August Wolf (1816-1861) - Liebesgedichte

 



August Wolf
(1816-1861)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Liebesdämmerung

Ach Geliebte!
Durch die Nacht,
Mit ihres Athems warmer Luft,
Mit ihrer Blumen süßem Duft
Tönen mir Lieder,
Süße, glühende,
Halb vernehmlich.

In dem Nebel der Düfte der Nacht
Kommen mir Gestalten,
Schwebend in Mondenglanz
Und Sternenschimmer,
Neigen sich schweigend,
Himmlischer Anmuth voll,
Wie in Verlangen
Liebend mir zu.

Bei der Stille der Nacht,
Wenn der Abendwind schon schläft
Im dunkeln Busch,
Und die Nachtigall schweigt
Und der Gedanke;
Bei der Stille der Nacht
Fühl' ich wie Hauch fast
Leise den warmen,
Süß schauernden
Druck einer Hand.

In der Nacht, in der Nacht,
Wann der Schlummer kommt,
Eben das Auge mir schließen will,
Naht mir
Von himmlischen Lippen
Liebeswarm
Ein Kuß. -

Deine Stimme,
Deine Gestalt,
Dein Druck der Hand,
Dein Kuß.
(S. 5-6)
_____



In meinem Herzen

In meinem Herzen steht ein Meer von Liebe.
Ein stiller Mond hast Du hineingeschienen,
Und nun beginnt das ganze Meer zu wallen,
Zu regen sich in seiner tiefsten Tiefe;
Es steigt und überfluthet weit das Ufer,
Das schwache Ufer eines vollen Herzens.
Und lange ist das Herz der Wellen Beute,
Der Wellen, deren Born es selbst gewesen;
Und also hingegeben ist's den Fluthen,
Daß oft mich däucht, ich selber sei versunken
Im tiefen Meer der Liebe meines Herzens,
Ich sei die Blume nur in seinen Wellen,
Und sinke tiefer stets und immer tiefer
Und komme nimmer zu des Meeres Grunde.
(S. 8)
_____



Liebesgedicht

An Deine Seite möcht' ich jetzt mich schmiegen
Und meines Busens Lieb' in Deine gießen,
Wie nun des Abends süße Dämmerschatten
Sanft in der Nacht verschwieg'nes Dunkel fließen.

So hat die Blume nicht nach Thau geschmachtet,
Den reichlich ihr der Abend nun gespendet,
Als ich nach einem Kuß von Deinen Lippen
All' meines Herzens Sehnsucht hingewendet.

Wie dort der Epheu um die Pappel ranket,
Vom Fuße bis zum Gipfel zärtlich steigend,
So möcht' ich, Süße, Dich umschlungen halten,
Mein ganzes Sein in Liebe zu Dir neigend.

So sehr verlangt der Müde nicht nach Schlummer,
Und nahend würd' er nie ihn so beglücken,
Als an der Hüften reizend schöne Wölbung
Ich innig glücklich jetzt mich möchte drücken.

All' Deine schönen Glieder möcht' ich küssen,
Dich überall auf einmal heiß umarmen,
Daß Du in meiner Liebe ruhen müßtest
Wie nun der Erdball in der Luft, der warmen. -

Den Schwan hört' ich im Teiche liebend girren,
Die Nachtigall im Fliederbusche singen,
Die Nachtluft scherzend mit den Blättern kosen;
Da hab' ich sinnend Dir dieß Lied gesungen.
(S. 10-11)
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Eine Liebende

Und als ich ihn geliebet hab',
Hab' ich mich ihm ergeben,
Bei ihm mein Herz, bei ihm mein' Ehr',
Bei ihm mein ganzes Leben!

Und ist bei Euch denn Lieb' und Ehr',
Und Ehr' und Lieb' geschieden,
So sagt doch Ihr eh'lich getrauten Frau'n,
Welche habt Ihr gemieden?

Ihr gabt Euch hin um Rang und Stand,
Für Gold und eitel Ehren,
Ich hab' um Liebe ihn geliebet
Und will nur ihm gehören.

