Oswald von Wolkenstein (um 1377-1445) - Liebesgedichte



Oswald von Wolkenstein
(um 1377-1445)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte (Teil 2):
 

 

 

Minnelieder


XXVII. (27)

1.
Ich spür ain luft | Ich spüre eine Luft
aus küelem tuft, |
aus kühlem (feuchten) Dunst [des Morgens],
das mich wol dunckt in meiner vernunft, |
das mich wohl dünkt in meiner Vernunft,
wie er genennet, |
wie er genannt,
kennet |
gekannt
sey nordosten. |
sei der Nordost.
Ich bachter sag, |
Ich Wächter sage,
mich prüeft der tag |
mich prüft der Tag
uns künfftig sein aus vinstrem hag; |
unser künftiges Sein aus finstrem Hag;
ich sich, |
ich sehe,
vergich, |
(und) verkünde,
die morgenröt her glosten. |
das Glänzen des Morgenröte.
Die voglein klingen üb(e)ral, |
Die Vöglein klingen überall,
galander, lerchen, zeysel, droschel, nachtigal |
Heidelerche, Lerche, Zeisig, Drossel, Nachtigall
auf perg, in tal |
auf dem Berg, im Tal
hat sich ir gesanck erschellet. |
erschallt ihr Gesang.
Leyt yemant hie in gueter acht, |
liegt jemand hier in guter Acht,
der sich in freuden hat geniett die langen nacht, |
der sich in Freuden hat vergnügt die lage Nacht,
derselb betracht, |
derselbe betrachte [beachte],
das er sich mer gesellet. |
dass er sich mehr gesellt [dass er wegbleibe].
die junckfrau het verslaffen, |
die Jungfrau hatte verschlafen,
der knab wacht lützel bas, |
der Knabe wachte ein wenig besser,
sy rueffen baide waffen |
sie riefen beide Waffen [wehklagten]
all über des tages hass, |
all über des Tages Hass,
das freulein schalt in sere: |
das Fräulein schalt ihn sehr:
herr tag, ir künt nit ere |
Herr Tag, ihr Könnt nicht Ehre
bewaren in der mass. |
massvoll bewahren.

2.
Ain schlicklin weis | Ein Schlückchen Weiss
sy pot im fleis |
sie bot im Fleiss
dem knaben hin mit hendlin gleis: |
dem Knaben hin mit hellen Händchen:
stee auf, |
steh auf,
und lauf, |
und lauf,
erkies den graben morgen! |
erwähle den grauen Morgen!
Ain vensterpret |
Ein Fensterbrett
er fuder tet, |
er öffnen tät,
der knab hin zu dem freulin redt: |
der Knabe hin zu dem Fräulein spricht:
ach got, |
ach Gott,
an spot, |
ohne Spott,
er kumbt daher mit sorgen, |
er kommt daher mit Sorgen,
Er dringet durch das firmament, |
Er dringt durch das Firmament,
der lucifer hat den schein von im gesendt, |
der Lucifer [Morgenstern] hat den Schein von ihm gesendet,
die nacht volendt | die Nacht vollendet
all gen des tages greysen. |
all gegen das Grauen des Tages.
Er küsst sy an den roten mund: |
Er küsst sie auf den roten Mund:
ach hertzenlieb, nu ist sein nit ain halbe stund, |
ach Herzenslieb, nun ist es nicht eine halbe Stunde her,
das wir verwunt |
dass wir verbunden
uns teten zesammen preysen. |
uns taten zusammen preisen.
Sy wurden seuffzen und klagen |
Sie wurden ein Seufzen und Klagen
mit beslossen mündlein vein, |
mit verschlossenen Mündlein fein,
das sy nu wolt verjagen |
da sie nun wollte verjagen
des liechten tages schein. |
des lichten Tages Schein.
sy sprach: mein traut geselle, |
sie sprach: mein trauter Geselle,
es gee recht wie es welle, |
es gehe wie es wolle,
du bist gewaltig mein! |
du bist gewaltig mein!

3.
Der wachter rürt, | Der Wächter rührt [sich],
ein stymm er fürt |
eine Stimme er führt
yal durch ain horn, das man in hört, |
durch ein Horn, dass man ihn hört,
er künt ain gast |
er kündete einen Gast
mit gelast |
mit Glast
von oriente. |
aus dem Orient.
Das freulin dacht |
Das Fräulein dachte
in lieber acht: |
in lieber Acht:
ach sunne, was hat dich fürher pracht? |
ach Sonne, was hat dich hierher gebracht?
ich wolt, |
ich wollte,
an solt |
ohne Sold
du werst zu occidente. |
du wärst im Okzident.
Ich traut deins scheines wol empern, |
Ich kann deines Scheines wohl entbehren,
mir wer vil lieb, der uns kündet den abentstern, |
mir wäre viel lieber, der [Schein], der uns kündet den Abendstern,
den sach ich gern, |
den sähe ich gern,
möcht mir der wunsch geraten! |
möchte mir der Wunsch geraten!
gar laut so lacht der knabe vein: |
gar laut so lacht der feine Knabe:
mein hochster hort, so mag es laider nit gesein, |
mein höchster Hort [Schatz], so kann es leider nicht sein,
in senden pein |
in Sehnens Pein
so mus ich von dir waten, |
so muss ich von dir waten [gehen],
Mein freuden macherinne, |
Meine Freudenmacherin,
meins hertzen zucker nar, |
meines Herzens Zuckernahrung,
du hast mir hertz und synne |
du hast mir Herz und Sinne
benomen sunder gar. |
genommen ganz und gar.
sy viengen sich zusammen |
sie fingen sich zusammen
mit armen bläck umbfangen: |
mit blanken [nackten] Armen umfangen:
meinlieb, dahin ich far! |
mein Lieb, dahin ich fahr!
(S. 106-108)
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XXVIII. (28)

1.
Var, heng und lass, | Fahr, hänge und lasse,
halt in der mass |
halte Mass
bis das du vindst die rechten strass, |
bis das du findest die rechte Strasse,
und kanstu das, |
und kannst du das,
so bistus morner [=marner] weise. |
so bist du Seemann weise.
Sag mir, wo hin |
Sage mir, wohin
stet dir dein sin, |
steht dir dein Sinn,
ob ich dir raten kund darin, |
ob ich dir raten könnte darin,
spar mich nicht drinn, |
spare mich nicht darin,
od(e)r du wirst greise. |
oder du wirst greise [grauhaarig / alt].
Der knab der sprach: in dieser vart |
Der Knabe sprach: bei dieser Fahrt
magstu mir wol erschiessen, hertzenfreulin zart, |
magst du mir wohl Rat erteilen, Herzensfräulein zart,
gar unverspart |
ganz ungespart
ist dir meins hertzen trachten. |
ist dir meines Herzens Trachten.
In suria stet mein gedanck |
In Syrien steht mein Gedanke
zu fronem grab nach deinem rat gar sunder wanck, |
zum Heiligem Grab nach deinem Rat gar ohne Wanken,
nach deinem danck |
nach deinem Dank
so wil ich teglich achten. |
will ich täglich achten.
Sy fiengen sich mit luste |
Sie umfingen [umarmten] sich mit Lust
ze hauff mit ermlin vol, |
zu Hauff [oft] mit vollen Ärmlein,
ir ains das ander kuste |
sie küssten einander,
das geviel in baiden wol. |
das gefiel ihnen beiden wohl.
sy sprach: var hin mit sitten, |
sie sprach: fahre hin mit Sitten,
hüt dich vor kalamiten, |
hüte dich vor Kalamiten [Kalamitäten, Unglücksfällen],
seyd ich dir raten sol. |
wenn ich dir raten soll.

2.
Die prueff zehant | Den Bug zu Hand
ker in levant, |
kehr nach Levant [Osten],
und nym zuhilff an allen tant |
und nimm zur Hilfe ohne allen Tand
den wint ponant |
den Wind Ponant [Westwind]
mitten in dem poppen. |
mitten in dem Poppen [Hinterteil des Schiffes].
Des segels last |
Des Segels Last
zeuch an dem mast |
ziehe an dem Mast
hoch auf dem gipffel, vach den gast, |
hoch auf den Gipfel, fange den Gast,
tymun halt vast, |
Steuerruder halte fest,
und la das schiff nit noppen. |
und lass das Schiff nicht schaukeln.
Maistro proventz hilft dir von dann |
Maestro Proventz [ital. Nordwestwind] hilft dir von dannen
mit gunst des kluegen elemente trumetan, |
mit Gunst des klugen Elementes Tramontan [ital. Nordwind],
grego der man, |
beim Greco [ital. Nordostwind] der Mann,
vor dem so mustu ortzen. |
vor dem must du nach Luv drehen [ortzen: ital. orzare].
Challa, potzu, karga behend |
Challa, potzu, karga [Ruf zum Einziehen der Segel, ital.], behend
mit der mensur und nach des compass firmament |
mit der Mensur [Massband] und nach des Compasses Firmament [Himmelsrichtung]
den magnet lent, |
den Magneten lenke,
levant la dich nit fortzen. |
Levante [Ostwind] lass dich nicht untertun [forzare ital.].
Wassa alabanda springen |
[ital. bass alla banda:] Untiefen (Riffe) auf Backbord springen
teuff in die sutten hinab, |
tief in die Seiten hinab,
forton la dich nit dringen, |
Fortuna [der Sturm] lass dich nicht drängen,
du var ee in die hab, |
fahr du eher in den Hafen,
mag dir die porten werden, |
mag dir der Port [Hafen] werden,
so hüett dich vor der erden, |
so hüte dich vor der Erde [Untiefen],
du wirff den ancker ab. |
wirf du den Anker aus.

3.
Zu manger zeit | Zu mancher Zeit
kumbt dir mit neid |
kommt dir mit Neid
scherock mit grossem widerstreit, |
der Schirocco [Südostwind] mit grossem Widerstreit,
mit dem so leid ser schrotten in dem wagen, |
mit dem so leidvoll wird sehr der Wagen [das Schiff] durchgeschüttelt,
Derselbig wurm |
Derselbige Wurm
pringt gern sturm, |
bringt gerne Sturm,
vach sin quart mit des zieles furm, |
miss ein Viertel mit dem Zirkel ab,
ob du wirst durm, |
auch wenn dir wird schwindelig,
so tu doch nit verzagen. |
so tue doch nicht verzagen.
Challa, fella, eyola, grosse, pald |
ital. streich die Segel! Los, dorthin,        Junge!
plasübla rüeg die marner, mit dem strang nit halt, |
plausibel rüge die Seeleute, mit dem Strang  [Strömung] nicht halt,
kumbt mit gewalt |
kommt mit Gewalt
der osst, in tut vertreiben. |
der Ost, ihn tue vertreiben.
Derselb mag dir zu staten komen |
Derselbe mag dir zu statten kommen
mit halber macht, als ich es vormals hab vernomen, |
mit halber Macht, als ich es vormals [früher] hab vernommen,
ysso zu frummen |
ital. mit seiner Hilfe
tu im chayola reyden. |
gegen den Wind ansteuernd reiten.
Die stewr richt im kluege |
Das Steuer richte ihm klug
engegen mit dem syn, |
entgegen mit dem Sinn [sinnvoll],
kumbt dan gorbin |
kommt dann Gorbin [Südwestwind]
mit fuege, |
fügsam,
der jagt dich bald dahin |
der jagt dich bald dahin
den weg gen oriente; |
den Weg gen Orient;
got dich herbider sende, |
Gott dich her wieder sende,
du traut geselle m(e)in. |
du mein trauter Geselle.
(S. 108-110)

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XXIX. (29)

1.
Es seust dort her von orient | Es saust dort her vom Orient
der windt, levant ist er genent, |
der Wind, Levante [Ostwind] ist er genannt,
durch india er wol erkent, |
Indien er wohl erkennt,
in suria ist er behend, |
in Syrien ist er behend [schnell],
zu kriechen er nit widerwent, |
bei Griechenland er sich nicht wieder wendet,
durch barbaria, das gelent, |
durch Barbarien, das Gelände,
granaten hat er pald errent, |
Granada hat er bald errannt [erreicht],
portugal, yspanie erbrent, |
Portugal, Spanien verbrennt,
üb(e)rall die werlt von ort zu endt |
überall die Welt von Ort zu Ende
regiert der ed(e)l element |
regiert das edle Element
der tag in hat zu poten gesendt, |
der Tag hat ihn als Boten gesendet,
der nach im durch das firmament |
der nach ihm durch das Firmament
schon dringt zu widerstreit ponent, |
schon dringt zum Widerstreit Ponent [Westwind],
des freut sich dort in occident |
dessen freut sich dort im Okzident
das norbonische geslächte. |
die Bürger von Narbonne.
den sturm erhört ain freulin zart, |
den Sturm erhört ein Fräulein zart,
do es mit armes banden hart |
da es mit der Arme Banden fest
mit liebem lust verslossen ward. |
mit Liebeslust verschlossen ward.
sy sprach: ich hör die widerpart, |
sie sprach: ich hör den Widerpart,
der tag die nacht mit schein bekart. |
der Tag die Nacht mit Schein verwandelt [verkehrt].
wach auff, mein hort, sich hat geschart |
wach auf, mein Hort [Schatz], sich hat geschart
der sterne glast von himels gart. |
der Sterne Glast vom Himmelsgarten.
wachter, ich spür ain valsche wart, |
Wächter, ich spüre eine falsche Fahrt,
dein leib pringt mich in jamers art. |
dein Leib [deine Gegenwart] bringt mich in Jammers Art.
ach, wicht, wer hat dich das gelart, |
ach, du Wicht, wer hat dich das gelehrt,
das du mich pringst in sendes mart, |
dass du mich bringst in Sehnsuchtspein,
davon mein hertz in laid erstart, |
davon mein Herz in Leid erstarrt,
es must mich reuen hie und dart, |
es müsste mich reuen hier und dort,
ob im misslüng mit hinefart, |
wenn ihm misslänge die Hinfahrt [Aufbruch],
das pringt deins snödes geträchte. |
das bringt dein schnödes Vorhaben.
Zwar sy began in drucken, |
Zwar begann sie ihn zu drücken,
zucken |
schütteln
aus dem slaff, |
aus dem Schlaf,
freuntlich an sich smucken, |
freundlich sich an ihn zu schmiegen,
rucken, |
rütteln,
ane straff, |
ohne Strafe,
das er began zu krachen, |
so dass er begann zu krachen,
wachen |
erwachen
sunder swachen, |
ohne Schwächen,
machen |
machen
lieplich zaff. |
liebliches Ziehen und Zerren im Liebesgenuss.

