Christine Westphalen (1758-1840) - Liebesgedichte

Christine Westphalen

 

Christine Westphalen
(1758-1840)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



 


Mayphantasieen

Voll Balsamgeister haucht die Luft,
Rings um mich her wallt Blumenduft;
Rings um mich her lockt seliges Leben:
Im Wehen, im Rauschen, im Tönen, im Schweben!
Welche fremde Mächte tauchen
Sich in Thau und Sonnenstrahlen? hauchen
Süße, sanfte, unendliche Fülle,
Durch die dumpfe, kaum belebte Stille,
In die Seelen der Fluren?

Leis' und lauer schweben die Winde,
Leben hauchend durch die kalten Gründe,
Durch die schlafenden Naturen. -
Von den Wolken hernieder
Schallen die Chöre
Hochsteigender Lerchen! -
Aus des Haines Dunkel die Lieder
Flötend klagender Nachtigallen! -
Ihre Seufzer hallen! -
Ihre Freudentöne beben! -
Entströmen den glücklichen Schmerz;
Bewegen das menschliche Herz
Zu Liebe, und Freude, und Leben!
Ihrem sanften schmelzenden Laut
Horchet, erröthend, die junge Braut;
Horchet der Jüngling mit bangenden Sehnen -
Ha, aus seinem Aug' entquellen ihm Thränen!
Und das Herz will seine feste Höhle sprengen,
Denn des Mayes Entzückungen engen
Ihm Busen und Sinn;
In lauten, in stillen Gesängen
Strömt er Schmerzen, strömt er Wonnen hin!

"Wer bist du dort, im Auge Himmel,
Die all dies holde süße Gewimmel
Des jungen Lebens, mit Lächeln, belauschet?
Nah' ich dir, süßes Mädchen? - O, weile!
Flieh nicht, ich flehe dich! theile
Diese bezaubernden Freuden mit mir!
Glücklicher fühlt sich der Glückliche hier.
Nein! mit leichten Schritten rauschet
Sie dahin, zu dem silbernen Quell. -
Folg' ich der Fliehenden schnell? -
Dort verschwindet sie im dunkeln Hain -
Und ich - ich bleib' allein! -
Immer seh' ich das liebliche Mädchen;
Immer die rosige Jugendgestalt,
Wie sie auf sammtenen Wiesen hinwallt,
Ach, wann kehrt sie dem Verlassnen wieder?
Sing' ich der Flüchtigen Lieder?
Nenn' ich ihr meine Gefühle:
Im sanft klagenden,
Im zart tönenden,
Im begeisternden,
Oder im hohen Saitenspiele?
Fleh' ich, mit der Liebe Zauberblick,
Um der Erde höchstes, höchstes Götterglück:
Um Lieb', um Lieb', um Liebe!"

Wer hat dies All so wunderbar geregt?
Wo leis' ein Herz nur schlägt,
Wo ein Atom sich bewegt,
Fühlt alles Liebe und Leben,
Geisterwelten seh' ich um mich schweben,
Jedes Stäubchen wird beseelt.
Jedes Stäubchen hat gewählt.
Jedes Stäubchen ist vermählt.

Und des Menschen Herz empfindet
Eine fremde Göttermacht,
Die sein Daseyn neu verbindet
Mit der neuen Schöpfung Pracht!
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Holder Jüngling mit der Rosenwange,
Süßer May, dir tönt die Luft!
Dir die Flur im hellen Chorgesange
Dir die Quelle in der Felsengruft!

Tausend Blüthenkelche hauchen
Nur durch dich erquickenden Duft
In die froh beseeltere Luft:
Berge dampfen dir, und Thäler rauchen!

Und das lautschlagende Herz der Liebe
Weihet die Flammen nur deinem Altar:
Selbst der wankende Greis im Silberhaar
Opfert dir allein noch warme Triebe.

Lieblicher, freundlicher, lächelnder Gott!
Eine Öde ward auf dein Gebot
Zum elysischen Hain,
Voll der süßesten Zaubereyn.

Anmuth, Schönheit, Fülle zeiget
Sich in blühender Jugendgestalt,
Mit besiegender Allgewalt,
Die das Eine zu dem Andern neiget,

Ha! das todte Schweigen ist entflohn!
Dieser Göttersohn
Hat sie stumme Natur bewegt,
Zur Harmonie sie aufgeregt!
Opfert ihm, sprießende Felder!
Opfert ihm, hauchende Düfte!
Opfert ihm, wehende Lüfte!
Opfert ihm, singende Wälder!
Und du, Feuerharfe, halle
Mit gehob'nerm Schalle!
Weih' ihm gern, o Menschenbrust,
Deine höchste Götterlust;
Sing' ihm unsterbliche Lieder!
Nachwelt, töne sie wieder! -
Alles diene dem Gotte, der Leben
Jedem Daseyn neu gegeben;
Liebe, Freude, Fruchtbarkeit
Einer ganzen Welt gebeut!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 7-12)
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Beredsamkeit des Schweigens

Öffne nicht, du Sänger der Liebe, die Lippe: beredter
Sagt dein Auge, dein Blick, wie du empfindest und denkst.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 23)
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Das Unerreichbare

Es drängt sich heiß in meiner Brust;
Der Busen schwillt von Götterlust!
Es tönt mir leise, wie Gesang,
Wie süßer Harmonieen Klang.

Sieh, du erscheinest,
Hehr und erhaben,
Selige Göttin!
Leihe mir Gaben;
Wecke Gedanken im Innern hervor:
Hebe die Seele zum Himmel empor!

Ach, wie wird mir! - Diesen Zaubertönen
Kann die Sterbliche sich nicht gewöhnen!
Himmlische! o nahe dich mir nicht,
Mich verzehrt dein allzublendend Licht!

Siehe! verschleyert
In milderem Schein,
Nahet die Göttin,
Schwebt sie herein. -
"Schwillt dir der Busen und engt dir die Brust?
Droben nur erntest du göttliche Lust!"

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 27-28)
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Überall Liebe

Alles Schaffens und Strebens erhab'nes Geheimniß ist Liebe!
Himmel, Erd' und Meer zeugen die Wunder von ihr:
Wirkt nicht durch Liebe jedes Geschöpfes veredeltes Daseyn,
Von den Steinen hinan bis zu dem Aether des Raums?

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 37)
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Seyn

Heilige Quellen des Lebens, ihr ewigen Ströme durchfließet
Alle Räume, die Zeit! jedes Gebilde des Alls!

Vergehen

Doch der höhere Odem der Liebe wird Alles berühren;
Aus dem zerfallenden Seyn steiget ein ewiges auf.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 38)
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Morgenlied an meinem Geburtstage
1807

Wie herrlich strahlt der Morgenstern!
Du bist, o Sonne, nicht mehr fern,
Die Nacht ist schon verschwunden.
Sein heller Glanz hellt mir den Sinn;
Auf Andachtsflügeln eil' ich hin,
Zum Herrn der Morgenstunden.
Stimme,
Schöpfer!
Meine Chöre,
Dir zur Ehre!
Laß mich singen,
Dir des Herzens Opfer bringen!

Du schufst, o Herr, das reine Licht,
Das aller Erden Dunkel bricht,
Die Dunkel aller Fehle!
Durch dich entstand das Wort der Macht,
Was Erd' und Himmel schmückt mit Pracht:
Durch dich das Licht der Seele!
Wunder
Riefst du
Aus den Tiefen,
Als noch schliefen
Fluth und Auen;
Wunder, herrlich anzuschauen!

Die weite Schöpfung strömt dir Lust;
Sie lag an deiner Vaterbrust,
Sie trank aus deinen Quellen.
Den Menschen hast du hoch bedacht,
Ihm klärtest du des Irrthums Nacht
Durch deines Geistes Hellen.
Jauchzet,
Erden!
Singet, Sonnen,
Eure Wonnen!
Menschen, Brüder!
Jubelt ihm durch hohe Lieder!

