Stefan Zweig (1881-1942) - Liebesgedichte

Stefan Zweig



Stefan Zweig
(1881-1942)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Verflogene Sehnsucht

Die Frühlingsnacht naht lind und lau
Durch träumende Gelände.
Wie süßer Atem einer Frau
So lösungsmild, so zart, so lau
Sind ihre weichen Hände.

Die tragen Deine Sehnsucht fort,
Du fühlst sie Dir entschwinden ...
Nun weißt Du nicht ihr Ziel und Wort,
Suchst Deine Sehnsucht fort und fort
Und kannst sie nimmer finden ...
(S. 17)
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Das Mädchen

Heut kann ich keine Ruhe finden ...
Das muß die Sommernacht wohl sein.
Durchs off'ne Fenster strömt der Linden
Verträumter Blütenduft herein.

Oh Du mein Herz, wenn er jetzt käme
- Die Mutter ging schon längst zur Ruh -
Und Dich in seine Arme nähme ...
Du schwaches Herz, ... was tätest du? ...
(S. 20)
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Lied

Rote Rosen in den Beeten
Sind von rohem Fuß zertreten
Und der Fuß gehörte mir.

Denn mich faßte ein Verlangen
Rote Lippen, weiche Wangen.
Und - schon sprang ich hin zu Dir.

Doch die Liebe kann nicht messen
Unbehutsam und vermessen
Kam ich in des Beet's Revier.

Rote Rosen in den Beeten
Sind von rohem Fuß zertreten
Doch da kannst nur Du dafür ...
(S. 22)
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Gewährung

Allein, wir zwei. - In jedem unsrer Blicke
Ein süßes, sehnendes Zusammenstreben,
Verhaltne Worte, die auf dieser Brücke
Mit goldnen Flügeln stumm hinüberschweben
Und unsre Seelen leise ineinander weben.

Und meine wilden, heißen Worte prangen
Von schwüler Rosen Duft an Sommertagen
Von kraftdurchtoster Jugend Lustverlangen. -
Und tiefer wird das Drängen. Es verzagen
Die reichen Worte und nur stumme Lippen fragen ...

Du schweigst. - Doch deine dunklen Augen leuchten
In mattem Glanz und deine Hände winken
Verheißung mir. - Ich küsse dir die feuchten
Tauperlen ab, die von den Wangen blinken. -
- Und tosend will mein Leben in dein Sein versinken ...
(S. 23)
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Im Feld

Fern Berge, die sich tief ins Blau verlieren
Und fern des Lebens unruhvoller Klang. -
Hier ist kein Atemzug der Welt zu spüren
Nur Fliederdüfte wehn das Feld entlang.

Nur du und ich ziehn träumend durch die Raden
In die der Wind die Finger harfend legt,
So weltverloren, fern von Ziel und Pfaden
Den Weg, den uns die blinde Sehnsucht trägt.

Und wie sich dort die Halme zärtlich neigen,
So finden heiße Lippen sich im Kuß. -
Die bunten Blüten nicken her und schweigen
Und senden tausend Düfte uns zum Gruß ...
(S. 24)
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Sternenglaube

Sieh, da ist ein lichter Stern gesunken!
Wie ein weißer wirrer Irrlichtfunken
Schwebt er zu des Abends Blütenbeet ...

Du ... Jetzt flink, noch eh' er ganz verweht
Sprich den Wunsch der in Erfüllung geht! -

Zitternd ist der müde Stern gesunken ...
Schweigend hab' ich Deinen Blick getrunken
Und mit ihm Dein innerstes Gebet ...
(S. 28)
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Im Abendpurpur

Dank Dir, Abend, Dank für Dein Geleiten!
Kronreif webst Du meinen Locken hin
Purpurwogen mein Gewand umgleiten ...
Und nun kann ich wie ein König schreiten
Hin zu Dir, Du meine Königin.

Was ich blicke ist mein Gut und Eigen,
Breiter Bäche helles Glitzergold,
Edelsteine, die sich von den Zweigen
Demantfunkelnd in die Sonne neigen
Winken mir als reicher Königssold.

Rosen streut der Abend mir zu Füßen. -
Machtbewußt und hoch schreit ich dahin
Hin zu Dir. - Und Deine märchensüßen
Blicke werden mich als König grüßen
Der ich doch bei Dir nur Bettler bin ...
(S. 29)
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Du!