2.
Der knab erschrack aus laures wan. | Der Knabe erschrak aus des Laurers Wahn.
sag, lieb, wie sol ich das verstan, |
sage, Lieb, wie soll ich das verstehen,
das mich dein zertlich umbefan |
dass mich dein zärtliches Umfangen
in grymmer rache hie began |
in grimmer Rache hier begann
erschrecken ser mit widerzan, |
zu erschrecken sehr mit Abscheu,
hab ich dir miss(e)vallen tan? |
hab ich dir ein Missfallen getan?
ach nain, du ausserwelter man, |
ach nein, du auserwählter Mann,
mich reut dein sorgklich von mir gan, |
mich reut [bedrückt mich] dein trauriges Weggehen von mir,
des pin ich muetes worden an. |
deswegen bin ich ohne Mut geworden [mutlos].
hoer zu den voglein wunesan, |
höre zu den wonniglichen Vöglein,
den tag zu melden sy nit lan, |
sie lassen nicht zu melden [verkünden] den Tag,
ain yedes vicht sein sundern tan, |
ein jedes streitet in seinem besonderen Ton,
mit heller stymm auf paumes pan. |
mit heller Stimme auf des Baumes Bahn.
mein hertz, das mus dem wesen gran, |
mein Herz, das muss dem gram sein,
der uns hat überslichenn. |
der uns hat beschlichen [getäuscht hat].
Zwar, liebste frau, deins hertzen qual |
Zwar, liebste Frau, deines Herzens Qual
mich freuden ant zu manchem mal, |
mich der Freuden beraubt so manches Mal,
wie bol dein er mit lieber zal |
wie wohl deine Ehre mit lieber Zahl [oft]
mich hat erfreut an argen val, |
mich hat erfreut ohne argen Fall,
so ist so vil der mercker schal, |
so ist so viel der Merker [Aufpasser] Schall [Gerede],
die uns verdencken überal |
die uns verdenken [wünschen] überall
mit snoedem ticht in schandental. |
mit schnödem Lügen ins Schandental.
ych wolt ee sein ain animal |
ich wollte eher sein ein Animal [Tier]
ya wesen gleich der nachtigal, |
ja sein gleich einer Nachtigall,
damit deins zarten leibes sal |
damit deines zarten Leibes Saal
an schuld nicht flur der eren gral. |
ohne Schuld nicht verliere der Ehren Gral.
doch hoff ich, das kain boeser gal |
doch hoff ich, dass kein böser Ruf
sich an dir frew in neydes pal. |
sich an dir freue in des Neides übler Nachrede.
o wachter, dein verswigen hal |
o Wächter, dein verschwiegener Hall [Hornsignal]
mit treuen hat gewichen. |
ist mit Treue gewichen.
Das zünglin gan sy im spitzen, |
Das Zünglein gab sie ihm im Spitzen,
schmitzen |
stieß
in den mund, |
in den Mund,
plinde lieb hat nit witzen, |
blinde Liebe hat nicht Witze,
hitzen |
Hitzen [heisse]
traeher kund |
Tränen konnte
sy aus den euglin giessen. |
sie aus den Äuglein giessen.
niessen |
geniessen
an verdriessen, |
ohne Verdruss,
fliessen, |
fliessen,
schon verwunt. |
schön verwundet.

3.
Ach, schaiden, ich pin worden dein, | Ach, Scheiden, ich bin worden dein,
so redt das zarte freuelein |
so redet das zarte Fräulein
gross freud an mir ist worden klein, |
grosse Freude an mir ist worden klein,
seyd ich dich, auserbeltes ain, |
seit ich dich, auserwählte Einzige,
hie meyden mus von tages schein. |
hier meiden muss von Tages Schein.
o trumetan, wie hastu mein vergessen |
o Tramontan [Nordwind], wie hast du mein vergessen
hie in sölher pein, |
hier in solcher Pein,
das du hast lan gewaltig sein |
dass du hast lassen gewaltig sein
den sud und osst, spazier(e)n herein |
den Süd und Ost, spazieren herein
ponent, dein schricklich bidergrein |
Ponent [Westwind], dein schreckliches widergreinen [Heulen]
verdrungen hat der dies rain, |
hat verdrängt der reine Tag,
auch lucifer, der klarhait vein, |
auch Lucifer [Morgenstern], der Klarheit Feind,
dein greisen du last überfrein, |
dein Grauen lässt du überfrein [überwältigen],
des mus ich ellends magatein |
deswegen muss ich elendes Mägdlein
aus lieben slossen strecken. |
aus lieben Schlössern [Fesseln]  mich strecken [loswinden].
Frau, nicht betrüb dein euglin klar, |
Frau, betrübe nicht dein Äuglein klar,
mich hat dein mündlein wolgevar |
mich hat dein wohlgeformtes Mündlein
erzünt mit rechter liebe gar, |
entflammt mit rechter Liebe gar,
das mir kain not nit schaden tar, |
dass mir keine Not nicht schaden darf,
umb trauren gaeb ich nit ain har, |
ums Trauern geb ich nicht ein Haar,
mein hertz sich an deins leibes nar, |
mein Herz sieh an deines Leibes Nahrung,
die mich ye weist von tad(e)ls par, |
die mich immer (weg)weist von Tadelnswertem,
dein er behüett sand waltasar, |
deine Ehre behüte Sankt Baltasar,
die von mir ungesbechet gar |
die von mir ungeschwächet gar
hie worden ist an zfeifel zbar, |
hier worden ist ohne Zweifel zwar,
das zeug ich mit der eng(e)lschar. |
das bezeuge ich mit der Engelschar.
sleus auf dein weiss ermlin mar, |
Schliesse auf deine weissen Ärmlein zart,
zu bleiben lenger ich nit tar. |
zu bleiben länger ich nicht darf.
gesell, dein biderkunfft nit spar, |
Geselle, deine Wiederkunft nicht spare,
sand peter muess dich decken. |
Sankt Peter muss dich decken [beschützen].
Dye magt liess in mit synnen |
Die Magd [das Mädchen] liess ihn mit Sinnen
rynnen |
rinnen
in den grans |
in den Mund
durch weysse zendlein zynne(n) |
durch weisser Zähnchen Zinnen
der mynne |
der Minne
sand johanns. |
Sankt Johannes.
zbay lieplich umbefahen, |
zwei lieblich umfangen,
nahen, |
nahen,
da beschahen |
da geschahen
zu gahen |
zu eilen
mit gerannss. |
mit Ungestüm hin und her springen.
(S. 111-114)
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XXX. (30)

1.
Ir alten weib, nu freut euch mit den jungen, | Ihr alten Weiber, nun freut euch mit den jungen,
was uns der kalde winter hat betbungen, |
was uns der kalte Winter hat bezwungen,
das wil der maye, |
das will der Mai,
mit geschraye, |
mit Geschrei
dungen |
gedüngt [reichlich versehen]
mit süessr kraft, |
mit süsser Kraft,
den bürtzlin geben saft. |
den Würzlein gegeben Saft.
Des kalden snees mag er nit lenger tauren, |
Des kalten Schnees mag er nicht länger dauern [ertragen],
was sich versmogen hat in krumpes lauren, |
was sich zusammengedrückt hat in krummem Lauern [Warten],
das wil er wecken, |
das will er wecken,
recken |
recken
schir aus trauren. |
rasch aus Trauern.
laub, pluemlin, plued, |
Laub, Blümlein, Blüte,
gras bürmlin, tierlin mued. |
Gras Würmlein, Tierlein müd.
Ir voglin, smirbt eur rauhe kel, |
Ihr Vöglein, schmiert [ölt ein] eure rauhe Kehle,
trett auff hoeher, singet hel. |
tretet auf höher [steigt hoch], singet hell.
ir wilden tier, verneut ewr fel |
ihr wilden Tiere, erneuert euer Fell
hart welgt euch in den blüemlin gel. |
wälzt euch hart [fest] in den gelben Blümlein.
ir freulin, gailt euch sunder quel. |
ihr Fräulein, geilt euch [freut euch] ohne Qual [unbeschwert].
pauer, rewtt ain ander mel, |
Bauer, ackere (für) ein neues Mehl,
das du den herbst wilt pachen. |
das du im Herbst kannst backen.
Perg, aw und tal vorscht das gewild, |
Berg, Aue und Tal, Forst, das Gefilde,
sich schon erzaigt aus grundes milt |
sich schon zeigen aus der Grundes Milde
all creatur, zam und bild, |
all die Kreatur, zahme und wilde,
nach junger frucht senlichen quillt, |
nach junger Frucht sehnsüchtig quillt,
yetz seim geleichen nach gepilt, |
jetzt seines gleichen nach gebildet,
mein ros schreit gen des mayen schilt, |
mein Ross schreit gen des Maien Schild,
des tut der es(e)l lachen. |
dessen muss der Esel lachen.
Rayen, springen |
Reihen [tanzen], springen
lauffen, ringen, |
laufen, ringen,
geigen, singen, |
geigen, singen,
lat her bringen, |
lass herbringen,
klumpern, klingen, |
klimpern, klingen,
mündlin zbingen |
Mündlein zwingen
frohlich dringen, |
fröhlich dringen,
gen den freulin zart, |
gegen die Fräulein zart,
An verlangen |
Ohne Verlangen
well wir prangen, |
wollen wir prangen,
in den sangen, |
in den Gesängen,
mit verhangen |
mit verhangen
laub die wangen, |
Laub die Wangen,
mit ermlein umbfangen, |
mit Ärmlein umfangen,
zünglin zangen: |
Zünglein zangen [ziehen, fassen, zerren]:
des freit sich mein part. |
dessen freut sich mein Bart.

2.
Wie wol der gauch von hals nit schon quintiret, | Wie wohl der Kuckuck von Hals (heraus) nicht schön in der Quinte singt,
und der frantzoisch höflich discantiret: |
und der französisch höflich im Diskant singt:
gug, guck, |
guck, guck,
lieb, ruck! |
Liebes, rück!
der hal mir bas soniret, |
der Hall mir besser sonieret [tönt],
und freut mich vil |
und freut mich sehr
für jöstlins saitenspil. |
für Jöstlins Saitenspiel.
Hetz jagen, paissen, piersen, schiessen, tauben, |
Hetzjagd, Beizen, Pirschen, Tauben schiessen,
vor gruenem wald nach pfifferlingen klauben |
vor dem grünen Wald nach Pfifferlingen suchen
mit ainer maid, |
mit einer Maid [Mädchen],
beklaid |
bekleidet
von ainer stauden, |
von einer Staude,
den lust ich breis |
die Lust ich preise
für alle hofeweis. |
vor aller Art des Hoflebens.
May, dein gezelt gefelt mir wol, |
Mai, dein Gezelt gefällt mir wohl,
wo mein gräslin paden sol, |
wo mein Gräslein baden soll,
ain yeglich wild besucht sein hol, |
ein jegliches Wild besucht seine Höhle,
do es die jungen pirgt vor dol. |
da es die Jungen birgt vor dem Schmerz [Gefahr].
trinck tranck, katalon, spaniol, |
'trink trank, Katalone, Spanier',
dasselb gesangk, und päga den zol, |
derselbe Gesang, und 'zahl den Zoll',
der drosch(e)l nit geleichet. |
der Drossel [Gesang] nicht gleicht.
in dem selben land so nam ich war, |
in demselben Land so nahm ich wahr,
und secht ir mir icht grabe har, |
und seht ihr (bei) mir das graue Haar,
die trug ich von den freulein zbar. |
das trage ich von den Fräulein fürwahr.
die weissen painlin, wolgevar,  |
die weißen Beinchen, wohlgeformt,
verdackt mit roten hosen gar |
verdeckt mit roten Hosen gar
und yre liechte ewglin klar |
und ihre lichten (hellen) Äuglein klar
mit sbartzer varb bestreichet. |
mit schwarzer Farbe bestrichen.
Der mich aine, |
Eine von ihnen,
die ich maine |
die ich meine
freut allaine, |
erfreut alleine,
leib, gepaine, |
Leib und Beine,
wer nit saine, |
wären nicht langsam,
mein trauren klaine, |
mein Trauern klein,
ach die raine, |
ach die Reine,
mitt sey hosentuch, |
mit ihrem Hosentuch,
Mit den gepunden |
Mit den gebundenen
snueren unden, |
Schnüren unten,
gar versbunden |
gar verschwunden
wer mein bunden, |
wäre meine Wunde,
und het funden |
und ich hätte gefunden
all mein kunden, |
all mein Erkunden [Bestreben],
in paris, lunden |
in Paris und London
frümbt ich ir zben schuch. |
bestellte ich ihr zwei Paar Schuhe.