Du warst! - du bleibst in Ewigkeit.
Gott! Schöpfer! - Über Raum und Zeit
Herrscht unbeschränkt dein Wille.
Der höhern Geister höhers Seyn
Beherrschest du, o Herr, allein.
Dir danken sie die Fülle!
Feyert
Höher,
Schaaren Geister,
Eurem Meister,
Ihn zu loben;
Nur durch ihn so hoch erhoben!

Zufrieden wallen wir die Bahn,
Wir können uns den Geistern nahn,
Durch dich, Verstand und Wollen!
Dem schwachen Menschen leiht ihr Kraft;
Auch er gebeut, auch er erschafft,
Der höchsten Kraft zu zollen!
Herr der
Erde,
Kann er zügeln,
Kann er flügeln,
Seine Sphäre;
Ihm gehorchen Erd' und Meere!
Doch nicht ist ihm der Raum genug,
Zu höhern Weiten strebt sein Flug,
Die Wahrheit will er schauen:
Zu einer andern Geisterwelt,
Geschaffen überm Sternenzelt,
Strebt hoffend sein Vertrauen.
Vater,
Vater!
Fühlt die Seele;
Wie sie wähle,
Wie sie schwanke,
Zieht zu ihm der Lichtgedanke!

Denn deines Odems Hauch sind wir,
Dich denkt die Seele, blickt zu dir,
Du bist, der aus ihr singet:
Des höhern Strebens Eigenschaft
Ward, Vater, ihr durch deine Kraft;
Sie wirkt, wo That gelinget.
Todte
Wesen
Seyd ihr, Sonnen!
Uns're Wonnen,
Dies Empfinden,
Können Geister nur ergründen!

Denn du, der uns aus Liebe schuf,
Verklärst dich uns in dem Beruf,
Der Zukunft hier zu leben:
Durch dieser Liebe mächtigs Band
Sind wir der andern Welt verwandt,
Kann Kraft die Kraft erstreben,
Widmet
Kräfte,
Alle Triebe,
Alle Liebe
Eurem Meister;
Feyert hoch dem Herrn der Geister.

Ans Licht, aus tiefer Dunkelheit,
Rief, Vater, mich dein Wille heut,
Dir will ich dankend singen!
Nur dir vertrau' ich meine Kraft.
Sey du allein, der in mir schafft
Das Wollen und Vollbringen.
Tausend
Gutes
Gab dein Wille
Aus der Fülle
Vieler Quellen;
Licht von oben, mich zu hellen.

Dir, Herr, vertrau' ich meine Zeit,
Mein Daseyn in der Endlichkeit,
Dir, was aus mir wird werden!
Empfängt das Grab auch mein Gebein,
Der Geist enteilt zum höhern Seyn,
Der Staub nur kehrt zur Erden.
Auf, und
Flügle
Dich, o Glaube!
Keiner raube
Dein Vertrauen!
Licht vom Licht muß Wahrheit schauen.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 63-68)
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An die Poesie

Dich, Poesie, gebar die hohe Liebe!
Ein Götterkind bist du, dem Licht verwandt!
Ein Strahl von oben durch des Alls Getriebe!
Ein höh'rer Genius, im dürft'gen Land
Ein Wesen, das, aus einer andern Sphäre
Erschien, durch Dunkel, lichtverbreitend, blickt!
Ein Göttertraum, der uns der Atmosphäre
Der Wirklichkeit entrückt!

Wie, Kind der Liebe, hellst du deine Fluren!
Wie schaffst aus Steppen du den Blüthenhain!
Wie folgt das Glück schnell deinen leichten Spuren!
Wie hebst du hoch des Menschen irdisch Seyn!
Wie spiegelst du, in geistig klaren Wellen,
Die Sinnenwelt, die sich verschönert mahlt!
Wie webst du im Gemüth die reinsten Hellen,
Dem deine Gottheit strahlt!

Wie hebst du ab, mit süßem Kindeslächeln,
Die schwersten Sorgen einer bangen Brust!
Wie lockest du, mit deinem Zauberlächeln,
Um den Bekümmerten die frische Lust!
Zu deinen ewig lichten Morgenräumen,
Hebt sich des Liebeskranken schwerer Sinn;
Du tönest ihm, in halb entwebten Träumen,
Die Zukunft heller hin!

Wo du erscheinst, mit deiner Strahlenkrone,
Fühlt alles sich beseelt, sich neu belebt!
Wie, wenn aus bess'rer Welt, aus wärmrer Zone,
Ein Lebenshauch die matte Flur erhebt.
Du bist es, die, am ungeseh'nen Zügel,
Die Zeit, die Dinge, alles Daseyn hält;
Ja, es zerfiel', ohn' deiner Allmacht Flügel,
Die Geist- und Körper-Welt!

Du rufst aus dieses Daseyns engen Schranken,
Aus jedem niedern Raum der Sinnlichkeit,
Aus eng begrenzten, ärmlichen Gedanken,
Den Sterblichen, der deinem Dienst sich weiht!
Aus deinem Hochentzückten strömt die Fülle
Des Göttlichen, das durch sich selbst belohnt;
Licht, Schönheit, Harmonie, der hohe Wille,
Der nur bey Göttern wohnt!

Erheb', o Poesie, die Adler-Schwingen,
Wenn dunkler Wahn den hellen Sinn verwirrt!
Laß geistiger zu dir uns aufwärts dringen,
Wenn edlem Freyheits-Sinn die Fessel klirrt.
Sey du der Gott, der durch Gefahr uns leitet,
Die mit Vernichtungs-Drohn die Welt umzieht;
Der Laut der Hoffnung, die zum Jenseit deutet,
Wenn Schönes, Edles flieht!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 89-91)
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Adelaide

Stern der Liebe, du strahlst am blauen Aether!
Liebe duften des Mayes süße Blüthen;
Liebe athmet, im Busen sanfte Sehnsucht,
Adelaide.

Ihren Sänger behorcht in Lerchenstimmen,
In der Quelle, dem Nachtigallen-Seufzer,
In dem Säuseln der jungbelaubten Zweige,
Adelaide.

Dunkle Veilchen, der Myrte zarte Ranke,
Mayenglöckchen, des Lorbeers heil'ge Blätter
Windet, klopfenden Herzens, ihm zum Kranze
Adelaide.

Doch es birget den Stern die Dämmerwolke;
Blumen schließen den Kelch dem Thau, entschlummern;
Schnell erzittert der Kranz, entsinkt und rauschet:
Adelaide!

Adelaide: Siehe Matthissons Adelaide

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 92)
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Adelaide

Sinke leiser, du Stern der Abendsonne!
Schimmre, Mond, in dem sanftern Lichtgewande!
Zitternd nahet, mit tiefempfund'ner Sehnsucht,
Adelaide.

An des Sängers bemoostem grünen Hügel,
Bey der Urne, der Asche seines Herzens,
Sammlet Blumen, die zarter ihr entsprießen,
Adelaide.

Thränen netzen den Kelch der heil'gen Blumen!
Thränen sinken auf ihres Sängers Urne!
Nachtigallen, zu ihren Seufzern, flöten:
Adelaide!

Doch, o Wunder! der Stern der Liebe steiget
Hell im Osten, ihr strahlend, freundlich winkend:
Und in Sehnsucht enthaucht die zarte Seele
Adelaide!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 93)
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Die höhere Liebe

Tochter Gottes! Unsterbliche! höher Geweihte!
Nur gekannt von den Edleren, deine Begeistr'ung
Hebe flammend die Seele,
Rausche voller im Harfenspiel!

Kommt, Empfindungen, tönet aus zarteren Saiten,
Schmelzt mit Götteraccorden, im Zauber der Liebe,
Jeden Busen, der, horchend,
Ihre Göttlichkeit ahnend, fühlt.

Höh'rer Wollust Entzücken durchschauert die Herzen,
Tief'rer, rein'rer Empfindungen Fülle die Seele,
Der im Glanze des Lichtes
Sie sich naht, in Unsterblichkeit!

