Oskar Wiener (1873-1944) - Liebesgedichte

 

Oskar Wiener
(1873-1944)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Bildnis

Meine erste Liebe war
Ein verschüchtertes Geschöpfchen;
Sieh nur, ihr Madonnenköpfchen
Trug den Dornenkranz im Haar.

Einen immergrünen Strauß
Wollte an der Brust sie tragen:
Myrten - wie die Leute sagen -
Myrten, bringen Glück ins Haus. - -

Zwischen weißen Rosen spricht
Stumm ein Bild von toten Jahren;
Alles Leid, das ich erfahren,
Steht in diesem Angesicht.


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 12)

_____



Hans im Glücke

Meine Freude hat gleißende Schwingen,
Ein liebliches Mädchengesicht;
Sie kann Lieder von Treue singen,
Treue halten kann sie nicht.

Meine Freude hat lachende Blicke,
Einen Mund der Küsse verspricht;
Und ich wandle wie Hans im Glücke,
Aber glücklich bin ich nicht.


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 13)

_____



Begegnung

War wohl ein Prinzeßchen aus Morgenland,
Die hatte nachtschwarze Locken,
Und als ich sie einst am Wege fand,
Da stand ich zu Tode erschrocken.

Sie hatte die gleichen Augen wie Du,
Dieselben ruhelosen,
Auf ihren Wangen brannten im Nu
Zwei dunkle Purpurrosen.

Sie trug ein blütenweißes Gewand
Und sang aus jauchzender Kehle
Und ihre zarte Lilienhand
Hielt - meine zuckende Seele.


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 14)

_____



Mein Herz

Mein rothes Herz,
Mein totes Herz
Soll endlich Ruhe haben;
Ich hab es sacht
In dunkler Nacht
Im tiefen Schnee begraben. -

Im weichen Schnee,
Im bleichen Schnee
Erblühten rothe Sünden;
Mein altes Herz,
Mein kaltes Herz
Kann keinen Frieden finden.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 15)

_____



Junge Frau

Und nun bin ich junge Frau
Junge Frau,
Hab mein Herz begraben,
Und nun will ich wie der Pfau
Wie der Pfau
Bunte Kleider haben.

Jeder Nachbar, hat er Muth
Hat er Muth,
Küßt mich, weil ich darbe,
Doch wer fromm und ehrbar thut
Ehrbar thut,
Trägt nicht meine Farbe.

Kommt mein Schatz, der mich verrieth
Mich verrieth,
Kommt er stumm und trübe,
Will ich, daß er küssen sieht
Küssen sieht
Seine alte Liebe. -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 16)

_____



Sag es nicht

Sag es nicht, geliebtes Herzchen,
Sag es nicht,
Daß wir heimlich uns gesprochen,
Sag es nicht. -
Daß sich uns're Lippen fanden,
Wir zusammen aufgestanden;
Sag es nicht, geliebtes Herzchen,
Sag es nicht! -

Sag es nicht, geliebtes Herzchen,
Sag es nicht,
Daß wir Nachts im Wald gewesen,
Sag es nicht. -
Daß dem Heiland wir begegnet,
Er uns heimlich eingesegnet;
Sag es nicht, geliebtes Herzchen,
Sag es nicht! -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 17)

_____



Ein herbes Lied

Die kleine, braune Nachtigall
Sie mußte mir gestehen,
Warum die Zitterespen all
In Klagen sich ergehen.

Die kleine, braune Nachtigall
Sie mußte mir vertrauen,
Warum die Tausendschönchen all
So bang zum Himmel schauen. -

Stumm blickt der Mond vom Walde her,
Es flüsterte die Linde
Und schluchzend klang und thränenschwer
Das herbe Lied der Sünde:

Blaublümchen pflückte einst ein Kind;
Hoch standen alle Saaten;
Da hat ein schmucker Sausewind
Sein blondes Lied verrathen. -
Ein sonnengelber Schmetterling
Kam über's Feld geflogen,
Da ward ein armes blondes Ding
Betrogen, ja betrogen.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 18)