Früher zogen müd, auf schwankem Kiele
Meine Träume dunklen Fernen zu.
Doch nun eilt mit frohem Wimpelspiele
Ihrer Botenschar in heitrer Ruh
Hin zu einem lichten Sehnsuchtsziele
Und dies Sehnsuchtsziel bist Du ...
(S. 30)
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In tiefer Nacht

So mitternächtig alle Gassen,
Die silberblank der Mond durchzieht
So blaß und stumm die Häusermassen ...
Hinauf zu schlummernden Gelassen
Klingt sonnetrunken noch mein Lied.

Die Straßen sind so traumesselig
Und sprechen leis mein Lied zurück.
Und lauter, voller wirds allmählich
Und bald erdröhnt es hell und fröhlich
Das Lied von meiner Liebe Glück.

Es dringt durch dunkle Fensterläden
So leise trägts der laue Wind.
In tiefem Traum umfängt es jeden
Mit seinen feinen, feinen Fäden
Die Mutter Sehnsucht um uns spinnt,

Daß sich die Mädchenherzen dehnen
Im dunklen Banne seiner Macht,
Und immer heißer wird ihr Sehnen,
Und glühend rinnen brennende Tränen
Hinein in die stumme, verschwiegene Nacht.

Doch mein Lied und ich, wir schreiten
Immer nur weiter, immer nur zu
In die silberblinkenden Weiten
Hin zu den blendendsten Seligkeiten
Hin zu Dir, oh Geliebte Du ...
(S. 33)
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Vorahnung

Mir ist, als ob ein tiefer Drang
Im stummen Herz sich rührte,
Mir ist, als ob ich leisen Sang
In meiner Seele spürte.

Denn Deiner Schönheit Spiegelbild
Ließ alle Saiten schwingen
Sie ahnen's schon: Zigeunerwild
Wird bald ihr Lied erklingen!
(S. 38)
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Ein Drängen ...

Ein Drängen ist in meinem Herz, ein Beben
Nach einem großen, segnenden Erleben,
Nach einer Liebe, die die Seele weitet
Und jede fremde Regung niederstreitet.

Ich harre Tage, Stunden, lange Wochen,
Mein Herz bleibt stumm, die Worte ungesprochen
In müde Lieder flüchtet sich mein Sehnen,
Und heiße Nächte trinken meine Tränen ...
(S. 45)
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Volksmotiv

Ich blicke in die milde Sternennacht,
Da ist in mir ein leiser Wunsch erwacht.

Und meine starke Sehnsucht fliegt und fliegt
Fernhin, wo still im Schlaf mein Liebchen liegt.

Und meiner Liebe goldnen Sonnenschein
Webt sie ihr in den blassen Traum hinein.

Da werden alle Bilder hell und bunt.
In sel'gem Lächeln rundet sich ihr Mund.

Und meine Sehnsucht bringt das höchste Glück
- Dies Lächeln ihrer Lippen - mir zurück ...
(S. 46)
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Hand in Hand

Laß Deine Hand in meinen Händen,
Dort ruht sie weich und mild und gut,
Und leise rinnt ein Gabenspenden
Von meiner Glut in Deine Glut,

Bis sie nicht von einander scheiden
Was jede noch ihr eigen nennt.
Und dann verzehrend in den beiden
Ein einziger Gedanke brennt. -
(S. 53)
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Abendklänge

Es ist ein Singen ausgegangen
So sehnsuchtsvoll und leis und lind,
Als trauerte mit blassen Wangen
Den Blick vom Tränenglanz verhangen
Am stillen Rain ein Königskind.

Und blickte unter lilienzarten
Schmalfingern in das große Licht
Und in des Abends Purpurgarten
Den fernen Liebsten zu erwarten
Und der Geliebte käme nicht ...
(S. 55)
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Junge Glut

Tiefe Nacht. -
Aus sinneheißem Traum bin ich erwacht.
Ich träumte von schimmernder Glieder Pracht
Von Frauen, die mit liebesfrohen und verständnisstillen
Verschwiegnen Blicken Wunsch und Sucht erfüllen,
Ich träumte von glühenden brennenden Küssen
Von trunkener Geigen laut jubelndem Klang,
Von wilden, berauschenden Glutgenüssen
Von Mädchen, die ich als Sieger bezwang ...
Und jede Sehnsucht fand im Traum ihr Ende
Doch nun bin ich erwacht!
Allein! . . . . . . Allein!! . . . . .
... Und sinnetrunken tappen meine Hände
In schweigende Dunkelheiten hinein
Hinein in die leere, nichtssagende Nacht! ...
(S. 60)
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Schneewinter

Nun, da die Dächer schneeumkleidet liegen,
Der Wintersturm durch leere Heiden irrt,
Daß sich die nackten Bäume seufzend biegen,
Da sehn' ich mich an eine Brust zu schmiegen
An der mein wildes Trauern stiller wird.