Bete an, du Geweihter der göttlichsten Wonne!
Heilig bleibe die Stäte, wo sie dir erschienen!
Nicht beflecke der nied're
Erdgedanken den reinen Geist!

Ach die Liebe begleitet mit stillerem Frieden
Dein gefühlteres Leben, mit Segen für And're:
Denn, erhebend, entflammst du
Jede Seele, die dir sich naht!

Schwinge hin dich zum Throne der Liebe, Geweihter!
Trinke, trinke die Quellen der ewigen Ströme!
Laß den irdischen Schleyer!
Denn du gleichest den Seligen.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 94-95)
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Freude

Mit den Fittigen der Helle,
Sanft bewegt von inn'rer Welle,
Immer strebend zu dem Lichten,
Schwebt die Freude! -
Tausendfarbig glänzt in Strahlen
Vieler Sonnen ihr Gefieder!
Ihre Lieder
Tönen leis' und laut von Freude!
Freude. - Freude. - Götterfreude! -
Aber willst du sie dir mahlen,
Oder willst du von ihr dichten:
Fehlen dir die tausend Farben -
Fehlen dir die tausend Töne -
Alle starben
Ihrer Schöne!
Ihre tief gefühlten Lieder
Hallen nur im Busen wieder.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 101)
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Dem 20sten May 1807,
am Ufer der Bille

"Welch Wonneleben wird hier ausgespendet!"
Natur, du zeigest dich in Götterpracht!
Die blüh'nde Erde, wie der Himmel, lacht!
Von Licht und Farbenschmuck bin ich geblendet!

Wer hat die tausend Düfte uns gesendet?
Wer hat die tausend Leben angefacht?
Es regt sich in der Tiefen dunklem Schacht!
Wer hat der Schöpfung höchsten Reiz vollendet?

Aus süßen Kehlen tönen Melodieen!
Aus weichen Busen werden Seufzer laut!
Die Klage löst sich auf in Wonnethränen!

Wer rief die Stimmen? wer dies mächt'ge Sehnen?
Ein junger Gott, der May, den seine Braut,
Die Liebe, weckt, zu reinen Harmonieen!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 105)
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Auf einige junge Myrthen

Wachset, grünet, ihr Zweige
Heiliger Liebe!
Blühet voller mir,
Blendender! schöner!
In der lieblichsten Wärme,
Gleich dem fühlenden
Busen der Liebe!
Milderer Lufthauch entfalte
Eure schwellenden Knospen
Düftender!
Wie der Seufzer entfaltet
Der zarteren Liebe
Süßestes Keimen! Doch der
Belebenden Sonne
Heiligster Strahl beseele
Die kaum geöffneten Blüthen:
Wie der Liebe
Morgenblick beseelet ihr
Schönstes Erwachen!
Thau des Himmels erquick'
Und ernähr' euch,
Gleich der glücklichen Liebe
Thränen, die, labend,
Nimmer versiegen!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 116-117)
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Psyche

Ausgeschmückt mit allen Götterreizen,
Blieb auf Erden Psyche unerwählt;
Denn so tönte vormals das Orakel:
"Nur dem Licht sey sie vermählt!"

Und am Rand des gähen, wilden Abgrunds,
Eingehüllt in weißes Leichen-Tuch,
Sah sie von Geliebten sich verlassen. -
Doch ein sanfter Zephyr trug

Hin zu ewig reinen Aether-Lüften,
Zu dem schönsten lieblichsten Gefild',
Die erstaunte, froh bewegte Psyche,
Dieses Göttern gleiche Bild!

Im Genuß der reinsten Himmels-Wonnen
Schwanden selig ihre Tage hin:
Liebe nährte, frey von Sehnsuchts-Wünschen,
Ewig neu den lichten Sinn.

Und es warnt sie eine sanfte Stimme
Mit der Liebe Flehn, ihr Genius:
"Forsche nicht nach freudenloser Wahrheit -
Dir ward Hoffnung und Genuß."

Aber selbst bey Götterglück und Frieden
Lauert, tückischdrohend, die Gefahr:
Ach es keimten ihr im Herzen Wünsche -
Und sie bringt sie Zephyrn dar.

"Sieh! ich fühle schmerzend ein Verlangen:
Meine fernen Schwestern möcht' ich sehn."
Schneller, als der Lichtstrahl, eilen Lüfte -
Und sie sieht sie vor sich stehn.

Neidend gönnen sie der ewig Holden
Nicht ein selig, überirdisch Glück.
"Wie? du liebst? du liebst ein Ungeheuer?
Trauest blindlings dem Geschick?

Tödt' es muthig, Psyche! Auf, befreye
Dich, es wird dich dem Verderben weihn:
Der in dunklen Nächten tief Verhüllte
Muß ein Sohn des Unglücks seyn."

Sie verschwinden. Psyche schaudert, zittert -
Thörigt folget sie dem falschen Rath:
Und als sich der Stern der Liebe röthet,
Schreitet sie zur grausen That.

Doch der Dolch entfällt den zarten Händen. -
Bey der Lampe blassen Zitterschein
Sieht sie ihn, den ewig himmlisch Holden,
Sieht - mit Amor sich allein.

Und ein Tropfen heißen Öls, entzittert,
Weckt ihn aus dem schönsten Göttertraum.
Zürnend - seufzend - flieht der Gott der Liebe,
Birgt sich in Aurorens Saum.

Psyche fühlet sich allein - verlassen -
Tief die Wunden in der weichen Brust.
Und sie flehet - flehet um Vernichtung: -
Und sie fleht um Götterlust!

Alle frischen Blüthenkränze welken,
Und die zarte Myrtenkrone fällt:
Dunkel blühn ihr einzig nur Cypressen,
Die kein Morgenroth erhellt. -

Und vergebens sucht, umirrend, Psyche
Auf der weiten, kalten Erde Raum,
Was ihr Busen mächtig sich ersehnte. -
Ach, es blieb ihr schönster Traum! -

Sie durchforschte tausend Erdenräume,
Luft und Himmel, Tiefen auf und ab.
Doch war keins von allen stummen Wesen,
Das von Ihm ihr Kunde gab.

Und sie weint und klagt um den Geliebten. -
Liebend, sehnend, heftet sie den Blick
Auf die öden seligen Gefilde - -
Doch die Hoffnung blickt zurück.

Und sie sieht in ihrem heilen Auge
Ihres Gottes sanfte Fackel glühn:
Sinnender läßt sie verlohrne Freuden
Ihren Blick vorüber ziehn;

Lauschet horchend jedem Laut der Lüfte,
Ob das Schicksal endlich ausgesöhnt -
Und erträgt es, daß die falsche Natter
Unter Blumen sie verhöhnt.

Dulden mußte sie, ach! lange tragen,
Schwer, des harten Schicksals Felsensinn;
Doch ein sanfter, mitleidsvoller Dämon
Tröstete die Büßerin.

Ihr zum Schutz umschwebte still die Holde
Unsichtbar ihr treuer Genius:
Leise fühlte sie sein nahes Wehen,
Fühlte seinen Geisterkuß.

Zu den Schatten muß sie niedersteigen,
Wo kein Strahl des Orkus Dunkel bricht -
Doch nicht lange währt ihr schwerer Schlummer,
Amor weckte sie zum Licht,

Sich mit ihr, unsterblich, zu vermählen.
Eingeweiht, gereift zur Götter-Zahl,
Huldigt sie dem einzig göttlich Schönen,
Ewig in Kronions Saal.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 170-175)
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Sehnsucht. An * *

Kennst du das Land, wo Treue, Brust an Brust,
Auf ewig liebt mit reiner Engellust?
Des Schicksals Schluß ein Herz mit Hoheit trägt;
Das Wehmuth still, das Wonne laut bewegt?
Kennst du das Land?
Dahin! Dahin!
Sehnt sich ein Herz, ein liebevoller Sinn.