_____



Am Dorfsee

Am Dorfsee neigt die Weide
Ihr winterkahles Haupt;
Ich und die arme Weide,
Wir beide, ja wir beide
Stehn einsam und beraubt. -

Der Wind bringt von der Schenke
Tanzfrohen Walzerschritt.
Ach, wenn ich an Dich denke,
Mich so vom Herzen kränke,
Weint stumm die Weide mit. - -


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 19)

_____



Am Bach steht eine Linde
(Volkslied)

Am Bach steht eine Linde
Seit Urgroßvaters Zeit;
Und wenn ich Dich nicht finde,
Nicht finde
An der Linde,
So thu ich mir ein Leid.

Ich habe eine Weide
Gepflanzt auf grauer Heide,
Nach Deinem ersten Kuß;
Dort legt man mich zur Ruhe,
Zur Ruhe
In der Truhe,
Weil ich bald sterben muß. -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 20)
_____



Lied über'm Wasser

Es zieht eine trübe Weise
Flußab den Wolken nach;
Der Sturm leiht ihr zwei Schwingen
Und alte Strophen klingen
Bald laut,
Bald leise. -
Es zieht eine zage Weise
Flußab den Wolken nach:

"Spiel auf Du Musikante,
Spiel auf das Lied der Schmach,
Weil mich der Liebste sandte
Wohl in den tiefen Bach;
Weil er mit rohen Händen
Ein Myrtenbäumchen brach,
Spiel auf Du Musikante,
Spiel auf das Lied der Schmach!"

So zieht die trübe Weise
Flußab den Wolken nach. - - -
Der Sturm leiht ihr zwei Schwingen
Und ihre Strophen dringen
Bis hin
Zur Schenke;
Über Tische und Bänke,
Ganz leise Worte fliegen:

"Ich komm vom Wasser her;
Die Liese läßt Dich grüßen,
Sie liebte Dich so sehr . . . "
- - - - - - - - - - -
""Spielt auf ihr Musikanten,
Spielt auf das Lied der Schmach,
Weil ich mein Mädl sandte
Wohl in den tiefen Bach. -""

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 21-22)

_____



Der Gassenhauer

Einen kleinen dummen Gassenhauer
Hab ich nachts an Deinem Bett gesummt,
Da ist alle Deine Kindertrauer,
All Dein Schmerz, Dein banges Leid verstummt.

Und denselben dummen Gassenhauer
Sang mir eine Dirne heute Nacht,
Da hat jählings meine todte Trauer
Und mein Leid die Augen aufgemacht.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 23)

_____



Mein Luftschloß

Zager Hoffnung ferne Zinnen
Grüßen stumm. - Mich faßt ein Schauer -
Und ich sehe silbern rinnen
Neuen Glanz in trübe Trauer.

Nun ist's Licht. Ich kann erschauen
Eine bunte Fahne droben,
Aus den Flechten schöner Frauen
Ist sie wundervoll gewoben.

Und zwei Coniferenbäume
Halten still am Schloßthor Wache,
Daß nicht einer meiner Träume
Tolle Kinderstreiche mache.

Daß nicht einer meiner Träume
Aus dem Dunstgehege bräche
Und durch weite Weltenräume
Mir ein Wort - von Liebe spräche.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 24)

_____



Erika

Erika, liebe Rika mein,
Wie läuten doch die Glocken
So schüchtern und erschrocken
Den bleichen Winterabend ein. -

Dort hinter der Heide,
Wo die alten Eichen
In den Himmel reichen,
Dort hinter der Heide,
Uns beiden zuleide,
Stirbt der Sonnenschein. - - -

Ach, Rika, lieb Erika mein,
Wie läuten doch die Glocken
So schüchtern und erschrocken
Den bleichen Winterabend ein. -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 25)

______



Ständchen

Kleine Dame, stolze Dame
Mit den braunen Nackenlöckchen
Und dem rothgestreiften Mieder
Und dem knappen Seidenröckchen;

Kleine Dame, stolze Dame,
Sieh, ich komme nicht vom Fleckchen!
Will ich Dir von Liebe sagen,
Blickst Du störrig wie ein Böckchen.