Nach Fingern, die nur meine Stirne streifen
Und aller Gram und Unlust flattert fort,
Nach Blicken, die mir an die Seele greifen,
Bis mir dann neue Frühlingsträume reifen
Aus einem einz'gen leisen Liebeswort.
(S. 63)
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Nach Hause

Längst ist kein Lichterglanz mehr wach;
Im Nebelmeer versunken
Sind Turm und Häuser, Dach für Dach. -
Nur wir allein ziehn sehnsuchtstrunken
Dem gold'nen Venussterne nach.

Der führt uns dunklen Wegen zu
In zärtlichem Begleiten. -
Das Herz blüht auf von Glück und Ruh ...
Das Ziel, dahin wir selig schreiten,
Wir ahnen's beide, ich und Du ...
(S. 66)
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Aus schweren Nächten ...

In meine Nächte zittert manche Träne
Kein Traum schließt meine wunden Augen zu ...
Oh, wie ich mich nach Deinen Lippen sehne
Nach ihrem glockenreinen weichen "Du"!

Oh Gott, nur Deine leise Hand zu fühlen
Und Deiner Finger stummen Liebesdruck,
Die mild die fieberheißen Pulse kühlen!
Minuten nur!! - Mir wär es Glücks genug ...
(S. 68)
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Meine Liebe

Ich hasse Frauen mit dem satten Lächeln,
Das nur Erfahrung und Gewohnheit gibt,
Die prahlerisch gereifte Reize fächeln. -
Ich hasse den, der solche Schönheit liebt.

Aus stillen Augen will ich Funken schlagen
Bis sie in heißer Liebeslust erglühn,
Will blassen Mädchen meine Träume sagen,
Durch deren Parke ihre Bilder ziehn.

Will Glieder fühlen, die es nicht verspürten,
Daß sie dem Leben schon herangereift,
Die Lippen schmiegen auf die unberührten,
Die nie ein tatgewordner Wunsch gestreift.

Ich will nur elfenzarte Finger küssen,
Durch die das Blut mit blassem Leuchten rinnt,
Ich liebe Mädchen, die nicht Wahrheit wissen,
Ein armes, stilles lebensfremdes Kind.

Doch dieser weiß ich tausend Seligkeiten
Aus unverbrauchter Jugend heißer Glut,
Um ihre Glieder will ich Königspurpur breiten
Wenn sie im Banne meiner Arme ruht.

Sie will ich dann das Glück der Liebe lehren,
Das weit hinauf in Himmelsfernen trägt,
Sowie von opferflammenden Altären
Die Lohe jauchzend zu den Sternen schlägt ...
(S. 69)
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Nun weiß ich ...

Mich hat ein süßer Traum bewegt,
Durch Wochen, Nacht für Nacht.
Ich hatte seines Glücks nicht acht;
Doch wie mir heut der Morgen sacht
Den Schlummer von den Lidern trägt,
Hab' ich an Dich gedacht.

Nun weiß ich, wer das frohe Licht
In meine Nächte spinnt.
Denn ihr verklärtes Traumgesicht
Ist nur Dein liebes Angesicht.
Das heiligt sie so tief und schlicht,
Daß sie voll Sonne sind ...
(S. 70)
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Sehnsucht

Niemals hab ich Liebeslust empfunden
In den raschen, mauerschwülen Stunden! -
Hier im alten Parke, wo nur noch verspätet

Sonnenblitze schimmern und die Stimmen
Müde in die Dunkelheit verschwimmen,
Möcht' ich lieben, wenn der Abend leise betet. -

Treten möcht' ich durch die offne Pforte
Und im Dämmer einer Liebsten Worte
Flüstern, bis Gewährung ihre Wange röthet,

Dort, wo hinter goldumglänzten Gittern
Rote Rosen in Erwartung zittern
Vor dem Herbst, der sie in seinem Arme tötet ...
(S. 72)
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Ahnung

Die Sonne endet ihre Reise, -
Wir wandeln unsern Park entlang.
Von ferne summt noch eine Weise ...
Wir horchen hin ... Und leise, leise
Zieht es uns mit in Wort und Klang,

Als wollte alles sich erfüllen,
Was in uns noch in Blüten steht. -
Wir ahnen den geheimen Willen,
Und unsre Liebe neigt die stillen
Versehnten Augen zum Gebet ...
(S. 73)
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Erfüllung

Uns will der lange Sommertag nicht enden,
Wir schreiten immer tiefer in den Park hinein,
Und frohen Herzens, mit verschlungnen Händen
Begrüßen wir den Tagestod und senden
Die haßerfüllten Blicke in den Abendschein.