Kennst du das Land, wo, an des Himmels Blau,
Kein Sturm sich regt und kein Gewittergrau?
Wo Harmonie die weite Schöpfung eint,
Und Sonn' und Mond nur Glückliche bescheint?
Kennst du das Land?
Dahin! Dahin!
Schwärmt oft ein Herz, ein sanftumwölkter Sinn.

Kennst du das Land, dem geistig wir entstammt?
Das Vaterhaus, das unsern Sinn entflammt?
Von wo uns fern ein zarter Lispel rauscht,
Dem ahnungsvoll der Geist mit Wonne lauscht?
Kennst du das Land?
Dahin! Dahin!
Möcht' ich - und schnell - möcht' ich mit dir entfliehn.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 184-185)
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Der Schäferin Klagelied *

Wie blicket zu jenen Fernen
Mein Auge rings umher!
Mir ist der Busen so enge:
Das volle Herz mir so schwer.

Ich steh' und lausche vergebens,
Und horche dem leisesten Ton.
Das Herz schlägt laut, und noch lauter;
Die Seel' ist halb mir entflohn.

Ich träum' und rede fast leise,
Und horche dem Echo der Brust:
Mir weckt es die schmerzend Sehnsucht -
Ich fühl' es mit peinlicher Lust.

Dann flieh' ich mit eilendem Fuße -
Mir beugt sich das sprießende Gras;
Nicht winkt mir das keimende Blümchen;
Ich fühle mein Auge nur naß.

Nun schau' ich zur sonnigen Höhe,
Tief unten zum Thale, zur Flur.
Die Blicke bestreifen Gewässer -
Doch nirgend entdeck' ich die Spur! -

Wo weilt er? wann seh' ich ihn wieder?
War alles ein glücklicher Traum?
Und ist er verschwunden, wie droben
Der Wolken vergoldeter Saum?

Die Sonne sinkt tiefer hinunter.
Der Mond, aus nächtlicher Höh,
Sieht bleich, und bleicher die Wange,
Ein Herz im Busen so weh.

* Siehe Goethens: Schäfers Klagelied
aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 196-197)
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Grab der Liebe

Rose! der Aphrodite Geweihete, warum verhüllet
Sich dein süßester Reiz in die Gewänder des Grams?
Dunkelnde Moose umflechten ätherische Blätter? und moosig
Duftet der Hügel durch dich? Sage, wem trauerst du hier?
"Ach, ich klage der Liebe! Doch daß nie Farben mir bleichen,
Nie sich verhauche mein Duft, hüllt' ich im Moose mich ein."

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 238)
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Sappho's Schwärmerey

Wo weilst du, Phaon? Auf der Sehnsucht Schwingen
Kann deine Sappho, ach! zu dir nur dringen!
Im Zorn hat Amor ihr nur Glück geliehen
Durch Phantasieen!

Er rühmt sich, meine Seufzer wegzuspotten?
Wähnt er in mir Gefühle auszurotten,
Die, wenn auch ihre Gluthen mich verzehren,
Doch Glück gewähren?

Du, Phaon, bist mein einziger Gedanke!
Ich kenn weder Zeit, noch Raum, noch Schranke!
Du lebst in meinem Seyn; ich schwelg' im Sinnen,
Dich zu gewinnen!

Die Phantasie hebt mich auf Ätherflügel,
Im Zauber löst sie mir der Liebe Siegel,
Entwebt mit Schwärmerey ihr süßes Leben
Mit süßem Beben!

Bald seh ich dich aus Eos Purpurwogen,
Im Mittagssonnenstrahl, von Iris Bogen,
Von Hesperus, wenn sich die Schatten mahlen,
Hernieder strahlen!

Nun, näher mir in Baum und Blüthen weben,
In Zephirhauchen leiser um mich schweben,
Auf sammt'ner Wiese, auf der Silberwelle,
In Mondeshelle!

Du lebst um mich in jeder süßen Blume!
Das Sterngewölbe hebt sich, dir zum Ruhme!
Im Farbenschmelz erglänzt der Fluren Fülle,
Nur dir zur Hülle.

Oft hör' ich dich - und möcht' es nimmer tauschen -
Im Waldstrom wild, in Quellen sanfter rauschen;
Mit Philomelen klagen, froher wieder
Durch Lerchen-Lieder.

Dann wend' ich schnell an Cypris die Gebete:
Erhör' itzt, Göttin, was ich lange flehte,
Hauch', Lieberfüllte, hauch' in Phaons Seele,
Daß er mich wähle!

Nun seh' ich einsam dich, in süssen Träumen,
Gedankenvoll in dichten Schatten säumen;
Bald seufzen, weinen, zittern, mit Erbleichen
Den Traum verscheuchen!

Itzt eilst du schneller durch die Saatenfelder,
Dann tönen Fels und Thal, der Hain, die Wälder
Von deiner Klage! Thränen seh' ich thauen
Auf Flur und Auen!

Nun blickst du stumm, wie ein Verlaßner, trübe,
Vom Gram genagt der hoffnungslosen Liebe!
Du horcht, mit starrem Blick in ferner Weite,
Auf Grab-Geläute!

Dann seh' ich dich mit bleicher Schatten Wanken,
Gleich, Liebender, nun zweifelnden Gedanken,
Und todten Auge mir vorüberschleichen,
Mich zu erweichen!

Nun such' ich Daphnens Sinn mir zu gewinnen;
Doch will das Herz vor Sehnsucht mir zerrinnen,
Den armen Kranken, den nun Zweifel quälen,
Mit Muth zu stählen!

"Kannst du, o Sappho, noch für mich empfinden?"
Spricht itzt dein Aug' aus seinen dunkeln Gründen,
Ich lächle still, und seh dich zu mir eilen,
Bey mir zu weilen!

Dann rauschet kühner meine gold'ne Leyer!
Ich singe dir mit nie gefühltem Feuer,
Ach, welche Gluth noch durch die Seele wehet,
Die du verschmähet!

Du blickst zu mir, und meine Saiten schweigen,
Nennst mich die Deine, nennest dich mein eigen:
In deinem schönen Auge glänzen Wonnen -
In meinem, Sonnen!

Ich suche nun mein Selbst in deinen Blicken!
Du schwimmst im Meer vom seligsten Entzücken!
Ich sehe deine hellen Augen trübe,
Berauscht von Liebe!

Doch aller Erden, aller Himmel Wonnen
Sind, mit dem süßen Wahnsinn, mir zerronnen!
O träumt' ich einmal in dem Seelen-Fieber
Mich so hinüber!

Wo weilst du, Phaon? Mit der Sehnsucht Schwingen
Kann die Verschmachtende dich nur erringen!
Im Zorn hat Amor ihr nur Glück geliehen
In Phantasieen!

Kann er die Flamme, die er schuf, auch dämpfen?
Nein, ewig wird die Gluth im Busen kämpfen!
Leukadia tilgt nicht, nicht meine Leyer
Dies starke Feuer!

So schwärmte Sappho. Die Verlaß'ne irrte
Zum höchsten Fels; den kranken Sinn verwirrte
Ein unaussprechlich, unauslöschlich Sehnen,
Mit eitelm Wähnen.

Sie griff noch einmal in die goldnen Saiten,
Ließ aller Liebe Fülle sanft entgleiten.
Umsonst! Leukadia nur hallte wieder
Die süßen Lieder!

Nun tönt' die Leyer wild im Seelendrange;
Verzweifelnder im glühendsten Gesange:
Dann tauchte aller kühnen Flammen Gluthen
Sie tief in Fluthen!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 112-118)
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Das gebrochne Herz

Was klopfet so dumpf an meiner Thür;
Was rauschet dort wohl mir am Fenster?
Ist's der Wind? Er weht über die Haide hier!
Ach, sind es Gespenster?
Ist's ein Traum, der in stockfinstrer Nacht
Hier über dem einsamen Lager mit wacht?
Es ist ein Geist, der um und an
Sich mir anklammert, wo er kann:
Ist's wohl das böse Gewissen?

