäumen?

Willst sammeln du in deines Auges Reichen
zu einem Blicke urgeheimes Sehnen,
daß meine Wangen tief vor Glück erbleichen,
indes du süß errötest, ganz in Thränen?

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 32)

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Seltsame Stunde

Nur frage nicht mein dunkles Herz!
Du weißt, was meine Augen sagen: -
Ich habe allzulang getragen
den bitter unfruchtbaren Schmerz
in dumpfen Tagen.

Mich schreckt ein fallend Rosenblatt,
mich schrecken windverwehte Töne
und deiner Augen Märchenschöne,
der ich auf dunkler Lagerstatt
mich selber höhne!

Nein, frage nicht! Schau' nie zurück!
Du weißt, wie dunkle Mächte walten.
Mit zitternd scheuen Händen halten
darfst du mein Glück,
mein scheues Glück! -

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 33)

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In der Dämmerung

Du selige Seele, nein!
Plump ist das Wort
und schleierzart
und leicht verletzlich
das heimlich webend unaussprechliche Gefühl.
Drum schweige mir,
glückatmend, schweige!
Nur in Tönen darfst du mir
die schamhafte Schönheit bekennen,
die dich erfüllt, geliebte Seele,
herrliches Herz!

Ich kenne sie alle,
himmlisch vertraut mir,
die göttlich schweifenden Gedanken,
die aus den lichtdurchspielten Fluten
mir lockend entgegentauchen,
süß wie schöne Frauen
durch Schleier blicken,
in ihren Augen
das Licht deiner Augen,
der Rätselsterne meiner Schönheit.
Doch horch: -
Dort fällt ein letzter, zögernder Ton
wie ein feuriger,
windgeschaukelter Lilienkelchtautropfen
in die dunkle Flut,
und die Ringe verzittern
und uns umatmet
lautlos nur
die Himmelslast des Abendschweigens. - -
Und durchglüht von dem lieblichen Atem
deines halbgeöffneten Mundes
kann ich nur lächeln mit Kinderaugen,
in die sich alle Fülle
des Lichtes gerettet!
Alle die Fülle!


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 34-35)

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Mit einem Jasminzweig

Dies sind duftberauschte Wochen,
und die Mächte glüh'n Entzücken,
Nächte, die wie Stunden sind!
Dein geliebtes Haupt zu schmücken,
hab' ich von Jasmin gebrochen
still ein blütenschwer Gewind.

Aus der Nacht des schwersten Haares
haucht mir nun ihr Duft entgegen,
schwül, erinn'rungsschwer und feucht,
und, ein Stern auf Abendwegen,
glänzt dein Aug', dein wunderbares,
überirdisches Geleucht.

Werden still die hellsten Stunden,
perlt der Brunnen Seligkeiten,
liegt im Sternenduft die Welt: -
Deinem Haupt in Dunkelheiten
sei das Sterngewind entwunden,
daß in deines Arms Entbreiten
keine Blüte sterbend fällt.

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 36)

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Das Liebesschiffchen

Als wir unsern Kahn bestiegen -
trunken bog er selbst sich her, -
war er schon von tausend Lasten,
schon von tausend Kränzen schwer:
All' die Wonnen, all' die Schmerzen
grau verrauschter, heller Zeit
dufteten in Kelch und Knospen
uns'rer bangen Trunkenheit. -

Doch mich faßt es wie ein Grauen:
Schleierblick und glühend Wort,
was nicht selbst mein Herz geboren,
muß ich opfern, werf' ich fort:
Fort in die verträumten Tiefen,
wo der Muschel Rosenmund
träumt von süßen Abenteuern
und von Seelen sehnsuchtswund. -

Leer der Kahn -! Nur schwere Rosen,
die ich selber zog und band,
decken deine zarten Füße,
kühlen deine weiße Hand.
Und von wunderbarstem Sehnen
spricht mir nur dein Auge licht
auf der wunderbarsten Zwiefahrt,
bis die Nacht den Kahn zerbricht!

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 37-38)

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Im Dunkel

Seh' ich auch im Dunkel nicht
dein erglühend Angesicht,
fühl' ich doch, daß deine Wangen
leuchten von der Seele Licht,
von dem zärtlichsten Verlangen.

Sieh, errötet nicht die Nacht?
Webt ein Flüstern, leis erwacht,
nicht im rosenvollen Garten?
Ist der Fernen Funkelpracht
nicht ein einzig lauschend Warten?

Gieb mir deinen süßen Mund,
daß aus aller Tiefen Grund
sich kein Laut, kein Wort entringe!
Daß, die Seelen sehnsuchtswund,
uns die Nacht, die Nacht verschlinge! -


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 39)

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Krönung

Wehr' dich nicht! Gestatte, daß ich kröne
mit der duft'gen Last die Stirn, die schöne!
Dieses Veilchenkranzes schmal Gewinde
fess'le deine Stirn als Priesterbinde.

Während du des Herdes stille Flammen
hieltst mit keuscher Friedenshand zusammen,
hab' in bangen, schicksalvollen Jahren,
hab' ich Unaussprechliches erfahren: -

Rausch ist Leben! Doch in jedem Becher
perlt im Grunde Bitterkeit dem Zecher.
Geist ist Höhenglück! Doch kein Genügen
fand er je auf seinen Adlerflügen.