Wir hassen seine grellen Sonnenstrahlen,
Wir lieben nur die liebesdunkle Nacht,
Da rauscht der Springbrunn in den Porphyrschalen
Und raunt ein Lied von unsern Sehnsuchtsqualen,
Und wie die späte Liebe dann erwacht.

Und ringsum in den abendwinddurchwehten
Tannwipfeln rauscht der duftgeschwellte Klang,
Und zittert wieder aus den mondlichtübersäten
In warmen Duft gebetteten Geranienbeeten
Und weckt in uns den wundersamen Drang ...

Auf allen Wegen träumt das große Schweigen,
Das Mondlicht sickert silbern durch's Geäst,
Die Sehnsucht spielt auf zaubersüßen Geigen ...
Da, unter schattenschweren, dunklen Zweigen
Erblüht nun unsrer Jugend heil'ges Fest.

Und sorgsam webt der Abend dichte Schleier ...
Im fernen Äther ist ein Sternenreich erblüht,
Und glitzernd ruht sein Bild im friedesstillen Weiher.
Der Park ist aufgeblüht ... Zu unsrer Liebesfeier
Singt er der Klänge und der Düfte schönstes Lied.
(S. 74)
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Erste Schatten

Die Liebesworte sind verzittert,
Und heimlich wird die Frage laut:
"Wird all' das Glück uns eigen werden,
Das uns [die] heiße Sehnsucht baut?"

Wir wagen's beide nicht zu sagen,
Wir beten nur und atmen kaum. -
Das Schweigen irrt mit Silberschwingen
Durch den resedenschwülen Raum ...
(S. 75)
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Ausklang

Wir beide blicken, Hand in Hand geschmiegt,
Gemeinsam in das gleiche Buch hinein.
Es ist so still. - So still. - Verzitternd liegt
Am Himmel dunkelroter Sonnenschein.

Ganz still ... Nur ab und zu ein Blick
Die Augensterne grüßen sich entgegen
Und schimmern feucht von übergroßem Glück ...

Und leise naht der Herbst auf laubbedeckten Wegen,
Greift in die Blätter, die im Sommertode starben
Und treibt sie hin in kindisch-frohem Spiel.
Er nimmt den Wipfeln ihre fröhlichbunten Farben
Und schneidend ist sein Atemzug und kühl.
Der Wind knirscht zornig in den schwachen Ästen,
Die biegsam seinem rohen Ansturm weichen
Und seine Wut verschäumt nun an den wetterfesten
Jahrhundertalten, sturmgewohnten Eichen.

Auch hoch zu unsern Häuptern murren da und flüstern
Die Gipfelkronen wehmutsvolle Herbstesmelodien,
Und kranke, müde, dunkelbunte Blätter knistern
Herab zu unserm Buche hin . . . .
. . . Wie breite schwere Blutestropfen!

Wir fahren auf. - Die wilden Herzen klopfen,
Und unsre Blicke treffen sich in banger Frage
Und meiden sich und suchen stets sich neu:
"Der Herbst schon da? Dahin der Sonnenschein
All unsrer jugendfrohen Sommertage?
Der goldne Liebestraum vorbei? ...

Kein Wort, kein Blick. - Denn in uns brennt ein Sehnen
Nach unserm Sommerglück, der Liebesnächte engem Kreis.
Und mühsam zwingen wir die aufgequollnen Tränen
Da jeder doch den Herbst - das Ende - nahe weiß.

Es ist so still, so furchtbar still. - Kein Ruf, kein Laut! ...
Die Nacht durchschreitet riesenhaft das Heidekraut,
Sieht uns mit dunklem Auge an und winkt uns zu:
Kommt in mein Reich, dort habt ihr Traumesruh. -

Doch wir, wir wandeln schmerzversehnt und zag.

Da plötzlich klingt ein wehmutsvoller Nachtigallenschlag,
So schmerzdurchtönt und trauervoll und lind
Aus dunkelübersponnenem Geäst ...

Da wird zur tiefer Qual das stumme Sehnen,
Und bald hat sich der unnennbare Schmerz gelöst,
Der nun in wilden, glühendheißen Tränen
In diese erste dunkle Herbstesnacht verrinnt.
(S. 76-77)
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Blühen

Die Mädchen in den ersten Tagen
Des Frühlings sind so wunderbar.
Noch wissen sie es nicht zu sagen
Und fühlen doch wie Kronentragen
Die Blüten hoch in ihrem Haar.