3.
Gar waidelich tritt sy den firlifantzen, | Gar weidlich graziös tanzt sie,
ir hohe sprüng unweiplich sind zu tantzen, |
ihre hohen Sprünge sind unweiblich beim Tanzen,
auch hat sy pflicht |
auch hat sie die Gewohnheit
das Angesicht |
das Gesicht
zu verglantzen. |
zu verglänzen [glänzend zu machen].
dieselbig mait, |
dieselbe Maid,
die ring in oren trait. |
die Ringe in den Ohren trägt.
Mein langer part der hat mir oft verschroten |
Mein langer Bart der hat mir oft verboten [verhindert]
vil mangen smutz von zarten mündlin roten, |
manchen Kuss von zarten roten Mündlein,
die schoene wenglin |
die schöne Wänglein
für die hendlin |
anstatt Händchen
poten. |
boten,
wann sy die leut |
wenn sie die Leute
empfiengen mit gedreut. |
empfingen mit Freundlichkeit.
Ir neglin rot mich machen kranck. |
Ihre roten Näglein machen mich krank.
die sein gebunden krump und lanck, |
die sind gebunden krumm und lang,
nider auff die erden ist ir swanck, |
nieder auf die Erde ist ihr Schwanken,
sitzen pfligt sy sunder wanck |
sitzen pflegt sie ohne Wanken
auch lob ich denn umbehanck |
auch lobe ich den Umhang [Vorhang]
bey den petten vor dem klanck |
bei den Betten vor dem Klang
zu ainlitz von der glogken. |
der grellen Glocken.
Ispania, preussen, soldans landt, |
Spanien, Preussen, Sultans Land,
tennmarch, reussen, eyffenstrant, |
Dänemark, Russland, Estenstrand,
afferen, franckreich, engelant, |
Navarra, Frankreich, England,
flandern, bicardi, prabant, |
Flandern, Picardie, Brabant,
cippern, napel, romani, duscant, |
Zypern, Neapel, Rom, Toskana,
reinstram, wer dich hat erkant, |
Rheinland, wer dich hat erkannt,
bistus der freude token. |
du bist der Freude Schöne.
Da zysly, müsly, |
Da, Zieslein, Mäuslein,
fysly, füsly, |
Schwänzchen, Schwinzchen,
henne, klüsly, |
Heinerl, Kläuschen,
kumbt ins h(e)üsly, |
komm ins Häuslein,
werffen ain tüsly, |
werfen ein Däuschen,
susa süsly |
sausend säuselnd,
nyena grüsly |
kein Zänkchen
well wir sicher han. |
wollen wir sicher haben.
clerly, metzly, |
Klärchen, Mätzlein,
elly ketzly |
Elli, Kätzlein,
tunt ein setzly, |
tuet ein Sätzlein,
richt ewr letzly, |
richtet eure Lätzlein,
tula hetzly, |
Tula, Hätzlein,
trutza tretzly, |
Trutz Trezly,
vacht das retzly, |
Fängt das Rätzlein,
der uns freud vergan. |
der uns Freude missgönnt.
(S. 114-118)
_____



XXXI. (31)

1.
Ain purger und ain hofman | Ein Bürger und ein Hofmann
begunden tisputirn, |
begannen zu disputieren,
die nomen ainen obman, |
sie nahmen einen Obmann [Schiedsrichter],
fürbar ain alte diern, |
fürwahr eine alte Dirne,
und welche bas möcht geben |
und welche besser möchte geben
den freulin hohen mut, |
den Fräuleins hohen Mut,
darumb sy würden streben. |
darum sie würden streben.
Der Hofmann:
do sprach der hofman gut: | da sprach der gute Hofmann:
Ich pin ain jüngling kuene, |
Ich bin ein kühner Jüngling,
kraus, weis ist mir das har, |
kraus, weiss [blond] ist mir das Haar,
darauf ain krentzlin gruene |
darauf ein grünes Kränzlein
trüg ich das ganze jar. |
trag ich das ganze Jahr.
wol kan ich singen, schallen |
wohl kann ich singen, schallen [musizieren]
und schreien frischlich ju, |
und schreien frisch 'Juchei',
solt ich nit bas gevallen |
sollte ich nicht besser gefallen
den freulein rain, wann du? |
den reinen Fräuleins als du?
Der Bürger:
Ich pin ain purger weyse, | Ich bin ein weiser Bürger,
gar still ist mein gefert, |
gar still ist mein Benehmen,
mit süessen wortenn leyse |
mit süssen Worten leise
wirt mir vil liebs beschert, |
wird mir viel Liebes beschert,
und trag ain swere taschen, |
und ich trage eine schwere Tasche,
die ist der pfenning vol, |
die ist der Pfennige voll,
darinn so lass ich naschen, |
darin so lass ich naschen,
das tut den freulin wol. |
das tut den Fräuleins wohl.
Des frag die alten kewe |
das frage die alte Hexe [Kuppeldirne]
mit kurtzen worten slecht. |
mit kurzen Worten geradezu.
Die Kuppeldirne:
ich sprich: pey meiner treue, | ich spreche: bei meiner Treu,
der purger hat wol recht, |
der Bürger hat wohl recht,
ich hab mein zeit verkupelt |
ich habe meine Zeit verkuppelt
zu Bruchsen in dem kraiss, |
zu Brixen in dem Kreis,
vil parell aus gesuggelt, |
viele Pärchen ausgesuckelt, 
das ich den lauff bol bais. |
dass ich den Lauf wohl weiss.

2.
Der Hofmann:
Ich pflig nit grosser witze, | Ich pflege nicht grosser Witze,
mein parschaft die ist klain, ir alte kamer zitze, |
meine Barschaft die ist klein, ihr alte Kammerzitze [Zitzenmutter]
ja pin ich hübsch und rain, |
ja ich bin hübsch und rein,
solt mir nit bas gelingen, |
sollte es mir nicht besser gelingen,
nu tun ich mir so we |
nun tue ich mir so weh
mit reiten, tantzen, springen |
mit Reiten, Tanzen, Springen
vil durch den gruenen klee. |
viel durch den grünen Klee.
Der Bürger:
Ich pul mit guten sitten, | Ich buhle [werbe] mit guten Sitten,
daran pin ich nit lass |
daran bin ich nicht lass [lässig]
hab ich nit vil geriten, |
bin ich nicht viel geritten,
leicht mag ich dester pas |
leicht mag ich desto besser
mit gut und an dem leibe, |
mit Gut und an dem Leibe,
dann ir vil röscher knab. |
als Ihr, ein sehr entschlossener Knabe.
auch fueg ich mangem weibe |
auch füg ich manchem Weibe
mit kostperlicher gab. |
kostspielige Gabe bei.
Der Hofmann:
Rain frau von hohen eren, | Eine reine Frau von hohen Ehren,
der ist dein gab entwicht, |
der ist deine Gabe entwichen,
ir hertz mag nit emberen, |
ihr Herz mag nicht entbehren,
wann sy mich froelich sicht, |
wenn sie mich fröhlich sieht,
verbegenlichen sprengen |
verwegen springen
über ainen graben tieff, |
über einen tiefen Graben,
ich hoff, sy tu verhengen, |
ich hoffe, sie wird nachgeben,
send ich ir meinen brieff. |
(wenn) ich ihr sende einen Brief.
Die Kuppeldirne:
Des mus ich aber lachen, | Dessen muss ich aber lachen,
sprach es die griesbertlin, |
sprach da die Grießwärterin,
was sol man daraus machen, |
was soll man daraus machen,
die pulschaft hat nicht inn. |
die Buhlschaft hat nichts drin.
ich het mich ainst verschossen |
ich hatte mich einst verschossen
mit ainem knaben junck, |
mit einem jungen Knaben,
ich hiet sein ney genossen |
ich hatte seiner genossen
nur umb ain poesen trunck. |
nur um ein bösen Trunk.

3.
Der Bürger:
Herr jüngling, euch möcht friesen, | Herr Jüngling, euch möchte es frieren,
ir habt verschroten zwir, |
ihr habt zweimal verschrottet [verschossen],
wert ir das dritt verliesen, |
werdet ihr das dritte Mal verlieren,
das hab ir nur von ir. |
das habt ihr nur von ihr.
ich trau ain maid ersleichen |
ich trau mir zu, eine Maid [Mädchen] zu  erschleichen
zwar die ir nit erlaufft, |
die ihr fürwahr nicht erlaufen könnt,
und mügt mir nit geleichen, |
und ihr könnt mir nicht gleichen,
ir waert dann recht getauft. |
es sei denn, ihr wäret recht 'getauft'.
Der Hofmann:
Das muesst der valant schaffen, | Das müsste der Teufel schaffen,
ich sey von kristen art, |
ich sei von der Christen Art,
und weis das mit dem pfaffen, |
und weiss das mit dem Pfaffen,
der mich teuflich pebart. |
der mich durch Taufe bewahrt.
auch wil ich des geniessen |
auch will ich dessen geniessen
gen freulin weit für dich, |
gegen das Fräulein, die für dich weit ist,
wann ich mein sper lass schiessen |
wenn ich meinen Speer lasse schiessen
mit ritterlichem stich. |
mit ritterlichem Stich.
Der Bürger:
turnier(e)n und auch stechen, | Turnieren und auch Stechen,
das ward mir ney bekant, |
das wurde mir nicht bekannt,
ich hab ain peutel frechen, |
ich habe einen frechen Beutel,
darin stoess ich mein hand, |
darin stosse ich meine Hand,
gold, silber, edl gestaine, |
Gold, Silber, Edelsteine,
zeuch ich daraus genueg |
ziehe ich daraus genug
und tail den freulin raine, |
und teile [gebe] den reinen Fräuleins,
dasselb ist bas ir fueg. |
dasselbe behagt ihnen besser.
Die Kuppeldirne:
Gar war, sprach es die alte, | Gar wahr, sprach da die Alte,
so werd mir nymmer holt, |
so wird mir nimmer hold,
kain pesser lieb nit walte, |
keine bessere Liebe walte,
dann silber oder golt |
als Silber oder Gold
darumb liess ich mich nützen |
darum liess ich mich benutzen
auf den gerackten tod, |
für den gerechten Tod,
ee ich mich wolt bekützen |
eher ich mich wollte bedecken
mit kaines hofmans not. |
mit eines Hofmanns Not.

4.
Der Hofmann:
Seyd ich nu hab verloren, | Seit ich nun habe verloren,
du alter poeser sack, |
du alter böser Sack [die Kupplerin],
das tut mir ymmer zoren, |
das tut mich immer erzürnen,
ich slach dich auf dein nack, |
ich schlage dir auf den Nacken,
das dir bey ayndliff zenden |
dass dir dabei elf Zähne
enpfallen nit gar schon, |
ausfallen nicht gar schön,
der tewf(e)l mus dich schenden, |
der Teufel soll dich schänden,
das gib ich dir zu lon. |
das gebe ich dir zum Lohn.
Der Bürger:
Ich burger zuck ain riem gut | Ich Bürger zücke einen Riemen gut
von ainem peut(e)l gros, |
von einem grossen Beutel,
see hin, mein liebe diemut, |
sieh hin, meine liebe Diemut [die Kupplerin],
fünff phund für disen stos. |
fünf Pfund für diesen Stoß.
kauff hüen(e)r air und bürste, |
kauf Hühner, Eier und Würste,
und darzu gueten wein, |
und dazu guten Wein,
und wann dich aber dürste, |
und wenn dich aber dürstet,
so kumm herwider ein. |
so komm her wieder ein.
Die Kuppeldirne:
Der lon der wirt mir sauer, | Der Lohn, der wird mir sauer,
nu han ich kainen zand, |
nun habe ich keinen Zahn,
den hofman slach der schauer, |
den Hofmann schlage der Schauer [Hagel],
der mir sy hat entrant, |
der mir sie hat ausgeschlagen,
und muss hinfür derwelchen, |
und ich muss hinfür  verwelken,
kauft ir mir nit ain kue. |
kauft ihr mir nicht eine Kuh
damit ich hab zu meihen, |
damit ich habe zu melken,
ain mues des morgen fru. |
für einen Mus des Morgens früh.
Der Bürger:
Ich kauff die ku und kalben, | Ich kauf die Kuh und Kälber,
und wes dein leib bedarff, |
und wessen dein Leib bedarf,
seyd ich den hofman valben |
seit ich den falben Hofmann
hab überstriten scharff |
habe scharf überstritten [ausgestochen]
und wais ain schoene metzen, |
und weiss eine schöne Metze [Mädchen],
dort oben a dem egk, |
dort oben an der Ecke,
die solt du mir erswetzen, |
die sollst du mir erschwatzen [überreden],
das gilt dir bürst und begk. |
dafür gilt dir Wurst und Wecken [Brotwecken].