Ein Geheimnis lebt im Bann der Erde.
Es zu lösen, sprach ein Gott sein Werde.
Doch wie Adler stoßen die Gedanken
wund sich an des Gottestraumes Schranken.

Unaussprechlich ist das tiefste Fühlen,
aller Tiefen qualvoll heißes Wühlen.
Ein Geheimnis lebt und webt auf Erden -
Horch! Ein Laut -! Doch - Abend will es werden.

Laß im Bann mich deiner Märchenaugen,
laß mich deines Atems Frieden saugen!
Laß mich ruhen! Laß mich atmend schweigen!
Laß der Sterne ewigen Reigen steigen!


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 41-42)

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Gartenglück

Lebst du nicht im Paradies?
Willst du, säumend unter Buchen,
ewig noch die Ferne suchen,
die dein Fuß schon längst verließ?

Horch -: des Springsbrunns Plätscherspiel
füllt mit Wonnelaut die Stunde.
Stumm auf deinem süßen Munde
fand mein Sehnen längst sein Ziel.

Meiner Seele Friedensbraut:
Liebe glüht und glänzt das Schweigen!
Über lichtdurchwirkten Zweigen
ist die Welt ein Lerchenlaut. -

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 43)

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Gewitter

Du hattest lang gespielt im Dunkeln,
deines Herzens ganze Nacht.
Ich sah nur auf der sammtnen Tonflut
zuweilen eine Perle funkeln
und stieben wie den Einfall eines Gottes,
dem ein Weltentraum, voll Reu' und Schöne,
in der liebessatten Seele erlosch.

Draußen aber verglomm
der Sommerabend
in eines langsamen Gewitterregens
süßem Geriesel.
Jeder Tropfen schimmerte Gold
und zögerte, von durstigen Blättern
herabzufallen auf die nassen Beete.
Der erfrischte Garten dampfte
Duft und Kühle.

Da schritt ich in den
schimmernden Schleiertropfenfall
und pflückte die gebeugteste
der purpurschwarzen Rosen
und legte regenperlenschwer
sie auf die weißen Hände dir,
wie süße Last der Tage,
die dahin.
Da hob sich mir,
Von Schimmern feucht, dein Blick entgegen
und ein Unnennbares
überschauerte unsre Seelen. -
Ein Unnennbares!

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 44-45)

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Schicksal

Wenn du Einzige gestorben,
wenn ich selber längst verdorben:
Eine Lilie wird erblühen
aus dem reinsten aller Herzen;
eine Rose wird erglühen
aus den Tiefen meiner Schmerzen.

Und die lichten Blumenflammen
sehnen zitternd sich zusammen:
Schimmer gleiten, Strahlen weben
ein Erglänzen reiner Seelen -
und in eines Dufts Entschweben
dürfen wir uns still vermählen.


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 46)

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An -

Darf ich deuten deinen Blick,
deuten dein Vorübergehen?
Schönheit atmet und Musik
deine Seele im Verwehen -
erdenmüde.

Ach, die Sterne pflückt man nicht
wie die ersten Sommerrosen,
wenn im letzten Abendlicht
Winde mit den Düften kosen,
satt und selig.

Wer den Frieden so errang,
darf nur noch die - Blumen lehren;
deinen Sonnenuntergang
kann ich nur durch Schweigen ehren,
reife Seele.


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 66)

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Seliger Port

Duft und Luft von Paradiesen,
und des Schaums Lichtperlen fließen,
Frische strömend, um den Kahn.
Und schon tauchen leis die stillen
weißen Villen
säulenprangend uns heran.

Wie von wunderbarer Trauer
streift mein trunknes Herz ein Schauer,
nah dem rosensel'gen Port:
Was wir, überwältigt, fühlen,
kann nicht kühlen
Kuß und Blick und Kuß und Wort!

Auf des Gartens Schattensteigen
lauscht und atmet nur das Schweigen,
lauscht und atmet unserm Schritt;
unsre Seelen, übertrunken,
weltversunken,
lauschen, atmen, zittern mit.

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 154)

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Liebesfragen

Vor der Villa, wo wir wohnen,
glänzt der Hang von Anemonen,
blaut der unermess'ne Lenz.
Fernsten Lebens Laute stieben,
wie von Sehnsucht hergetrieben,
aus der Lilienstadt Florenz.

Schimmernd Aug', voll tiefen Scheines,
träumst du immer, füllt dich eines,
das auch meine Brust erhellt?
Eines Menschenblicks wir beide,
reiften wir aus scheuem Leide
dieser Stille, dieser Welt?

Muß ich dein Verstummen ehren?
Mußt du meinem Kusse wehren,
seligste der Frauen, sag'?
Darf ich nur in Blüten sprechen?
Darf ich nur in Blüten brechen
unser Glück, von Tag zu Tag? -


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 156)

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Glück

Weißt du's nicht, o selige Frau?
Seit ich diese Lieder sang,
lebt ein neues Glück auf Erden,
tief und tiefer stets zu werden
sommerstille Tage lang.

Ist es dir noch Himmelslast,
werden andre sel'ger sein
und in Duft und Tag und Winden
seine gold'ne Schwermut finden,
weil es mein und weil es - dein.