Des Windes leisen Violinen
Wandern sie nach im Lenzgebet,
Und eine Sehnsucht ist in ihnen,
Die ihre blassen Träumermienen
Mit vielen Feuern überweht.

Und aller Dinge dumpfes Streben
Gewinnt in ihnen seinen Sinn.
Der jungen Erde Rausch und Beben,
Sie tragen es mit ihrem Leben
Schon träumend in den Frühling hin.
(S. 102)
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Die Zärtlichkeiten

Ich liebe jene bangen Zärtlichkeiten,
Die halb noch Frage sind und halb schon Anvertraun,
Weil hinter ihnen schon die wilden Stunden schreiten,
Die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.

Ein Duft sind sie; des Blutes flüchtigste Berührung,
Ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand -
Sie knistern schon wie rote Funken der Verführung
Und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand.

Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben
Noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt,
Wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben,
Der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.
(S. 103)
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Das fremde Lächeln

Mich hält ein leises Lächeln gebannt.
Es hing
Ganz licht und lose am Lippenrand
Einer schönen Frau, die vorüberging.

Die fremde Frau war schön und schlank,
Und fühlte ich gleich, es zielte ihr Gang
In mein Leben.
Und dies Lächeln, das ich in Glut und Scham
Von ihren zartblassen Lippen nahm,
Hat mir ein Schicksal gegeben.

Wie ist dies alles so wundersam,
Das Lächeln, die Frau und mein sehnender Traum
Versponnen zu törichten Tagen.
Mein Herz verirrt sich in Frage und Gram,
Woher dieses seltsame Lächeln kam,
Und weiß ich doch kaum,
Wieso mir das heimliche Wunder geschehn,
Daß ich, erglutend in Glück und Scham,
Ein Lächeln aus fremden Leben nahm
Und in das meine getragen.

Ich fühle nur: seit
Ich das Lächeln der leisen Lippen getrunken,
Ist die Ahnung einer Unendlichkeit
In mein Leben gesunken.
Meine Nächte leuchten nun still und lau
Wie ein Sternengezelt
In beruhigtem Blau.
Und der zarte Traumglanz, der sie erhellt,
Ist das Lächeln der Frau,
Der viellieben Frau,
Der schönen, an der ich vorüberging,
Der fremden, von der ich ein Schicksal empfing.
(S. 104)
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Terzinen an ein Mädchen

Seit deine Hände kühl an meinen ruhten,
Fühle ich traumhaft ihre weiße Schwinge
Tief in die Stille meiner Stunden fluten,

Doch eingebannt im Bilde vieler Dinge:
Bald ruhen sie wie schöne weiße Schalen,
Bald knistern sie um eine blaue Klinge,

Verblassen jetzt zu kränklichen Opalen
Und sind nun selbst wie schmachtend matte Frauen -
Doch immer ist in ihren schmalen, fahlen

Gelenken, die das Netz des bleichen blauen
Geäders zart und rätselhaft durchgittert,
Ein irres Leuchten und ein stummes Grauen.

Ist dies mein Traumglanz nur, der so gewittert,
Oder ist Funkenspiel dies deiner Seele
Ein fahles Fieber, das in dir aufzittert

Und das du niederringst mit stolzer Kehle? -
O leih mir, Seltsame, die kühlen Hände,
Doch nicht, daß ich sie so mit Fragen quäle

Und böser Stunden Spur in ihnen fände.
Ganz leise nur, ganz lieb will ich sie nehmen
Und wunschlos halten, deine blassen Hände,

Als wären sie zwei weiße Chrysanthemen.
(S. 105)
_____



Die Hände

Eine stille große Güte
Wacht nun zärtlich um mein Leben.
Zweier Hände weiße Blüte
Fühl ich durch mein Dunkel schweben.

Meine Seele klingt von Lachen
Doch sie wagt sich kaum zu rühren,
Denn sie fürchtet, ein Erwachen
Könnte ihren Traum entführen.

Und sie läßt die schlanken Hände
Wortlos zu sich niederneigen,
Aber wundersame Spende
Wacht und wartet in dem Schweigen.

Denn im Schweigen dämmern Reime,
Die sich sacht zu Versen bauen,
Und aus halberschloßnem Keime
Hebt sich leuchtend das Vertrauen,

Dieses selige Erleben
Als ein Lied den schmalen, weichen
Händen, die es mir gegeben,
Tiefbeseligt darzureichen.
(S. 106)
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Neue Fülle

O welch Glühn in fremde Hülle,
Da mein Mund an deinem hing!
Doch schon fühlt ich neue Fülle,
Als ich heimwärts von dir ging.