Kleine Dame, stolze Dame,
Wäre ich ein fades Geckchen,
Hätte gelbe Schnabelschuhe
Und ein weißes Tennisjäckchen,

Kleine Dame, stolze Dame:
Ja, dann käme ich vom Fleckchen,
Dürfte Deine Lippen küssen
Und die braunen Nackenlöckchen. -
Kleine Dame, stolze Dame! -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 40)

_____



Inspiration

Stehn auf feuchten Wiesengrunde,
Wo die schlanken Gräser raunen,
Herbstviolen dunkelblau.
Kommt in später Abendstunde,
Um das Wunder anzustaunen,
Meine kleine Märchenfrau.
Winkt mir schnell herbeizukommen:
"Sieh, ach sieh die dunkle Pracht,
Süße Augenweide!" -
Hat mich um den Hals genommen,
So, nun wird ein Lied gemacht
Und wir singen beide:

Uns're hohen, frohen Lieder
Gleichen Silberturteltauben,
Wer sie hört, muß immer wieder
An die weiße Liebe glauben.

Uns're kleinen, reinen Lieder
Gleichen dunklen Herbstviolen
Und wir haben diese Lieder -
Einer Nachtigall gestohlen.

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 46)

_____



Namenlos

Die Arme weit -
Die Seele weit -
Im Herzen schluchzende Seligkeit
Und fieberglühendes Jagen.
Ein flimmernder, schimmernder Sonnentraum,
Ein fliegender, grüßender Kleidersaum
Und ein kinderglück-seliges Zagen. - - -

Dein blühender Mund,
Dein glühender Mund
Will wilde Wonnen künden! -
Du, sag es nicht
Und trag es nicht
Bis hin zu den rauschenden Linden;
Und trag es nicht
Bis hin zu den lauschenden Weiden.
Ich bitte Dich sehr,
Verrate nichts mehr,
Sonst wird selbst - das Glück uns beneiden!


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 70)

_____



Fünfzehn Jahre

I.
Wenn in dunkler Dämmerstunde
Uns die Abendglocken klangen,
Und vom Rosengarten drüben,
Süße, schwüle Düfte kamen;
Wenn in dunkler Dämmerstunde
Durch das buntverglaste Fenster
Stille, stille Träume zogen,
Saßen wir im Stiegenhause,
Du und ich.

Ich und diese kleine braune
Hexe, die sich Liese nannte,
Waren beide matt und müde:
Sie - vom ewig gleichen Reigen
Schöner Sommersonnentage;
Ich - vom scharfen Ritt ins blaue
Reich der Phantasiegebilde.
Und sie hatte ihre weißen,
Blassen, schmalen Kinderhände
Andachtsvoll im Schoß gefaltet
Und sie lauschte meinen Worten;
Und ich sprach von weißen Wünschen,
Sprach von immer neuen Plänen,
Die ins Riesenhafte wuchsen,
Wie man oft von Märchen flüstert,
Die am Meeresgrunde blühen. -
Doch von Liebe sprach ich nicht.


II.
Einmal nur sprach ich von Dir,
Königin in meinem Reiche;
Und ich faßte ihre Hand
Und ich nannte Deine bleiche
Liebe einen tollen Brand.

Du, wie ihr das Auge lachte,
Dieses junge kinderklare,
Und sie löste flink das Band
In dem dunkeln Flatterhaare,
Das ihr so entzückend stand!

Und dann flüsterte sie zag:
Jetzt beginnt die schönste Zeit;
Fünfzehn Jahre bin ich morgen
Und mein Herzchen ist so weit
Und ich habe Mädchensorgen . . .

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 72-73)

_____



Sehnsucht

Es schritt ein kranker Liebestraum,
Im Blutgewand mit Silbersaum,
Durch meiner Seele Garten.

Das Haar zerrauft, die Füße wund,
Sang zitternd er, mit bleichem Mund,
Von tollen Liebesfahrten. -

Die Nacht war schwarz, die Mondfrau band
Am Firmament mit müder Hand
Ein Tuch um die Laterne . . .