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 158)

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Lächeln

Dieses Lächeln, das wie einer Welle Blick
dir so wundersam den Mund umsäumte,
als du deiner schönen Freundin heute
Anemonen schenktest, sah ich
schon einmal, geliebte Frau:
In der Kirche Sta Maria Novella
in Florenz: Du hattest dich verspätet
in der lieblichen Kapelle Strozzi,
vor dem Paradies Orcagnas, dessen Engel
so holdselig-menschlich niederblicken.
Sinnend saß ich müd' auf einem Stuhle
in des Schiffes dunkler Dämmerkühle,
und wie Betermurmeln klang mir nach
Fra Lorenzos herrliches Toskanisch.
Da - ein Rauschen, wie von schwerster Seide -
vor dem Chore, in dem warmen Dämmern,
sah ich dich, den Blick erhoben, stehen
und vor dir, den Fuß schon auf der Treppe,
golden blinkte seine feine Spitze -
stand Ginerva, aus dem Haus der Benci,
jene schöne Frau aus Ghirlandajos
Fresken in dem wunderbaren Chore,
den ich liebe, den wir beide lieben.
Hatte sich die Herrliche verspätet,
in des Mittags süßer Geisterstunde
still nun kehrend in der Schönheit Himmel?
Oder sucht ihr goldbeschuhter Fuß
eine Pfad, der zu des neuen Heilands
Mutter leitet, die in Wehen liegt
oder schon mit dankerfülltem Blicke
sieht das Kindlein auf der Wehfrau Armen?
Und sie traf dich schreitend auf dem Heimweg,
einen Augenblick verweilend in Gedanken
und mit jenem Lächeln dich begrüßend,
wie es schönen Frauen heimlich aufblüht
um den Mund, wenn eine Schwester freundlich
sie mit ihren klugen Augen prüfen?
Ja, es war das gleiche Rätsellächeln,
das den Mund euch beiden zart umspielte:
Einer schönen Frau der Renaissance,
deren Festesjubel Glänzen wurde
auf zwei schönen, glückumstrahlten Lippen;
einer schönen Frau aus nahem Norden,
der die Flut der Jahre alle Schönheit
an die Brust gespült, sie leise bildend,
daß ein Schweigen in der Seele reifte
und mit seiner Himmelslast die Demut
eines schönen Nackens schimmernd beugte. -
Eine Sonnenwelle eures Lächelns lief
mir durch alle Welt - -. Da regte leicht
deine zarte Hand den Arm mir und -
deine Augen sah ich niederlächeln,
meine selig treuen Reisesterne.


Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 167-169)

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Abend

Satt ward mein Auge!
Übersatt vom Glanz und Duft
des wonnigen Tags,
der noch in später Feierabendstunde
über der blauen Ebene
einen Spiegel emporhob
aus dem webenden Duft der Sonnennähe:
Das brennende Gold des beruhigten Meeres. -
Satt ward mein Auge,
selig-satt!
Nun quillt es über,
glückselig-unglückselige Tropfen,
weil wir vergehen in naher Nacht:
Der himmlische Duft,
das Gold des Meeres,
der webende Schimmer,
wir beide, wir beide!

Frascati, 26. März 1898

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 180)
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L'embarquement pour Cythere

Segel, tausend Segel schweben!
Tausend gold'ne Masten heben
sich in schimmernden Azur!
Sehnsucht schäumt des Meeres Rauschen
meinem Lauschen -
sel'ger Schiffer bin ich nur!

Fern in purpurduft'gem Raume
schweben überm Perlenschaume
Riesenvögel - naht ein Port?
Singender Sirenen Stimmen
nahn und schwimmen
mit den weichen Winden fort:

"Lebte schon ein Weib auf Erden,
würdig dein Gemahl zu werden,
würdig einer Liebesnacht,
die in Sternen, die in Rosen,
fessellosen,
bräutlich Dunkel, glüht und wacht?

Aller Duft geweihter Küsten
und das schimmernde Gelüsten
aller Meerflut weit und breit, -
schwieg es schon in einem Leibe,
einem Weibe
einer jungen Seligkeit?

Wurde schon der Meernacht Leuchten
Sehnsuchtsglanz in einem feuchten
Aug', in einem Menschenblick?
Schon das Glück beglückter Wellen
in dem hellen
Lachen silberne Musik?

Heilige Fluten wollen blühen!
Heilige Fluten wollen glühen
in der seligsten Gestalt!
Wollen atmen, wollen sinnen,
Träume spinnen
lichtgebändigter Gewalt!

Hier und dort im Wellenfunkeln,
hier und dort im heiligen Dunkeln
leuchten Füße fern am Strand - -
Hasche sie mit raschem Griffe!
Deinem Schiffe
winkt ein wonnig Inselland."

Wellen wandern und verblinken!
Sterne steigen, Sterne sinken
in der Nacht des Weltenraums!
Und es glüh'n im Abendlichte
die Gesichte
tiefer meines wundes Traums.

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 204-206)

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Einkehr

Ruhelos in reichsten Jahren
blieb mir Ringendem der Sinn.
Doch des Glücks, das ich erfahren,
wardst du stille Hüterin.

Glut und Flut des Überhebens
dämpft ein schleichendes Geschick.
Doch die Fülle klarsten Lebens
strahlt mir her aus deinem Blick.

Was ich reifend dir gegeben,
schenkst du rein und reiner mir,
und mein unentweihtes Leben
glänzt und schweigt mir nur in dir.

