Sehnsucht nach Daphnen
        Im May 1762
        
        Ich fliege! - Führt mich, Götter der Zärtlichkeit,
        Zu Daphnen flieg' ich! - Trage mich, leichter West,
        Auf Wolken süsser Blumendüfte! -
        Seufzer verkünd'gen mich der Geliebten.
        
        Wie öd' und traurig sind mir die Fluren hier,
        Die Daphne um mich einsam zurücke liess!
        Wie fühllos seh' ich euch verfliegen,
        Heitere Tage des lauen Frühlings!
        
        Ich irre klagend oft an dem schroffen Strand
        Der stolzen Weichsel, seh' sie, und sehe nichts.
        Sie wallt beschwert mit Polens Reichthum
        Fern von den rauhen Karpathen nieder.
        
        Mit Ehrfurcht schweigend eilte mein Blick sonst mit,
        Zur wilden Ostsee floh der Gedanke nach;
        Dann sank zu ihr die Sonn', in Purpur
        Königlich eingehüllt und entschlummert.
        
        Diess prächt'ge Schauspiel, ehemals rührender
        Für meine Seele, deckt mir ein trüber Flor;
        Voll Sehnsucht flieht das nasse Auge
        Über Sarmatische Fluren weiter.
        
        Beglückte Fluren, die ihr um Daphnen blüht!
        O blühet sanfter! athmet ihr Liebe zu!
        Und ihr, ihr güldnen Frühlingsmorgen,
        Lächelt ihr Ruhe von Rosenwangen!
        
        O wär' ich bey ihr! Götter der Zärtlichkeit,
        Führt mich zu Daphnen! - Führe mich, lauer West,
        Sanft wallend auf bethautem Fittig
        Hin, wo mich Liebe und Sehnsucht rufen. 
        (S. 28-29)
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        An das Schicksal
        Im May 1762
        
        Im furchtbaren Gewand heiliger Dunkelheit,
        Wie vom stürmenden Pol sich eine Mitternacht
        Dick um Eisberge lagert,
        Sitzt das Schicksal, ein mächtiger Gott.
        
        Hoch vom ehernen Thron hängt von der schweren Hand
        Stets die Wage des Glücks; um ihn herum entstehn
        Künft'ge Tage der Menschen,
        Und erwarten gebückt ihr Loos.
        
        Hingerafft vom West wölkt sich ein lautes Heer
        Eitler Wünsche zum Thron, unbewusst ihrer selbst;
        Doch die mächtige Wage
        Gibt den Ausschlag - und sie sind hin.
        
        Schicksal, Gottheit voll Ernst, voller Geheimnisse!
        Niemals hat dieses Herz ungerecht sich beklagt,
        Niemals Wünsche geboren,
        Die zu kühn deinen Schluss entehrt.
        
        Weislich sammeltest du Finsterniss um dich her,
        Weislich sprach dein Befehl: "Niemand erblicke mich!
        Und der Zukunft Gefährte
        Sey die strengste Verschwiegenheit!"
        
        Ja, sie sey es auch mir! Tage, die noch nicht sind,
        Seyn versiegelt vor mir! Sendest du sie mir einst,
        Alsdenn will ich sie brauchen,
        Und gebraucht nimm sie wieder hin!
        
        Doch - ein ängstlicher Wunsch dränget sich durch die Brust -
        Ist es Ahndung? ist's Schmerz? - o wie erschüttert er
        Die empfindende Seele!
        Er entflieget ihr, hin zu dir.
        
        Nur ein einziges Wort, nur einen dunkeln Blick
        Zum entscheidenden Buch meiner Verhängnisse;
        Nur von weitem ein Schimmer
        Aus der Zukunft erflehet er.
        