Der streit hat sich verbrauset, |
Der Streit hat sich verbrauset [ausgetobt],
redt all darzu das pesst, |
sprecht Alle dazu das Beste,
wer alte weiber hauset, |
wer alte Weiber behauset,
der hat auch geren gest, |
der hat auch gern Gäste,
wann alte weib und enten, |
denn alte Weiber und Enten,
gehoerend in ainen see, |
gehören in einen See,
was sol man dran verquenten, |
was soll man dran verhehlen,
kain vich das snattert me.  |
kein Vieh das schnattert mehr.
(S. 118-122)

_____



XXXIII. (33)

1.
Des himels trone | Des Himmels Thron
enpferbet sich |
entfärbt sich
durch tags gedranck, |
durch des Tags Gedränge,
die voglin schone |
die schönen Vöglein
erwecken mich |
wecken mich auf
mit süessem klanck. |
mit süssem Klang.
Verswunden ist der snee, |
Verschwunden ist der Schnee,
laub, gras, klee |
Laub, Gras, Klee
buniklich entspringen. |
wonniglich entspringen.
des wil ich von hertzen |
das will ich von Herzen
an schmertzen |
ohne Schmerzen
meiner frauen singen, |
meiner Frau singen,
Die mir kan wenden |
die mir wenden kann
als mein senden, |
all mein Sehnen,
trauren, plenden, |
Trauern blenden [wenden],
mit den henden |
mit den Händen
mynniklich, |
minniglich,
freudenreich |
freudenreich,
macht mich die raine, |
macht mich die Reine,
klaine |
klein
ist mein ungemach, |
ist mein Ungemach,
Wenn ich gedenck(e) |
Wenn ich denke
in ir gelencke, |
an ihre Biegsamkeit,
sunder wencke, |
ohne Wanken,
freundlich schrencke |
freundliches Schrenken [Umfangen]
die sy kan, |
das sie kann,
undertan |
untertan
so ist mein leib |
so ist mein Leib
dem zarten beib, |
dem zarten Weib,
nur bo ich gach. |
wo ich nur eile.

2.
Pfeiff auf, lass raien, | | Pfeif auf [Spiel auf], lass den Reihen tanzen,
die lind ist gruene, |
die Linde ist grün,
der wald entsprossen |
der Wald entsprossen
gen disem mayen, |
gen diesen Mai,
hertz lieb, bis kuene, |
Herzlieb, sei kühn,
unverdrossen |
unverdrossen
Schau an die plüemlein klar, |
Schau an die Blümlein klar,
wolgevar, |
vielfarbig,
zierlich ir gepfläntze, |
zierlich ihr Gepflänze [Wuchs],
darinn wel wir prangen, |
darin wollen wir prangen,
empfangen |
empfangen
sind die liechten glentze |
sind die hellen Glänze
Von manger varbe, |
von mancher Farbe,
jung und marbe, |
jung und zart,
smelhlein garbe, |
zarte Windhalm Garbe,
bürtzlin harbe |
Würzlein herb
manigfalt, |
mannigfalt,
neu und alt |
neu und alt
hand sich gesüesset, |
haben sich gesüsset [sind süß geworden],
grüesset |
gegrüsset
sei ir sprintz und sprantz. |
sei ihr Sprossen und Sprießen.
Gezbait, gefieret, |
Zu zweit, zu viert,
scherlich tieret, |
in Scharen von Tieren,
schrailich gieret, |
schreiend gieret,
kürtzlich schiret |
kürzlich beweget sich
alle gnucht, |
alles Lebendige.
beiplich zucht |
weibliche Zucht
gedenck an mich, |
denke an mich,
bann ich |
wenn ich
kom zu dir an den tantz. |
komme zu dir beim Tanzen.

3.
Fliehet, scharff winde, | Flieht, ihr scharfen Winde,
lat uns an not, |
lasst uns ohne Not,
ir seit genidert, |
ihr seid nieder gezwungen,
die meinem kinde |
die meinem Kinde
sein mündlin rot |
sein rotes Mündlein
han durchfidert. |
habt durchweht.
Dein amplichk, hendlin weis |
Dein Anblick, die weissen Händchen
sol mit fleis |
soll mit Fleiss
von euch gesichert sein, |
vor euch sicher sein,
wenn sy durch die awe |
wenn sie durch die Aue
mit taue |
mit Tau
benetzt ir schuechlin klain. |
benetzt ihre kleinen Schühlein.
Wol auff, die lassen |
wohl auf, die Lassen [Trägen]
an die gassen, |
auf die Gassen,
die vor sassen |
die vorher sassen
als die nassen |
als die nassen
auf der panck, |
auf der Bank,
bloed und kranck, |
blöd und krank,
freut euch der sunne |
freut euch der Sonne
küeler brunne, |
kühler Bronnen,
klar geflinst. |
klar glitzernd.
May du kanst machen |
Mai du kannst machen
allen sachen |
allen Sachen
ain erbachen, |
ein Erwachen,
des wir lachen, |
dessen wir lachen,
fraget wes, |
fraget wessen,
alles des, |
alles dessen,
das nur ain got |
das nur ein Gott
an spot |
ohne Spott
uns sölhe gnad verzinnst. |
uns solche Gnade verzinst.
(S. 124-127)

_____



XXXIV. (34)

1.
Erwach an schrick, viel schoene beib, |
Wache auf ohne Schrecken, du sehr schönes Weib,
der nie geleicht kain yrdisch leib |
der nie gleicht kein irdischer Leib
mit aller hendlin visament, |
mit aller Hände Schönheit,
des frew dich löblich hewer. |
dessen freue dich löblich heute.
Blick durch des mayen obedach, |
Blicke durch des Maien Oberdach,
und troest mich, lieb, für ungemach; |
und tröste mich, Lieb, für Ungemach;
wenn man den hohen tag erkent, |
wenn man den hohen Tag erkennt,
so kumm mir, frau, zu steuer, |
so komm mir, Frau, zur Seite,
Das ich des wachters nit entgelt, |
Das ich des Wächters nicht entgelte [durch den Wächter nicht zu Schaden komme],
und von im bleib still unvermelt, | und vor ihm bleibe still unbemerkt,
darumb, ob ich zu lang geplent |
darum, weil ich zu lange geblendet
burd in verslaffner scheuer |
wurde in der verschlafnen Scheuer
pey einer, der ich tag und nacht |
bei einer, der ich Tag und Nacht
günstlich mit gutem hertzen pflag, |
günstig mit gutem Herzen pflegte [mit ihr lag],
und die mich joelich nach ir zent |
und die mich laut jubelnd zu sich lockte
durch sorgklich abenteuer. |
durch gefährliches Abenteuer.
Auff, jung und alt, ir macht euch kuen, |
Auf, Jung und Alt, ihr macht euch kühn,
und gailt euch gen des mayen gruen, |
und geilt [freut] euch gen des Maien Grün,
der sich erglentzt, lustlich zu blueen |
der erglänzt, wonnig zu blühen
über alle farbe gerbe. |
gänzlich in allen Farben.
Palirt euch klerlich, beib und man, |
Poliert euch klar, Weib und Mann,
das wir den mayen nit verlan, |
das wir den Mai nicht verlassen,
mit dem wir süllen hoeher stan |
mit dem wir sollen höher stehn
gar wuniklich an herbe. |
gar wonniglich ohne Herbe [Bitterkeit].

2.
Ich hoer vil süesser voglein don | Ich höre vieler süsser Vöglein Ton [Gesang]
in meinem haubt erklingen schon |
in meinem Haupt erklingen schön
von oben abher gar zu tal, |
von oben ab her zum Tal,
das sich mein Hertz erwecket |
dass sich mein Herz erwecket
Gen dir, vil auserbeltes ain, |
für dich, du viel auserwählte Eine,
ich hoff, du last mich nit allein, |
ich hoffe, du lässt mich nicht allein,
seyt du nu pist mein hoechster gral, |
seit du nun bist mein höchster Gral,
der alles laid verdecket. |
der alles Leid verdecket.
Dein steter diener ebigklich |
Dein steter Diener ewiglich
so wil ich sein, du mynniklich, |
so will ich sein, du Minnigliche,
kürlich für aller frauen zal |
auserkoren aus aller Frauen Zahl
mit reichem schatz bestecket. |
mit reichem Schatz bestecket.
Das hastu wol verschuldet zbar |
Das hast du wohl verschuldet zwar
umb mich, durchleuchtigs freulin klar, |
um mich, durchleuchtetes Fräulein klar,
mit deines zarten leibes sal, |
mit deines zarten Leibes Saal,
der eren vol verstrecket. |
der Ehren voll verstrecket [mit Ehren behaftet].

3.
Es nahent gen des tages glantz, | Es naht des Tages Glanz,
frau, ich solt luegen auf mein schantz, |
Frau, ich sollte lugen auf meiner Schanze,
das ich den barner nit versaum, |
dass ich den Warner [Wächter] nicht versäume,
der uns ye was mit treuen, |
der uns stets war in Treue (verbunden),
Und im so wol bevolhen sind |
Und (wir) ihm so wohl befohlen sind
mit grosser lieb recht als ain kind, |
mit grosser Liebe recht als ein Kind,
das seiner muter nymet gaum; |
das seiner Mutter nehmet Gaum;
des müg wir uns wol freuen. |
dessen mögen wir uns wohl freuen.
Die zeit dringt her aus küelem tuft, |
Die Zeit dringt her aus kühlem Duft,
das spür ich wol an mangem luft, |
das spür ich wohl an mancher Luft,
der mich berürt durch sweren traum, |
die mich berührt durch schweren Traum,
ich fürch(t) ain schidlich streuen. |
ich fürchte ein schädlich Streuen [Trennung].
Hilff, schatz, das ich dein schoen gestalt |
Hilf, Schatz, dass ich deine schöne Gestalt
kürtzlich seh in des maien wald |
bald sehe in des Maien Wald
mit freuden pey dem hoechsten paum, |
mit Freuden bei dem höchsten Baum,
der sich gruenlich tet neuen. |
der sich grünlich tut erneuern.
(S. 127-128)
_____



XXXVI. (36)

1.
Ain gut geboren ed(e)lman | Ein vornehmer Edelmann
warb umb ain freulein wolgetan. |
warb um ein Fräulein wohlgetan.
er sprach ir zu aus tugentlichem sitten: |
er sprach zu ihr aus tugendlichen Sitten:
Gnad ain freulein baidelich, |
Gnade ein Fräulein weidelich [hold],
welt ir ain klain verhoeren mich, |
wollt ihr ein wenig mich anhören,
wes ich euch unterteniklich wolt piten. |
wessen ich euch untertänig bitten wollte.
Ich pin verellend also ser, |
Ich bin sehr vereinsamt,
an freuden mus ich armen, |
an Freuden muss ich armen [Freuden missen],
und wais nit, wellend ich hin ker |
und weiss nicht, wohin ich hin kehren soll
das lat euch, frau, erparmen. |
dessen lasst Euch, Frau, erbarmen.

2.
Ir liest gen mir wol ewern spot, | Ihr liesset lieber euren Spott gegen mich,
und seit ir kranck, so helff euch got, |
und seid Ihr krank, so hilf Euch Gott,
der mag euch alles trauren wol empinden. |
der mag Euch allen Trauerns wohl entbinden.
An mir so leit ain klainer trost, |
An mir ist nur ein kleiner Trost zu finden,
darumb so werdt ir hart erlost, |
darum werdet Ihr hart [schwerlich] erlöst,
sucht andersbo, wo ir mügt freude vinden. |
sucht anderswo, wo Ihr könnt Freude finden.
Wann ich mag kaines helfer gesein, |
Denn ich mag keinem ein Helfer sein,
das mocht ain yeder an schauen, |
das kann ein jeder ansehen,
Ich pin ain klaines freuelein, |
Ich bin ein kleines Fräulein,
was wellt ir auff mich pauen. |
was wollt Ihr auf mich bauen.

3.
Ach frau, was sol der ungelimpff, | Ach Frau, was soll diese Sprödigkeit,
es ist mir laider aus dem schimpff, |
es ist mir leider nicht nach Scherz,
mang jar bis her must ich vil kumbers tragen,|
manches Jahr bisher musst ich viel Kummer tragen,
In ewern dinst verporgenlich, |
In eurem Dienst verborgen [heimlich],
und bais got wol von him(e)lr(e)ich, |
und Gott weiss wohl von Himmelreich,
das mich nye halff gen euch mein senlichs klagen; |
dass mir nicht half gegen Euch mein sehnliches Klagen;
Wann mir kain beiplich creatur |
Weil mir keine weibliche Kreatur [Geschöpf]
nie bas geviel von hertzen, |
nie besser gefiel von Herzen,
darumb mein leiplich kranck natur |
darum meine leibliche kranke Natur
mus leiden grossen smertzen. |
muss leiden grosse Schmerzen.