Aus: In der Frühe Neue Gedichte (1894-1901)
von Wilhelm Weigand Neue Ausgabe
München und Leipzig 1904
Verlag von Georg Müller (S. 209)

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Liebe

Du, glaub, es war ein andres Leben,
Wo wir uns beide schon gekannt,
Für Ewigkeiten uns zu geben
Dort in der Götter stillem Land.

Doch nur ein Leuchten gibt noch Kunde
Von jenem ruhevollen Glück.
Es dringt kein Wort aus tiefem Grunde
Zu uns empor, dorthin zurück.

Es weiß es nur ein stummes Sehnen,
Wie Liebe liebt und Liebe schweigt,
Indes der Glanz geweihter Tränen
Empor ins volle Auge steigt.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 5)

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Morgens

Durch die blassen Fernen, düfteschwer,
Die in silbernem Geleucht verschwimmen,
Durch der Gärten goldne Vogelstimmen,
Durch den Morgen kommst du still daher.

Bringst du mir den Traum aus deiner Nacht,
Daß in dieses Tages Wirrgewühle
Deine Nähe nur ich tiefer fühle?
Was uns stumm und was uns selig macht?

Durch den Morgen kommst du still daher,
Mit gesenktem Blick aus dunkeln Fernen -.
Sieh mich an: denn keine Heimat hab' ich mehr,
Als das Licht in deinen Augensternen.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 5)

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Vorfrühling

Nur ein heller Vogellaut!
Und schon muß ich sehnend gehen
Über Wiesen hin im Wehen
Heller Hügel, duftumblaut.

Und schon muß im lichten Grün
Tausendmal ich still mich bücken,
Tausend Kelche still zu pflücken,
Die dir hell entgegenblühn.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 6)

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Wandel

Und ein tiefer Wandel kam
Über mich beim Heimwärtsschreiten:
Sind es noch die gleichen Weiten,
Die ich müden Sinns gesehn,
Trübe im Vorübergehn?

Eine Nacht wühlt mir im Sinn -
Deine Wange durft' ich fühlen,
Deine Schläfen durft' ich kühlen,
Und dein strahlend Auge, du,
Küßt' ich, tief erschauernd, zu.

In den lerchenvollen Tag
Streben trunken meine Füße.
Voll des Lebens Glut und Süße,
Starrt in schauernd Menschenglück,
Starrt mein Auge blind zurück.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 6)

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Ufer

Doch es störte uns kein Rufer
Aus dem nahen Schattenland,
Allzunahe unserm Ufer,
Dran wir saßen, Hand in Hand:
Du mit deines Lächelns Milde,
Das die Luft mit Glanz erfüllt;
Ich versonnen vorm Gefilde,
Das ein Leuchten uns verhüllt.

Während ich in Glückesschweigen
Fühlte kaum der Stunden Flucht,
Brachest du aus Schattenzweigen
Eine reife, schwere Frucht:
Aus den Zweigen eines Baumes,
Der am Ufer drüben stand,
Schwer die Goldfrucht eines Traumes
Aus dem nahen Schattenland.

Und dein Blick war wie ein Fragen,
Daß ein Schauer mich durchrann
Wie in jenen Frühlingstagen,
Da ich mir dein Herz gewann;
Und dein Blick war ein Verlangen
Nach dem nahen Schattenland,
Und in namenlosem Bangen
Faßt' ich deine Hand.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 7)

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In Florenz

In Glückestränen sah ich einst dich stehn,
Als in des Florentiner Frühlings Milde
Du sahst die sanft verblauenden Gefilde
Im Veilchenduft des Abends still vergehn.

Weich fiel der Rosenblust vom Mandelbaum
Und unsre Augen sahn sich an und schwiegen.
Du sahst ersehnte Küsten lockend liegen,
Und - ich nur unsrer Seelen wachen Traum.

Da quoll auch mir ein tränendunkles Weh
Empor aus göttlichen, aus bangen Tiefen,
Und Küsten zu, an die uns Götter riefen,
Ging unser Weg auf lauterm Blütenschnee.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 9)

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Einst

Ich zog mit dir durch schöngetürmte Lande,
Die voll des Gottesatems der Geschichte.
Ich ging mit dir am silberblassen Strande,
Versunken in der Meeresnacht Gesichte.

Ich zeigte dir die duftumblauten Küsten,
Die in dem Schimmerduft azurner Meere
Dem Auge schufen trunkenes Gelüsten
Und unsern Herzen holder Sehnsucht Schwere.

Ich saß mit dir auf toter Götter Grüften
Und hörte Liebeslaut im Winde klingen,
Indessen in den strahlend hellen Lüften
Der Wolken schwebende Paläste hingen.