        Sprich allwissend vorher, mächtiges Schicksal, sprich! -
        Meine Ruhe sehnt sich diesem Gedanken nach: -
        "Wird mich Daphne einst lieben? -
        Ist die Zärtliche mir bestimmt?" 
        (S. 30-32)
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        Die Schwermuth der Liebe
        
        Umringt mit Nacht und bangen Schrecken
        Sank auf mich die Melancholie;
        Aus Morpheus Armen mich zu wecken,
        Sprach sie zum Morgentraum: Entflieh!
        Ich fühlte ringend mit dem Schlummer
        Gebirgen gleich den schweren Kummer.
        Halbträumend, meiner selbst bewusst,
        Keucht ängstlich die beklemmte Brust.
        
        Schnell weckt er mich. - Es graut der Morgen
        Am nebelvollen Horizont;
        Der Welt ward noch von Müh und Sorgen
        Die süsse letzte Ruh vergonnt.
        Aus des entwölkten Himmels Mienen,
        Die niemals reizender geschienen,
        Sprach Hoffnung auf den schönsten Tag,
        Der jung schon auf den Fluren lag.
        
        Doch mir schien selbst Aurora trübe,
        Der Tag verblichen, ohne Licht;
        Sein Lächeln, günstig sanfter Liebe,
        Verstand mein leidend Herze nicht.
        Ich hörte nur die Donnerstimme
        Der Schwertmuth, die mit vollem Grimme
        Mir Schrecken in die Seele rief,
        Das unter Schaudern mich durchlief.
        
        "Was hoffest du, von Wahn betrogen,
        Verwegner? - Dass dich Daphne liebt? -
        Nein! - Dein Geschick ist abgewogen:
        Erzittre, wenn's den Ausschlag gibt! -
        Schon schnaubt der Neid; er wird entbrennen,
        Von Daphnens Herz dein Herze trennen,
        Und ekler Thoren wüstem Schreyn
        Muss einst dein Glück geopfert seyn!"
        
        Gedanke, der mich ganz erschüttert,
        Welch wildes Chaos braust in mir!
        Mein Herz erbebet, ringt und zittert,
        Und fühlt mehr als den Tod in dir. -
        Getrennt von Daphnen? - - Finstre Tage,
        Durchjammert von vergebner Klage,
        Bis selbst vor Schmerz die Klage schweigt,
        Kommt niemals - oder kommt und weicht!
        
        Verhärtet gegen zarte Triebe,
        Empfindlich nur für stäte Pein,
        Wird ewig keine andre Liebe
        Für mich, und keine Daphne seyn.
        Kein Morgenroth wird dann mir lächeln,
        Kein Zephyr Lust entgegen fächeln,
        Kein schöner Abend mich erfreun,
        Und selbst kein Freund den Gram zerstreun. 
        (S. 33-35)
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        Den 1. Januar 1763
        
        Es kommt - es kommt - Gold strahlet vom Gefieder
        Des jungen Jahrs; es sinkt
        Vom Hauch des Nords getragen schauernd nieder,
        Da ihm das Schicksal winkt.
        
        Heil dir, o Jahr! - Heil dir, du meiner Wonne
        Vorlängst gewünschte Epoche!
        Wie huldreich grüsst mich deine erste Sonne,
        Und küsst den feuchten Schnee!
        
        Zwar wird nicht stets des Phöbus Auge lachen;
        Auch Wolken ziehen mit,
        Vom Hagel schwer, auch Donner werden krachen
        In weit vernommnem Tritt!
        
        Doch lass ihn nur, den schweren Donner krachen!
        Er folge deinem Schritt!
        An Daphnens Hand wird mir die Liebe lachen,
        Dann lacht mir alles mit.
        (S. 38-39)
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        An meine Daphne
        
        Den 29. May 1766
        
        Nicht bloss Zufriedenheit nach Platons Sinn beglücket
        An deiner Seite, Daphne, mich;
        Nicht Freundschaft bloss - diess Herz von lauter Freud' entzücket
        Wallt von Empfindungen für dich
        
        Noch stets so stark, wie, da von süsser Hoffnung trunken,
        Du würdest einst die Meine seyn,
        Der Liebe Feu'r entglomm aus lang genährten Funken -
        Und dieser Sieg ist gänzlich dein,
        