Ich Ärmste kann Will'm, dem Armen, nun hier
Die treue Lieb' nicht vergelten!
Nicht achten hätt' ich soll'n, ach, für und für
Der Mutter ihr Schelten!
Nicht achten der Schwäherin spottend Gesicht;
Des Schwähers Murren und Drohen auch nicht!
Wie oft sah Will'm mich fragend an!
Ich dacht: daß ich dich lieben kann,
Das wirst du nimmer erfahren!

Der Mutter war er nicht reich genug;
Dem Schwäher, ach, war er zu niedrig!
Ob Adel und Reichthum im Busen er trug.
War doch er ihm widrig!
Die Schwäherin blickte so höhnisch ihn an,
Und freute sich, wann er die Thüre gewann.
Ich Arme, ich war ihm von Herzen so gut:
Doch hatt' ich nicht Sprache, doch hatt' ich nicht Muth,
Es jenen, laut wohl, zu sagen.

Da ging er hin und härmte sich sehr;
Ich sah ihn verwelken und bleichen!
Er glich itzt, o glaubt es, je länger, je mehr,
Den Stummen! den Leichen!
Stumm kam er, und blieb er, bis stumm er ging.
Stumm bot er mir einmal den goldenen Ring -
Ich blickt' ihm ins Auge - wie ward ich ihm gut!
Doch stockt' mir die Sprache, doch sank mir der Muth,
Die Mutter hört' ich schon kommen.

Seit diesem Tag' nun erkrankt' er schwer,
Ich durfte nicht fragen, nicht weinen;
Ein Schatten erschien ich, stumm schlich ich umher,
Der Mutter, den Meinen!
Da hört' ich die Glocken, da trug man den Sarg!
Nicht fragt' ich, wohl fühlt' ich es, wen er verbarg.
Sie sahen mir forschend ins bleiche Gesicht,
Doch fragte nicht Eines: was ihr wohl gebricht!
Gern hätt' ich laut es gestanden!

Nun seh' ich des Will'm zerfall'ne Gestalt,
Auf Wiesen und Fluren, bey Hecken,
Das redende Auge, voll süßer Gewalt,
Voll Liebe, mit Schrecken!
Ich höre noch immer den klagenden Ton,
Doch ist, der ihn seufzte, zum Grabe geflohn! -
Den Ring seh' ich und den bittenden Blick;
Ich greife nach jenem - o herbes Geschick!
In Dunst zerfließt er mir schnelle.

Nichts kann den armen erkrankten Sinn
Erfrischen im schlimmen Ermatten!
Wie Blumen verbleichen, so schwind' ich dahin,
So welk' ich, im Schatten!
Und Keines spricht mir ein Trostes-Wort zu -
Sie lassen mich gehen und schleichen in Ruh. -
So war's nicht sonst, sah Will'm ich nahn:
Denn blickt' er gleich mich traurig an,
Schien doch das Herz mir gehoben.

Itzt ängstet mich jedes Klagegetön;
Mein Herz schlägt bang' als im Fieber!
Ich zitt're, ich höre dein herbes Gestöhn,
Du Trauter! Du Lieber!
Wie stumm, wie öde bleibt alles in mir!
O könnt' ich, mein Will'm, mich flüchten zu dir!
Sie sehen mich an, und lächeln dabey -
So spotten sie schweigend der rühmlichen Treu;
Ach! weinend schleich' ich von hinnen.

Was klopfet so leis' an meiner Thür?
Was rauschet so freundlich am Fenster?
Der Wind ist's nicht, wohl über die Haide hier,
Nicht sind es Gespenster!
Du bist's, mein Will'm, der in finstrer Nacht
Wohl über dem einsamen Lager mit wacht.
Es ist dein Geist, der um und an
Mich itzt umschwebet, wie es kann;
Es ist - die Treue der Liebe!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 127-131)
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Euridice

War leis' ich dem Dunkel entklommen?
Und hab' ich die Dämm'rung gesehn?
Ich hatte die Töne vernommen,
Dem liebenden Herzen so schön!
Schon waren die Nebel entfaltet;
Schon folgte, Geliebter! ich dir. -
Allmächtige Götter! es schaltet
Zu grausam das Schicksal mit mir!

Du wandtest die sehnenden Blicke -
Ich sah in dein Auge voll Harm. -
Da faßte das strenge Geschicke
Mich wieder mit eisernem Arm.
Wird ewig hier einsam mir grauen?
Horcht Keiner dem Klagegetön?
Soll nimmer das Licht ich dort schauen?
Nie wieder ins Auge dir sehn?

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 139)
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Sehnsucht

Kehre wieder, holde Jugend!
Kehre wieder, Lenz der Liebe!
Gold'ne Hoffnung, kehre du!

Dämmerung hebt ihr Gefieder;
Schatten seh' ich um mich schleichen,
Und die Zeit entflieht im Nu!

Ach schon senkt zur Abendfeyer
Sich die Sonne schweigend nieder,
Und der Schlummer winkt mir zu.

Kehre wieder, holde Jugend!
Kehre wieder, Lenz der Liebe!
Gold'ne Hoffnung, kehre du!

Von entflohenen Minuten
Kehret mir doch auch nicht Eine -
Alles deutet hin zur Ruh. -

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 251)
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Die Getrennten

Fern von dir ergreift, im Flug,
Mich die Sehnsucht; ihre Schwingen
Eilen, mich zu dir zu bringen:
Doch ihr Wesen ist Betrug.

Ich umschwebe dich; allein
Körperlos sind die Gestalten.
Will ich's fassen, will ich's halten,
Schwindet gleich der leere Schein.

Schweigend blick' ich zu dir hin;
Auch dein Auge, voll von Seele,
Schaut auf mich aus dunkler Höhle,
Mit der Sehnsucht bangem Sinn:

Und es spricht - es spricht - ich seh! -
Schwillt es nicht vom Thau der Thränen?
Dich erfüllt ein gleiches Sehnen;
Dich beklemmt der Trennung Weh.

Ist es Wesen? ist es Schein?
Frag' ich seufzend: - doch die Blicke
Kehren bald in sich zurücke;
Fühlen bänger sich allein.

Warum trennt uns Zeit und Raum?
Muß ich, mich zu dir zu stehlen,
Der Verbannten Schleyer wählen:
Phantasie? - den wachen Traum?

Kehre wieder; komm zurück!
Wesenlos um dich zu schweben,
Trag' ich nicht; um dich zu leben,
Ist des Lebens höchstes Glück.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 255-256)
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Liebe

Liebe war, eh alle Sonnen rollten;
Liebe rief das Licht aus dunkler Nacht!
Doch des Lichts Geburt, die Leben, zollten
Nicht der Urkraft schöpferischen Macht.
Sie gebot, und alle Wesen einten
Sich, zu huldigen der Schöpferin.
Pulse schlugen, Herzen; Augen weinten:
Die Natur empfand mit Geist und Sinn.

Liebe ward den Millionen Leben
Hier ein unzertrennlich schönes Band;
Ward vom Jenseit ihnen mitgegeben,
Als des Daseyns unverkennbar Pfand.
Liebe lehrt der Menschen Brust empfinden,
Die von hohen Wonnen überfließt,
Wenn, auf ewig treu, sich Herzen binden,
Und der Geist im Andern sich genießt.

Aller Hoheit giebt nur sie die Würde,
Wissen, Ehre, Ruhm und Macht - Gehalt;
Muth und Frohsinn bey der schwersten Bürde;
Ja, dem Weltbeherrscher die Gewalt!
Glück verherrlicht sie mit ihren Winken;
Armuth fühlt nicht mehr der Sorgen Pein.
Die aus ihrer Nectar-Schale trinken,
Fühlen selig sich durch sie allein.