Und alles Zittern lichter Wasserweiten,
In dem die Blicke schimmernd untergingen,
Und aller Hänge Purpurseligkeiten,
Dran weiße Marmorstädte blendend hingen:

War dein und mein im schönen Ring der Stunde
Und in der leichten Flucht beschwingter Tage,
Daß deine Seele mir im tiefsten Grunde
Für immer unnennbares Leuchten trage.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 9-10)

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Mit einem Fingerhut

Als jüngst du dich mit einer Nadel stachst
Und deiner Fingerspitze sanft ein Perlchen
Purpurnen Bluts entquoll, beschloß ich dir
Dies fein geschmiedete Gerät zu kaufen,
Das jüngst ich sah bei einem Antiquar.
Das Männchen, das den Schatz besaß, erzählte,
Das Becherlein aus purem Gold entstamme
Dem Brautschatz einer liebeskranken Fee,
Und manch ein Elflein habe mit dem Tau
Der Lilien in schwüler Sommernacht,
Wann schmal des Mondes Sichel in dem Blau
Des Himmels steht, den Durst daraus gelöscht.
Der Lügengnom! Ich aber weiß es besser:
Das Hütchen stak an seiner armen Hand,
Die Tag für Tag um ärmlich Brot durch Samt
Und Seide goldene Fäden zog
Im engen Stübchen eines Hinterhauses -.
Zwei kranke Augen träumten von dem Duft
Der Sommertage auf den linden Feldern
Und sahen nur den Tau der Sommernächte
Aus Rosenkelchen in dem armen Gärtchen
Des Wirtes wie verirrte Tränen funkeln
Empor in eines Darbens Einsamkeit. -
Lang, lang, bis leise der Erbarmer Tod
Das Hütchen nahm aus einer welken Hand -.
Du wirst das Becherlein am Finger tragen,
Das schöne Haupt auf deiner Arbeit Schmuck
Geneigt, und während ich der Seele Weben
Beschleiche, wirst vielleicht das gleiche Schweigen du
Belauschen, das der Herbst dem Garten schenkt,
Ein Sonnenherbst, wie wir ihn nie erlebt!
Der Buchen Rot, des Ahorns gellend Gelb,
Sie flammen uns in das Gemach herein,
Und atemlose Stille hält die Welt,
Die goldene, die reife ganz im Bann.
Und tief und tiefer wird das satte Gold
Des Nachmittags auf samtnem Rasenplan,
Und nur ein Schauer, wie von einem Tritt,
Geht durch den unsagbaren Glanz zuweilen,
Daß fremde Fühlung durch die Seelen haucht,
Als sähen abendstille Weiher sie
Aus Paradiesen glänzen, und ein Schweigen,
Musik geworden, strahlend drüber stehen,
Mit Silberflügeln wie ein Reiher, der
Zur Heimat strebt, wo unsre Götter schlafen -
Dies ist ein Herbst, wie wir ihn nie erlebt!
Mir ist, als hätten alle Dinge ihr
Gesicht gewandelt und kristallenklar
Wär aller Tiefen rätselhaftes Sein,
Draus mich es angeglänzt wie ein Weltgesicht.
Mir ist, als flösse eine Welle Licht
Nun über aller Dinge Dunkel hin,
Als hauche mich ein selig Grauen an,
Das oft im Glück mich heimlich überschauert,
Als wäre unsre Heimat nicht die Erde
Und eine Wunde trüge alles Glück . . .

Du kennst es auch, - ich seh's an deinem Blick! -
Das wache Sehnen, das nicht Stillung kennt
Und unser Auge mit Gesichten füllt.
Nur einen Tropfen gab die dunkle Macht,
Die uns auf diesen Menschenstern verbannt,
Um unsern Durst zu löschen! Einen Tropfen
Der Labung nur! Das goldne Becherlein,
Das nun in deinen Schoß ich lächelnd lege,
Füllt er uns nicht! Er läßt nicht eine Perle
Des Überflusses einer trunknen Welt
Hin über diesen Rand verblinkend quellen
In Liebesstunden heiliger Funkelnächte.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 10-12)

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Beim Anstoßen

Und als der flirrend feine Hauch und Hall
Verstob an unsrer hellen Kelche Wand,
Da sah ich zittern deines Lides Fall
Und zögern deine zarte, blasse Hand.

Von eines Schimmers jähem Strahl berührt,
Erblinkte her zu mir ein Schattenmeer,
Von stiller Geisterflut emporgeführt
Aus einem dunkeln Reich ein Schattenheer.

Wo seid ihr Glückliche, die schön gelacht?
Glänzt euer Gruß in meinen Tag herauf?
Und - tiefer sank mein Blick in wehe Nacht -
Da - schlugst du voll die schönen Augen auf . . .

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 12)

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Die Muschel

Eine rosige Muschel hebt ans Ohr
Deine perlenblasse Hand empor.
Willst du mit beglänzter Stirne lauschen
Einem runendunkeln fernen Rauschen?
Willst du -? Schrecken überhaucht dein lieb Gesicht, -
Deine Augen starren fremd ins Licht.
Sage mir: - was hörst du im Getöne?
Einer Sturmnacht gellendes Gedröhne?
Stürzen Trümmer eines Tempelbaus
In der Wogen schäumendes Gebraus?
Weht des Göttersterbens schrille Klage
Hin durch purpurrote Weltbrandtage?
Streift ein Riese mit gespreizter Hand
Die Gestirne in den jähen Brand?
Will -? Da quillt in deinen schimmerfeuchten
Augen auf ein überirdisch Leuchten.
Ward in einem Gottesaugenblick
Meeresschweigen perlende Musik?
Hörst am Vorgebirg den Wind du gehn?
Siehst du einen weißen Tempel stehn,
Wo im Schatten Schöne sich begegnen
Und den Erdentraum mit Blicken segnen?
Hörst du mich, die Lauschen so verzückt?
Bist der Erde du schon ganz entrückt?