Es flog mein kranker Liebestraum
Empor zum dunklen Himmelsraum
Und küßte wach die Sterne.


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 82)

_____



Besuch

Wenn meine knospenschlanke Sehnsucht käme,
Im dunklen Haar die Silberchrysantheme;
Wie wollte ich von ihren zarten Hüften
Den goldgewirkten Purpurschleier lüften!

Dann würde sie im weißen Marmorbecken
Die nackte Pracht der Mädchenglieder strecken.
Ich möchte ihr von meiner Liebe sagen
Und sie in mein Poetenstübchen tragen.

Ich löste dann die Seidenflechtenschwere
Und schnitt ihr flink mit meiner Schreibtischschere
Ein Stück von diesem schwarzen Prunkgeflechte
Für den Altar der angstdurchwachten Nächte.


Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 86)

_____



Rückschau

Der Weg, den ich im Leben geh,
Hat wenig grüne Stellen; -
Von fernher blinkt ein lichter See,
Gold leuchten seine Wellen.

Gold leuchtet auch ein stolzer Bau
Auf fernem Wolkenthrone;
Es ist mein Schloß im Märchenblau,
Das ich nicht mehr bewohne.

Doch denk ich gerne an die Zeit,
Als wir da droben hausten,
Und in erhabner Einsamkeit
Die Frühlingsstürme brausten.

Als wir da oben, Du und ich,
Die ganze Welt vergaßen;
Im Jugendtaumel freventlich
Zu lieben uns vermaßen. -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 87)

_____



Im Traum ein Wiedersehn

Sie haben grinsend Dich geführt
Zum roten Sünderfeste:
Vom sternentoten Himmel stiert
Der Mond durch schwarze Äste. -

Du weintest laut; Dein Schluchzen drang
In meine bleichen Nächte.
Mir ward bei diesem wunden Klang
So weh und bang,
Ich fühlte: Deine Seele rang
Um Menschenrechte.

Du weintest laut; Dein Schluchzen zog
Durch meine Einsamkeiten. -
Weißt Du es noch? Weißt Du es noch,
Wie mich Dein weißer Leib betrog
Und mir von tollen Lüsten log
Und süßen Heimlichkeiten?

Weißt Du es noch? Weißt Du es noch,
Wie meine Sinne brannten!
Wie meine heißen Lippen fort,
Nur immerfort
Das eine Wort
In wilder Sehnsucht nannten!
Und Du - und Du: Dein Lachen griff
Mit kalter Hand
In meinen Brand
Und Deine Mädchenlippe pfiff
Ein Straßenlied,
Ein Dirnenlied. - - -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 88-89)

_____



Alte Sünden

Und er wollt' sie glücklich machen
Und er wollt' sie selig sehen,
Und ein rosenrotes Lachen
Sollt' in ihrer Brust erstehen.

Und er zeigte ihr die zarten
Purpurhyacinthenblüten,
Die in seinem Herzensgarten
Stolz auf Rasenhügel glühten.

Ach, in diesem Heiligtume
Sollte sie als Sonne tagen
Und nun sah in jeder Blume
Sie die dunklen Würmer nagen.

Seiner Seele Bitternisse
Wollte sie nun auch erfahren;
Weinend frug sie: ob er wisse,
Wer die vielen Toten waren.

Ja, nun wollte sie erfahren,
Wen die Rasenhügel decken
Und mit ihren kinderklaren
Augen alte Sünden wecken! -

Aus: Gedichte von Oskar Wiener
mit Titellitographie von H. Steiner
Berlin Schuster & Loeffler 1899 (S. 90)

_____



Im Sturmwind

Wenn es den Mummelgreisen graust,
Den Basen und Gevattern,
Weil durch die Stadt der Westwind braust
Und Mädchenröcke flattern;
Dann drück' den Hut ich ins Genick,
Die Hände in die Taschen,
Und nun drauf los und Waidmannsglück:
Ein Mädl mir zu haschen.
Da um die Ecke - Augen wach! -
Kommt eine angeflogen,
Ihr feuerrotes Regendach
Vom Sturmwind arg zerbogen.
Sie taumelt her und taumelt hin
Und kämpft mit den Gewalten;
Weil ich ein guter Junge bin,
Muß ich die Kleine halten.