Hat uns die Liebe selbst getraut,
Was ist am Priester gelegen?
Ich denk', in Liebessachen giebt
Die Liebe den heiligen Segen.

Mich freut's, ich hab' gezeigt, ich lieb',
Ich hab' mich hingegeben,
Mein Herz, mein' Ehr', mein Alles ihm;
Bei ihm mein ganzes Leben!
(S. 12-13)
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Liebesgedicht

Ich wollt', ich wär' das schöne, starke Meer!
Dann lauschte ich, bis daß sie baden käme,
Daß, käm' sie einmal zu mir her,
Ich sie auf immer zu mir nehme.

Ich faßte sie in meinen starken Arm,
Ich bettete sie tief auf meinem Grunde,
Da hielt ich die Geraubte fest und warm,
Und nur mein Jauchzen gäbe von ihr Kunde. -

Und immer hielt ich sie umfangen,
Die nackte, herrliche Gestalt,
So lang die Erde steht, umfangen
Mein süßes Glück mit Allgewalt!

Und sie, von mir umspült, getragen,
Sie könnt' empfinden nichts als mich,
Mit allen Sinnen, allen Theilen
Nichts auf der ganzen Welt als mich!

Und also tief in mir nach innen
Mein ganzes Wesen wär' ein Kuß,
Den sie auf ihren schönen Gliedern
Nun immerdar empfangen muß.

Und außen rauscht' ich meine Lieder
In alle Winde donnernd hin,
An alle Küsten brandend, tosend,
Verkündend, wie ich glücklich bin!
(S. 17-18)
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Liebeslied

Wär' ich der Tod, dann würd' ich sanft Dich küssen,
Die Seele müßt' ein holder Schlaf Dir ketten,
In Träumen würdest Du entschlummern müssen,
Und wie die Liebe würd' ich süß Dich betten.

Was Dir das Leben giebt, ich kann es wissen,
Was willst Du hier mit Deinem schönen Herzen?
Es wird Dir hunderttausendfach zerrissen
Von eig'nem tiefen Leid und And'rer Schmerzen.

Und was der Tod Dir bringt, wir wissen's nimmer.
Ob er ein bess'res Sein vermag zu geben,
Ob zur Vernichtung er Dich führt auf immer,
Ob nur zu neuem, leiddurchflocht'nem Leben?

Hier ist's gewiß und dort im Ungewissen;
Ich möchte Dich von Tod und Leben retten:
Ich wollt', ich wär' der Tod, ich würd' Dich küssen
Und wie die Liebe sanft und süß Dich betten.
(S. 26)
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Wir hatten uns freilich nicht bestellt

Wir hatten uns freilich nicht bestellt,
Doch hättest Du kommen können,
Ich konnte Dir doch in aller Welt
Nicht Ort und Stunde nennen.

Auch ist es so traulich ohne Wort
Und Zeichen sich verstehen,
Du weißt ja die Zeit und kennst den Ort,
Wo wir uns sonst gesehen.

Es war ja so hold und lieblich auch,
Zu plaudern mit Worten und Blicken,
Du fragst doch nicht etwa nach Sinn' und Brauch
Und ob sich's werde schicken?

Ei, sollen ein gutes Paar wir sein,
So müssen wir gut uns verstehen,
So stelle Dich immer freundlich ein,
Geh' ich um Dich zu sehen.
(S. 26-27)
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Franziska

1.
Ein wunderbar Gefühl, und schwer zu nennen,
Hörst Du ein Lied, das Dir schon sonst geklungen,
Doch weißt Du gleich nicht, wann und wo gesungen,
Neu wirkt es und doch will das Ohr es kennen.

Eh'mals und Jetzt, Du weißt sie nicht zu trennen,
Sie scheinen eng und innig Dir verschlungen,
Bis endlich sich Erinn'rung durchgerungen,
Und Wort und Melodie, Du kannst sie nennen.