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 13)

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Rückblick

Geliebte Frau, ich sehe dich als Kind,
Von dessen Schönheit schöne Greise sprechen:
Du gehst dahin im goldnen Märzenwind,
Dahin an silberlichten Murmelbächen;
Du gehst einher in seidenem Gewand,
Das lange lag in hohen Eichentruhen,
Und vor dir türmt sich das umblaute Land
Der Berge, die im Abendpurpur ruhen -.

Und stumm in deiner Augen goldnem Grün
Lebt auf die Schönheit längst gestorbner Frauen.
Und Stunden, lauschend selig im Verblühn,
Und Stunden voller Menschennot und Grauen
Sind nun mit deinem jungen Leben eins,
Sind ganz dein innig Wesen und dein Wille
Und heben aus der goldnen Kindernot des Seins
Den dunkeln Drang in bräutlich reine Stille -.
Und was da ist, und was entschwebend war,
Was deine Seele wie mit Schleiern schmückte
Und dich in ihres Reifens stillstem Jahr
Aus eignen Tiefen übervoll beglückte, -
Ist wie ein Wunder mir, daß ich dich fand,
Daß dir mein Aug es durfte sagen,
Wie ich durch meiner Jugend fernes Land
Den gleichen Blick zu dir, zu dir getragen.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 14-15)

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Abendglanz

Ein Leuchten war dein Angesicht,
Als durch des Abends heilig Licht
Wir, Hand in Hand, in Schweigen gingen.
Fern lag die Stadt in Dunst und Rauch!
Von Sternen fiel ein kühler Hauch,
An denen unsere Augen hingen.

Ein Leuchten war dein Angesicht,
Als in des Abends heiligem Licht
Ein Sehnen unsre Brust erfüllte
Und Glanz aus unserm Heimatland,
In dem ich deine Seele fand,
Und ganz in seine Schimmer hüllte.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 16)

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Ein Augenblick

Heiliger Friede meiner Sinne!
Meine Augen mach' ich zu,
Daß die Stunde schön verrinne
Ganz in deiner Nähe Ruh.

Doch der Strom, auf dem seit Jahren
Wir gemeinsam, ich und du,
Mit geheimem Bangen fahren,
Trägt uns unsern Meeren zu.

Plötzlich öffnen sich die Weiten:
Goldnes Zittern, tiefer Schein
Strahlender Unendlichkeiten,
Und wir gleiten still hinein.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 17)

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Liebesschweigen

Wie sag ich dir das lastend Unsagbare,
Schon über jede Lust Hinausgehobene
Und so mit unsrer Liebe Sein Verwobene
Wie Blühn und Welken mit dem Schritt der Jahre?

Nicht mehr im Schattenfluge schwüler Zeiten
Ist es das schwere Ineinanderwühlen;
Es ist nur atmend Ineinanderfühlen,
Ein Lauschen nur verstummter Seligkeiten.

Und sinkt uns Schreitenden aus Maienzweigen
Ein Blütenstern und zittern unsre Seelen,
So wird der Augen Schimmern selbst verhehlen
Den tiefern Glanz auf unserm Hüterschweigen.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 17)

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In der Dämmerung

Dämmrung füllt die stummen Wände
Mit dem milden Dunkel nun.
Gib mir deine lieben Hände!
Laß mich lauschen! Laß mich ruhn!

Leise bleicht der Glanz der Lüfte,
Fremder wird ein jeder Ton;
Nur des Gartens schwere Düfte
Weben wie in Nächten schon.

Wenn der letzte Schein von hinnen
Und des Tages wirr Gewühl,
Bleibt uns nur im Herzen innen
Ein allmächtiges Gefühl.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 18)

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Liebeswunde

Süßer Duft streift von der Linde
Durch die schwüle Julinacht.
Atmend schlafen alle Winde -
Daß ich einzig dich empfinde,
Bin ich plötzlich aufgewacht.

Geisterstille! Unnennbare!
Dämmergrauen über mir!
Trübung überläuft die klare
Tiefe jener jungen Jahre,
Die ich still gelebt in dir.

Schwer auf deine Augenlider
Haucht der Tau nun einen Traum,
Und die leicht gelösten Lieder
Fühlen alle Wonnen wieder,
Die in Nacht zerronnen kaum.

Liebesnacht! Die Welt zu fühlen,
Ward mir deine reine Näh,
Und in aller Tiefen Wühlen, -
Nie zu stillen, nie zu kühlen! -
Wunden Glückes seltsam Weh.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 19)

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Geigen

Wie wenn in weicher Töne süßes Ziehn,
Das sehnend aus sich selbst erblinkt und spinnt
Und zag und zuckend ineinander rinnt
In eines Webens helle Weite hin, -

Nun eines Sternes schweres Leuchten tropft
Und tief in des Gewebes Ruhe sinkt,
Die durstig aller Höhen Helle trinkt
Und drohend wieder aus der Tiefe klopft:

So war es mir, als, zögernd, deine Hand
Die meinige im Augenblick berührte,
Da sanft ein Hauch den stillen Sinn entführte
Ins abendliche, lichtverklärte Land.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 20)

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Traumgang

Du kamst im Traum! Du nahmst mich bei der Hand.
Wir gingen durch ein fernes fahles Land.
Wir gingen über weißen Sommerstaub,
Wir gingen über gelbes Lindenlaub,
Umschauert rings von wilden Windes Wehn -
Wir blieben stumm vor einem Gitter stehn.