        O Freundinn! denn dein Herz bleibt ewig werth zu lieben;
        Durch dich ist mir das Leben süss;
        Durch dich empfind' ich nie, wenn sich die Lüfte trüben,
        Das Traur'ge jener Finsterniss,
        
        Worüber Sterbliche so schwer zu seufzen pflegen,
        Wodurch die Welt zum Kerker wird!
        O Himmel! ist mein Wunsch, diess Flehn nicht zu verwegen,
        Das tief aus meinem Busen girrt,
        
        So werde dieser Tag so oft von mir besungen,
        Als noch mein Leben in mir glimmt!
        Und stockt mein Blut, so sey dann, Hand in Hand geschlungen,
        Uns eine Gruft zugleich bestimmt,
        
        Dass unsre Asche selbst sich liebend noch vereine,
        Die letzte Ruh uns sanfter sey,
        Und keins von uns sein halbes Herz beweine! -
        Nicht wahr? du stimmst dem Wunsche bey?
        (S. 47-48)
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        An meine Daphne
        
        Den 29. May 1769
        
        Wie Zephyr sanft durch kühle Bogengänge
        Trotz hoher Mittagsgluth sich schleicht,
        Von Duft umwallt, begrüsset durch Gesänge
        Des Flügelchors, das unverscheucht
        
        Den schattigen Jasmin vergnügt durchhüpfet,
        Und Amorn seine Lieder weiht:
        So sanft, so schnell, o Daphne, sind entschlüpfet
        Die Tage, die die Zärtlichkeit
        
        Uns zu den schönsten Frühlingstagen machte;
        Nie schwül, nie stürmisch waren sie.
        Gefälligkeit und Eintracht, die uns lachte,
        Entwich von unsrer Seite nie;
        
        Und nimmer soll sie künftig uns entweichen,
        Der Schwur sey feyerlich erneut!
        Des Lebens Nacht wird freylich uns erreichen,
        Doch nie das Ziel der Zärtlichkeit.
        
        Ein Lustweg Hand in Hand durch Frühlingshecken,
        Fern von des Glückes stolzem Schein,
        Doch sicher auch vor unglückdroh'nden Schrecken,
        So müsse unser Leben seyn!
        (S. 52-53)
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        An Daphnen
        
        Den 29. May 1770
        
        O meine Daphne, wie so schnell enteilen
        Der wahren Zärtlichkeit
        Die Jahre, die sich bis zum Überdruss verweilen
        Bey kalter Unzufriedenheit!
        
        Zum achten Mal, seit mir bey Hymens Kerzen
        Dein Herze sich ergab,
        Senkt dieser Tag, ein Fest der Wonne meinem Herzen,
        Sich vom Olymp herab.
        
        Wie? sieben Jahre flohn uns schon zurücke,
        Seitdem wir uns geliebt?
        Nein! sieben Tage sind's, voll süsser Augenblicke,
        Wie sie ein Himmel gibt.
        
        Von hohen Alpen stürzt nicht so geschwinde
        Ein Strom zum Meere sich,
        So schnell verfliegt kein Schall, kein Fittig leichter Winde,
        Als diese Zeit verstrich.
        
        O Himmel, lass - o lass sie nicht so eilen,
        Die gar zu flücht'ge Zeit!
        Mit Daphnen Herz und Wunsch und Glück und Leben theilen,
        Ist mir Glückseligkeit,
        
        Die mich um keine Hoheit neidisch machet,
        Die in Pallästen thront;
        Denn Heiterkeit und Ruh und sel'ge Freude lachet,
        Wo treue Liebe wohnt.
        (S. 57-58)
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        Aus: Sämmtliche Poetische Schriften
        von Johann Gottlieb Willamov
        II. Theil
        Erste vollständige Ausgabe
        Wien Gedruckt und verlegt
        bey F. A. Schraemel MDCCXCIV (1794)
        
        
 
      
        
        Biographie:
        
        
        https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Willamov