4.
Ir mügt wol sagen, was ir welt, | Ihr könnt wohl sagen, was Ihr wollt,
sy ist nit hie, die euch gevellt, |
sie ist nicht hier, die Euch gefällt,
das wais ich wol, mich triegen dann mein synne, |
das weiss ich wohl, es sei denn mich trügen meine Sinne,
Wann ich pin grauselich gestalt, |
Denn ich bin von grauseliger Gestalt,
von vier und zbainzigk jaren alt, |
vier und zwanzig Jahre alt,
bas möcht euch gen mir lusten klueger mynne! |
was möchte Euch gegen mich gelüsten kluge Minne!
Und kan auch beder beis, noch wort, |
Und kann auch weder Weise, noch Wort [Singen und Reden],
das kainen müg erfreuen, |
das keinen könnte erfreuen,
und wer ich yetz eur lieber hort, |
und wäre ich jetzt euer lieber Hort [Schatz],
es bürd euch morgen gereuen. |
es würde Euch morgen gereuen.

5.
Was dürfft ir nur der klugen sprach, | Was bedürft Ihr nur der klugen Rede,
eur schoen die tut mir ungemach, |
Eure Schönheit die tut mir Ungemach,
eur wand(e)l klug der hat mein hertz betbungen. |
Euer kluger Wandel hat mein Herz bezwungen.
Erhoer, stoltz freulein gemait, |
Erhöre (mich), stolzes liebes Fräulein,
zwar mir ist ye gebesen laid, |
mir ist zwar stets leid gewesen,
wer dich betruebt mit seiner valschen zungen. |
wenn dich wer betrübt hat mit falscher Zunge.
Und was dich üebet, seligs beib, |
Und was dich dazu bringt, seliges Weib,
zu nassen euglin klare, |
nasse klare Äuglein zu bekommen,
dasselb betrüebet mir den leib, |
dasselbe betrübt mir den Leib,
und macht mir grabe hare. |
und macht mir graue Haare.

6.
Des danck ich euch mit ganzem fleis, | dafür danke ich Euch mit ganzem Fleiss,
davon so habt ir lob und breis, |
dafür habt Ihr Lob und Preis,
das euch der freulin smach tut missevallen. |
dass Euch des Fräuleins Schmach tut missfallen.
Yedoch peswart es mich ain klains, |
Jedoch beschwert mich ein Kleines,
ich troest mich sicherlichen ains, |
mich tröstet sicherlich Eines,
das mir nit schaden mag kain übels kallen. |
dass mir nicht schaden kann keines Übels Bellen [Geschwätz].
Wer freulein schendet ane sach, |
Wer Fräuleins schändet [verleumdet] ohne Ursache,
und sich ir an schulde ruemet, |
und sich ihrer ohne Verschulden rühmt,
derselb verphendet ungemach, |
derselbe verursacht Ungemach,
sein lob wirt im enthuemet. |
sein Lob wird ihm abgesprochen.

7.
Lat mich geniessen, edle frucht, | Lass mich geniessen, edle Frucht,
durch all ewr er und beiplich zucht, |
durch alle Eure Ehre und weibliche Zucht,
das ich nye gert, das euch möcht schaden pringen. |
dass ich nicht begehrt habe, was Euch könnte Schaden bringen.
Was hilfft euch nu mein teglich pein, |
Was hilft Euch nun meine tägliche Pein,
ewr treuer diener wil ich seyn, |
Euer treuer Diener will ich sein,
und wer unfro von euch ain misselingen, |
und ich wäre unfroh über ein Misslingen bei Euch,
Zbar ich bedarff nit sölher knecht, |
ich bedarf zwar nicht solcher Knechte,
eur dinst sind mir zu wahe. |
Euer Dienste sind mir zu prahlerisch.
Nit redt als scharpff, frau, bedenckt euch recht, |
Redet nicht, Frau, so scharf, bedenket Euch recht.
wie gern ich das sahe. |
wie gern ich das sähe.
(S. 131-133)
_____



XXXIX. (39)

1.
Frau, ich enmag, | Frau, ich mag nicht,
wann es ist ferre gen dem tag, |
wenn es ist noch ferne der Tag,
nu bol, |
nun wohl,
wann sol |
wann soll
ich vol |
ich voll
slaffen mir genug? |
schlafen mir genug [ausreichend]?
zbue lat euch der weil, |
warum lasst Ihr Euch nicht die Weile,
ya trag wir auch ain peyl |
ja wir tragen auch ein Beil
pleib hie, nit eyl, |
bleib hier, eile nicht,
mein trauter küntzle, |
mein trauter Küntzle [Konrad],
süeuntzel, |
Süssester,
ist mir werlich lieb. |
ist mir wahrlich lieb.
Wer kumbt hernach, |
Wer kommt danach,
der mir benndt meinen ungemach, |
der mir wendet mein Ungemach,
so schain? |
so schön?
unrain, |
und rein,
allein |
allein
arbait ist ain |
Arbeit ist ein
mort. |
Mord.
kuntz, katrey ist unnutz |
Kunz, Kathrin ist unnutz
jenslins |
Jenslins
pin ich |
bin ich
urdrutz. |
überdrüssig.
mit liebem smutz |
mit liebem Kuss
pin ich |
bin ich
küntzlins, |
Künzlins,
pin ich |
bin ich
gentzlich, |
gänzlich,
aus dem edlen zylerstal. |
aus dem Zillertal.
Frau, eur straffen ist entwicht, |
Frau, Euer Strafen ist entwichen,
spynnen, keren mag ich nicht, |
Spinnen kehren mag ich nicht,
pflicht |
Pflicht
trag ich zu dem küntzelein, |
trage ich zu dem Künzelein,
wann er ist wol mein, |
denn er ist wohl mein,
sein leib pringt freuden vil, |
sein Leib bringt viele Freuden,
darnach sich sent mein gier. |
danach sehnt sich meine Gier [Sehnen].

2.
Stand auff, maredl, | Steh auf, Maredel [Margarethchen],
liebes gredl, |
liebes Gretchen,
zeuch die rueben aus, |
Zieh die Rüben aus,
zünt ein, setz zu |
Zünde ein [mache Feuer], setze dazu
fleisch und kraut, |
Fleisch und Kraut,
eyl, bis klug. |
eile, sei klug.
gee, du faule tasch, |
geh, du faule Tasche,
die schüss(e)l wasch; |
die Schüssel wasche;
wer pett, küntz(e)l knecht, |
wer bat, der Knecht Künzel,
der diern siecht? |
der die Dirne [Magd] siech macht [schwächte]?
aus dem haus, |
aus dem Haus,
ir verleuchter dieb! |
Ihr verdammter [ertappter] Dieb!
Grett, lauff gen stadl, |
Grete, laufe in die Stadt,
such die nadl, |
suche die Nadel,
nym den rechen mit, |
nimm der Rechen mit,
gab(e)l, drischl, |
Gabel, Dreschflegel,
reutter, sichl |
Sieb und Sichel
vindst du dort. |
findest du dort.
jans, katrey nym mit dir, |
Jens, Kathrin nimm dir mit,
der kuntz pleib mir. |
der Kunz bleibe bei mir.
sweig, du faige haut, |
schweige du feige Haut,
und schrey nit laut. |
und schreie nicht so laut.
dein schand wirt prait, |
deine Schande wird breit [bekannt],
und er sicherlichen smal. |
und (deine) Ehre sicherlich schmal.
pfäch dein, |
Pfui dein,
gredlein, |
Gretelein,
spynn, ker, |
spinn, und kehre,
dich ner, |
dich ernähre,
nit verzer, |
nicht verzehre,
deinen rock |
deinen Rock
lock, |
ordne,
so wirstus ain pock, |
sonst wirst du ein Bock [Schlampe],
tock! |
Docke! [Püppchen]
vier schock |
vier Schock Münzen
gib ich dir |
gib ich dir
zu ainem manne vil schier! |
zu einem Ehemanne schnell!
(S. 136-138)
_____



XLI. (41)

1.
Der may mit lieber zal | Der Mai mit lieber Zahl
die erd bedecket üb(e)ral. |
die Erde bedecket überall.
pühl, eben, perg und tal |
Bühl [Hügel], Ebene, Berg und Tal
aus süessen voglin schal |
aus süssem Vögel Schall
erklingen, singen hohen hal |
erklingen, singen hohen Hall [Schallen]
galander, lerchen, droschl, die nachtigal, |
Haubenlerche, Lerche, Drossel, Nachtigall,
der gauch fleugt hinden hinnach |
der Kuckuck fliegt hinterdrein
zu grossem ungemach |
zum grossen Ungemach
klainen vogelein gogelreich. |
der kleinen mutigen Vögelein.
hoeret, wie er sprach: |
höret, wie er sprach:
cucu, cucu, cucu! |
Kuku, kuku, kuku!
den zins gib mir, |
den Zins gib mir,
den wil ich han von dir, |
den will ich haben von dir,
der hunger |
der Hunger
macht lunger |
macht essgierig
mir |
mir
den magen schir. |
den Magen rasch.
Ach ellend, |
Ach Elend [Not],
nu wellend |
nun wo weilen
sol ich? |
soll ich?
so sprach das klaine vich, |
so sprach das kleine Viech,
küngl, zeysl, mais, nu komen wir singen: |
Zaunkönig, Zeisig, Meise, nun kommt lasst uns singen:
oci, und tu ich, tu ich, tu ich, tu ich, |
oci, oci, tu ich, tu ich, tu ich,
oci, oci, oci, oci, oci, oci, |
oci, oci, oci, oci, oci, oci,
fi, fideli, fideli, fideli, fi, |
fi, fideli, fideli, fideli, fi,
ci, cieriri, ci, ci, cieriri, |
ci, cieriri, ci, ci, cieriri,
ci, ci, cidwigk, cidiwigk, fici, fici. |
ci, ci, cidwigk, cidiwigk, fici, fici.
so sang der gauch nur: kawa, wa, cu, ca. |
so sang der Kuckuck nur: kawa, wa, cu, ca.
Raco, so sprach der rab, |
Raco, so sprach der Rabe,
zwar sing ich auch wol, |
zwar sing ich auch wohl,
vol, |
voll,
mus ich sein, |
muss ich sein,
das singen mein: |
mein Singen ist:
scheub ein, |
Schieb ein,
herein, |
herein,
vol sein! |
voll sein!
liri, liri, liri, liri, liri, liri, lon |
liri, liri, liri, liri, liri, liri, lon
so sang die lerch, |
so sang die Lerche,
so sang die lerch, |
so sang die Lerche,
so sang die lerch. |
so sang die Lerche.
ich sing hel, ain droschelein |
ich singe hell, ein Drösselein
ich sing hel, ain droschelein |
ich singe hell, ein Drösselein
ich sing hel, ain droschelein, |
ich singe hell, ein Drösselein
das in dem wald erklinget, |
das in dem Wald erklinget,
ir lierent, |
ihr tirilieret,
zierent, |
zieret,
gracket, |
krächzet,
und wacket |
und krähet
hin und her, |
hin und her.
recht als unser pfarrer. |
ganz wie unser Pfarrer.
zidiwigk, zidiwigk, zidiwigk, |
zidiwigk, zidiwigk, zidiwigk,
zifizigo, zifizigo, zifizigo, nachtigal, |
zifizigo, zifizigo, zifizigo, die Nachtigall,
die selb mit yrem gesang behub den gral. |
die selbst mit ihrem Gesang den Gral errang.
(Wienerhandschrift bis ans Ende)
Upchachi, so sprach das fül, | Upschahi, so sprach das Fohlen,
lat uns auch darzu, |
lass uns auch darzu,
frw |
früh
vert die kue, |
geht die Kuh,
der esel lue: |
der Esel schreit:
her sak auff meinen nack. |
Herr Sack auf meinen Nacken.
rigo, rigo, rigo, rigo, rigo, rigo , kum, |
rigo, rigo, rigo, rigo, rigo, rigo , kum,
so rufft die mul, |
so ruft die Mühle,
so ruff(t) die mul, |
so ruft die Mühle,
so rufft die mul. |
so ruft die Mühle.
Ker ab, so sprach die mülnerin, |
Kehr ab, so sprach die Müllerin,
heb auff, schray die pewrin, |
heb auf, schreit die Bäuerin,
nu trag hin, mein eselein |
nun trage hin, mein Eselein
da, da |
da, da
prusta, |
pruste,
gani, leir |
IA, leier
nicht veir |
nicht feier
bis dir der geir |
bis dir der Geier
die hawt abziehen wirt bey dem vey(e)r. |
die Haut abziehen wird bei dem Feuer.
Wol auff, |
wohl auf,
wol auff, |
wohl auf,
wol auff, |
wohl auf,
wol auff, |
wohl auf,
saylor pint auff. |
Seile bind auf.
schint dich wolpurg, |
schinde dich Wolburga,
rugel dich, gut waydmann, |
rühre dich, guter Weidmann,
mit jagen, paissen, rogken in den tan. |
mit Jagen, Beizen, Netze stellen in den Tann.
(S. 139-142)