Wir blickten scheu in eines Gartens Reich:
Da blinkte fremd ein silberblasser Teich
Und fiel, des Sommerwebens müd und satt,
Aus einem dunkeln Kelch ein Rosenblatt.
Da floß ein Schauer durch betaute Tiefen,
Die schwer im letzten Abendscheine schliefen.

Vernahmst auch du den seltsam goldnen Laut?
Das war das leise Lachen einer Braut!
Und hörtest du den Schritt durch Tag und Tau?
So schritt, in Schönheit schweigend, eine Frau!
Und sahst du offen alle Tiefen glänzen?
So lächelt eine Tote unter Kränzen.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 20-21)

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Lächeln

Oft, wenn in des Abends Bann
Lächeln dir den Mund umblühte,
Himmelsabglanz reinster Güte,
Daß ich überwältigt sann,

Zog durch meines Herzens Schoß
Plötzlich ein geheimes Trauern:
Dieses Glück kann nimmer dauern,
Denn es ist zu rein, zu groß!

Dieses Lächelns Seelenschein,-
Keine Erde darf ihn bleichen, -
Ist ein Glanz aus höhern Reichen
Und ruft wieder dich hinein.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 21)

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Wunder

Ein Wunder, hat es plötzlich mich erfüllt
Und tief in fremde Fühlung eingehüllt:
Nie wird, geliebte Frau,
Der Tage Not, der Tage Grau
Den heiligen Glanz mir nehmen von dem Pfade,
Auf dem du siegreich lächelnd zum Gestade
Der gottesdunkeln Welt hinabgegangen,
Um da zu warten
Des Ungereiften aus des Lebens Garten.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 22)

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Besuch

Du warst bei mir!
Wie ich voll wundersamer Regung glühe,
Die Brust so voll von deines Atems Nähe!
Wie ich voll wundersamer Kräfte blühe
Und alles wie durch goldne Schleier sehe,
Verklärte du!

Du warst bei mir!
In deines Wesens Reine, tief erglommen,
Quillt ein Gefühl, zeigt wunderbares Ahnen,
Das mich in trunkne Fülle hingenommen,
Erhellter Tiefen unnennbare Bahnen. -

Du warst bei mir!
Und eine Seele hat die kalte Welt,
Und himmlisch Leuchten liegt auf allen Wesen,
Und nur ein Auge hat sie mir erhellt,
Und nur ein Hauch gab mir Genesen
Und Herzensruh. -


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 22)

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Im Grab

Du liegst in einem Erdentraum im Grab:
Du kannst die blassen Hände nicht mehr regen,
Du kannst die Hand in meine nicht mehr legen,
Die mir des Himmels goldnen Schlüssel gab.
Du träumst geschlossenen Auges dich zurück -
Du träumst von einem himmlischen Begegnen
Und kannst mit toten Augen nicht mehr segnen
Ein irdisch wundersames Tränenglück.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 23)

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Geleite

Und bist du auch hinabgestiegen
In deines Grabes kalte Nacht,
Du gehst, - o inniges Geleite! -
Im Licht mir immer noch zur Seite,
Wie einst, wie einst durch Duft und Pracht.
Der warme Schein der treuen Augen,
Der einst mir meine Welt verklärt,
Muß noch den Herbst zu unsern Füßen
Mit allem Liebesschimmer grüßen,
Den stille Jahre still genährt. -
Dir muß ich alles anvertrauen,
Was ich durch Tag und Nächte trug:
Das Wort, so rein in deiner Nähe,
Die Blüten, die im Tau ich sehe,
Und aller bunten Bilder Zug.
O meiner Trauer ewig Sehnen!
Auflauschend gehst du still mit mir:
Dir muß ich alles, alles geben,
Und tief und tiefer wird mein Leben,
Und Schönheit wirst du ganz in mir.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 23)

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Schatten

Und vielgeliebte Schatten gehn
Durch meiner Seele stille Gärten
Wie einer Sehnsucht wundes Wehn.
Sie suchen schweigende Gefährten.

Ich zittere bei ihrem Nahn.
In ihren Augen steht das Leuchten
Der Tage, die mich selig sahn
Und welkend mir unsterblich deuchten.

Sie schweigen in dem schweren Duft,
Von uralt wehem Hauch umflogen,
Der golden webt ob einer Gruft,
Die schwer von Rosen überbogen.

Und alte Tiefen tun sich auf,
Und längst gestorbne Sterne steigen
Noch einmal aus der Nacht herauf
In meiner Schatten wehes Schweigen.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 24)

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Meine Glocken

Wandernd noch auf reinen Höhn
Fühl' ich plötzlich mich umklungen.
Ehern wallt ein fromm Getön
Her aus Tal und Dämmerungen.

Einer Glocke Silberlaut
Schwebt empor in Höhenschweigen:
Helle Augen einer Braut
Müssen sich in Tränen neigen.

Einer Glocke dumpf Gedröhn
Summt in tränenblinden Jammer:
Eine Tote schlummert schön
In der Liebe stillster Kammer.

Wohllaut in der Höhen Ruh
Wird ein namenloses Heute.
Rein den ersten Sternen zu
Wallt ein himmlisches Geläute.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 25)

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***

Immer bleibt es mir ein Wunder,
Daß du, Stille, mein gewesen,
In dem heiter schönen Kreise
Eines Wesens reinste Weise,
Wie wir sie aus Märchen lesen,
Wenn wir reif zur letzten Reise.