Liebe schafft zum Himmel sich die Hütte;
Liebe lebt, in sich ihr ganzes Seyn!
Liebe flügelt geistiger die Schritte:
Trennt vom Wesen Tand und leeren Schein;
Leben ist sie, Hoffen und Genießen,
Traum und Wirklichkeit, Gefühl und Sinn.
Ihre Ströme müssen ewig fließen;
Ihre Gottheit hebt zu Sternen hin!

Sie entblüht in zarter Kinder Mitte;
Weckt im Mädchenbusen schnell Gefühl;
Bändigt in dem Jüngling rohe Sitte;
Hebt den Mann zum höchsten Thaten-Ziel!
Sie durchglüht mit kühnem Jugendfeuer
Eine Stirne, die der Herbst bestreift;
Tönt entzückt aus Liedern sanfter Leyer,
Zur Vollendung nur durch sie gereift.

Aller Zauber liegt vor ihr entfaltet,
Der ätherischer den Busen hebt,
Götterfülle, höher ihr gestaltet,
Ideales, schöner ihr entwebt.
Wie Gedanken schnell durch Höhen eilen,
Giebt der Seele sie die Flammenkraft;
Geister staunen: Stunden, Zeiten weilen
Ihr, die, hochbegeistert, ewig schafft!

Schwach ist ohne sie die Kraft im Streben;
Todt der weiten Schöpfung reges Bild;
Schönheit - reizlos; Anmuth - ohne Leben;
Harmonieenzauber unenthüllt;
Kalt, Empfindung; Sehnsucht, leer von Wonne;
Seelenlos, der ungehellte Blick!
Ohne Himmel jeder Freude Sonne;
Ohne Reichthum glänzendes Geschick!

Lieb' ist Wahrheit! Glanz aus lichten Höhen!
Hauch der Gottheit! Quell der reinsten Lust!
Schaffend noch, wenn Hoffnungen verwehen;
Ungetheilt, ein Gott in Menschenbrust!
Liebe lehrt am Abend noch empfinden,
Hellt in uns des Morgens rege Welt;
Liebe strahlt, wenn unsre Sonnen schwinden,
Wenn der Schöpfung All in Nichts zerfällt!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 260-263)
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Dem inneren Engel

Wer bist du, schöner Engel,
Der in mir leise tönt;
Der mir die Freude wecket,
Mich mit dem Schmerz versöhnt;
Der Finsterniß mich fliehen,
Und Licht mich suchen lehrt,
Des Daseyns süß Empfinden
Zu Himmelsglück verklärt;
Der mir die Tugend höher,
Das Schöne schöner mahlt,
Die Unschuld zart und reiner,
Die Wahrheit mehr umstrahlt;
Des Lebens Bürden lindert,
Zu allem Edlen winkt,
Und mit mir Glück und Wissen,
Aus einem Becher trinkt,
Zur Hoheit mich begeistert,
Dem Niedern mich entführt,
Und zum Gesang entflammet,
Der noch den Enkel rührt;
Der mich die Zukunft ahnen,
Vertrauend glauben heißt:
Wer bist du, hoher Engel? -
Du bist der Liebe Geist!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 264-265)
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Sie an Ihn

Ich denke dein, wenn alle Lüfte schweigen;
Wenn mich die sanfte Morgenröthe weckt;
Wenn Blüthen sich in Mittagsgluthen neigen,
Und Abend-Thau die stille Flur bedeckt;

Wenn Klagen flöten aus den Nachtigallen,
Und himmelan sich schwingt der Lerche Lied;
Die, wehmuthsvoll, im Innern wiederhallen,
Das, mächtig, uns zu höhern Welten zieht;

Wenn Phöbus Wagen tief in Westen schwebet,
Wenn Hesperus sich traulich ihm gesellt;
Ein Feuerstrom die Spiegelfluth belebet,
Die nah' und fernen Ufer, golden, hellt;

Wenn sich die Dämmrung senkt auf stille Matten,
Aus weicher Brust die sanfte Schwermuth weint,
Und, melancholisch, aus dem Thal der Schatten
Der Vollmond leis' am Horizont erscheint;

Nun, majestätisch, langsam, ernst und stille,
Sein bleiches Licht die Sternenwelt begrüßt -
Und aus des Sängers Busen Götterfülle
In süßern Harmonieen überfließt;

Dann Ruh und Stille, Hand in Hand, aufs neue
Der ersten Bundesfeyer Fest begehn,
Eh' aus der öden Finsterniß ins Freye
Ein Gott sie hieß die Morgenröthen sehn!

Dann denk' ich dein. - Auch wähn' ich dich zu sehen;
Dein Geist ist es, der mich wie Licht umschwebt;
Ich fühle dich in dieser Lüfte Wehen -
Du bist es, der entfernt und um mich lebt!

Ich höre dich in dieser Bäche Rauschen -
Die Harmonie der Schöpfung trägt dein Bild!
Ich fühl' es tief, und kann der Wonne lauschen,
Die deinen hohen Werth mir ganz enthüllt!

Dein Leben gleicht den sanftesten Accorden.
Vom Herzen strömt sein volles Saitenspiel,
Das mich entzückt. - Du, du bist mir geworden,
Dein ward ich, dein, aus gleichem Mitgefühl!

Ich liebe dich, wie ich den Bruder liebe;
So lieben Engel sich im Geisterreich.
Und wenn im Schattenthal kein Glück mir bliebe,
Bleibt mir dein Herz, und mit ihm bin ich reich.

Du liebest mich, wie dich die Schwester liebet,
Sie, längst dein Genius aus beßrer Welt.
Und blüht ein Glück, das keine Reue trübet,
Und ohne Wechsel - das uns nie zerfällt! -

Mag sich das Sterbliche zum Grabe wenden;
- Du willst, Natur! daß es in Dunst zerfließt -
Nie kann der Tod den Bund der Geister enden,
Der ewig war, den Ewigkeit umschließt.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 266-269)
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Er an Sie

Dort weilet sie an deines Ufers Rauschen,
Du stiller Strom, der stillen Seele Bild.
Dort kann sie, Muse! deinem Lispel lauschen,
Im Zauber ihr enthüllt.

Ich seh' sie leis' am blühenden Gestade,
Tiefsinnend, einsam, niederblickend, gehn:
Dann von des stillen Weges sanftem Pfade
Aufschauen zu den Höh'n.

Nun hingebeugt an der kristall'nen Quelle,
Die, spiegelglatt, ein weiches Ufer mahlt;
Umtanzt vom Schmetterling, von der Libelle,
Die blau und golden strahlt!

Dann einer Rose zarte Ätherlüfte
Mit langem Athemzuge trinken, die
Vom nahen Geisblatt, der Reseda Düfte,
Sich fremden Zauber lieh.

Still horchend deinen Sapphosmelodieen,
O Nachtigall! der jede Brust sich hebt!
Nun mit der Lerchen Chor, der Freud' entliehen,
Zum Äther aufgeschwebt!

Itzt, angezogen von den Purpurstrahlen
Des linden Abends, wie ihr inn'rer Sinn,
Sieht sie die Stadt sich glühend golden mahlen,
Und schaut, ernstblickend, hin!

Denkt dort den Schwarm der Unruh, das Getümmel
Der falschen Lust, des falschen Glanzes Schein,
Und wendet sich, und blickt nach Ostens Himmel,
Und seufzt, und denket mein!

Da steigt herauf, in blassem Lichtgewande,
Der Vollmond, still, dem sanftern Reiz geeint:
So sah sie ihn, als an des Nordmeers Strande
Sie dachte fern den Freund!

Sie denkt ihn itzt, denkt geist'ger Töne Hallen,
Das höhern, reinern Harmonieen glich!
Wie fremde Schatten, die auf Blüthen wallen,
So denkt sie Ihn und Sich.