Sie blickt mich an und lächelt still
Und weiß kein Wort zu reden;
Ihr Schleier ist von weißem Tüll
Und duftet nach Reseden.
Die liebe Kleine! Wie der Mond
So sanft sind ihre Mienen;
Ich bin dies Schweigen schon gewohnt
Bei schüchternen Blondinen.

Der Sturmwind hat mein Herz verweht
Und schlug ihm arge Wunden;
Ich nehm' die Kleine ins Gebet,
Ob sie dies Herz gefunden.
Da bleibt sie sehr erschrocken stehn. -
"Jungfräulein, Sie erröten!
Sie haben im Vorübergehn
Mein armes Herz zertreten . . ."

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 24-25)

_____



Werbeliedchen

Teufelsmädl, stillgestanden,
Stramm wie die Soldaten stehn!
Ich will Dir ins Auge sehn
Und an deinem Herzen landen.
Bitte, nur ein Viertelstündchen
Laß mich fromm und selig sein:
Solch ein herbes Kindermündchen
Küßt den ärgsten Sünder rein.

Wundervolle Tage winken;
Und ich hab' dich schrecklich lieb,
Meine Seele bettelt: Gib,
Gib dem Durstigen zu trinken!
Bitte, nur ein Viertelstündchen
Laß mich fromm und selig sein:
Solch ein herbes Kindermündchen
Küßt den ärgsten Sünder rein.

Ach, auf meinen Wanderfahrten
Trat ich manche Blume tot,
Doch im nächsten Morgenrot
Sprang ich lachend aus dem Garten.
Bitte, nur ein Viertelstündchen
Laß mich fromm und selig sein:
Solch ein herbes Kindermündchen
Küßt den ärgsten Sünder rein.


Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 29-30)

_____



Mädchen

Liese, küßt du gerne?
Lieselchen, sag an,
Daß ich's von dir lerne,
Weil ich's noch nicht kann.
Gelt, du wirst wohl wissen,
Wie sich Liebste küssen!

Schweig doch, kleine Grete,
Naseweises Ding. -
Dort im Rosenbeete
Sitzt ein Schmetterling:
Wollen wir ihn haschen?
Oder darf er naschen?

Liese, gehst du gerne
In den Wald allein?
Du, Mariensterne
Pflückt man doch zu Zwei'n.
Ach, du wirst schon wissen,
Wie sich Liebste küssen!

Männerkuß bringt Schande,
Unbedachtes Ding -
Dort im Birkenstande
Lockt ein junger Fink:
Wollen wir nicht lauschen?
Gretl, laß das Plauschen.

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 31-32)

_____



Maiandacht

Lisett' hat einen himmelblauen Hut,
Maßliebchen nicken dort in einer Masche;
- Mein keusches Kind, ich weiß, Du bist mir gut -
Rehbraune Augen locken: Komm und nasche!

Ein kleines Lied hab' ich für Dich erdacht,
Das lacht und kichert, lustige Lisette;
Das Lied ist treu wie eine deutsche Nacht,
Das Lied wird Deine schönste Maienmette.

Dann lehnst Du lieb im tiefen Chorgestühl
Und küßt Dein Liederbüchlein in Gedanken
Und liest darin, doch liest Du nicht zu viel,
Und aus dem Buche - wachsen Rosenranken.

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 37-38)

_____



Versuchung

Was will die wilde Rose
Meinem Traum?
Ich kenne ihre lose
Sprache kaum.

Sie rückt in rotem Röckchen
Keck heran:
Ob ich mein Maienglöckchen
Lassen kann.

Ach, meinem Heiligtume
Bin ich treu,
Der keuschen Kinderblume,
Schlank und scheu.

Mein Maienwunder lassen
Fiel mir schwer,
Ich liebe seine blassen
Blüten sehr.


Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 39-40)

_____



Romanze

Ich weiß von einer Brücke,
Aus grauem Granit gebaut,
Und mitten auf dieser Brücke
Da weint eine steinerne Braut.