Immer bleibt es mir ein Wunder:
Alle Schritte wurden leise,
Stille wurden alle Lauten,
Harte, herbe Männer schauten
Wie in eine klare Quelle,
Wenn du kamst, du Zarte, Helle . . .

Immer bleibt es mir ein Wunder!

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 25)

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Das Märchenschiff

Willst du träumend nicht, o Süße,
Setzen deine weißen Füße
In das leichte schlanke Schiff?
Meinem Auge darfst du trauen:
Sieh, im Blauen
Steht kein Wölkchen, droht kein Riff.

Fern an blauenden Gestaden
Landen wir, auf Schattenpfaden
Warten wir der schönsten Nacht.
See und Sand und Sterne funkeln,
Und im Dunkeln
Webt ein Liebesatem sacht.

Meiner Tiefe Trunkenheiten
Vor geweihten Wasserweiten,
Aller Funkelschönheit Glast, -
Des Vergangnen Traum und Trauer,
Schaum und Schauer,
Überselig bittre Last:

Sieh, ich fühle es als Eines,
Sieh, ich fühle es als meines
Tiefsten Wesens Sang und Sinn,
Daß ich es als Liebeskunde
Deinem Munde
Schenke, schöne Träumerin.

Blumen brech' ich uns zum Pfühle,
Daß ihr Blut das Lager kühle -
Gib dein Auge! Deine Hand!
Morgen wird ein Strahlenweben
Still umschweben
Deinen Mund aus Rosenland.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 33-34)

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Vieux Saxe

Als der Marquis Hochzeit machte
Mit der schönsten Schäferin
Und die süße Schelmin lachte, -
Schmetterling und Flattersinn! -
Und in Gärten
Die Gefährten
Grüßten eine Königin:

Lag Natur in Rosenschleiern,
Eine Nymphe, lächelnd da;
Glänzten, solch ein Paar zu feiern,
Alle Weiher fern und nah
Meeresweiten
Zarten Zeiten,
Die kein Auge weinen sah.

Brautmusik, ein Klang von - gestern
An dem bunt besternten Rain,
Wo der Schwanenschwarm der Schwestern
Warf sein spottend Lachen drein,
Sie zu necken,
Sie zu schrecken
Mit verblaßter Sehnsucht Pein: -

Was ist Liebe? Leichte Beute
Einer frechen zarten Hand,
Die Berührung zweier Häute,
Die noch nie ein Morgen fand;
Leis ein lüstern
Lockend Flüstern
An der Seele dunkler Wand.

In der Brautnacht hergeschwommen
Kam ein Duft von wildem Blut,
Und ihr Lieben ging beklommen
Unter in des Duftes Flut:
Und die Heitern
Sahen scheitern
Ungerührt ihr höchstes Gut.

An dem Strande stehn die Beiden
Nun, in Grazie versteint,
Stumm von jenen zarten Leiden,
Die kein Tränchen je geweint;
Schmetterlinge
Ohne Schwinge,
Die kein Ufer mehr vereint.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 80-81)

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Sehnen

Immer wacht ein wehes Sehnen
Einsam mir im Herzen auf,
Seh' ich licht das Meer sich dehnen,
Blick' ich in die Nacht hinauf.

War ich einmal schon verwoben
Dieser Dinge Drang und Tanz?
Schon einmal emporgehoben
In beschwingter Stunden Glanz?

Welle folgt der Glitzerwelle,
Und die dunkeln Winde wehn,
Und ich kann in Glanz und Helle
Meine Sehnsucht nicht verstehn.


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 84)

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April

Mich umspielt ein weiches Wehn
Wie ein namenloses Sehnen,
Und ich kann es nicht verstehn,
Wie sich alle Sinne dehnen.

Alle Fernen sind so klar.
Wie ein Fliehen dunkler Flügel
Zuckt und zieht es wunderbar
Von dem Fluß zum Veilchenhügel.

Goldne Wolken schweben her
In dem innig tiefen Blauen,
Und der Duft ist ahnungsschwer
Über den smaragdnen Auen.

Durch die Nacht und durch den Tag
Muß ich meine Sehnsucht tragen,
Bis am roten Rosenhag
Kelche aus den Knospen schlagen.

Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 87)

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Brautnacht

Als ich dich küßte und der volle Fall
Des seidnen Haars wie einer Woge Gold,
In der ein seliges Geheimnis rollt,
Mich überschlug mit seinem schweren Schwall:

Da lag ich, Mund an Mund, in Finsternis,
Den Fuß von jenes Flutens Schaum bespült,
Das mein Verlangen nimmermehr gekühlt,
Auch wenn es mich in tiefste Tiefen riß.

Ein Grauen wie von einem Zaubertrank, -
Sturm und Verlangen süß in eins gesellt
Zum Kindesatem einer reinern Welt,
In die ich wie auf einer Woge sank -

Und wie in wehen Schauern hob ich mich:
Da sprach von Sternenfährten des Geschicks
Das Strahlenwunder deines Sternenblicks,
Und - wie in einem Sturme nahm ich dich!


Aus: Wilhelm Weigand Der verschlossene Garten
Gedichte aus den Jahren 1901-1909
Erschienen im Insel-Verlag Leipzig 1909 (S. 117-118)

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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Weigand

 


 

 


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