So war, als ich Dich sah' zum ersten Male,
In mir ein dämmerhaftes, süßes Weben,
Als ob bei Deiner Augen mildem Strahle
Zu rathen etwas, zu erinnern bliebe.
Ich sann und sann; nun kann ich Antwort geben:
Es war der alte Traum von Glück und Liebe.


2.
Hast nach des kalten Winters engen Tagen
Ein frisches Blümchen unverhofft gesehen,
Den Frühling scheint's im Thal und auf den Höhen
Mit seiner ganzen Fülle anzusagen.

Und mahnend lockt es, Dich hinaus zu wagen,
Auf seine Blumenauen hinzugehen,
Zu fühlen seiner Lüfte lindes Wehen,
Zu lauschen seiner Nachtigallen Klagen.

So däucht mich Deine Schönheit, süßes Wesen,
Aus Deiner Seele Frühling eine Blume.
Mein Geist, er möcht' in Deinem Geiste lesen,
Wandern in Deines Herzens stillen Räumen
Bis zu der Seele tiefstem Heiligthume.
O, Deine Schönheit läßt es schön mich träumen!


3.
Unter Allem, was die Flamme
Köstliches man läßt verbrennen,
Ist das Edelste der Weihrauch,
An dem Duft kannst Du's erkennen.

Und so däucht mich immer wieder,
Waren wieder wir beisammen,
Deine Schönheit, süßes Mädchen,
Weihrauch meiner Herzensflammen.

Denn ein Etwas Deiner Formen,
Deiner lieblichen Bewegung,
Deiner Worte, Deiner Blicke
Fassen sie in heft'ger Regung.

Und sogleich aus tiefstem Herzen
Fühl' ich's duftig sich erheben,
Nebel süßer Poesien
Süß die Sinne mir umschweben.

Und dann möcht' ich bilden, dichten,
Wort und Verse reich zusammen,
Schön wie Deiner Schönheit Formen,
Heiß wie meines Herzens Flammen.
(S. 29-30)
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Flammen

Wie die Flamme gierig leckt!
Tausend Zungen in die Weite reckt,
Nach allen Seiten sich versucht zu kehren,
Sie will ergreifen, sie will verzehren.

So glüht ein Herz in Sehnsuchtsbrand,
Nach allen Seiten hat es sich gewandt,
Der Sehnsucht Flamme sucht im Leeren,
Der Liebe Lieben muß es noch entbehren.
(S. 31)
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Im Traum

Im Traume kommst Du noch zu mir,
Dich hold und liebend an mich schmiegen,
Ganz ungestört und unverstellt,
Nur offne Lieb' in allen Zügen.

Und Alles, was uns sonst getrennt,
Ist fremd und ferne Dir geblieben,
Da bist Du ganz, so wie ich Dich gewollt,
So kann ich doch im Traume noch Dich lieben.
(S. 32)
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Serenade

Liebchen, welche Nacht ist heute!
Welch ein Duften aus den Zweigen,
Welch ein Taumeln, welches Flüstern,
Welches ahnungsvolle Schweigen!
Diese Nacht voll Glanz und Wärme
Ist zum Schlafen nicht gemacht,
Ja, ich fühl's durch alle Glieder,
Dieß ist eine Liebesnacht.

Und durch Haine und durch Wiesen,
Ueber Gräben, über Hecken
Bin ich eilends hergeflogen,
Dich, mein Liebchen, zu erwecken.
Und ich sing' vor Deinem Fenster,
Bis Du wieder aufgewacht,
Daß Du nicht verschläfst, versäumest,
Nicht verträumst die Liebesnacht.

Komm herab, Du wirst es fühlen,
Diese Lust, sie wird Dich's lehren,
Hör' umher dieß leise, heiße
Liebesflüstern Dich beschwören.
Ja, des Haines Götter seh' ich
Lauschen auf und haben Acht,
Aus dem dunklen Laube laden
Sie zu duft'ger Liebesnacht.