Was hat die Welt, voll irrer Traumgebilde,
Voll Unruh, Gram, zu Licht und Glück verklärt,
Das nie berauscht bey sanfter Strahlen Milde?
Der Freundschaft Götterwerth!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 270-272)
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Cytherens Tauben-Feder

Eine Feder hatte Amor
Jüngst mir heimlich hingeleget,
Und als ich begann zu schreiben,
Lief die Feder, ungewöhnlich,
Wie im Fluge, auf dem Blatte.
Was ich schrieb - wie haucht' es Leben!
Alle Bilder glänzten schöner,
Alle Farbentöne heller;
Alle Worte sprachen Seele;
Alle Laute tönten zarter.
Doch entströmten meinem Liede
Lauter sanfte schöne Flammen!
Und das Ganze schmückt' ein Liebreiz,
Von der Charis selbst entliehen.
Hoch erstaunt, sann ich, verwundert,
Was die Feder so regiere?

Ich besah' sie nun genauer,
Ob es an der Fahne läge,
Die nicht abgestreift ich hatte.
Da erschien mir, lächelnd, Amor.
"Gieb mir," sprach er, "meine Feder,
Sie gehört Cytherens Taube." -
Doch er ging, und ließ sie liegen.
Seit ich mit der Feder schreibe,
Weiß ich selbst nicht, daß ich dichte!
Wie? warum ich immer dichte!
Lauter süße Lieder dicht' ich, -
Lauter frohe Weisen sing' ich, -
Nur mit Nachtigallen klag' ich; -
Erato nickt immer lächelnd,
Und ich nicke lächelnd wieder.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 285-286)
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Mädchen-Unschuld

Ohne Köcher, ohne Pfeil und Bogen,
Fand ich einst den schönen Knaben
Amor! "Ruhe will ich haben!"
Sprach er. "Schon die Welt durchflogen
Bin ich, spendend meine Gaben;
Dennoch wähnt man sich betrogen!
Vor dem Pfeil und vor dem Bogen
Kann nun jeder Ruhe haben!
Und ich wollte schon entfliehen,
Ängstlich mied ich Amors Schimmer.
Meid' ihn, sprach die Mutter, immer! -
"Warum willst du diesmal fliehen?"
Rief er. "Wähnst du dich betrogen?
Sieh mich ohne Pfeil und Bogen." -
Und fast traut' ich schon dem Kleinen;
Hört' ich ihn doch bittend weinen.
Lächelnd kam er itzt geflogen,
Und es fühlte schnell mein Herz
Einer leichten Wunde Schmerz.
Ach, durch seiner Augen Licht
Hatte Amor mich betrogen!
Diesmal trug er Pfeil und Bogen
In der holden Augen Licht:
Nur ich, Arme, sah sie nicht.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 294-295)
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Verwechslung

Man spricht so viel von einem schönen Knaben,
Ein jeder will ihn ja gesehen haben;
Er sey geflügelt, läch'le hold und schön,
In Myrten-Hainen sehe man ihn gehn;
Er tändle nie mit Köcher, Pfeil und Bogen;
Nie sey durch ihn ein schuldlos Herz betrogen:
Er heiße Amor, sey dem Licht verwandt,
Der hohe Himmel sey sein Vaterland,
Doch sey auf Erden er vermählt,
Und Psyche sey die Braut, die er gewählt.
Ich armes Kind! den Amor sah ich nicht.
Ist Poesie das, was man von ihm spricht?

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 296)
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An eine Nachtigall

Liebekranke Nachtigall!
Deiner Wechseltöne Hall
Wecket mir, in tiefster Brust,
Meiner Liebe Schmerz und Lust.
Schweige, süße Nachtigall!
Doch sie sang mit süßerm Hall:
"Horch! durch Amor ward ich einst gebohren,
Als er mit dem Chaos sich vermählt.
Seit dem Chaos hat er mich erwählt,
Zur Verkünderin erkoren
Eurer Schmerzen, seiner Götterlust;
Nimmer schweigt ihm meine Brust!"

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 297)
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An Dieselbe

Töne, Sängerin der Liebe, töne weiter!
Liebevoll empfind' ich, liebeheiter;
Denn der Amor, der sich dir erwählt,
Hat die Brust mir gegen Schmerz gestählt!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 297)
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An eine Lerche

Die du mit wirbelnden Tönen die Luft und die Thäler erfüllest,
Und mit der Freude Gesang Felder und Wiesen entzückst;
In der begeisterten Brust des Menschen Wonnen beschwingest,
Und den gehobenen Blick hoch in die Wolken verklärst!
Frohe Sängerin! früher als keimet der goldene Krokus,
Spät, bey herbstlichem Thau, hallt uns dein freudiges Lied.
Eh' uns Aurora, glänzend, den silbernen Fluthen entsteiget,
Später als Phöbus uns sinkt, wirst du und bleibest du wach.
Dich umgaukeln die scherzende Freud' und die lächelnde Unschuld:
Denn zur Muse der Lust weihte Anakreon dich.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 8)
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An eine Nachtigall

Zauberin! du, der tiefern Empfindungen höhere Muse,
Dich hat Sappho gelehrt nennen des Liebenden Gram,
Wenn in Wechselaccorden, als Lispel, die zartere Wehmuth,
Oder im schmetternden Schlag stärker Gefühl dir enttönt; -
Nun, in nächtlicher Still', auf leiseren Schwingen die Sehnsucht
Aus der tieferen Brust schmelzend in Seufzer verhallt. -
Schau, dir horchen die Sterne! - der Klage lauschet Selene;
Eros weihet sich dir; Helios nahet sich sanft.
Jeglichen Busen erhebt allmächtiger Lieb', und dem Greise
Weckt dein zaubernder Ton süßer Erinnerung Glück.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 9)
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Die schweigende Nachtigall

Ach, jüngst schwieg mir der süßen Empfindungen Sängerin Brautlied,
Und ich trauert' um sie, wähnend, sie tödtete Gram!
Und das Gemurmel des Bachs, und der sanft hinrauschende Lufthauch
Schienen zu klagen mit mir, seufzend: sie starb uns dahin!
Auch die Blumen erblickt' ich in Kümmerniß, schließend die Kelche;
Selbst die der Freude nur singt, schwieg ihr, in Wolken verhüllt.
Plötzlich erhallt' in gefühltern Accorden der Sängerin Stimme;
Und ihr Verstummen im Glück kündete nun der Gesang!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 10)
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Ideal des Herzens

Eine lehret das Herz der Sterblichen zarter empfinden;
Alles in Allem vereint, einigt sie Sinne dem Geist;
Zaubert dichterisch lieblich den Himmel nieder zur Erde;
Bildet den Menschen zum Gott: - Liebe, die Seele der Welt!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 66)
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Philosophie der Liebe

Zarteste Blüthe! verbirg den Busen der glühenden Sonne!
Thau ernähre dich nur; leise berühre dich Hauch.
Plato lehret: das Sehnen im Streben zur göttlichen Schönheit,
Sey ihr lebendiger Geist; Haben ihr ewiger Tod.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 67)
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Liebe

Was ist der Lieb' allmächtiger Geist? O, leihet mir Worte,
Göttliche, die ihr allein nennet, was Keiner genannt!
Sterbliche mangeln der Kunst; der Empfindung fehlen die Worte:
Nennst du ein namenloses Seyn? mahlst du, was wohnet im Blick?