_____



XLV. (45)

1.
Froehlich geschrai so well wir machen, | Ein fröhliches Geschrei so wollen wir es machen,
lachen, |
lachen,
swachen |
schwächen
den zwar, der uns nit gevelt. |
den, der uns nicht gefällt.
junckfrau, sind die air noch gar gezelt? |
Jungfrau, sind die Eier noch gezählt?
so lauft, ir zierenheld, |
so lauft, ihr zierlichen Helden,
und esst die ungeschelt. |
und esst die ungeschälten.
fraw gelt, |
Frau Geld,
trag her des weines kelt. |
trage her des Weines Kälte.
So schon, sprach des maiers diern, da niden auf der panck, |
So schön, sprach des Meiers Dirne [Magd], da unten auf der Bank,
mach lanck, |
mache lange,
gselle mein, hab ymmer danck, |
Geselle mein, hab immer Dank,
dein gesanck, |
dein Gesang,
und getranck, |
und Trank
und süesser wincken wanck |
und süsser Winken Wank
pringt mir freuden vil, |
bringt mir viele Freuden,
Smutz, sprach mein fraue, |
Kuss, sprach meine Frau,
nu welcher fidelt mir nur auf meinem saitenspil? |
nun wer fiedelt mir nur auf meinem Saitenspiel?
das tun ich haintzl und jäck(e)l, |
das tue ich Heinz und Jäckel,
damit hub sich ain gäggel. |
damit hub ein Geschäker an.
do sprach sy: snäggel, |
da sprach sie: Schnecke,
o wee, haintz magstu nymmer? |
o weh, Heinz magst du nimmer?
so kum jacline, |
so komm Jäckelinus,
trauter socie, |
trauter Gesell,
ler mich das a b c |
lehr mich das A B C
und tu mir doch nit wee, |
und tu mir doch nicht weh.
ite, venite! |
geht, kommt!
(S. 147-148)
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XLVIII. (48)

1.
Mein puel laist mir gesellschafft zbar | Mein Mädchen leistet mir zwar Gesellschaft
recht als die monat tund dem jar. |
so wie die Monate tun dem Jahr.
von erst den yenner ich nit spar, |
da spare ich den Januar nicht aus,
der mich dick kelltet und erfroeret: |
der mich sehr erkältet und frieren lässt:
Zu yedem hat sy sich verpflicht |
Zu jedem hat sie sich verpflichtet
mit mut und auch mit angesicht, |
mit Mut und auch mit Angesicht [Erscheinung],
der hornung lat michs liegen nicht, |
der Hornung [Februar] lässt mich nicht liegen,
des freud der winter hat erstoeret. |
dessen Freude der Winter hat gestört.
Sy macht mich siech dick, oft gesunt |
Sie macht mich sehr siech [krank], oft gesund
mit lieb und laid zu manger stund, |
mit Liebe und Leid zu mancher Stund,
das macht der mertz, der irs tut kund, |
das macht der März, der ihrs tut kund,
als ich von ärzten han gehoeret, |
wie ich es von Ärzten habe gehört,
Gelück ist gut für ungevell. |
Glück ist gut gegen Unglück.
bann ich waen, ich sey gut gesell, |
wenn ich wähne, ich sei ein gute Geselle,
so tut sy gleich als der abrell, |
so tut sie gleich als wie der April,
halb hie und dort ist sy betoeret. |
halb hier und dort ist sie betört.

2.
Zbar sy ist hübsch und wolgetan, | Zwar ist sie hübsch und wohlgetan,
das erbt sy von dem mayen an, |
das erbt sie von dem Maien,
des gelückes ich ir zeitlich gan, |
des Glückes ich ihr zeitlich gönne,
darnach und sy mich freuen tut; |
so wie sie mich erfreuen tut;
Ir har, ir mund, ir wenglein vein, |
Ihr Haar, ihr Mund, ihre feinen Wänglein,
ir euglin klar als der rubein, |
ihre Äuglein klar als wie der Rubin,
dem geit der junius liechten schein |
dem gibt der Juni lichten Schein
mit seiner kraft in hübschen plut. |
mit seiner Kraft in hübscher Blüte.
Der julius hat seinen fleis |
Der Juli hat seinen Fleiss
gelegt auff ir brüstlein beis, |
gelegt auf ihre weissen Brüstlein,
ir ermlin planck, yre hendlein gleis, |
ihre Ärmlein blank, ihre Händchen hell,
recht als das silber in der glut. |
so wie das Silber in der Glut.
Sy ist ain waideliche diern, |
Sie ist eine weidliche [holde] Dirne [Mädchen],
gedrat synbell recht als die pirn, |
gedreht rund und schlank als wie die Birne,
die uns der augst kan fürher ziern |
die der August kann  für uns zieren
mit lust und auch mit gutem mut. |
mit Lust und auch mit gutem Mut.

3.
Sy tut geleich dem september, | Sie tut gleich dem September,
der ist ain tail auch mit gever, |
der ist ein Teil auch mit Gefahr [behaftet],
darumb das er macht las und swer |
darum das er macht lass [matt, müde] und schwer
die leut an mut und auch an macht. |
die Leute an Mut und an Macht.
Des pin ich worden von ir inn, |
Dessen bin ich worden von ihr inne,
das sy mich lat aus yrem synn, |
das sie mich lässt aus ihrem Sinn,
ich hoff, der october mir pring |
ich hoffe, der Oktober bringt mir
gelück, als er vor offt hat pracht |
Glück, als er es öfter hat gebracht
Wol in das haus, als du auch mir |
Wohl in das Haus, wie du mir
mein hertze vol, damit mein gier |
mein Herze voll, damit meine Begier
erfüllet werd von irer zier. |
erfüllet werde von ihrer Zier.
der november ist wol besacht |
der November ist wohl versehen
Mit mangerlay, des man sich nert; |
mit mancherlei, von dem sich nährt;
seyd sy hat yeder zeit ain gefert, |
seit sie hat jederzeit einen Gefährten,
so wirt mir klain von ir beschert, |
so wird mir klein von ihr beschert,
kalt ist december tag und nacht. |
kalt ist Dezember Tag und Nacht.
(S. 151-152)
_____



XLIX. (49)

1.
Es nahent gen der vasenacht, | Es nahet sich die Fastnacht,
der süll wir gail und froelich sein, |
in der sollen wir geil [lustig] und fröhlich sein,
ye zbay und zbay zu samen tracht |
je zwei und zwei zusammen uns bestreben
recht als die zarten teubelein |
recht wie die zarten Täubelein
doch hab ich mich gar schoen gesellt |
doch ich hab mich gar schön gesellt
zu meiner krucken, |
zu meiner Krücke,
die mir mein peul hat auserwelt |
die mir meine Buhle [Liebchen] hat ausgewählt
für lieplich rucken. |
für das liebliche Rucken [Drängen].
Und ich die kruck |
Und ich die Krücke
vast an mich zuck, |
fest an mich drücke,
freuntlichen under (da)s vechsen smuck, |
freundlich unter die Achsel schmiege,
ich gib ir mangen herten druck, |
ich gebe ihr manch harten Druck,
das sy mus kerren. |
so dass sie muss schreien [knarren].
wie mocht mir gen der vasenacht |
was könnte mich in der Fastnacht
noch bas gewerren? |
noch mehr verdriessen?
plehee, |
Pah!
nu lat ewr plerren. |
nun lasst euer Weinen.

2.
Seyd das die voglin wilden sind | Seit die wilden Vöglein sind
gezbait yet schon an allen neid, |
zur Zweit so schön ohne allen Neid,
was wolten dann die lieben kind |
was sollten dann die lieben Kinder [Jungen]
nu feyren gen der lieben zeit |
nicht feiern in der lieben Zeit
mit halsen, küssen ain schoenes weib. |
mit Halsen [umarmen], küssen ein schönes Weib.
smutz, la dich nyessen, |
Kuss, lass dich geniessen,
haimelichen prauch dein jungen leib |
brauche heimlich deinen jungen Leib
an als verdriessen. |
ohne alles Verdriessen.

3.
Die vasnacht und des maien pfat | Die Fastnacht und des Maien Pfad
die pfeiffen vast aus ainem sack, |
die pfeifen fest aus einem Sack,
was sich das jar verporgen hat |
was sich das Jahr verborgen hat
das tut sich eugen an dem tag, |
das tut sich zeigen an dem Tag,
doch hat mein frau ir tück gespart |
doch hat meine Frau ihre Tücke gespart
mit valschem wincken |
mit falschem Winken
all gen dem herbst, ich schrau ir vart, |
alle gegen den Herbst, ich fürchte mich vor ihrer Fahrt,
seyd ich mus hincken. |
seit ich muss hinken.
(S. 152-153)
_____



LV. (55)

1.
Weis, rot mit praun verleucht | Weiss, rot mit braun durchglänzt
in ainem runden veld, |
in einem runden Feld,
schuff mir vil manig teucht | 
bewirkte bei mir viele mannigfaltige Gedanken
hertlich, der ich nit meld. |
so schmerzhaft, dass ich sie nicht äussern möchte.
gar eng ward mir die werlt |
gar eng ward mir die Welt
do sich zu fleis mein aug |
da sich mein Auge fleissig
gierlich darin verschos, |
gierig darin eingeschlossen hatte,
von krankhait ward ich plaug, |
von Krankheit ward ich blau,
der zeit mich nit verdros, |
die Zeit verdross mich nicht,
mein anmacht die was gross. |
meine Ohnmacht die war gross.

2.
Ain varb von eut(e)l grun | Eine Farbe von eitel Grün
den possen rain verdeckt, |
den Busen rein verdeckt,
der yedem fürsten kuen |
der jedem Fürsten kühn
sein manhait wol erweckt, |
seine Mannheit wohl erweckt,
wann er sich pey im streckt, |
wenn er sich bei ihm streckte,
nach dem als ich in sach, |
nach dem ich also ihn [den Busen] sah,
gar waydelich verstampt, |
gar weidlich verstemmt,
so went er ungemach, |
so würde der wenden (mein) Ungemach,
der mir befulch das ambt, |
der mir beföhle das Amt,
vil nahent ich im zampt. |
mich ihm [dem Busen] zu nähern im Drang.

3.
Ain zwis(e)l waidelich, | Eine wonnige Gabelung [weibliche Scham],
darob ain maser hert, |
darüber ein fester Stamm,
die tragt zbo pieren reich, |
der trägt zwei Birnen reich,
gar suess ist ir gevert, |
gar süss ist ihre Beschaffenheit,
weis, frisch, wo man sy zert. |
weiss, frisch, wo man sie zerrt [anfasst].
wer ich ain kindlein klain, |
wäre ich ein Kindlein klein,
vernüfftig, alt und weis, |
vernünftig, alt und weise,
und ich der pieren aine |
und ich der Birnen eine
muest saugen für mein speis, |
müsst saugen als meine Speise,
so würd ich nymmer greys. |
so würde ich nimmer greise [alt].
(S. 160)
_____



LXI. (61)

1.
O hertzen lieber nick(e)l mein, | O herzenslieber Nickel mein,
vergiss mein nit auff alle treu, |
vergiss mein nicht auf alle Treu,
des heyaho, |
des heiaho,
Sym, nayn ich, zarts mein agneslein, |
Ach, nein, mein zartes Elselein,
dein freuntschaft ist mir allzeit neu, |
deine Freundschaft ist mir allzeit neu,
dem sey also. |
dem sei also.
mein hertz das swindt, |
mein Herz das schwindet,
seyd du dich schaid von mire. |
seit du dich hast von mir geschieden.
sweig, liebes kind, |
schweig, liebes Kind,
ich kumm herwider schire. |
ich komm herwider bald.
Ach nickl, |
Ach Nickel,
nick(e)l, |
Nickel,
trauter schoener kleusly, |
trautes schönes Kläuschen,
hals mich, |
halse mich [umarme mich],
küss mich, |
küsse mich,
leich mir her das meusly. |
leih mir her das Mäuslein.

2.
Verhais mir pald, mein schoene elss, | Verheiss mir bald, mein schönes Elschen,
das du kain andern wellest han, |
das du keinen anderen haben willst,
des heyaho. |
des heiaho.
ich wolt ee springen über (de)n vels, |
ich wollte eher springen vom Fels,
ee mich beslieff kain ander man, |
eher mich beschlief ein anderer Mann,
dem sey allso. |
dem sei also.
mein treu gefug |
meine treue Anhänglichkeit
an dir nymmermer erbinde. |
an dich soll nimmer ermüden.
mein nick(el) klug, |
mein kluger Nickel,
du leist mir in dem synne (synde?). |
du liegst mir in meinem Sinne.

3.
Gesegen dich got mein hoechster hort, | Segne dich Gott mein höchster Hort [Schatz],
kain schaiden tet mir nie so bee, |
kein Scheiden tat mir je so weh,
des heyhao. |
des heihao.
du last mich hie, und pleibst du dort, |
du lässt mich hier, und bleibst du dort,
bann kumm wir zuenander me, |
dann kommen wir nie mehr zueinander,
dem sey also. |
dem sei also.
in kurtzer vart |
in kurzer Fahrt [Weile]
wil ichs herwider keren. |
will ich zurück kehren.
mein nick(e)l zart, |
mein Nickel zart,
des tu mich schir geberen. |
dessen tu mir bald gewähren.
(S. 171-172)
_____



LXII. (62)

1.
Sweig still, gesell, dem ding ist recht, | Schweig still, Geselle, dem Ding ist recht,
ju, gib mir freuleins petenbrot, |
ju, so gib mir des Fräuleins Botenbrot,
des heyhao. |
des heihao.
sy ward mein herr und ich ir knecht, |
sie ward mein Herr [Gebieterin] und ich ihr Knecht,
nu ist mir sicher ungedrot, |
nun ist mir sicher ungedroht,
dem sey also. |
dem sei also.
Ich main die zart, |
Ich meine die Zarte,
zu der ich pin verbunden, |
der ich bin verbunden,
des bol mich ward, erst hab ich freude funden. |
deren Wohlwollen mir zu Teil wurde, erst jetzt habe ich Freude gefunden.
Ach raines töck(e)l |
Ach reines Püppchen
traute schoene tocke, |
traute schöne Puppe,
du liebst mir mit dem zypffel |
du liebst mich mit dem Zipfel
an dem rocke. |
an dem Rocke.