Glück! Von Deinem Fenster seh' ich's
Weiß und schimmernd niederwinken,
Komm, o komm! Laß mich nicht einsam
In dem Rausche untersinken!
Heute giebt's ein hohes Fest noch,
Ich bin da und Du erwacht,
Heute noch durchlebst, durchschwärmst Du
Selig eine Liebesnacht.
(S. 32-33)
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Abendgedanke

Wenn die Nacht sich naht, das Leben
Still in Schlaf und Traum zu senken,
Muß ich abgewendet, einsam
Stets zu Dir hinüberdenken.

Jetzt, getrennt von der Umgebung,
Trittst Du einsam in Dein Zimmer,
Und die altgewohnte Ordnung
Zeigt der Lampe heller Schimmer.

Still zum Tisch trägst Du die Lampen,
Vor den Spiegel trittst Du stille,
Lösest langsam dann die Spangen
Und die Bänder Deiner Hülle.

Und die schönen Kleider fallen.
Gierig stürzt die Luft entgegen
Deinen edlen Formen, die sich
Froh bei ihrem Kusse regen.

Von dem Haupt nimmst Du die Zierden
Und den Haaren ihre Ketten,
Die verwirrt, wie furchtsam, eilig
Sich auf Hals und Schultern retten.

Und in schöner Freiheit wallen
Tiefer dann die dunklen Locken,
Und ob Deiner großen Schönheit
Bist Du selber fast erschrocken.

Und Du weilst und sinnst. - O, wüßt' ich
Nun der Brust geheimsten Willen,
Die Gedanken, die das schöne,
Sanft gesenkte Haupt erfüllen;

Die verborgen in Dir keimend,
Vor Dir selber fast verstohlen
Nur am Schweigen sich erschließen,
Deiner Seele Nachtviolen;

Die in schwanke Bilder taumelnd,
Traumhaft vor dem Sinn Dir schweben,
Hast des Körpers schöne Bürde
Du dem Lager übergeben.
(S. 34-35)
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Liebesfluch

Und ob Du liegst und ob Du schwelgst
In Deines neuen Buhlen Arm,
Ob er Dich herzet und Dich küßt
Und Dich umschmeichelt liebeswarm;
Dieß Eine dennoch fühlst Du stets:
Ich bin es nicht, ich bin es nicht,
Und Alles, was Du Dir erwirbst,
Ruft Dir auch zu: Ich bin es nicht!

Vergessen kannst Du es nicht mehr,
Daß Du einmal bei mir geruht,
Daß Dir das Herz einmal durchzuckt
Ein Funke meiner Liebesgluth.
Der hat mit Flammenzügen tief
Dir in das Herz geprägt mein Bild,
Das bleibt für immer Dir zurück
Als ein Verlangen, ungestillt.

Und blickt auf Dich sein Auge nun,
Von Gluth und Zärtlichkeit beseelt,
Du denkst bei jedem Liebesblick
Des Blickes auch der jetzt Dir fehlt.
Und lauschest seinen Worten Du,
Wenn er von Liebe zu Dir spricht,
Du hörst auch einen Ton, der schweigt,
Das ist mein Ton, ich bin es nicht!

Um kalt zu bleiben, viel zu groß,
Zu klein, in Flammen aufzugeh'n,
Hast Du den schönen Tod verschmäht,
Und mit der Wunde bleibst Du steh'n.
Ja, hätt' ich nur mit Dir gespielt,
Vielleicht, Du könntest glücklich sein;
Ich liebte Dich, das war Dein Fluch,
Das trugst Du nicht, Du warst zu klein.

Geh' durch die Wüste glücklich hin,
Und ruh' an der Oase Quell,
Dich labt der Sterne kühler Glanz,
Dir lacht der Sonne blendend Hell:
Nur lieben, lieben kannst Du nicht,
Nicht ganz mehr, wer Dir auch gefällt,
Ich bin es nicht, ich fehle Dir
Und hast Du auch die ganze Welt.
(S. 35-36)
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Liebesschwur

Sei zufrieden mit dem, was ich Dir geb',
Und bändige Deine Triebe,
Ich weiß nicht einmal, ob ich ewig leb',
Und Du willst ewige Liebe.