Und so schenkt ich mich der Ferne,
All die Sehnsucht sank in sie,
Und mein Herz und Nacht und Sterne
Rauschten gleiche Melodie.
(S. 107)
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Die Nacht der Gnaden
Ein Reigen Sonette

I.
Ein schwarzer Flor umkränzte die Gelände.
Wie Boote segelten am Himmelsmeer
Die letzten lauen Abendwolken her
Und gossen Schattenschleier um die Wände.

Das Zimmer dunkelte. Die heißen Hände
Der beiden lagen willenlos und schwer
In ihrem Schoß und suchten sich nicht mehr.
Die leeren Worte waren längst zu Ende.

Sie bebten beide. Und ein Schweigen kam
Mit banger Schwüle. Er hielt sie umfangen
Und flehte ohne Wort: "Sei mein! Sei mein!"

Sie zitterte. Die Blüte junger Scham
Wuchs purpurn über ihre blassen Wangen,
Und Tränen stammelten: "Es darf nicht sein."


II.
Da ließ er sie: "Ich will dich nicht betören.
Sei du nur mein, wenn du es längst schon bist.
Nicht eine Gabe sollst du mir gewähren,
Gib mir nur das, was lang mein eigen ist.

Sei mein, so wie sich mit den Sternenchören
Der Himmel flutend in die Nacht ergießt,
Und Seligkeiten werden uns gehören,
Durch die der Strom der Ewigkeiten fließt.

Willst du den Kelch der Sünde nicht nur nippen
Und ganz dein Sein an eine Nacht verschwenden,
So wird bis an die Grenze deiner Tage

Ein Leuchten sprühn von ungeahnten Bränden
Aus dieser Nacht!" - Wie eine bange Klage
Umfing ein zartes Lächeln ihre Lippen:


III.
"Was alle andern Schmach und Sünde nennen,
Wär mir ein Pfad zu lichten Seligkeiten,
Wenn nur auf meinem Mund, dem schmerzgeweihten,
Die roten Male deiner Küsse brennen.

Doch du bist Horcher in die Ewigkeiten,
Von denen mich die dunklen Wolken trennen.
Mich ließ nur Sehnsucht meine Jugend kennen
Und nicht die Träume, die zum Lichte leiten.

Drum will ich mich nicht deinem Willen senken,
Ob auch ein jeder Puls in meinen Gliedern
Mit seiner Sehnsucht dir schon angehört.

Ich bin zu arm, dir Liebe zu erwidern,
Und bin zu stolz, um Armut zu verschenken,
Denn sieh: Ich weiß, ich bin nicht deiner wert!"


IV.
Da sprach er sanft - und wie von Orgeldröhnen
War seine Stimme wundersam bewegt -:
"Wer so wie du den Glanz der Güte trägt,
Ist auserwählt, ein Leben licht zu krönen.

Oh fühlst du nicht, wie in verwandten Tönen
In uns der rasche Takt des Blutes schlägt
Und wilde Flamme in der Tiefe regt,
Um sich in unserm Einklang zu versöhnen?

Ich glüh in dir, du glühst in meinem Leben,
Zu neuer Einheit drängt dein junger Schoß
Und will den Ewigkeiten sich vermählen.

Sei mein! Erst wenn uns übermächtig groß
Die Schauer eigner Schöpfungslust durchbeben,
Rauscht eine Welt in unsern freien Seelen."


V.
So sprach er glühend. Und sie beide standen
Im Bann des Blutes, wortlos wie verzagte
Verlorne Pilger nah den lichten Landen,
Wo schon das Frührot der Erfüllung tagte.

Dann kam ein Seufzen ... als ob Weinen klagte ...
Ein Knistern wie von sinkenden Gewanden ...
Ein banger Ruf ... Und als sein Auge fragte,
Ob sie der Sehnsucht wildes Wort verstanden,

Ward jählings Glanz in seinen Blick getragen,
Wie Glanz von Firnen ... Aus dem Dunkel blühte
Gleich einer Lilie schlank und nackt ihr Leib.

Da schwieg sein Herz. Er wußte nicht zu sagen,
Wie ein Gebet durchdrang ihn ihre Güte,
Und diese Nacht ward sie ihm Gott und Weib.