2.
Mein dinst ir allzeit ist berait | Mein Dienst für sie ist allezeit bereit
und hoff, das mich die lieb nit entstoss, |
und ich hoffe, dass mich die Liebe nicht verstosse,
des heyhao, |
des heihao.
mit yren hörelein gemait, |
mit ihren lieblichen Hörnchen,
ee traut ich ir ain künglin blos, |
eher vertraute ich ihr einen blosen Phallus,
dem sey also, |
dem sei also,
An als gever, |
ohne alle Gewähr,
als meinem rechten herr(e)n, |
als meinem rechten Herrn [Gebieter],
des knecht ich wer |
dessen Knecht [Diener] ich wäre
gar willigklicher geren. |
gar williglich [liebend] gern.

3.
Ich freu mich noch der lieben stund | Ich freu mich noch der lieben Stunde
do sy zu dienen mich erkos, |
da sie zu dienen mich erkor,
des heyhao, |
des heihao.
und hoff ir roesolochter mund, |
und hoffe ihr rosenfarbener Mund,
sull mich von sorgen machen los, | soll mich von Sorgen frei machen,

dem sey also. |
dem sei also.
Hertz, mut und syn, |
Herz, Mut und Sinn,
ir gailt mit stetem fleisse, |
ihr freut euch mit stetem Fleisse,
bie verr ich bin |
wie fern ich auch bin
von ir, ju, dar, die weisse. |
von ihr, ja, die Weisse.
(S. 172-173)

_____



LXIV. (64)

1.
Ain graserin durch küelen tau, | Eine Graserin durch kühlen Tau,
mit beissen plossen fuesslin zart, |
mit weissen blosen zarten Füsslein,
hat mich erfreut in gruener aw, |
hat mich erfreut in grüner Au,
das macht ir sich(e)l, praun gehart, |
das macht ihre Sichel, braun behaart,
do ich ir halff den gattern rucken, |
da ich ihr half den Gatter zu rucken,
schmucken |
drücken
für die schrencken, |
vor die Schranken,
lencken, |
lenken,
sencken |
senken
in die seul |
auf die Säule
wol bepart, |
wohl bewahrt,
damit das freul |
damit das Fräulein
hinfür an sorg |
hinfür ohne Sorge
nicht fliessen mocht ir gensel. |
nicht verlieren möchte ihr Gänschen.

2.
Als ich die schoen her zeunen sach, | Als ich die Schöne her Zäunen sah,
ain kurze weil ward mir zu langk, |
eine kurze Weile ward mir zu lang,
bis das ich ir den ungemach |
bis das ich ihr den Ungemach
tet wenden zbischen zbai(e)r schranck, |
tat wenden zwischen zwei Schranken,
mein hecklin klain het ich ir vor, |
mein kleines Äxtchen hatte ich ihr zuvor,
empor, |
empor,
zu dienst gewetzet, |
zu Dienst gewetzet,
g(e)hetzet, |
gehetzet,
netzet, |
benetzet,
wie dem was, |
wie es ging,
schubren half ich ir das gras, |
zusammen zu bringen half ich ihr das Gras,
zuck nit, mein schatz. |
zuck nicht, mein Schatz.
sym, nain ich, lieber jensel. |
Ach, nein, lieber Hänsel.

3.
Als ich den klee het abgemaet, | Als ich den Klee hatte abgemäht,
und all ir lucken wol verzeunt, |
und all ihre Lücken wohl verzäunt,
dannoch gert sy, das ich yaet, |
dennoch begehrte sie, dass ich jäte,
noch ain mal in der nidern peunt, |
noch ein Mal in der niederen Bereich,
ze lon wolt sy von rosen pinden, |
zum Lohne wollte sie von den Rosen binden,
binden |
winden
mir ain krentz(e)l. |
mir ein Kränzchen.
swentz(e)l, |
schüttel,
rentze(e)l |
ränzel
mir den flachs, |
mir den Flachs [befriedige mir meine Lust],
treutt in, wildu, das er wachs, |
trete ihn, willst du, dass er wachse,
hertzliebe gans, |
Herzliebe Gans,
bie schon ist dir dein grens(e)l. |
wie schön ist dir dein Kränzel.
(S. 175-176)
_____



LXVII. (67)

1.
Froelich so wil ich | Fröhlich will ich
aber singen, |
aber singen,
der edlen frauen seuss. |
der edlen Frauen süss.
Haintz, hainrich, |
Heinz, Heinrich,
erst wirt mir wol gelingen, |
erst wird es mir wohl gelingen,
seyd du mir haltst dein grues. |
seit du mir hältst deinen Gruss.
Ja, frau, und wer das nicht ewr spot. | J
a, Frau, und ist das nicht Euer Spott.
symm, nain es, hainrich, sammir got! |
Ach, nein, Heinrich, so mir Gott helfe!
Wee heut wol ee, |
Weh heute wohl eher,
solt ich ewr huld erberben, |
sollt ich Euer Huld erwerben,
darumb litt ich den tod. |
darum litte ich (gern) den Tod.
Ist dir so wee, |
Ist dir so weh,
dannoch soltu nit sterben, |
dennoch sollst du nicht sterben,
und leiden grosse not. |
und leiden grosse Not.

2.
Mich freut ewr leib, | Mich erfreuet Euer Leib,
darzu die guldin spangen |
darzu die goldenen Spangen
vor an den erm(e)ln zart. |
vorne an den Ärmlein zart.
Ich bin ain weib |
Ich bin ein Weib
mit gürt(e)l umb(e)fangen |
mit Gürtel umfangen
von adelicher art. |
von adliger Art.
Ir sächt rächt als ain volken kel. |
Ihr seht recht als eine Falkenkehle aus.
nu kan ich doch nit fliegen snel. |
Nur kann ich doch nicht fliegen schnell.
Vergieng das pau, |
Verginge (dabei auch) der Anbau [Feldkultur],
ich verbaege mich zbair ochsen, |
ich wagte es zwei Ochsen [abzugeben],
und burd mir nur ain smutz. |
würde mir nur ein Kuss (dafür) werden.
Was sprech dein sau, |
Was spräche deine Sau,
mein haint(e)l ungelochsen, |
mein Heinzel Ungehobelt,
und prechst du disen trutz. |
brächtest du diesen Trotz.

3.
Ewr valbes har, | Euer helles Haar,
darzu die weissen hende |
darzu die weissen Hände,
mir gaeben hohen mut. |
gäben mir hohen Mut.
Du laichst mich zbar, |
Du täuscht mich zwar,
des bett ich umb dein zende, |
dessen wette ich um deine Zähne,
deutcht es dich wesen gut. |
deucht es dich dabei gut.
Mit meinen zenden fraess ich wol drey. |
Mit meinen Zähnen fress ich wohl drei.
symm, benstu, haintz(e)l, tritenprey? |
Ach, wähnst du es Heinzel Tritt-in-Brei?
Mich naem bunder, |
Mich nähme es Wunder,
oder ich sprung in ain wasser |
oder ich würde ins Wasser springen
von zorn in ainer gaech. |
vor Zorn in Eile.
Koembstu herwider, |
Kämst du herwider,
dann für mich also nasser, |
dann für mich also nass,
wie geren ich das saech. |
wie gern säh ich das.

4.
Ir edle maid, | Ihr edle Maid [Fräulein],
was dürft ir mein ze spotten, |
warum dürft Ihr mich so verspotten,
ja burd ich schir so frais. |
ja ich wurde schier erschrocken.
Zwar unversait |
Ganz unversagt
ist dir mein dicker schotten |
sei dir mein dicker Quark
von meiner roten gaiss. |
von meiner roten Geiss [Ziege].
Symm, topffen hab ich selber genueg. |
Ach, Töpfe habe ich selber genug.
danck hab mein haintz(e)l, richt den pflueg. |
Habe Dank mein Heinzel, Richte-den-Pflug.
Ich wil es klagen |
Ich will es klagen
meiner lieben mueter, |
meiner lieben Mutter,
das ir mich habt versmaecht. |
dass Ihr mich habt verschmäht.
Gee, smirb den wagen, |
Geh, schmiere den Wagen,
und trisch den rossen fueter, |
und drisch für die Rösser das Futter,
als ander dein geslaecht. |
wie die anderen von deinem Geschlecht [Stande].
(S. 179-181)
_____



LXX. (70)

1.
Got geb ew ainen guten morgen, | Gott gebe Euch einen guten Morgen,
ir vil edle kaiserinne, |
Ihr sehr edle Kaiserin,
mich deucht vil wol in meinem muet, |
mich deucht sehr wohl in meinem Mut,
ir seit ain also schoene junckfra |
Ihr seid eine so schöne Jungfrau
als man sy färre kennet. |
wie man sie ferne [weithin] kennt.
Do pflig ich klainer sorgen,  |
Da pfleg ich kleine Sorgen,
darzu der gailen mynne |
darzu der lustvollen Minne
mit ainem hübschen knaben gut, |
mit einem hübschen guten Knaben,
der ist gesessen under kra |
der ansässig ist unterhalb von Kra
zu kastelrut genennet. |
zu Kastelruth genannt.
Sächt, sächt, des habet ymmer danck, |
Seht, seht, dessen habt immer Dank,
das sol er umb ew dienen, |
da soll er in Eurem Dienst,
dassälbig knächlein, wol berait, |
dasselbe Knechtlein, wohl bereit sein,
und fürder sich gar rasche, |
und fürder sich gar beeilen,
das ir im neut empfaret. |
dass Ihr ihm nicht entwischt.
Kain weg der ward mir nie so langk |
Kein Weg wurde mir so lang
und wer es halt gen wien(e)n, |
und wäre es auch bis nach Wien,
ich hülff dem knaben hübsch gemait |
ich wollte dem hübschen Knaben helfen
aus ungelückes masche, |
aus des Unglücks Masche,
damit er wer pebaret. |
damit er bewahrt bleibt.
Frisch, frey, fro, froelich, |
Frisch, frei, froh, fröhlich,
ju jutz joelich, |
ju jutz jölich,
gail, gol, goelich |
geil, keck, mutig,
gögeleichen. |
herrlich.
hurtig, tumm, tumbrisch, |
hurtig, rumm, rummbisch,
knaus, bumm bummbrisch, |
knaus, wumm, wummbrisch,
tentsch, krumb, rumblisch, |
tentsch, krum, rumblisch,
rogeleichen; |
locker;
So ist mein hertz |
so ist mein Herz
an allen smertz, |
ohne allen Schmerz,
wann ich |
wenn ich
an sich |
ansehe
meins lieben puelenn geleichen. |
meines lieben Buhlen [Liebsten] Gleichen.

2.
Awy, awäch, ir vil trautes golt, | Oho, aha, Ihr sehr trautes Gold,
wie bol künd ir euer spächten, |
wie wohl könnt Ihr reden,
das ich sein schon derklupffe |
dass ich  schon deswegen erzittre
von rächten fräden auf mein treu, |
aus rechter Freude auf mein Treu,
das macht ewr klueg(e)s geludme. | |
das macht Euer kluges Geschrei [Gelärm].
Ach lieber mair, werst du mir holt, |
Ach lieber Meier, wärst du mir hold,
zbar du vörcht klain mein prechten, |
so fürchtetest du klein mein Reden,
wann sich kain valscher trupffe |
wenn sich kein falscher Tropfen
in meinem hertzen nynndert preu |
in meinem Herzen nirgends bildet
von kainerlay gepudme. |
von keinerlei Lärm.
Sich numerdumm und nunimee, |
Sieh nicht mehr um und nicht mehr [
offenbar verballhornt aus kirchenlat. in nomine domini],
so keut man unvermainet, |
so käut man unüberlegt,
ich hätt noch wol ain faistes rind, |
ich hätte noch wohl ein feistes Rind,
das gaebe ich drumm, wer ich ew lewp, |
das gäbe ich drum, wäre ich Euer Lieb,
und liest das knächtlin gschampen. |
und Ihr liesset das Knechtlein beschämt abziehen.
Herr mair, das ging mir an mein ee, |
Herr Meier, das ginge mir an meine Ehre,
ich han mich so verainet, |
ich habe mich so geeint,
das mich erfreut mein hort, mein kind, |
dass mich mein Hort [Schatz] erfreuet, mein Kind,
mein lieb, mein kneblin, kraus gestreut, |
mein Lieb, mein Knäblein, kraus gelockt,
wenn er sein har tut kämppen. |
wenn es sein Haar tut kämmen.