Das ist wahrhaftig mir zu viel,
Das kann ich nicht versprechen,
Mein Wort ist mir kein leeres Spiel,
Ich möchte mein Wort nicht brechen.

Ich weiß gewiß, jetzt lieb' ich Dich,
Auch weiß ich, die Liebe wird enden,
Durch Tod oder Leben, 's ist gleich für mich,
Wir werden das Schicksal nicht wenden.

Drum lieb' ich Dich und küsse Dich heut',
Als würden wir morgen geschieden,
Und kenne die Sehnsucht nach Ewigkeit -
Mein Liebchen, sei zufrieden. -
(S. 37-38)
_____



O, bist Du, wie ich Dich träume -

O, bist Du, wie ich Dich träume,
Und lügt Dein Auge nicht
Und hält die Seele Alles,
Was Deine Schönheit verspricht:

Dann bist Du die Erfüllung
Des Wunsches, welcher tief
In meiner tiefsten Seele
Träumend und dämmernd schlief.

Dann bist Du des Herzens Heimath,
Nach der es sich immer gebangt,
Dann bist Du, was ich nicht kannte,
Und was ich immer verlangt.

Dann ist zu meinem Fühlen
Zum Sterben hier und dort,
Zu allen meinen Gedanken
Dein Bild das richtige Wort.

Dann bist Du schon lange mein Himmel
Und lange mein größter Schmerz,
Bist meiner Liebe Lieben
Und meines Herzens Herz.
(S. 40-41)
_____



An J**

Mit Deinen weißen Händen
Möchte ich zärtlich spielen,
Aus Deinen Augen immer
Die Mondlichtblicke fühlen.

Um Deine lieben Locken
Möchte ich Blumen flechten,
An Deiner Seite ruhen
In liebetrunknen Nächten.

Du bist so eigen lieblich,
Zaub'risch wie schöne Sagen,
Die tief in sich verborgen
Ein Weltgeheimniß tragen.

Es blickt aus Deinen Augen,
Reizend aus Deinen Zügen,
In Deinen süßen Gliedern
Seh' ich es schimmernd liegen.

Sieh, Deines Daseins Geheimniß
Möcht' ich zu gerne wissen,
Ich möcht' es beschwörend und glühend
Dir von den Lippen küssen.
(S. 43-44)
_____



Eine Erinnerung

Was war das? - In meinem Herzen
Erbebte ein alter Ton,
Der tief auf seinem Grunde
Geschlafen, wie lange! schon.

Und bei dem Ton erwachte,
Was längst ich todt geglaubt,
Die alten Wonnen und Schmerzen
Erhoben träumend das Haupt.

Sie hoben sich schlummertrunken
Zu einem Geistertanz,
Das Mondlicht der Erinn'rung
Warf einen bleichen Glanz.

Sie wären wohl gerne wieder
Zu sonnigem Leben erwacht,
Sie sahen sich um nach dem Zauber,
Der jetzt sie träumen gemacht. -

Ich weiß nicht, that es Dein Scherzen,
Dein Reden, Dein Blick, Dein Gesang:
Genug, Du wecktest vom Schlummer
Den lang entschlafenen Klang.
(S. 45-46)
_____



Wunsch

Keine Rose ohne Dornen,
Ohne Schmerzen keine Liebe;
Beides wollt' ich gern ertragen,
Wenn nicht eins zu wünschen bliebe:

Daß doch ohne Rosenblüthe
Nimmer würd' ein Dorn gefunden,
Und daß nie das Glück entbehrte,
Wer der Liebe Schmerz empfunden.
(S. 69-70)
_____



Liebeslied

Ja, Dein Kommen ist der Frühling,
Wie er je nur voll und süß
Auf die neu belebten Fluren
Bracht' ein neues Paradies!

Ist der Traum, der lang gehegt,
Nie geglaubt und nie verloren,
Plötzlich wirklich und lebendig
Dasteht zauberhaft geboren.
***

In Entzückung hingegeben
Ueberwältigt bleibt der Sinn -
Ach, Du nimmst mit Deinem Anblick
Meine Seele mit Dir hin!