VI.
Ihm aber war in dieser Nacht der Gnaden,
Als fühlte er die Welt zum erstenmal.
Er sah die Sterne auf beglänzten Pfaden
Wie Boten wandeln durch den Himmelssaal,

Sah weit das Leuchten über den Gestaden,
Der Morgenröte purpurblassen Strahl,
Fühlte die Winde, wie sie duftbeladen
Sich wiegten in den Wipfeln ohne Zahl,

Sah Frucht und Blüte über den Geländen
Und Saat und Segen. Erst in dieser Nacht
Ward ihm das Wunder aller Schöpfung wahr.

Und wie ein Kind, das in die Welt erwacht,
Nahm er aus diesen milden Frauenhänden
Die neue Pracht, die längst sein eigen war.
(S. 109-112)
_____



Der Verführer

Ich weiß nicht mehr, wie mein Leben war,
Bevor ich die Frauen kannte.
Ich weiß nur, ein dunkles Beben war
In meinem Blute, wenn ich zur Nacht,
Aus einem lockenden Traum erwacht,
Die Dinge mit fremden Namen nannte.
Da warf ich mein Fieber in Bücher und Bild,
Bis sie mir ganz gehörten,
Durch die Gassen stürmte ich wild
Und durch die dunkelnden Gärten.
Alle Dinge, die ich berührte,
Scheinen mir Rätsel und raunende Worte.
Ich fühlte vor mir die offene Pforte
Und war doch zu zag,
Die andern zu fragen, wohin sie mich führte.

Und wußte es endlich an einem Tag.

Kaum sinn ich noch, wer die erste war,
Von der mir die wilde Erkenntnis kam.
Mir ist nur, als ob ihr gelöstes Haar
Mich manchmal wie flüsternder Duft umwehte
Und ihre sterbende Mädchenscham
Noch einmal in meine Augen flehte.

Doch ich nahm
Sie hart, wie Tiere ihre Opfer packen,
Nahm sie in trotziger Knabenart.
Da, - durch den Schleier der Wollust sah
Ich glühend nah
Ihr Auge in eigenem Lichte flacken.
Dieser seltsame Blick!
Von Haß und Qual ein brennender Stoß
Und doch namenlos
Glänzend von einem quellenden Glück,
Tiefster Traum dem Trotze gepaart,
Als zitterten diese gierigen Augen,
Mit ihrem Hasse mich in sich zu saugen,
Als ob das Feuer, das rot sie durchrollte,
Mich ganz in den Flammen vernichten wollte.

Und ein tolles Verlangen hat mich gedrängt,
In allen Frauen
Ewig nur mehr diesen Blick zu schauen,
Tiefste Sehnsucht, begehrendes Grauen,
Weigern und Wille und Widerstand
Funkelnd in einem einzigen Brand. -
Und die sinkende Hand und über den Wangen
Wie stürzende Welle das rote Verlangen,
Die wilde Minute,
Da allen Sinnen das Band zerreißt
Und lodernd im Blute
Die Flamme des ewigen Willens kreist.

Seit jenem Tage hab ich verlernt,
Die laue Anmut der Städte zu sehn,
Die Wolken, die über die Wälder wehn,
Mit den Frühlingswinden über das Feld
Erschauernd zu gehn.
Mein Himmel ist nur mehr mit Frauen besternt
Und schwingt um mich als ewige Welt.
An ihnen zähle ich Stunden und messe
Tage und Taten nach ihrem Maß,
Denn der Tag, an dem ich keine besessen,
Ist einer, an dem ich zu leben vergaß.

Oh, von des Dunkels sinkendem Pfad
Leise schauernd ins laue Bad
Ihrer weißen Leiber zu gleiten,
Und von ihren vollen
Atmenden Brüsten
Wie von weichen Wellen gehoben
Zu den fernen lockenden Küsten
Unbekannter Lüste zu rollen,
Ganz in die purpurnen Tiefen der schwülen
Fremden Seelen sich einzuwühlen.

Und dann des Morgens die schimmernden Ranken
Ihrer Arme, die wild mich umblühten,
Sanft zu lösen von atmender Brust,
Nicht mehr zurücksehn, nicht mehr ihr danken,
Vorwärtsfiebernd mit neuerglühten
Sinnen fort in die Ferne zu wandern
Hin zu den andern
Harrenden Meeren der ewigen Lust.

Mein Weg geht weiter, ich halte nicht Rast.
Der Sehnenden Schrei,
Der Stöhnenden Fluch,
Der Verlassenen Schmach
Hetzt mir nach,
Doch schrill wie ein Tuch
Reißt hinter mir mein Leben entzwei.
Dem Unbekannten bleib ich nur Gast,
Was ich erstrebte, ist nicht mehr Begehr,
Was ich erlebte, leb ich nicht mehr!