3.
Nu gesegen uns heint der vil haige gaist, | Nun segne uns heute der hoch heilige Geist,
sand hedewigk, und sand jenubein, |
Sankt Hedwig und Sankt Jenuwein,
bie gar seit ir versnorpffen |
wie gar seid Ihr versessen
ett als auf den versortten knächt, |
auf den krüppelhaften Knecht,
und hätt ich sein doch kunde. |
und hätte ich über ihn blos Kunde.
Er ist der liebest und der maist |
Er ist der liebste und der beste
verslossen in dem hertzen mein, |
verschlossen in meinem Herzen,
ich pin im unverborffen, |
ich bin ihm unterworfen [ich gehöre ihm],
künd ich im dienen, wo ich möcht |
dürfte ich ihm dienen, wie ich könnte
mit meinem roten munde. |
mit meinem roten Munde.
Se, sae, nu gaemet, zierenhelt, |
Sieh, sieh, nun merke, du Zierenheld,
was solt ich des gelauben (gelaben), |
was sollte ich das glauben,
das ir so luppiklichen acht, |
dass Ihr so wenig achtet,
was ich ew vor gekeude |
was ich Euch vorher sagte
mit klugen worten wacker, |
mit klugen wackeren Worten,
Lauff, hau das holtz, wer dich der kelt, |
Lauf, hau das Holz, wehre dich vor der Kälte,
und haitz ein mit den schaben, |
und heize ein mit Reisigbündeln,
auch trisch das koren, tag und nacht, |
auch drisch das Korn, Tag und Nacht,
erlass mich deins gesneude, |
erlasse mir dein Gerede,
reutt, ma, und var gen agker. |
Rode, mähe, und fahre gen Acker.
(S. 184-186)
_____



LXXI. (71)

1.
Ain yetterinn, junck, frisch, frey, frut | Eine Jäterin, jung, frisch, frei, gut aussehend
auf stickelm perg, in wilder hoech, |
auf steilem Berg, in wilder Höhe,
die geit mir freud und hohen mut |
sie gibt mir Freude und hohen Mut
dort umb die zeit, wann sich die loech |
dort um die Zeit, wenn sich der Wald
mit gruenem laub verreuhen. |
mit grünem Laub bedecken.
So wart ich ir recht als ain fuchs |
So warte ich auf sie recht wie ein Fuchs
in ainem hag mit stiller lauss, |
in einem Hag mit stillem Lauschen,
gugk aus der stauden, smeug dich luchs, |
gucke aus den Stauden, schmiege dich Luchs,
bis das ich ir die preun ermaus, |
bis dass ich ihr das Braune [
erot. das Schamhaar] ermause [erschleiche],
auff allen vieren kreuhen |
auf allen Vieren kriechen
an als verscheuchen. |
ohne etwas zu verscheuchen.
Ir roter mund |
Ihr roter Mund
von adels grund |
von Adels Grund [vornehm]
ist rain versüest gar zuckerlich, |
ist rein versüsst gar zuckerlich,
füesslein klaine, |
die Füsslein klein,
weis ir paine, |
weiss ihre Beine,
prüstlin hertte, |
die Brüstlein hart [fest],
bort, geferte, |
Worte und Gebärden,
verget sich piergisch, waidelich. |
aüssern sich leider etwas berglerisch.

2.
Der ams(e)l tun ich ungemach, | Der Amsel tu ich Ungemach,
und manger drosch(e)l auserwelt, |
und mancher auserwählten Drossel,
ze öbrist auf dem lenepach |
zu oberst in Lenebach
mit ainem kloben, der sy veilt, | |
mit einem Vogelfänger, der sie fällt,
wann ich das snuerlin zucke, |
wenn ich das Schnürlein zücke,
In ainer hütten wolbedeckt |
In einer Hütte wohlgedeckt
mit rauhen essten, lustlich gruen, |
mit rauhen Ästen, wonnig grün,
leicht kumbt zu mir, dye mich erweckt |
leicht kommt zu mir, die mich erweckt
mit gantzen freuden troestlich kün |
mit ganzen Freuden tröstlich kühn
gesloffen durch die lucke |
geschlüpft durch die Lücke
schon mit getucke. |
schön geduckt.

3.
Wann ich das vogeln zu geschoeck | Wenn ich das Vogelfangen betreibe
und aller zeug beynander ist, |
und alles Zeug beieinander habe,
so hoert man zbar ain süess geloeck |
so hört man bei einem süssen Gelocke
durch gross gesneud in kurtzer frist, |
zugleich grosses Geschnaufe in kurzer Frist,
des möcht die schoen gelachen, |
darüber möchte die Schöne lachen,
Das sy mir all mein kunst abstilt, |
dass sie mir alle meine Kunst abstillt [still legt],
was ich zu voglen hab gel(e)rt, |
welche ich zum Vogelfangen habe gelernt,
von yrem kloben mich beyilt, |
von ihrem Vogelfänger mich befiehlt
des gümppels er zu offt begert, |
des Gimpels er zu oft begehrt,
das macht die hütten krachen |
das macht die Hütte krachen
von solchen sachen. |
von solchen Sachen.
(S. 186-187)
_____



LXXIX. (79)

1.
Er:
Lieb dein verlanngen | Liebe, dein Verlangen
hat umbfangen, |
hat [mich ] umfangen,
unergangen, |
ist unerfüllt geblieben,
wiss, frau, |
wisse, Frau,
trau, |
trau,
schau, |
schau,
mich troesst dein ellende. |
tröste mich wegen deinem Fernsein.

2.
Dein lieplich possen | Dein lieblicher Busen
hat beslossen |
ist geschlossen
freuntlich gossen |
freundlich in der hohlen Hand
die zang; |
der Zange;
lang, |
lange,
wang, |
die Wange,
mit süessem wellende. |
mit süssem Verlangen.

3.
Sie:
Ey was sol das, | | Ei was soll das,
mit geren pas |
umso lieber
ich nie versass |
ich nie versäumte
die schrenck, |
die Schrenken [Umaumungen],
wenck, |
wenke,
lenck, |
lenke,
hertzlieb, mich fellende. |
Herzliebster, mich Fehlende.
(S. 198-199)
_____



LXXXVII. (87)

1.
Nembt war der schoenen plüede | Nehmet wahr der schönen Blüten
fruede, |
das Wohlaussehen,
muede |
müde
ist der kalde winder, |
ist der kalte Winter,
kinder |
Kinder
schickt euch zu dem tantz, |
macht euch fertig zum Tanz,
glantz |
Glanz
zieret lustlich des maien tenne |
zieret wonnig des Maien Tenne
Durch manger hendlin varbe |
Durch mancher Händchen Farbe
garbe, |
Garbe,
marbe, |
zarte,
bürtlin, gruene gräsly, |
Würzlein, grüne Gräslein,
wäsly |
Rasen
mit den pluemlin gel. |
mit den Blümlein gelb.
hel |
hell
singt die nachtigal weit für die henne, |
singt die Nachtigall weit für die Henne,
Die drosch(e)l hat ain wett getan |
Die Drossel hat eine Wette getan
mit ainem alten rappen, |
gegen einen alten Raben,
zu tichten auff des mayen pan, |
zu dichten auf des Maien Bahn,
und gilt ain junge kappen, |
und es gilt einem jungen Kapaun,
vil stoltzer maide wellen dran, |
viele stolze Mädchen wollen dran,
das wisst, ir räschen knappen. |
das wisst, an ihre schnellen Knappen.

2.
Des ward ich von der schoenen | Das erwarte ich von der Schönen
hoenen, |
hochgemuten,
kroenen, |
krönen
wolt ich noch ir hertze, |
wollte ich noch ihr Herze,
schmertze |
den Schmerz
kan sy benden mir |
kann sie wenden mir
schir, |
schnell,
und benemen alles trauren pitter, |
und benehmen alles bittere Trauern,
Die mich so verr unrubet, |
Die mich so sehr in Unruhe versetzt,
truebet, |
betrübet,
uebet |
(mich) übet
durch vil abenteuer. |
durch viele Abenteuer.
getreuer |
getreuer
was ichs ye ir knecht, |
war ich stets ihr Knecht [Diener],
secht, |
seht,
desgeleichen pin ichs nu ir ritter, |
desgleichen bin ich nun ihr Ritter,
in yrem dinst dieweil ich leb |
in ihrem Dienst solange ich lebe
sol ich mich lassen vinden, |
werde ich mich finden lassen,
ob sich ain klain ir biderstreb |
ob sich ein klein wenig ihr Widerstreben
bedächt guetlich zu linden, |
bedenkt gütlich zu lindern,
ich trag ain pürd swerlicher heb, |
ich trage eine Bürde von beschwerlichem Gewicht,
wolt sy mich der empinden. |
wollte sie mich davon entbinden.

3.
Ach wolgemute klaine, | Ach wohlgemute Kleine,
raine, |
Reine,
saine |
Zarte
ist gen mir dein helffe, |
ist für mich deine Hilfe,
gelffe, |
stolze
tapferlich gestalt, |
tapfere Gestalt,
walt |
walte
meines leibs, unforchtlich deiner eren. |
meines Leibes, ohne Furcht für deine Ehre.
Mein ritterlich gesange |
mein ritterlicher Gesang
lange, | (ist schon) lange
pange, |
bange,
lass, frau, ainig, froelich |
lasse, Frau, einig, fröhlich
joelich, |
jubelnd,
lieb erwecken dich; |
Liebe dich erwecken;
ich |
ich
nembs für gut, wolstu mich noch geweren |
nehme es für gut, wolltest du mir gewähren
Darumb ich in dem achten jar |
worum ich in den acht Jahren
mich dicke hab gewunden |
mich sehr habe gewunden
mit seniklichem seuffzen zwar |
mit sehnlichen Seufzern
und pin noch umempunden, |
und bin noch immer unerhört.
trost mich dein mündlin wolgevar, |
tröste mich dein liebliches Mündlein,
erst het ich freude funden. |
erst dann hätte ich Freude gefunden.

4.
Aufrüstigkliche wunne, | Wohlbereite Wonne,
sunne, |
Sonne,
brunne, |
Bronnen,
meines hertzen feuchte, |
meines Herzens Feuchtigkeit,
leuchte |
Leuchte
deiner euglin klar |
deiner Augen Klar [Glanz]
gar  |
gar
mich verzucket in der liebe schricke. |
mich verzücket in der Liebe Schrecken.
So mir dein heuptlin naiget, |
So mir dein Häuptlein [Köpfchen] neiget,
saiget, |
senket,
zaiget |
zeiget
willikliches grüessen, |
freundliches Grüssen,
süessen |
süssen
bunsch ich da empfach, |
Wunsch ich da empfinde,
nach |
nach
meines hertzen lust beschech es dicke. |
meines Herzens Lust möge es geschehen oft.
Dein unvergessen, frau, mich schreib, |
Als deiner unvergessen, Frau, betrachte mich,
wie ferr ich pin ellende, |
wie fern ich bin in der Fremde,
so nahet mir dein stoltzer leib, |
so nahet mir dein stolzer Leib,
davon ich nicht enbende, |
wovon ich mich nicht entwende,
ach selten sehen, liebstes beib, |
ach selten sehen, liebstes Weib,
wann hat die not ain ennde? |
wann hat die Not ein Ende?
(S. 208-211)

_____



XCII. (92)
(Wienerhandschrift)

1.
Ain eren schacz an tadels ort | Ein Ehren Schatz ohne des Tadels Ort
mort |
mordet
synn und mut in senlich rick, |
Sinn und Mut in Sehnsucht Stricken,
dick |
sehr
schrick |
erschreckt
durchgert mir sel und leib. |
durchgärt mir Seele und Leib.
ach weib, |
ach Weib,
seyd ich mich schaiden sol |
seit ich mich scheiden soll
von dir |
von dir
so schyer, |
so sehr,
ich byer, |
entbehre ich,
mein frau, nicht wol. |
meine Frau, nicht wohl [gern].

2.
Dein leib der sol mich rewen ye, | Dein Leib der soll mich nie reuen,
wie |
wie
wol dein zorn mich betrat, |
wohl dein Zorn mich heimsuchte,
wat, |
durchdrang,
mat |
matt
ward alles mein gemuet. |
wurde all mein Gemüt.
dein guet |
(als) deine Güte
die klag an mir ersach, |
die Klage an mir sah,
da ward |
da wurde
verkart |
verwandelt
unhart |
unhart [sanft]
mein ungemach. |
mein Ungemach.

3.
O schaiden, ich dich klagen muss, | O Scheiden, ich muss dich beklagen,
suss |
süss
was gen mir ir straff, zucht, er |
war für mich ihre Strafe, Zucht, Ehre
mer, |
mehr,
ler, |
die Lehre [Unterweisung],
ir lieb mich nye begab, |
ihre Liebe mich nie aufgab,
ich hab |
ich hab
verloren meinen trost |
verloren meinen Trost
auf erd, |
auf Erden,
die werd |
der wird
versert, |
versehrt,
und unerlost. |
und unerlöst.
(S. 217-218)

_____


Aus: Die Gedichte Oswalds von Wolkenstein
Mit Einleitung, Wortbuch und Varianten
herausgegeben von Beda Weber
Innsbruck im Verlage der Wagner'schen Buchhandlung 1847

Siehe auch Teil 1

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_von_Wolkenstein



 

 


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