Lässest mich zurück verlassen
Und verödet und verdorrt;
Denn das Beste meines Lebens
Führst Du Alles mit Dir fort!
(S. 70-71)
_____



"Würdest, Theuere, Geliebte -"

Würdest, Theuere, Geliebte,
Du mir durch den Tod entzogen,
Wär' ich selber nur ein Todter,
Dem die Seele schon entflogen!

Oder ach, ich wär' ein Denkstein,
Der von Dir zurückgeblieben,
Wo, wie schön Du einst gewesen,
Noch zu lesen ständ' geschrieben.
(S. 71)
_____



Liebe
(Meiner Schwester gewidmet)

Die Liebe starrt mit irrem Aug'
Hinaus in die Unendlichkeit,
Sie sucht die große Liebesmacht,
Die gegen Alles Schutz verleiht.

Und da sie lang umhergeblickt,
Und Sich'res nirgend hat entdeckt,
Erbebt sie im geheimsten Sein,
Vom allergrößten Weh erschreckt,

Und ruft, als ob sie nichts erfuhr,
Sanft das Geliebte her zu sich,
Umschließt es, wie in Liebesdrang,
Mit festen Armen inniglich;

Und birgt an ihrem Busen bang
Voll Inbrunst das geliebte Haupt,
Daß es die ganze Welt vergißt,
Und nichts als Liebe sieht und glaubt.

Sie selber aber blickt hinaus
In die Unendlichkeit voll Nacht,
Und sucht und blickt das Auge müd
Nach jener großen Liebesmacht.
(S. 72-73)
_____



Es muß geschieden sein!

Laß mich noch einmal, eh' ich von Dir scheide,
Dies süße, einzig liebe Lächeln seh'n!
Es war mein Glück und meine stete Freude,
Sah ich's auf Deinen Lippen mir ersteh'n.

Was soll das Leid, was soll der Blick voll Trauer?
Die Zeit ist da, es muß geschieden sein;
Ob durch des Lebens Drang, des Todes Schauer,
Ein End' ist da, es muß geschieden sein!

Dein Lächeln stirbt in einer bangen Frage?
Frag' mich nicht, frage niemand, nicht die Welt,
Leg' stille nur die Hand auf's Herz und sage:
Ein fremdes Schicksal hat es so bestellt;

Was gestern hold erblüht in Lebensfreude,
Soll heute schon ein rauher Wind verweh'n! -
Noch einmal lass' mich, eh' ich von Dir scheide,
Dein süßes, einzig liebes Lächeln seh'n.
(S. 82)
_____


Aus: August Wolf's gesammelte und nachgelassene Schriften
Dresden Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kuntze 1864

 


Biographie:

Wolf, August, Sohn eines Kaufmanns jüdischer Abstammung, wurde am 22. Januar 1816 zu Königsberg in Preußen geboren, studierte in seiner Vaterstadt und ein Jahr lang auch in Halle Medizin, ohne schließlich sich der praktischen Ausübung zuzuwenden. Das Studium der Philosophie und Geschichte, dem er sich nun widmete, gewährte ihm ebensowenig Befriedigung. Der Widerspruch eines reichen dichterischen Gemütslebens mit der überscharfen Selbstkritik eines ringenden Verstandes wirkte zersetzend auf sein Schaffen. Nachdem er eine Zeitlang eine Stelle als Bibliothekar bekleidet, nötigte ihn ein Brustleiden, dieselbe aufzugeben, und in Litauen, Meran (1848), Graz, Italien (1851) Heilung zu suchen. Nach weiterem unsteten Wandern von Kurort zu Kurort ließ er sich 1857 in Stuttgart nieder, das er im Herbst 1860, von Unruhe getrieben, wieder verließ, um am 9. Februar 1861 zu Mainz in treuester Pflege einer ihm sehr nahestehenden Schwester zu sterben.
Schriften: Gedichte, 1847 - Gesammelte und nachgelassenen Schriften, 1864.
Aus: Franz Brümmer Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten von Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. 6. Auflage Leipzig 1913 Band 8, S. 15


 

 


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