Mein Weg geht weiter, wie durch den Wald
Gottes zornige Stürme brechen.
Ich werde nicht alt.
Die Gewalt
Der Sehnsucht befeuert
Mein Blut und erneuert
Den Willen, den tausend Siege nicht schwächen.
Denn jenes tiefste Geheimnis ist mein
Zu sein
Wie das Feuer, kaltfunkelnd im Edelstein,
Glut aus allen Poren versprühend
Und nie doch verglühend.
Der Atem von jenen, die ich bewältigt,
Hat meine Kraft nur vertausendfältigt.
Meine Seele flammt von der andern Licht,
Sie funkelt: und doch, sie verzehrt sich nicht.

Sie aber reißen sich nicht mehr los!
In allen den andern, die später kamen,
Liebt ihre Seele nur meinen Namen.
Aus zuckendem Schoß
Werfen sie Kinder ins Leben hinein.
Die sind nicht mein
Und ziehen doch nur meine Träume groß.
In ihren Augen
Glimmen die Funken von meinen Gelüsten,
Und sie saugen
Das Fieber aus ihrer Mütter Brüsten.
So kreist mein Wille in ewiger Flut,
Sie erben die Glut,
Und stumm schon hinter des Todes Türen
Werd ich noch tausend Frauen verführen.

Aber manchmal scheint dies alles so klein!
Denn hart vorüber am suchenden Blick
Laufen Straßen ins Land zurück.
Und Städte mit vielen Menschen sind
Irgendwo weit hinter Woge und Wind,
Und viele Frauen müssen dort sein,
Sanfte Frauen mit wiegendem Gang,
Und heiße, von vielen Träumen ermattet,
Kinder, in deren Abendgesang
Ein erster fremder Gedanke schattet.
Alle
Haben mich nie gesehen,
Alle
Müßten erglühend vor mir stehen.
Der Gedanke verstört
Mein Glück, daß nicht alles mir gehört.
Ich will es nicht denken,
Daß Frauen sich auch an andre verschenken.
Ich wollte sie alle an meinen Händen,
Alle fühlen wie funkelnde Ringe,
Alle besitzen und alle verschwenden.
Ich möchte die Welt wie ein glühendes Weib
An meine verlangende Seele betten
Und ihren Leib
Mit den Flammen meiner zwei Arme umketten.
Alles, was lebt und lockt in den Dingen,
Möchte ich wie eine Frau bezwingen.

Doch was ich erfasse, es ist nur Teil.
Die Sehnsucht, der ewig blühende Pfeil,
Ob ich ihn rastlos ins Ferne versende,
Ewig schmettert sein Schwung am Ende
Bodenwärts
Und bohrt sich brennend ins eigene Herz.
(S. 119-123)
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Wie die Schwalbe ...

Wie die Schwalbe mit silberner Schwinge
Über die schläfernden Wasser blitzt
Und in ihr Blinken zitternde Ringe
Mit dem dürstenden Schnabel ritzt,
Fließende Spuren, die nicht verwunden,
Leise nur rühren, leise erschüttern -
Ach, so neigen und nahen sich
In meine einsam dunkelnden Stunden
Stille Gedanken, du Ferne, an dich.

Zart umgoldet von heimlicher Glut,
Schwalben der Sehnsucht, mir Tröstung zu bringen,
Streifen sie scheu mit zaghaften Schwingen
An mein Herz, das stilldunkel ruht.
Selig fühl ich sie nieder sich senken
Lust und Wehmut durchschauert mich,

Und ich zittre in süßem Gedenken,
Liebste, an dich.
(S. 164)
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Ein paar Verse ...

Ein paar Verse zum Erwachen,
Liebste, nimm in deinen Tag!
Eine frohe froh zu machen,
Sei, was sie entschulden mag,

Daß sie sich so ernst bemühen
Und so voll gemessen sind,
Statt zu flammen, statt zu glühen,
Statt zu flackern wie ein Wind,

Statt dich brennend zu umfangen,
Bis du, Liebe, Herz und Hand,
Stirn und Lippen, Brust und Wangen
Loderst in beseeltem Brand.
(S. 165)
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Aus: Stefan Zweig Silberne Saiten. Gedichte
Herausgegeben und mit Nachbemerkungen versehen
von Knut Beck
S. Fischer Verlag 1982 / 1996
 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Zweig



 

 


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