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 68)
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Die Rose der Erinnerung

Fühl' ich das mildere Wehn, und des Frühlings liebliches Werden,
Tönt mir der Vögel Gesang; hebt sich mir höher die Brust.
Doch vor allen bist du, o göttliche Rose, mir theuer,
Denn dein lieblicher Hauch duftet Erinnerung mir.
Stand nicht Er an dem Busch, entdeckend sich mir durch das Auge?
Feyertest du nicht, Natur, diesen beseelenden Blick?
Alles blühete mir; doch blühete Alles mir anders -
Herrliche Rose, dich selbst röthete schöner der Blick!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 92)
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Der himmlische Amor

Erster der Götter, vor allem Erzeugeten warest du, Amor!
Regtest Chaos und Nacht; da ward der Äther, der Tag.
Finsterm und Tiefem entstieg das Erhab'ne; allmächtige Liebe
Rief es zum ewigen Licht, Liebe, die göttliche Kraft!
Niemals kehret zurück zu dem Rohen Gebildetes; denn was
Himmlische Lieb' uns erschuf, das ist auch ewig wie sie.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 131)
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Indiens und Griechenlands Amor

Indiens Amor gebar, gesegnet vom Himmel, die Täuschung.
Kama ward er genannt, Smara, der glänzende Gott!
Seiner Abkunft treu, enthüllt' er sich, irdisch, ätherisch,
Bleibt nicht ewig ein Kind, wie der Geflügelte, den
Kypris heimlich geboren - gezeugt mit dem mächtigen Ares -
Der uns kriegerisch droht, tändelnd und heuchlerisch liebt;
Mit geschärfteren Pfeilen im Lächeln tödtlich verwundet,
Unbesonnen und wild, Herzen mit Fackeln versengt;
Ja, mit kindischer Freude beschauet, ruhig und müssig,
Wie sein versandtes Geschoß Länder und Städte verheert;
Bald uns, rosenbekränzt, und im Morgenthaue gebadet,
Wonnen des Nektars beut, der sich in Wermuth verkehrt;
Bald die Hymnen verspottet, von Glücklichen ihm nur gesungen,
Die das Schicksal vereint, nicht der geblendete Gott.
Kama wählet zur Gattin sich Ratty, die Zärtlichkeit selber;
Wassant, den blumigen Lenz, nennt er den ewigen Freund.
Dieser Lächelnde füllt ihm den Köcher mit Blüthen des Amra;
Pfeile, so lieblich geschärft, schaffen den wonnigen Schmerz.
Seinen Bogen bereitet er künstlich vom Rohre des Zuckers,
Bienenflügel-Gespinnst wählt er zur Sehne für ihn.
Als ihn zerstörende Kraft, des Hara's Feuer, verbrannte,
Wurde die Asche bewegt; Nektar belebte sie neu.
Schöner stieg er hervor, der Gott ätherischer Dichtung:
Liebe bildete ihn zärtlich und liebend, wie sie.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 132-133)
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Der besiegte Eros

Eros prüfte den Bogen und fand ihn immer noch folgsam;
Aber als einst er Psychen erblickte, da flog das Geschoß schnell
Rückwärts, ihm in die Brust, ihn selbst, den Sieger, besiegend. -
Damals haben die Küsse geruht und die Schmerzen der Liebe;
Alle weilten dem seufzenden Gott in der Tiefe des Herzens.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 135)
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Der schlummernde Amor

Schlummerst du, Kleiner? du lächelst? O, sicher gaukelt die Schalkheit,
Dir die süßeste Lust, selber in Träumen um dich,
Ha, schon seh' ich die Hand sich heben! Du fassest den Bogen,
Den gespannten! - O fleuch! - Amor, der Lächelnde, droht!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 136)
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Wielands, von den Grazien mit Blumenketten
gefesselter, Amor

"Fliehet, nicht, Mädchen," rief Amor, "ich trage Ketten von Blumen!"
Aber die Nymphen der Flur flohen nur schneller davon.
Diesmal traut ihm, ihr Kinder! Der sonst nicht achtet der Ketten,
Achtet, wahrlich, sie hier; Grazien fesselten ihn.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 137)
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Amor unter Blumen

Schau den lächelnden Gott! wie das Gift und den Honig er sondert
Dieser Blumen! wie kühn taucht er die Pfeile darin!
Ha, nun seh' ich ihn beydes vermischen und andre benetzen:
Amor, der Kenner, entdeckt, was und wie Jedes uns frommt.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 138)
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Der verwundete Amor

Fühlst du selbst jetzt Schmerzen, o Amor? Verwundet die Hand nur,
Bleibt dein Busen in Ruh, fühlt nicht die Wunde das Herz;
Und du kühlest und heilst sie am Herzen der liebenden Mutter:
Nichts, ach, heilet noch kühlt Wunden der Seele von dir!

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 139)
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Der gefangene Amor

Zitternd dehnst du die Schwingen, o Amor! Thränen im Auge?
Muthlos sinkt dir der Arm? Nimmer wirst du dich befreyn:
Denn dich bändigt ein Gitter von Eisen! Den stolzen Beherrscher
Jeglichen Reiches der Welt hält ein metallenes Schloß.
"Ha!" rief Amor entrüstet, "nicht fesseln Bande von Demant
Den, dem ein lächelnder Blick Riegel und Thore gesprengt!
Kennst du den Gott nicht, Verweg'ner? zerbrach ich nicht goldene Thronen?
Aller Metalle Gebiet sprengete Hades durch mich!
Herkules raubt' ich die Waffen: der kühnere Löwenbesieger
Tauschte bey Omphale'n schnell Spindel und Spiegel um sie.
Selbst dem Donnerer Zeus lähmt' ich die geflügelten Blitze;
Kraftlos schlummerten sie, als ihn Cythere getäuscht.
Spottest du nun noch? Entfleuch! Denn blick' ich zürnend, so büßet
Dein ohnmächtiger Spott dem, der die Götter beherrscht."

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 141-142)
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Amor und die Muse Erato

a.
Erato sprach zu dem Amor: "O willst du Lieder mich lehren,
Horchet mir sich'rer die Welt, würde mir sicherer Ruhm!"
Schalkhaft lächelt der Gott. Ja, spricht er, ich lehre dich singen:
Aber nie lehr' ich zugleich, wie man der Singenden horcht.


b.
Erato hört' es verwundernd. "So trägst du denn immer im Busen
Eine verderbende Macht? tändelst du, spottest du nur?"
Zürnend nimmt sie die Leyer. Von Amors Nähe begeistert,
Singt sie, bezaubernder noch, als es der Gott sie gelehrt.
Amor lächelt und weint; denn sie gebot der Empfindung.
Ha! jetzt lernt' er von ihr, wie man der Singenden horcht.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 143)
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Amor und Minerva

Amor begegnet Minerven. "Verwildeter! Träger!" so ruft sie,
"Sammle dir Weisheit ein, sey nur nicht immer ein Kind."
Amor bot ihr den Köcher. O, Pallas, füll' ihn mit Weisheit,
Spricht er lächelnd, nur du giebst sie vom echten Gehalt.
Schau! die Pfeile zerbrech' ich - den Bogen weih' ich Apollon,
Und Ich rühme mich dann künftig, der Weise zu seyn.
Zögernd nimmt Pallas den Köcher. "Wie?" - spricht sie leiser im Innern -
"Amor der Weise? - Nein, geh," rief sie, "und finde sie selbst."

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 144)
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Amor und der Schmetterling

Amor spielte mit Blumen; da flog ihm ein Schmetterling leise
Auf die rosige Hand. Lächelnd bemerkt' er's und hascht
Schnell den ätherischen Vogel. "Dich," spricht er, "trag' ich zur Psyche:
So geflügelt wie sie, liebt sie den Bruder in dir."

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 145)
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Amor und Psyche am Bach

Psyche saß an dem Bach, und Amor friedlich zur Seit' ihr.
Beyde beugten sie sich: jedem erschien nun sein Bild.
"Amor! siehst du die Psych' in dem Grund' hier?" rief sie verwundert.
Ja, du Geliebte! und du, siehst du den Amor im Bach?
Zephyr lauscht' auf den Zweigen. Der Tändelnde regte die Fläche;
Sieh, da küßte geschwind Amor die Psyche des Bachs.

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 146-147)
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Amor und Psyche als Gruppe

Wollte die geistige Lieb' uns der Künstler bilden im Bilde?
Dieser Ätherischen Kuß däucht mir von ihr das Symbol:
Heiliger Amor! und du, jungfraulich liebende Psyche!
Schmelzt ihr, im geistigen Kuß, hier nicht die Seelen in eins?

aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 148)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Engel_Christine_Westphalen

 

 


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