Verwitterte Lettern nennen
Ihr hochgeheiligtes Leid,
Zu ihren Füßen brennen
Kerzen der Ewigkeit.

Der Opfersegen verbreitet
Zagen, zitternden Schein. -
Ein finsterer Wanderer schreitet
Über die Brücke von Stein.

Doch im Vorüberschreiten
Die Braut, die sieht er nicht;
Gleichgiltige Blicke gleiten
Über ihr wehes Gesicht.

Das ist die Braut der Schmerzen,
Sie liebt den Wandrer gar sehr;
Aber in seinem Herzen
Bleibt es so seltsam leer.

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 61-62)

_____



Lied des Einsamen

Er gieng die Wiesenwege hin
Und dachte ein Gedicht;
Ihm war so sonderbar zu Sinn
Wie ach, schon lange nicht.

Sein junges Herz wollt' Heiterkeit,
Sein junges Herz schlug laut;
Er fühlte: Diese Einsamkeit
Ist eine böse Braut.

Die Tage und die Nächte gehn,
Ihr Schritt schleicht klosterstill;
Ich möcht' zwei treue Augen sehn,
Die wissen, was ich will. -

Das müßte sein ein keusches Kind
Mit Augen froh und fromm;
Mit Augen, die im Himmel sind,
Wenn ich sie küssen komm'.

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 67-68)

_____



Einsamer Abend

Zwei Mädchen, verschwiegen und träumerisch,
Sehnten sich sehr und glühten;
Zwei Mädchen saßen an einem Tisch
Und stickten seidene Blüten.

Und jeder Stich war ein stummer Schrei:
Maikönig, komm und nimm mich!
Gib mir ein Lied, und mach mich frei -
Wie eine Geige stimm' mich!
Die Blonde träumte:

Ich bin so schön;
Schwester, reich mir die Hände!
Wir wollen durch taufeuchte Wiesen gehn,
Schwester - und ohne Ende . . .

Und die Braune fühlt:
Mein Herr und Christ,
Die Nachtigallen klingen;
Mich hat noch nie ein Mann geküßt,
Hilf mir ein Herz erringen! . . .

- Zum Fenster flutet das Mondlicht herein,
Und die Lampe vergißt zu brennen,
Und die beiden Mädchen erkennen:
Die Sehnsucht ist tief und wird ewig sein.

Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 71-72)

_____



Bettlerin Liebe

Die Liebe gieng betteln von Ort zu Ort,
Und nirgend fand sie ein gütiges Wort
Und nirgendwo einen gütigen Blick,
Und sonder Hoffnung wankt' sie zurück.

So irrte sie lange von Haus zu Haus.
Nun ruht sie an einsamer Schwelle aus
Und stützt das Haupt in die müde Hand
Und ihre Tränen feuchten den Sand.

Hier hat sie sich bang in den Schlaf geweint;
Nun träumt sie: Der böse Haß war mein Feind,
Aber ich reichte ihm still meine Hand,
Da wurde weiß sein Flammengewand.

Und dann: mit bittenden Augen kam
Ich zu den Menschen und ihrem Gram,
Doch keiner sprach ein gutes Wort
Und keiner bot mir Hut und Hort.

Und ich schritt weiter und fand ein Haus,
Das sah verfallen und elend aus,
Ein schwarzes Kreuz vom Tore droht:
Hier wohnt die Pest, hier wohnt der Tod.

Schon wollt' ich leise vorübergehn,
Da sah ich dort einen Wanderer stehn;
Der hatte ein gottgutes Angesicht
Und Kinderaugen sanft und licht.

Er sprach: "Was hemmst du nicht den Schritt?
Ich bin dein Bruder; - Weib, komm mit!"
Ich blickte auf; ein Glorienschein
Lag ihm ums Haupt, - da trat ich ein.


Aus: Oskar Wiener
Das hat die liebe Liebe getan
Ein Liederbuch
J. C. C. Brun's Verlag Minden i. W. 1905 (S. 86-87)

_____


 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Wiener



 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite