Max Herrmann-Neiße (1886-1941) - Liebesgedichte

Max Herrmann-Neiße



Max Herrmann-Neiße
(1886-1941)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 




Ach, wärst Du mein! - Was brächte ich nicht alles
dem lieben Leckermäulchen abends mit! ...
Konfekt und Pralinés und Schokolade
oder ein Körbchen schwer von süßen Früchten,
Samtpfirsich, Ananas, Orange, Erdbeer -
und Blumensträuße brächte ich Dir mit,
Dein Auge schwelge in dem Sonnenfeuer
der duft'gen Blütenzweige - Hyazinthen,
Jasmin und Flieder - purpurglühen Mohn
und Leuchter schenkt ich Dir, aus Malachit,
die nächtens unser Fürstenzimmer schmückten,
schlank leichtgewundne grüne Kupferleuchter -
und zierliches Porzellan: Rokokodämchen,
mit weißen Reifröcken - Rokokoherrchen,
betreßte Kavaliere, mit dem Degen,
dem silbernen, leicht tändelnd an der Seite,
mit weißgepuderten Perücken nickend -
und feingeschliffne Kelche aus Krystall,
die füllte ich mit abendrotem Weine,
dann stieß ich jauchzend mit Dir, Fürstin, an
und hell wie Geigen summten unsre Gläser,
und klar wie Schlittenläuten kläng' Dein Lachen -
Ja, ja - Windspiele kaufte ich Dir auch,
die sich mit Dir graziös hinschnellend jagten
in meines Parkes weichen, weiten Gängen,
und in Dein übermüt'ges Mädchenlachen
erklingt der Vögel jauchzendes Gezwitscher -
und abends dann, in schwülen Sommernächten,
wenn in den Gräsern laut die Grillen zirpen,
fahr ich Dich auf den wolkendunklen Teich -
denn einen Teich auch hab' ich angelegt,
und Marmorstufen führen da hinab,
und Weidenbüsche stehn um ihn herum,
und Fliedersträucher tauchen ihre Zweige,
die Blütenzweige, schwer vom Tau der Nacht,
tief in die blauen Fluten - Und wir schaukeln,
glutüberhaucht vom fernen Abendglanz,
Durch all den Schimmer, Dunst und Duft und Traum,
- Still zittern da die Blüten - um uns ziehen
milchweiße Schwäne ihre weite Bahn
und majestätisch bauschen sie die Federn,
und feierlich umkreisen sie die Barke ...
dann fließt das Mondlicht über unsern See,
am Ufer stehn die Weiden ernst empor,
die Rosen leuchten von dem Park herüber, -
Wir gleiten durch den bleichen Silberspiegel,
Du läßt Dein langes Haar im Wasser streifen,
von klaren Tropfen perlt die feuchte Bürde ...
Ein Glühwurmpärchen taumelt über uns ...
Seerosen blühen aus dem Schilf empor,
auf feinen Stilen matte Blütenkelche,
auf Lilienstengel violette Schalen -
die Wellen murmeln leis um unsern Nachen ...
Stumm liegt der Hain mit seinen tiefen Schatten
dort drüben - eine Nachtigall nur schluchzt
ihr bebend, wonnesüßes Liebeslied ...
Da ist auch Dir Dein Krönungskleid zu eng -
der Marmorschimmer Deiner Büste blendet ...
Still taucht das Ruder in die dunklen Fluten.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Hoch über uns die lichte Perlenkette
der Sterne - Königin! -
Ach, wärst Du mein!

Ach, wärst Du mein!
In schneeglanzschimmernden Flor hüllt' ich die Gliederlein
Wie Elfenbein
so zierlich fein
behutsam ein.
Dein schmales Füßchen steckte ich
in seidenweichen Purpurschuh,
die Dunkellocken deckte ich
mit gold'nem Diademe zu.
Dann, um die Schultern hing' ich Dir
ein himmelblaues Atlaskleid,
und um den Nacken schling' ich Dir
ein perlenleuchtendes Geschmeid.

Das Kleid, ganz einfach, ernst und schlicht,
und kurz, daß man die Füßchen sieht,
ans Miederchen ein Sternblumlicht,
dann bist Du wie ein Frühlingslied,
ein Frühlingslied, voll Lust und Mai,
ein Frühlingslied, so duftig zart,
ein stiller Sang, wie "Liebelei"
in Schnitzlers duftig zarter Art.
Am Hals ein Kettlein von Korallen
ein gold'nes Kreuzchen schwebt darin, -
dann ruf ich meine Kronvasallen:
"Kommt! Das ist Eure Königin!
Mein klein Gemahl!
Schwingt Euren Stahl,
und laßt dreimal
das Jubel-"Heil!" erjauchzen durch den weiten Fürstensaal!"
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- Doch so - wie schaal!

Nachts kann ich den Schlaf nicht finden,
denn Dein Bildnis will mir nicht schwinden,
bin ich sachte entschlummert kaum,
stehst Du vor mir: ein schöner Traum!
Ein schöner Traum! - doch ach! nur ein Traum!
Nur Nebel und Dunst und Rauch und Schaum!
Und wieder vergrab ich das heiße Gesicht
in die Kissen. - Warum! Ach, warum nur nicht!?
... Komm abends zu mir ... Ich lösche das Licht ...
und wir sind gleich! ... Du sieht mich nicht,
ob ich schön ... ob ich jung ...
Laß mich kosten den Trunk!!! ...
Ich fühle ... ich taste ... nach Dir,
nach all' Deiner jungen Zier ...
Komm - komm Du zu mir!
An den nachtdunklen Ort!!
Du fühlst nur den Menschen ... der Krüppel ist fort ...
Und Du hörst nur das eine heißatmende Wort ...
Es erklingt ein Akkord ...
immerfort ... immerfort - - -
Kein Mißton: Es packte
der Nackte die Nackte - - -
Zwei keusche Lippen berührten sich
Du und Ich!!!
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Dann schläft ein Kranker friedlicher ein
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Ach wärst Du mein!!!
(Band 1 S. 19-22)
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I.
Ich las "Ihr" meine Gedichte vor,
Denn ich war ein armer einfältiger Tor. -
"Sie" - hat nur den Nachbar angesehn,
Dann stotterte sie verlegen: "Sehr ... schön ..."

II.
Ich las "Ihr" meine Gedichte vor ...
"Sie" lieh nur dem Nachbar ihr willig Ohr,
Der raunte von einem Himmelbett ...
Da wurde sie rot und zirpte: "Sehr ... nett ..."

III.
Ich las "Ihr" meine Gedichte vor,
Von dem Mädchen, das ich zum Lieb' erkor,
und - wie mich das Mädchen betrogen,
und wie mir die Liebe gelogen ...

IV.
Und daß ich ein kranker, gebrochener Mann,
und daß ich nun nicht mehr lachen kann,
nur klagen und trauern und weinen -
Das wollt "Ihr" so komisch scheinen.

V.
Und als ich tobte in wildem Schmerz -
Da hielt sie das für 'nen guten Scherz,
und flötet zum Nachbar: "Das wußt' ich,
wenn der kommt, wird's immer so lustig ..."

VI.
Da hab ich mein Büchlein zugemacht,
Doch "Sie" hat immer nur lauter gelacht,
Dann bat "Sie": "Ach, lesen Sie weiter,
ich war ja noch nie so heiter ..."
(Band 1 S. 28-29)
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I.
Es zieht etwas durch die Luft ...
So wie Rosenduft,
So wie Frühlingserwachen - - -
Ein verstecktes Lachen,
Ein geheimes Flüstern,
Bald keusch - bald lüstern -
Ein lockendes Singen,
Ein Klingen
Wie von bebenden Engelsharfen ...

Auf blütenbesätem Baum
Flötet die Nachtigall
Ihr Lied im Jubelschall ...
Drunter: ein schöner Traum,
Ein seeliges Märchen:
Kost ein Pärchen.

Fest umschlungen
Sitzen die Jungen:
Die leben die erste Wonne -
Golden leuchtet die Frühlingssonne.

II.
Es zieht etwas durch die Luft ...
So wie Grabesduft,
So wie Winterahnen,
Wie ein ernstes Mahnen,
Wie verhaltene Tränen,
Wie ein stilles Sehnen,
Wie ein leises Schlafen
Im Hafen,
Wie ein träumendes Schlummerlied ...

In schneeverwehter Hütte sitzt
am warmen Herd ein greises Paar.
Es schimmert silberweiß ihr Haar.
In ihrem Aug' ein Funke blitzt
von alter, heißer Liebesglut ...
Sein Runzelgesicht an ihrem ruht.
Die Hände gefalten
nicken verträumt die Alten:
und träumen den letzten Traum -
Der Eiswind klagt in dem düstren Raum.
(Band 1 S. 49-50)
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Mit Blüten wollte ich Dich überschütten,
Mit weißen, flatternden, duftigen Flocken,
Die Dich wie Amoretten umgaukelt,
Tändelnd um Nacken und Brüstchen geschaukelt,
Und zärtlich gestreichelt die goldigen Locken ...

Ich ging durch ein Dorf, auf dessen Hütten
Die Sommersonne versengend brannte;
Wo vor verhängten Fenstern in Scherben
Kranke Blumen fiebernd versterben - - -
Der ich Dein jauchzendes Lachen kannte!

Ein Teich träumt da, ein totes Auge.
Umsäumt von dürren, verwelkten Kressen,
Ein ausgestorbener Saal, ohne Zecher.
Bienen umsummen die leeren Becher - -
Könnt ich Dein jauchzendes Lachen vergessen!
(Band 1 S. 66)
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Nur Deine Hände, Deine weißen Hände
Und alles, was in ihnen weint und lacht!
Wenn ich Dich eines Abends - Ally - schände,
So zittern sie wie Vögel in der Nacht.

Ach Deine Hände mit den Silberringen,
So schmal, so leuchtend wie aus Elfenbein, -
Wie Deiner Laute Lieder weicher klingen ...
O Myrrhen und Krystall im goldnen Schrein.

O meines Herzens tiefste Feuerbrände,
O jedes Lied, das Sehnsucht mir erdacht
O Deine Hände, Deine weißen Hände,
O alles, was in ihnen weint und lacht!
(Band 1 S. 68)
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Wir wollen näher aneinander rücken,
Noch näher .. so! nun gib mir Deine Hand!
Sahst Du im Sonnenstrahl den Tanz der Mücken,
Bis ihnen, allzu schnell, die Sonne schwand ...
Mich fröstelt noch - auch meines, Deines Lebens
Tänzelnde Spiele sterben bald in Nacht! -
Noch faß ich Dich und halte Dich - vergebens!
Die Stunde eilt, da wir uns, jäh erwacht,
Nach dieses Traumes Glück noch trunken bücken ..
Vorbei! - einsam, wie kalt! - Die Sonne schwand!
Wir wollen näher aneinanderrücken,
Noch näher .. so! - Und gib mir Deine Hand.
(Band 1 S. 70)
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Konfession

Ich aber bin der Kleinsten Einer
Und der Geringste unter ihnen,
Und bin nicht wert, dir scheu zu dienen,
Denn so verscheucht, als ich, ist keiner,
Und jeder hat in seinen Mienen
Doch noch ein: Keuscher Ich und Reiner!

Ich aber bin ein Ding voll schlechten,
Verpfuschten Schatten und Gerümpel
Und jeder Wollust toter Tümpel -
Der niedrigste von deinen Knechten
Ist neben mir ein stolzer Wimpel
Und prangt als Sonne der Gerechten!

Denn ich bin so vermorscht und kleiner
Als der verlorne Wurm im Staube,
Ich bin der Rest von deinem Raube,
Ich bin der Ausgestoßnen Einer
Und hab nur dies: Ich weiß und glaube
Und liebe dich so sehr, wie Keiner! ...
(Band 1 S. 113)
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Ich folge deinen Füßen - - -

Ich folge deinen Füßen bis
In jede Furcht und Finsternis!

Deine Hände machen mich weinen,
Sie sind die jungen Schwestern der meinen.
Sie leuchten über meinem Pfade
Als Sterne einer großen Gnade.
Sie könnten mir meiner herben,
Harten,
Verstörten Seele schweres Sterben
Glücklich machen und reich -

Ich bin so arm - ich kann nur warten!
Meine Hände sind zu greis und zu schwach
Zum Rauben und zum Erringen,
Sie sehnen sich bleich den deinen nach:
Du mußt sie ihnen bringen!
Sei weich!

Ich suche dich schon durch alle die Jahre,
Deine Füße flohen ins Wunderbare.
Deine Hände hielten sich immer verschlossen - -

Aber jetzt hab ich mein Blut vergossen,
Für dich vergossen!

Jetzt geht mein Blut dem deinen nach
In unser stillstes Brautgemach.
Du legst dich schwer auf mein Gesicht
Und hüllst mich in dein Haar.
Wie ein Taubenpaar
Flattern deine Füße an mir,
Deine Hände tun mir so Gutes.

Und eine weiche Stimme spricht:
Wir sind eines Blutes!

Dann trägt uns unsre Liebe bis
In jede Furcht und Finsternis - - -

In jede selige Finsternis.
(Band 1 S. 114-115)
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Und über meine Stirn streicht deine Hand ...

Oft ist es mir, als zöge deine Hand
Mich plötzlich bettelschüchtern am Gewand.

Ich aber muß verstockt so weiter schreiten
Und meine Augen über Pöbel breiten.

Ich bin in Stuben, die voll Qual und Qualm -
Und draußen blüht dein Astwerk und dein Halm!

Und draußen öffnet sich dein Himmel weiß
Über den kühlen Dingen. - Mich drängt heiß
Und heißer Heimlichkeit auf harten Bänken
Und Lärm und Kleinigkeit und Gift der Schenken,
Wo ich gekettet zwischen Wand und Wand -

Und über meine Stirn streicht deine Hand ...
(Band 1 S. 116)
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Erich

Ihn auch will ich preisen und benedein,
Den du jetzt mehr liebst, als mich: den Andern!

Ihn, zu dem deine Gedanken wandern,
Wenn du in meinen Armen ruhst - - -

Er muß wohl schön und gut sein,
Da du ihm so Liebes tust.

Er muß schöner sein und besser
Als ich armer Mann,
Da du mich vergessen konntest über seinen Küssen.

- Manche Mädchen lieben ja Neger und Feuerfresser,
Manche vergessen den Treusten bei Nelken und Nüssen.
Bei irgend etwas zum Naschen oder zum Schmücken,
Bei eines Papageien Buntheit oder eines Pferdes Rücken ..

Ich bin der, der dich nie vergessen kann
Und trägt in seiner Brust dein Messer!

Nur dann und wann in den Gassen,
Abends, wenn die elektrischen Lampen brennen,
Seh ich einer von den blassen Ladenmädchen
Vielleicht verliebter und zärtlicher unter den Hut
Und fühle, wie meine Zunge sich durch die Lippen drängt
Und meine Träume sie unbewußt "Geliebte" nennen.
Aber mein Herz und mein Tiefstes hängt
Immer an dir und weiß kein Trennen! -

Er muß wohl schön sein und tapfer und gut,
Blühender rauscht wohl sein junges Blut,
Als mein welkes fließt, das dich bebend umfängt ...

Nun ist keine Stelle
An deinem heiligen Leibe mehr mein,
Keine gehört mir ganz allein,
Keine ist die Schwelle
Zu einem ganz seltnen und heimlichen Glücke,
Immer führt zu ihm ein Brunnen und eine Brücke.

Er muß wohl schön sein!
Seine Hände sind wohl stärker als die meinen,
Er ist einer von den Blondgelockten, Reinen,
Deren Sinn noch nicht die Brunst verwirrte,
Der noch nicht zu Dirnen sich verirrte
In verlornen Nächten, und sein Weinen
Klingt wie Kinderweinen und hell sein Lachen,
Furchtlos blickt er, wie der Ritter mit dem Drachen,
Und ein Lilienfeld blüht morgens sein Erwachen.
Wenn er bittet, kann er seine Hände falten
Wie sehr junge Mönche, aber wenn er zornig ist, so halten
Sie den Stab ganz stolz, und marmorn strahlt sein Antlitz
im Erkalten.

- Was sind meine schwachen
Wehen, welken Hände, meine alten,
Welk von jeder Wollust, greis von jeder Pein ... -

Er muß wohl schön sein!
Sein Körper ist wohl wie eine Gerte,
Wie ein Florett, das sich blitzend biegt,
Wenn er an deine Hüften sich schmiegt,
Weißt du: Hier ist der sichre Gefährte,
Der Verheißene, Wunderwerte,
Der über die steilsten Stürme siegt!

Seine Augen haben noch nichts Schlimmes erblickt,
Froh und frei schauen sie in die Weite,
Kein Schluchzen hat seine Stimme erstickt,
Ihm hat keine Macht einen Fluch geschickt,
Ihm trabt kein Ekel mahnend zur Seite.

- Wie bin ich von Schuld und von Scham umstrickt! -

Keine Falte grinst weh um seinen Mund,
Er ist weiß wie Schnee und grad und gesund!

Er hat Freunde, aber er braucht sie nicht,
Er braucht auch nicht einen Hund
Oder sonst ein Tier oder Ding, mit dem er spricht,
Denn die ganze Welt steht mit ihm im Bund.
Seine Seele ist ohne Schlacken und rund
Wie ein goldner Ring, und sein Wollen
Gräbt sich lachend das Glück aus harten Ackerschollen.
Er ist wie ein Garten, der blüht,
Er ist noch sehr jung, er kann noch warten.
Er hat keine Visionen und Fratzengesichter,
Wenn er schläft, schläft er ganz ruhig wie ein Jäger
Im Waldesschatten. Er ist ein Mann!
- Aber ich bin ein zerstörter Dichter,
Ich bin der Sünder, der Kreuzesträger,
Ich bin der Matteste der Matten,
Ich bin, der dich nie vergessen kann,
Der dich trägt in seinem verdorbenen Blut,
Der alles verrät und sich selbst um deinen Kuß! -

Er ist wohl schön und rein und gut,
Er muß gut sein - er muß!

Wenn er dich enttäuschen könnte oder mißhandeln,
Deine Güte geißeln oder deine Liebe verkaufen,
Mit deinen süßesten Liebkosungen durch die Märkte wandeln
Und lügende Laster mit deinem Namen taufen,
So müßte ich ihn töten!
Ich könnte es nicht ertragen, ohne zu erröten,
Daß alle stinkenden Mäuler deinen Namen sagen,
Ich könnte es nicht ertragen, daß du um ihn weinst,
Denn du stehst so hoch über uns allen,
Daß noch die kleinsten Spenden, die aus deinen Händen fallen,
Jeden edler machen müssen und vollenden, den du meinst.

Er muß schön sein, weil du ihn mit Gnade bescheinst!
Seiner weißen Kindheit Halle hängt jetzt voller Fahnen,
Auf jeder Fahne flammt dein Spruch
Mit leuchtenden Lettern ekstatisch geschrieben!

Er soll Erich heißen, wie edle Jünglinge in alten Romanen.

- Ich bin ein Fluch und eine Flucht!
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Aber da du ihn liebst, muß ich ihn auch lieben - - -
(Band 1 S. 118-121)
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Orgie

Wir tappen tief durch Raps und Röhricht
Und Sumpf und Säume von wilden Wiesen
Und fallen nach Faltern und tuscheln töricht
Und narrn uns mit Mohnsam und müssen niesen.

Und wühlen uns wütend in Haufen Heues
Und juchzen und johlen wie fröhliche Fohlen
Und streifen ab unser Schwaches und Scheues
Und kreisen kreischend wie wehende Dohlen.

Spinnen kriechen uns über den Mund.
Ähren kitzeln keck unsre Nasen.
Mücken zerstechen uns Hals und Nacken.

Närrisch umbellt uns der kleine Hund.
Trunken wälzen wir uns auf dem Rasen,
Prustend wie Pane mit blühenden Backen.
(Band 1 S. 122)
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Die Melancholie singt am Herbstabend
durch die grauen Schatten dir zu, Leni:

Alles Glück verhallt,
Das ich kaum besessen -
Auch du wirst mich bald
Ganz vergessen.

Meiner Hände Hast
Und Sichseligbreiten
Wird zum Spuk verblaßt
Dir entgleiten.

Du wirst mein Gedicht
Nimmer krönend segnen,
Nie wird mein Gesicht
Dir begegnen.

Meiner Stimme Klang
Ist für dich ertrunken,
Mein beschwingter Gang
Tot, versunken.

Jedes weiche Wort,
Das ich einst gesprochen,
Ist in dir verdorrt
Und zerbrochen.

Keine Strophe blieb,
Kein Altar im Innern,
Kein "Ich hab dich lieb!",
Kein Erinnern.

Ich bin dir kein Traum,
Nicht ein fernes Grüßen,
Nicht der Wiesensaum
Deinen Füßen.

Welk ist jeder Kranz,
Eh ich ihn besessen -
Auch du wirst mich ganz
Vergessen - - -
(Band 1 S. 123-124)
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Das Letzte

Leg auf meine Stirn alle deine Lasten,
Breite auf mein Bett dein verstörtes Rasten.

Alle Müdigkeit, die dir andre brachten,
Laß in meinem Schoß übernachten.

Glück sind noch für mich deine Schmerzensstunden,
Wenn sie ihren Weg in mein Haus gefunden.

Deine Tränen noch, die um andre fließen,
Können einen Himmel mir erschließen.

Ruh dich aus bei mir von des Daseins Hasten,
Leg auf meine Stirn alle deine Lasten.
(Band 1 S. 125)
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Lied

Wir werden in Kammern liegen,
Deren Decken wie Dickicht sind,
An Wänden mit Bildern von Schwind,
In Betten wie ländliche Wiegen.

So werden wir hochzeitsreisen
Durch das herbstliche Land,
Heimatlich Hand in Hand
Über den leuchtenden Gleisen.

Am Tage der heiligen Stätten
Schimmerndes Glück und Gut,
Nachts unser singendes Blut
In den duftenden Betten!
(Band 1 S. 126)
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Warum müssen meine Hände welk werden - - -

Warum müssen meine Hände welk werden
Vom langen Warten!
Warum bringst du mir nicht deine Wunder
In die umflorten Dämmerstunden wieder,
Wo meine Sehnsucht hungrig hockt!
Wo blüht dein Schoßhaar weichgelockt,
Wo gibst du dich mit Heilandes Gebärden -
O zaghaft zarten! -
Und windest Wunder
Um Jünglingsglieder?

Du ließest königlich mich kosten,
Und nun vergeh ich dürstend auf den Steinen,
Und die Girlanden welken an den Pfosten,
Und ich hab nichts, was ich dir sagen kann,
Und keinen
Zauber oder Bann,
Du Licht aus Osten,
Dich wieder scheinen zu lassen über meinen Gebeten!

Denn ich bin nur ein Spielzeug deinen letzten, blassen Launen,
Ich bin der finsterte von allen Faunen
Und so zertreten,
Daß du recht tust, wenn du mich ganz vergißt!

- - - Aber ich werde an meiner Liebe sterben,
Das ist gewiß.
(Band 1 S. 127)
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Wenn Leni von mir ging - - -

Nun bist du wieder bei den fremden Leuten,
Die dir Geschwister, Vater, Mutter sind -
Und ich bin so allein mit allen oft bereuten,
Vergangnen Irrungen und, wie in einem Labyrinth,
In meiner Angst und Schwermut ganz gefangen -
So einsam! - - Denn du bist von mir gegangen ...

Nun kommt dir Liebkosung von fremden Händen,
Und deine Mutter sagt ein fernes Wort,
Und irgendwer liest was aus mir verhaßten Bänden,
Das führt dich von mir weit, weit von mir fort ...
Und mir verblühen alle Zärtlichkeiten,
Die ich nicht durfte auf dein Bett dir breiten.

Und meine Spenden durften dich nicht laben,
Und unberührt blieb mir mein Kelch zurück,
Und mir im Schoß, verschmäht, verderben alle Gaben,
Die ich dir sammelte, und alles dir bestimmte Glück. -
Und ach, dein Träumen sucht nach fremden Festen ...
Ich bin allein mit meinen Wehmutsgesten!
(Band 1 S. 128)
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Ich hab dir, Liebste, manches abzubitten - - -

Die abendliche Straße blüht im Blau,
Die alten Giebel lehnen wie Kulissen
An abendrotumsäumten Wolkenkissen,
Schlank steht der Rathausturm wie eine Frau.

Das neue Warenhaus protzt allzuhell
Mit lautem Licht und rauschenden Reklamen,
Vor seinen Fenstern dämmern bunte Damen,
Und Autos schießen rücksichtslos und schnell.

Doch deine Hände tragen noch den Duft
Der Apfelsinen, die du zierlich schältest -
Die Tage, da du mich so grausam quältest,
Stehn gegen mich und höhnen: Feiger Schuft!

Ich denke an den Ring, den ich dir gab,
Und daß du ihn seit Monden nicht getragen - - -
Ich möchte dir recht oft und innig sagen:
Ich fühle sehr, was ich verschuldet hab!

Ich möchte deine Hände küssen, nichts
Als: immer deine kühlen Hände küssen
Und nicht mehr diese Angst erleben müssen
Um das Entgleiten deines Angesichts.

Ich weiß, daß ich zuviel stets von dir will -
(Du bist ein Mädchen von sehr lockren Sitten ...)
Ich hab dir, Liebste, manches abzubitten -
Eins weiß ich auch: Ich liebe dich! Sei still!
(Band 1 S. 129)
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Dolcefarniente

Unter weißumblühten Bäumen
Mit der holdesten der Frauen
Faul und weich dahinzuträumen,
Sich besonnen ... still verdauen ...

Allem Bittren fern und Bösen
Süß zu dämmern und zu dösen,
Hingelümmelt zwischen Beeten:
Höchstes Glück des lang Erflehten!

Züge flitzen schneidig schneller,
Wo aus Fenstern Tücher winken,
Zarte Wölkchen himmeln heller,
Vögel hüpfen, Birken blinken.

Irgendwo zu allem Schönen
Hört man leis' Musike tönen.
Falter fliehn in irren Tänzen ...

Und wir glänzen - - und wir glänzen!
(Band 1 S. 131)
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Psalm für Leni

Deine Ohren sind Glocken, darin meine Zunge schwingt,
Blühende Lauben, in die meine Lippen schlüpfen,
Darin meine Zähne wie Vögel hüpfen,
Muscheln, in die mein Mund sich singt,
In ihnen nistet alles, was aus meinem Blut sich ringt:
Alle Klänge, die Romeos Strickleiter knüpfen,
Jeder Wind, der unsere Wege weiter winkt - - -

Dann blühn die Knospen deiner Brust in meinem Mund wie Klee,
Ich werde weit wie eine Welt und schmelze hin wie Schnee,
Und plötzlich sind wir eines Sommersüdens stiller See - - -

Du gibst mir Erde, Licht und Regen, welcher reift,
Du bist die Hand, die Früchte von den Zweigen streift,
Du bist des Schnitters Krug, des Bettlers Brot,
Des Pilgers Morgentrunk und Abendrot,
Du bist der Turm, von dem man Länder übersieht
Du bist des Heiligen Gebet, der Hure Lied,
Alles, was tröstet und in Himmel hebt,
Das Wort, in welchem Wert und Wesen lebt,
Alles, was geliebt wird und wieder liebt,
Was dem Fisch Flossen und dem Vogel Gefieder gibt,
Kinder, die nicht mehr weinen - Greise, die sicher sind,
Abende, die schön und voller Gekicher sind,
Reisen mit der Geliebten, in Hotelzimmern wonnige Nächte,
Melodie der Steppen, der Städte, der Bergwerksschächte,
Veranden am Wasser mit Lampions, schmale Raine,
Wo zwei sich küssen, Wangen erhitzt vom Weine,
Genesung in Krankensälen, der erste Gang in den Garten,
Nelken, früh ans Bett gebracht - bei einem Stelldichein Warten,
Gedichte, die man nie vergißt und leis' vor sich hinsagt im Wandeln,
Süße von Pfirsich und Erdbeer, Duft von Myrrhe und Mandeln,
Feste in Fahnen, Freudenfeuer, Böllergeknall -
Des Menschen Glück, Mutter, Schwester, Ewigkeit und All!
(Band 1 S. 133-134)
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Süßapfelspiel in meiner Hände Hallen ...

Süßapfelspiel in meiner Hände Hallen,
Du allerlei Gelüst zur Abendzeit,
Laß dich in meinen Schoß jetzt wieder fallen
Mit deiner leichten, zieren Zärtlichkeit!

Sei du der Falke mit dem Fliederzweige,
Der holde Nacht auf falbem Fittich bringt,
Und segle wieder königlich und steige
Zur Morgensonne hell und schönbeschwingt!

Sei du der Luftpiloten leises Schweben,
Sei du der Stein, der von der Schleuder springt,
Sei du geschürzter Lippen lindes Beben,
Sei du der Stern, der durch die Himmel singt!

Sei du das weiße, weiche Niederfallen
In Kleinsstadtnächten, wenn es ewig schneit!
Süßapfelspiel in meiner Hände Hallen,
Du allerlei Gelüst zur Abendzeit!
(Band 1 S. 135)
_____



Zweifelangst

Du: Verlorenheit an Flammenflüssen,
Blondes Blühen zwischen Taumelküssen -
Weiß ich denn, was deine Sehnsucht zittert,
Wenn mein Blut in deinem Schoß gewittert?

Tanzt sie mit den braunen Bronzegöttern,
Spielt sie sich zu den gefeiten Spöttern,
Hat sie mich, wenn ich mein ganzes Leben
Dir verließ, nicht längst schon preisgegeben?

Bebt sie mit den Bäumen, grünt in Gräsern,
Bauscht die Töne den Posaunenbläsern,
Streichelt Bettler, singt Artisten sicher,
Zaubert Hütten hell und heimatlicher?

Breitet weichen Weg den Unbeschuhten,
Weckt wohltätig, die in Welksein ruhten - -
Weiß ich denn, wenn ich in dir gebettet
Bin, wohin sich deine Sehnsucht rettet?
(Band 1 S. 139)
_____



Du hast mich also ausersehn - - -

Alle Dinge, die in meinem Zimmer stehn,
Wissen immer, du hast sie einmal angesehn.
Alle sind sie etwas mehr, als ihr
Name nennt, und hängen sehr an dir.
Die Bilder, denen du oft ein Lächeln winkst,
Der Spiegel, dem unverhofft du dein Antlitz bringst;
Das Klavier, über das - wie träumend - dein Blicken glitt;
Der Teppich, auf dem sie säumend und hastig schritt.
Und, die dir inniger je und nah durften dienen,
Blühen um mich wie Klee und festlich ist ihnen:
Der Tisch, auf dem deine Hände Gäste gewesen;
Alle die Bücherbände, die du gelesen;
Die Feder, mit der du schriebst;
Das Messer; die Lampe; das Glas;
Die Vasen, die du so liebst;
Der Teller, von dem sie aß;
Das Sofa, auf dem sie ruht;
Kalender, Kerze und Krug;
Das Bett, darauf Schleier und Hut;
Die Uhr, die dir Abschied stets schlug.
Und immer in allem ich, wie einer, der Wunder durchwandelt,
Kümmerlich, königlich, ein Bettler, zum Kaiser verwandelt!
Holden Rausches, glückhaft durch mein Zimmer wehn,
Wissend: Du hast mich also ausersehn!
(Band 1 S. 141)
_____



Terzinen über das schmerzhafte Thema "le fiasco"
(Breslau 1913)

1
(Café "Palais")
In hellen Ringen rekeln rot und heiß
Sich Papagein, die aus der Sonne prallten -
(Der Sehnsucht Wald ist weit .. ich weiß .. ich weiß ..)

Wind wippt in Bäumen. Lichter schaukeln laß
Sich in den Wänden der Cafés, der lieben -
(Ich wollte glücklich sein - und säte Haß!)

Und wo sind deine Hände mir geblieben?
O daß sie über meiner Furcht sich falten,
Denn ach mein Stolz ward welk und irrt vertrieben!

Und Pferde, welche straucheln und vor Scheiben
Bizarr verzucken wie ein Henkersspaß,
Sind seliger als mein im Bei-Dir-Bleiben.

Verstörtes Zögern und Ich-weiß-nicht-was!
Und dies allein: ich werde dich behalten
In meinem Blute und mich dir verschreiben -

Bis in den Tod! - blüht meine Worte weiß.


2
Als ich ein Kind war, trieb in meinen Träumen
Ein Hochzeitliches, das zu Festen führte:
Und aller Wollustwonnen Inbrunst brachte.

Und wie ein Wüstling wuchs der Unberührte
In Abenteuern, nackt und ganz voll Flammen,
Die meine Knabengier zu Schauern schürte.

Und ohne jedes Ängsten und Verdammen
War ich mit Eva so im Paradies
- Mit meiner Mutter - nackt und nackt beisammen.

Und die mir ihres Leibes Wunder wies
Und mich in heilig holden Händen hielt
Und mir ihr Haar zu Bett und Brunnen ließ -

Jetzt aber bin ich so ins Weh verspielt,
Daß meine Lust wie ausgestoßen schleicht
Und sich gehetzt unechte Perlen stiehlt.

Und einem früh verstorbnen Jüngling gleicht
Und einem Fliederstrauch, der vor der Nacht
Der blauen Blütenreife jäh verbleicht:

Denn jetzt geschieht, daß in des Lebens lichten
Und reinen Räumen meine Sucht versagt
Und meine Kindheit wie ein Alp erwacht.

Und ihre Träume mir mein Glück vernichten.


3
(Kabarett "Rheingold")
O kleine Tische mit den leichten Lichtern!
O Tanz und Taumel, Lieder, Schmuck und Wein!
O süße Zuflucht den zermürbten Dichtern!

O so mit dir ganz kultiviert zu sein
Und recht entrückt verstockten Sittenrichtern,
Nicht böser Blicke Hinterlist und kein

Verstohlnes Tuscheln mehr fürchten zu müssen - -
Und dennoch immer: Laß mich nicht allein!
Und: Wird dich nie ein andrer heißer küssen?

Und: Lächle nicht dies Lächeln, das mich schlägt,
Das flimmert wie ein Abglanz von Genüssen,
Zu deren Wucht mich nie mein Lieben trägt!

Und: Gib mir gütig meinen Frieden wieder
Und meinen Nerven schmerzlos Rast und schmücke
Mit frohen Farben nochmals meine Lieder!

Denn nur in dir weiß ich von einem Glücke.
(Band 1 S. 142-144)
_____



Herbstsonett für Leni

Nimm diese Demut von mir, die mich tötet,
Und diesen Herbst, der meinen Mut umhürdet:
Mir ist der Garten fremd, den Weinlaub rötet,
Und meine Seele steigt mit Leid bebürdet

Hinauf zur Kammer, die ihr mir erhöhtet
Zu einem Heiligtum - (die doch mich hürdet!) -
O daß ihr euch - wie einst - mir wieder bötet
Und mir zum Heiland meiner Schwermut würdet,

Ihr Farben und des Weges weicher Strich
Und Sonne, die du wundersamer scheinst
Durch holde Schleier duftig hingebreitet!

O und in allem zeigst und schenkst du dich
Und machst mich stolz und reich und reif wie einst,
Daß meine Liebe wie durch Frühling schreitet!
(Band 1 S. 145)
_____



Schweigen mit dir

Schweigen mit dir: das ist ein schönes Schwingen
von Engelsfittichen und Gottes Kleid
und süß, unsagbar sanftes Geigenklingen
verweht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Schweigen mit dir: das ist verschwistert Schweifen
auf weißen Wegen und geliebtem Pfad
und Fühlen, wie sich Blut zu Blute reifen
und ranken will aus segensreicher Saat.

Schweigen mit dir: das ist der Schwalben Schwirren
um abendliche Türme sonnensatt
und Wonnig-Wissen, wenn wir uns verirren,
uns blüht gemeinsam doch die Ruhestatt.

Schweigen mit dir: das ist aus Schwachsein Schwellen
zu immer größrer Fülle, Form und Frucht,
ist Wärme von Kaminen, Hut in hellen,
verstohlnen Stuben, Bad in blauer Bucht.

Schweigen mit dir: so sicher singt das Sehnen
von Seele sich zu Seele wunderbar -
ich weiß mein Haupt in deinem Schoße lehnen
und deine Hände streicheln hold mein Haar!
(Band 1 S. 216)
_____



Blumenlied

Noch sind die Blumen von dir
frisch wie am Tag,
da deine Hand abschieds-zitternd in meiner Hand lag,
und dein Herz tat sich auf wie ein Brevier!

Der Zug stand fahrtbereit,
aus manchem Fenster fiel ein gleichgültiger Blick -
Meine Augen sagten zu dir: "Erschrick
nicht vor unserer Einsamkeit!"

Dann zerriß uns das Signal wie ein Schlag -
Nachts: du schläfst einsam, ich wache einsam am Tisch -
und deine Blumen sind frisch
wie am Abschiedstag.
(Band 1 S. 218)
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Abendliches Leni-Lied

Wir wandeln wieder lässig über Land,
ich und mein Hund. Die ersten Blätter bleichen.
Der Abendwind kommt kühl wie deine Hand
und will die Striemen aus der Stirn mir streichen.

Und plötzlich rührt es mich, zu meinem Hund
verinnigt Zärtliches von dir zu sagen,
wie eine Blumenurne wird mein Mund
von Liebesgöttern an dein Herz getragen.

Der Mond steigt langsam aus dem Wolkenwald,
an Sternen tastet sich die Nacht, die blinde,
stöhnend herauf. Ich bete, daß ich bald
mein Lied auf deinen Lippen wiederfinde.
(Band 1 S. 221)
_____



Du meiner Beete stille Gärtnerin

Wo deine Füße wandeln, blüht Vergißmeinnicht,
du meiner Beete stille Gärtnerin.

Du öffnest deine Hand und wirfst die weißen Wellen
wippender Sätze über meinen Geist.

- Gedanken gehn in Waffen ... Glied an Glied ...

Im Mond sind Mühlen, winterlich verwaist,
so braun wie ausgebrannt, umzäunt von Nervenlicht.

- Schläfst du? Träumst du von mir? Entstellen
dein Atmen Ängste? Fühlst du, wie ich bei dir bin?

Stumm singt die Nacht ihr namenloses Lied.
(Band 1 S. 222)
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Lied der weißen Mondnacht

Fabelhafter Schluchten
schlummerndes Getier
hütet unsrer Mondnacht
Silber-Stier.

Schaukelnd zu der Triften
zärtlicher Schalmei
jungfräulicher Hirtin
Lorelei.

Tropfend durch die Zweige
schneeigen Altars
starb ein Stern im Neigen
deines Haars.
(Band 1 S. 248)
_____



Überwunden

Wenn zwischen uns der Zweifel schleicht,
Zerwürfnis droht, Betrübnis droht,
daß jedes in der eignen Not
einsames Dickicht totwund weicht;

wenn keiner auf des andern Wort
des Herzens Schlag mehr hören mag,
mein Blick will fort, dein Blick will fort,
schon dämmert blaß ein Jüngster Tag;

wenn alle Sehnsucht sterben will,
wenn alle Zukunft sterben will,
Erinnrung wird sich selber Gift:

dann unverwüstlich wunderbar
wird deiner Liebe Wunder wahr,
die sich unsterblich übertrifft.
(Band 1 S. 249)
_____



Aus sehnsuchtsschweren Tagen

In diesen Tagen, da ich ohne dich soll sein,
reift soviel Zärtlichkeit und wartet dein,
und meine Liebe leuchtet wie ein Glas voll Wein,
das dir den Willkommtrunk kredenzen will
und dich an meines Gartens Grenzen still
begrüßen und ganz ohne Worte sagen:
"Kehr' wieder, bitte, bei mir ein
und laß von meinem Herzen wieder dir die Stunden schlagen!"

In diesen Tagen, da ich ohne dich soll sein,
legt sich Liebkosung zu Liebkosung gleich Perlenangebinden,
daß du mit ihnen wieder deine Schönheit schmückst,
wenn du dich über meine Augen bückst,
wirst du An-dich-Gedenken wie dein treu bewahrtes Abbild wiederfinden,
und wie du von den Linden
die schwülen Düfte pflückst,
sollst du aus meinen Sehnsuchtswunden einen Kranz um
deine Schläfen winden.

Denn diese Tage sind von dir erfüllt
bis an den Rand, - bin ich nicht nur dein Kleid?
Bin Schattenleib, der meine Seele, dich, umhüllt,
dich mein Unsterbliches! Und wie ich schreite,
geh' ich nur immer deinem Schritt entgegen,
und so werd' ich heut nacht zur Ruh' mich legen,
daß ich in deine Träume gleite
und unsre Hochzeit wird aus Ruderschlag zu dir und Herzeleid.
(Band 1 S. 283)
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Dein Haar hat Lieder, die ich liebe

Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer -
O glückte mir die Welt! O bliebe
mein Tag nicht stets unselig leer!

So kann ich nichts, als matt verlegen
vertrösten oder wehe tun,
und von den wundersamsten Wegen
bleibt mir der Staub nur auf den Schuhn.

Und meine Träume sind wie Diebe,
und meine Freuden frieren sehr -
dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer.
(Band 1 S. 289)
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Gott rührte an Dein Herz

Ich litt und weinte mir die Augen blind
und bettelte: "Du! Laß mich bei Dir bleiben!" -
Ans Fenster gegenüber kam ein Kind
und malte seltsam Zeichen an die Scheiben.

Im Nebenzimmer tappte jemand zag
und hüstelte und rückte mit den Stühlen.
Ich fiel vor Dich wie welkes Laub und lag
entseelt, nicht Deiner Füße Flucht zu fühlen.

Durch die Tapete klirrte plötzlich Glas
und etwas löste sich und ward zu Weinen - -
Gott rührte an Dein Herz und ich genas:
denn Deine Tränen rannen mit den meinen.
(Band 1 S. 321)
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Man muß sehr gütig zu den Frauen sein

Man muß sehr gütig zu den Frauen sein,
denn immer sind sie es, die Nachsicht mit uns haben:
sie dämmen ihre Sehnsüchte für uns ein,
sie versagen sich Reichtum und Lächeln von schönen Knaben.

Sie verschreiben sich bedingungslos unsrer Pein,
sie lassen sich mit uns in Einsamkeiten vergraben
und büßen unsere Sünden. Wenn wir verdürstet aufschrein,
müssen sie uns, selbst verdürstend, laben.
Sie leiden immer unsre Last ohne zu klagen,
und haben doch an der eignen mühselig zu tragen!
Immer fühlen sie uns wie Peitschen hinter sich drein.

Immer kommen zu ihnen Begierden, Bosheiten, Gebete,
immer ist jeder bereit, das zu schmähen, was er von ihnen erflehte,
und noch, wenn wir sie ganz glücklich machen wollen,
mischen wir unsre grausame Selbstsucht hinein.
(Band 1 S. 322)
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Der Liebe Requiem

Der Liebe Lied erlöst mich nun nicht mehr:
als läge Nebel über meinen Schritten,
wird mir aus Tag und Abend Wiederkehr
der ewig ungestillten Kinderbitten.

Der Liebe Leid erhebt mich jetzt nicht mehr:
als sei die Schwinge meines Werks zerschnitten,
bleib ich am Boden, schwach und unmutsschwer,
Flöte und Fackel sind der Hand entglitten.

Der Liebe ist nur dieses noch vergönnt:
Daß sie mein überzähliges Verbleiben
der Qual endlosen Dämmerns jäh enthebt.

.. Vielleicht auch: meinen Namen aufzuschreiben,
daß ihr aus meinem Gleichnis fühlen könnt,
wie sehr dies Lüge ist, daß ihr noch lebt.
(Band 1 S. 335)
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Du bist Erfüllung leuchtender Legenden

Wie Du sänftigst meiner Seele Stürme,
läßt den Abgrund meiner Nerven blühn,
führst mein Dunkles auf die Morgen-Türme,
wo die Wälder weit zu Gott verglühn,

wie Du meine schwersten Wochen leidest,
und Dich opferst für mein Auferstehn,
Dich von allem, was Dich schön macht, scheidest,
wenn es meine Augen nicht mehr sehn,

wie Du weiß in Abendwiesen schimmerst,
daß mein Herzweh keinen Stachel hat,
wie Du all Dein Glück für mich zertrümmerst:

solche Liebe wird in den Legenden
einer zukunftshohen Sternenstadt
ihres Gottes Testament vollenden.
(Band 1 S. 343)
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Vergißt dein Liebesengel mich?

Wenn ich nicht fühle, daß mein Werk vor dir besteht,
wenn deines Herzens Kühle meinen Weg umweht,
wenn alles, was ich sage, dir zuwider scheint,
und jede Klage, die in meinen Liedern weint,
vor dir belanglos bleibt und eine Störung mehr,
mein Kahn ganz klanglos treibt in der Empörung Meer
von deinem Strande fern, o letztes lichtes Haus,
du weißt: ich lande gern, und löscht das Licht doch aus,
daß ich von Nacht umringt nun keinen Hafen weiß.
Gibst du mich unbedingt den schwersten Strafen preis,
wofür doch mein Gewissen längst sich selber schlug?
Der Himmel ist zerrissen, der dein Sternbild trug,
Gottes Vergebung geleitet mich im Guten nicht,
der Liebesengel schreitet über die Fluten nicht,
der Racheengel stößt mich nicht in die Tiefe hinab,
keine Najade erlöst mich zu sanftem Grab,
wie nicht von dir gekannt treib ich im Ozean,
versunken ist alles Land; mein stummer Todeskahn
in einer toten Welt zieht der Erinnrung nach,

zieht ewig der unendlichen Erinnrung nach ...
(Band 1 S. 388)
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Ungenügen

Laß mich die Ängste rasch zusammenraffen,
die herbstlich welk des Herzens Weg verdecken:
kann ich der Liebe keine Flügel schaffen,
muß vor dem Wunder sich mein Stern verstecken.

Es brennt der Dornbusch der Verzweiflung heller,
und höher schwebt der Adler der Umnachtung.
Dein Lächeln ist ein listiger Fallensteller,
spannt grausam über alles die Verachtung.

So wirf die Wurzeln meines Baums ins Feuer
und streue ihre Asche in die Winde!
Ich bin so wehrlos vor dem Abenteuer,
daß ich ins Flackern jedes Irrlichts schwinde.

Und doch der großen Sonne nicht genüge,
die rein und unerbittlich alles fordert.
Wer mir das Richtschwert in den Nacken schlüge,
wäre mit Recht von deinem Leid beordert.

Ich segnete ihm selbst dazu die Waffen
und wollte nicht mehr vor dem Tod erschrecken.
Kann ich der Liebe keine Flügel schaffen,
sollst du in Brand mein ganzes Leben stecken.
(Band 1 S. 390)
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In der Fremde

Als mich die unbekannte Stadt
in ihrer Nacht gefangen hielt,
was kamst du nicht in meinen Traum?

Mir war's, als ob dein Lächeln matt,
totmatt mir um die Wangen spielt -
doch kamst du nicht in meinen Traum!

Dann sank ich wie ein welkes Blatt,
das niemandes Verlangen hielt,
in einen totenbangen Traum,

der schwer auf fremder Ruhestatt
mich bis zur Früh in Bangen hielt,
bis in des Tages wachen Traum,

in einer unbekannten Stadt,
die nichts für die Verbannten hat,
nicht Bleibe und kein Liebeslicht
und keinen Traum, der Liebes spricht,

und du kamst nicht. - Was kamst du nicht?
(Band 1 S. 394)
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Choral

Sieh mich noch einmal an!
Über ein Kleines
werde ich nicht mehr sein,
geht meine Sehnsucht dann
in ein weltreines
himmlisches Lichtmeer ein.

Laß dich noch einmal zart,
hutsam berühren,
eh mich die Stunde treibt,
daß meine Himmelfahrt
an goldnen Schnüren
mit dir verbunden bleibt!

Sage mir noch ein Wort,
das ich bewahre,
wenn mir kein Stern mehr scheint,
und ich verkünde dort
die wunderbare
Magie, die dich gern mir eint!

Bald wirst du bei mir sein:
über ein Kleines
trennt uns kein Richter mehr,
gehn wir gemeinsam ein
in ein weltreines
himmlisches Lichtermeer.
(Band 1 S. 395)
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Erlösung

Wie ich dich einst zum ersten Male sah,
seitdem wir Liebenden uns nie verließen,
bist du mir, eh sich meine Augen schließen,
noch einmal über alle Jahre nah.

Des alten Baches sanfte Wasser fließen,
und es geschieht mit mir, was einst geschah:
die Welt ist nur um deinetwillen da,
und jede Welle will dein Bild genießen.

Ich bin ein junges Grün am Uferrande
von deiner weichen Zärtlichkeit gestreift,
noch zweifelnd, ob ich je dich wiedersehe.

Ein kleines Lächeln läßt du mir zum Pfande,
und wie mein Schreck nach deinem Schleier greift,
ist es: daß ich schon eins mit dir vergehe.
(Band 1 S. 405)
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Einer Liebe Tod

Aus rohen Worten eine Dornenkrone
war alles, was ihm seine Liebe ließ;
der einst der Glücklichste den Menschen hieß,
verbarg sich einsam nun vor ihrem Hohne
und grübelte: "Wie konnte das geschehen,
und warum trifft dies Niegeglaubte ihn,
daß Freuden, deren Frühling ewig schien,
mit einem Male rettungslos vergehen?
Wo waren jene Stunden der Vertrautheit,
die gegen alle nur sie zwei verband,
wenn ihrer Lust stilles Geheimnisland
war Insel auf dem Meer herzloser Lautheit?"
Sie hatte plötzlich starr vor ihm gestanden
mit einem Blicke, so unnahbar kalt,
da war auch das Vergangne ungestalt
und Jahr um Jahr der Gnade ganz abhanden.
Was er noch sprach, versank vor ihrer fernen
Unheimlichkeit und klang ihm selbst nicht wahr.
O daß vor dieser tödlichsten Gefahr
er keine Warnung las in seinen Sternen!
Was straften sie ihn so! Er schwieg betroffen. -
Dann sah er auf und war wie sie allein
und wußte, dieses würde ewig sein
und keine neue Liebe zu erhoffen.
Da blieb Erinnerung verfallnen Glanzes
nur das, was er mit wunden Händen hielt.
Er hockt im Dunkel, hilflos stumm, und spielt
mit den Trophäen seines Dornenkranzes.
(Band 1 S. 406)
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Das Liebeswunder
(Für Arnold Ulitz)

Wer am Abend diese Straße kam,
fand am alten Platze stets das Paar,
das in seiner Liebe, ohne Scham,
an die Wand gebannt wie gestern war,
das nur sich und immer sich nur sah,
im Erlebnis seiner Lust verging:
sternenfern der Welt und blumennah
Mann und Mädchen Brust an Brust sich hing.
Keine Not bestand vor ihrem Blick,
nirgends starb ein Mensch in ihrem Glück,
Hunger, Tod und jedes Nachtgeschick
warf ihr Flammenmeer zum Strand zurück.
Jeder Mörder wich vor ihnen aus,
Wut und Rache ward an ihnen zahm,
der Betrübte ging versöhnt nach Haus,
und wer eben weinend Abschied nahm,
war des Wiedersehens ganz gewiß,
Spötter wurden unwillkürlich mild,
mitten in der dichten Finsternis
strahlte dieses Paares Heiligenbild,
das in seiner Liebe, ohne Scham,
an die Wand gebannt wie gestern stand.
Wer verlassen diese Gasse kam,
ging fortan geführt von Engelshand.
(Band 2 S. 51)
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Liebeslied vor Weltuntergang

Ich schreibe "DU", ich sprech' es laut,
ich spür' den Herbstduft deiner Haut,
als ob du mir den Griffel lenkst,
malt er mir auf, was du jetzt denkst.
Dies Haus gleicht deinem Elternhaus,
der Mann dort mit dem Blumenstrauß
bin ich, der so zu dir einst kam,
im Wind küßt du mich wundersam,
im Wagen, der vorüber fährt,
hast du ein Stelldichein gewährt,
und wenn die Turmuhr sieben schlug,
sie mich zu deiner Liebe trug.
Das Zimmer dort im Lampenschein
ist dein und mein, für uns allein,
und unten rauscht die Großstadt fort,
die Magd tauscht mit der Magd ein Wort,
bevor sie schließt des Hauses Tor,
noch schlüpf' ich durch, zu dir empor,
wo wir in unserm Leuchtturm sind
wie Gotteskind bei Gotteskind.
Der Großstadt wildes Sintflutmeer
rauscht draußen leer, nirvanaleer:
trieb Haus und Zelt nicht längst zerschellt
in die Unendlichkeit der Welt?
Eisschollen trugen Hof und Hort
zum Orkus der Ozeane fort,
Turm ward Ruine, Trümmersand -
nur wir auf diesem Zauberland
umarmen uns, Flut flieht und flieht,
wir wissen nicht, was rings geschieht:
schwankt unser Dach, tanzt unser Stern?
Der Zimmerkäfig, die Latern',
die noch vor unserm Fenster hält,
vielleicht beim nächsten Anprall fällt,
wie schon der Baum im Garten fiel,
Plakatzaun ist der Winde Spiel,
schwand doch Balkon, barst Keller schon,
das Telefon gibt keinen Ton,
und näher sinkt der Decke Druck,
Kronleuchter stürzt und Wändeschmuck,
und Schutt der Ewigkeit begrub
Napoleon und Engelsbub.
Noch standen wir schweigend umarmt:
ob unser sich kein Tod erbarmt.
Schlug letzte Uhr, reißt Gottes Hand
hinüber uns zum andern Strand?
(Band 2 S. 55-56)
_____



Kummer der Verzauberung

O Kummer, nicht die Liebe zeigen können,
die einer für den andern in sich trägt,
sich selber nicht die schönste Stunde gönnen,
wenn heiß mein Herz nur für das deine schlägt!

O Kummer, wieder unbeholfen schweigen,
wenn so beredt die Sehnsucht in uns drängt,
das Wunder ihrer Zärtlichkeit zu zeigen,
und doch die Last an jeden Schritt sich hängt.

O Kummer, innerlich vor Lust verbrennen -
und keiner kommt aus seinem Winter fort!
Wie gerne gäben wir uns zu erkennen,
und finden beide nicht das Zauberwort.

O Kummer, unsre Zeit verrinnen spüren,
und dennoch wird das einzige Glück versäumt,
es blüht so nah mir hinter diesen Türen,
die man zu öffnen stets nur träumt!

Und auch im Traume bleibt man auf der Schwelle
als einer, der das letzte niemals wagt.
O Leben: Welle strömt hinab und Welle,
und das Erschütterndste bleibt ungesagt.

O Leben, wo uns Götter nie vergönnen,
daß die verlorne Stunde wieder schlägt!
Ob Tote sich die Liebe zeigen können,
die einer für den andern in sich trägt?
(Band 2 S. 57)
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In der Fremde

Vielleicht ist alles gar nicht wahr,
und daß ich in die Fremde fahr',
früh kaum ein Traum noch blieb,
aus dem dich meine Stimme rief,
du liest im Bett von meinem Brief
nur dies: "Ich hab' dich lieb!"

Ich hab' dich lieb und bin bei dir,
obwohl in fremder Stube hier
ich einsam schlaflos lag,
ich dachte dein, da ward mir warm,
da hielt ich dich in meinem Arm,
und froh begann mein Tag.

Mein Tag war bald schon wieder kalt,
und ich stand abgetakelt, alt,
auf fremdem Platz allein.
Du gehst, von meinem Wort umwärmt,
in deinen Blicken lächelnd schwärmt
das Glück: "Er dachte mein!"

Wie einer, den man morgen hängt,
inbrünstig an das Liebste denkt,
so schmerzhaft denk' ich dein.
Ob ich zu dir noch einmal fahr',
ob ich schon morgen Schatten war
und ließ dich auch allein?

Und dir blieb nichts mehr als ein Brief,
aus dem noch meine Stimme rief,
noch rief: "Ich hab' dich lieb!"
Der Schatten einen Schatten traf,
du weinst dich einsam in den Schlaf,
aus dem kein Traum dir blieb.
(Band 2 S. 58-59)
_____



Traumwege zur Liebe

Aus dem Alabaster der Wand wachsen Kandelaber,
Teppiche gehn auf den Treppen mit uns ins Haus.
Oben plötzlich spricht ein verschlossenes Tor sein "Aber!",
wir alle stehn verlegen, schleppen uns traurig ins Dunkel hinaus.

Wo die Lüfte sich flügelnd schwingen und schweben,
wo aus Bächen von Winden die liebliche Stimme zerstiebt,
zärtliche Hände den Vorhang aus duftenden Reben heben,
damit wir Einlaß finden, wo alles einander liebt.

Lachend stehn wir im Saale. Paare, die uns gewahren,
rufen uns Glückliches zu, trinken uns Traumschönes zu.
Die mit der goldenen Schale, die Kindliche von zehn, zwölf Jahren,
die ich erträumte, erschuf, sagt süß zu mir: "Du!"

Wenn sich die Schemen vergessen, kann sich die Trauer berauschen;
schlägt die Uhr ihre Stunde, ist alles Traumglück aus.
Hab' ich nur Flücht'ges besessen - mit keinem Gott mag ich tauschen,
traumhaften Kuß am Munde, geh ich nach Haus.

Aus dem Schatten der Nacht wachsen Flammen,
der Schein auf den Regensteinen führt mich nach Haus.
Du hast so lange gewacht! Nun sind wir zusammen,
unsern Tag zu beweinen, furchtsam vor nächtlichem Graus.

Furchtsam vor Träumen, die trügerisch schwingen und schweben,
wenn aus flüchtigen Winden die schmeichelnde Stimme zerstiebt,
bis die zärtlichen Hände gemeinsam den Vorhang heben
und wir Einlaß finden, daß eines das andere liebt.
(Band 2 S. 60-61)
_____



Sieg einer Liebe

Du siehst die Welt - und siehst sie wieder nicht:
Gott will dir gut und macht dich blind vor allen
Unseligkeiten, die als Lasten fallen
auf meinen Tag mit schrecklichem Gewicht.

Er läßt dich immer spielen wie ein Kind,
unwissend, schuldlos an des Unrechts Härten,
ein Engel in den Paradiesesgärten,
die meiner Leiderkenntnis Höllen sind.

Und läßt dich dennoch mein Gefährte sein
und meine Not mit holden Sonnen trösten,
von allen meinen Rosen blühn die größten
und buntesten, gelabt von deinem Wein!

Scheinst du im Lager meines Feind's zu stehn
und triffst du mich ins Herz mit seinen Waffen,
zwingst du mich nur, dich immer neu zu schaffen
zur Schwester, deren Träume mit mir gehn.

Zwingst du mich nur, getreuer meiner Pflicht,
sie opferwillig durch die Tat zu stützen,
und wirst mich vor der eignen Feigheit schützen.
Leicht wird durch dich mir noch der Welt Gewicht!
(Band 2 S. 65)
_____



Der Liebe Traumwald

Könnt' ich dir wieder etwas Glück bedeuten,
und möchte uns ein neues Brautjahr blühn!
Im Wald, an dessen Lenz wir uns erfreuten,
werden noch einmal meine Träume kühn.

Wir lauschen in der Lichtung unsrer Liebe:
rauscht fern die Welt ... ist sie vielleicht schon tot?
Nur, daß mein Blick in deinen Blicken bliebe,
ist unser Abendtrost und Morgenrot.

Lärmt fern die Stadt? Schweigt es in den Ruinen?
Wartet auf uns ein leerer Platz am Tisch?
Wollen uns Dinge schaden oder dienen?
Verlangen Spiegel uns gebieterisch?

Fern raunt von uns Gerücht wie von Verbrechern,
längst toten, die man noch nach Jahren schmäht,
hocken Verwüstete bei ihren Bechern,
von Lästerung und Feindschaft aufgebläht.

Wir gehn als Mörder um in ihrer Rede
und sind so sanft in unserm Liebeswald,
beim Duft der Luft, des Quells und der Resede
verwandelt zu waldlieblicher Gestalt.

Wir tanzen, wenn im See die Glocken läuten,
zu sel'gem Tod uns in das Waldesgrün ...
Könnt' ich dir wieder etwas Glück bedeuten,
und möchte uns ein neues Brautjahr blühn!
(Band 2 S. 73)
_____



Ich denke dein

Ich denke dein: das ist wie Blütenzweige,
in deren Schattenschutz ich sicher ruh',
und deine Stimme spricht: "Schlaf' nur! Ich neige
mich über dich, mein Haar deckt sanft dich zu!"

Ich denke dein: und alle Welten sterben,
in deiner weißen Stirn aufzuerstehn;
gastlichen Trankes Glas zersprang zu Scherben,
gleich Schatten fremde Frau'n in nichts verwehn.

Ich denke dein, ich fasse deine Hände,
du sprichst zu mir, und jedes Wort ist nah,
als fielen all' die tausend Weltenwände
seh' ich dich, wie ich einst bei mir dich sah.

Ich denke dein: Wind singt und Kinder spielen,
und über fremde Brücken wallt die Welt,
ich aber bin in all' den seltsam Vielen
so eigen Herz an Herz zu dir gesellt.

Glaubt eine fremde Frau zu ihr mich neigen
und spiegelt schon sich drin mit schönstem Du -
ich denke dein: das ist von Blütenzweigen
ein Schattenschutz, in dem ich selig ruh'!

Und deine Haare decken sanft mich zu.
(Band 2 S. 83)
_____



Liebeslied

Wenn dir andre Rosen brachten,
Dornen waren stets von mir;
wenn dich andre lachen machten,
ich schuf Leid und Tränen dir.
Saß ich auch an deinem Bette,
fühltest doch, wie fern ich blieb:
Sommersee und Bergeskette
hatte ich in Wahrheit lieb!
Küßt' ich tröstend deine Hände,
war mein Herz bei einem Hund,
hing mein Blick am Schmuck der Wände
inn'ger, als an deinem Mund.
Ach, ich habe viel verschuldet,
dort auch, wo ich viel vergab,
und die Schmach, die ich erduldet,
grub sich selbst ihr Armengrab.
Hab' dich stets allein gelassen,
war dir meine Hilfe not.
Tat wie blind, wenn in den Gassen
du dich gabst für unser Brot;
wollte wissen nicht, und wußte
doch, wie sehr ich dich zerrieb.
Wenn ich einmal wach sein mußte,
war ich's als ertappter Dieb.
Fremder Duft um deine Kleider,
fremdes Glück in deinem Blick - - -
Ich Schlemihl verzichte leider,
füge mich in mein Geschick,
das ich selber so nur wollte,
das mir sehr zu Recht geschah -
dem ich doch im stillen grollte,
weil ich mich verächtlich sah.
Wenn dich andre lachen machten,
wie ertappt verstummten wir;
wenn dir andre Rosen brachten,
Dornen waren stets von mir.
(Band 2 S. 95-96)
_____



Elegie der Liebe

Jede Liebe ist voll Einsamkeit,
jede ist an die Schwelle der Schwermut gebaut,
wo des Zweifels Todesangst urwaldlaut
in die Wollust der Nächte schreit.

Alles, was der Mensch zum Menschen spricht,
ist noch tiefer als Schweigen und Totsein stumm.
Leidenschaftssturm biegt jede Zärtlichkeit krumm,
wenn er sie nicht wie ein Spielzeug zerbricht.

Jeder Spiegel des Herzens wird trüb,
in den Lauben des Glücks nächtigt Schreck.
Nirgends bleibt der Sehnsucht ein Versteck,
seine Fangarme schleudert der Alltagspolyp.

Er erhascht dich, führten dich noch so weit
Flügel des Schwärmens, von heiligen Himmeln umblaut.
Der Hochzeiter sinnt Flucht, heimlich weint die Braut:
jede Liebe ist voll Einsamkeit.
(Band 2 S. 106)
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An deinem Geburtstage

Der ganze Tag ist: an dich denken,
die Hügel wünschen grün dir Glück,
die Wiesen wollen dich beschenken,
der Feldweg führt zu dir zurück.
Die Wagen auf der Straße karren
das eine Lied, das von dir singt.
Die Hütten an den Hängen harren
des Abends, der dein Sternbild bringt.
Ich selber geh', von dir umschlungen,
weil mich der Wind wie du liebkost,
im Tal das Glöckchen hat geklungen
wie deiner Stimme holder Trost.
Dann stieg ich in des Städtchens Stille,
wie nahe an dein Herz hinab,
durch eines Friedhofs Mondidylle
um das verlass'ne Dichtergrab,
den Schritt zu unserm Haus zu lenken,
und gab mich ganz an dich zurück.
Die Jahre bleiben: an dich denken,
und bei dir sein, ist höchstes Glück.
(Band 2 S. 109)
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Flucht in die Liebe

Ich will mein Haupt in deine Hände legen,
die Augen schließen ... (unsre Liebe singt) ...
und nichts mehr fühlen als den kühlen Segen,
der meiner Stirn jetzt endlich Frieden bringt.

Es rauscht der Ozean in unserm Schweigen,
die nächtlichen Gebirge leuchten groß,
die Wolken weben ihren weißen Reigen,
und Sterne fallen in des Waldes Schoß.

Nun trink' ich aus dem Becher deiner Hände
die bittren Tränen meiner Lebensnot;
wenn ich euch tröstliche einst nicht mehr fände,
so wäre es mein letztes Abendrot.

Versänke eine Welt im Grab der Nächte,
auch ihr Erinnern schwände hin wie Wind.
Kein Lied von unsrer Liebe Botschaft brächte
zu dem Gestirn, auf dem wir nicht mehr sind.

Noch fühl' ich deines Herzens sanfte Schläge,
durch deine Hände meinem Herzen nah. -
Oft war ich für den schönsten Traum zu träge;
nun dauert mich: wie vieles nicht geschah!

Geschloss'nen Auges mal' ich mir viel Gutes,
Gedenken dessen aus, was niemals war.
Ich gleite auf den Fluten deines Blutes
in Abenteuer, tief und wunderbar.

So süß ist es, mit dir sich zu verlieren:
das All verstummt, nur eine Quelle tropft,
es raschelt von des Waldes kleinsten Tieren,
und eines Vögleins Herz verängstigt klopft.

Kann ich noch mehr, was unser ist, erleben,
als Schweigen, das uns hochzeitlich umschlingt?
Ich darf mein Haupt aus deinen Händen heben,
die Augen öffnen: unsre Liebe singt!
(Band 2 S. 110-111)
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Fruchtloses Liebeslied

Du hilfst mir nicht mehr zu dir hin,
auch dieser Sommer ist verloren,
ich fühle, daß ich nichts mehr bin.
Die Linden blühen vor den Toren
nicht mir zum Glück; ein fremder Mann
durch ihren Duft dich wohl gewinnt.
Ich weiß nicht, was dich halten kann.
Mein Werben, eh es recht beginnt,
ist schon vor deinem Blick zu Ende,
mir fehlt, was angenehm mich macht.
Wenn ich mich noch so sehr verschwende,
hegt gegen mich die Welt Verdacht.
Dich holen Kleinigkeiten schon
aus dem Gespräch, das du mir schenkst:
Die Zeitung und das Telefon
und ein Gewand, an das du denkst.
Und sagst du ja, bist du schon fort.
Und streichelst du mir meine Hände -
ein Schatten sprach das Liebeswort,
den meins, das lebt, schon nicht mehr fände.
Ich wurde allzuoft verletzt,
nun hat mein Suchen keinen Mut.
Ich war ein Sturm. Was bin ich jetzt?
Ein Wind, der wohl und weh nicht tut.
Wer führt? Wer ist Verführerin,
hat mächtiger den Gott beschworen?
Du hilfst mir nicht mehr zu dir hin.
Auch dieser Sommer ist verloren.
(Band 2 S. 216)
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Der Liebe Wiederkehr

Je mehr du mich verläßt, desto lieber muß ich dich haben;
je älter ich werde, desto jungenhafter bin ich in dich verschwärmt.
Wieder hat sich heut mit der schüchternen Sehnsucht des Knaben
mein alterndes Herz nach dir gesehnt, um dich gehärmt.

Kehren die Jahre wieder zurück zum Anfang, zum Liebesgarten?
Schließt sich der Ring mit der Umarmung von einst?
Erste, einzige Menschen, die keinen Erben erwarten;
du lächelst: ich lächle. Ich weine: du weinst.

Zu unsern Füßen spielen des Waldes Tiere,
auf dem blühenden Baume schlägt sein Rad der Pfau.
Leben und Traum sind eins. Und die Vampyre
eingebildeten Hasses ersticken in ihrem Bau.

Wir vergessen die Störenfriede, die schattenhaft verbleichen,
die Männer, die Frauen, das töricht verlockende Spiel.
Wir schreiten zielbewußt über unsichtbare Leichen,
und unsre neue Liebe sagt sich viel.

Soviel von dir, von mir, und nichts von allen andern,
das war ein Ton, verhallt, ein Wind, verweht,
und von den Straßen, die sie jetzt wohl wandern,
kein Hauch zu unserm Glück herübergeht.

Von uns auch kein Erinnern und kein Sehnen
zu ihren Blicken, ihrer Zärtlichkeit.
Unter den Brücken, wo wir lässig lehnen,
strömt es ins Dunkel, stumm und todgeweiht.

Wir halten uns umschlungen. Was war, ist begraben.
Wir hören nicht, was draußen lästert und lärmt.
Je mehr der Abend sinkt, desto lieber müssen wir uns haben.
Je älter wir werden, desto zärtlicher sind wir ineinander verschwärmt.
(Band 2 S. 230-231)
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Abschiedslied

Da es wieder mich entführt
in das Ungewisse,
Todeshauch die Stirn berührt
und Gewissensbisse
um der Liebe welkes Laub
und versäumte Stunden,
die unwiederbringlich Staub,
nun mein Tun verwunden:
Wein ich bitter, hemmungslos
Tränen, die nicht trösten.
Scheinbar in des Glückes Schoß
ist die Not am größten.
Wenn Ersehntes sich begibt,
bringt es nichts als Trauer,
liegt in dem, was mich so liebt,
Unheil auf der Lauer.
Erst wenn uns das Schicksal trennt,
bin ich dir verbunden,
erst der Abschiedsblick erkennt
die versäumten Stunden,
erst der Abschied läßt, zu spät,
Zärtlichkeit entbrennen,
erst dem Lebewohl gerät
glaubhaft das Bekennen.
Alles, was einst lockend rief,
ist jetzt das Verhaßte,
hindert und verwundet tief.
Und die arg verpaßte
Lust, daß mich dein Kuß berührt,
schickt Gewissensbisse.
Da es wieder mich entführt,
bist du das Gewisse!
(Band 2 S. 235-236)
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Sehnsuchts-Verse

Mir ist so bang in diesem fremden Ort:
Du läßt mich lang auf eine Nachricht warten.
Sonst kamen Telegramme, Briefe, Karten.
Doch wo bleibt jetzt ein kleines Liebeswort?

Wie oft am Tage laufe ich zur Post!
Der Mann am Schalter ist schon ungehalten.
Kann Deine Liebe plötzlich so erkalten?
Mein Sehnsuchtsnotruf funkt nach West und Ost.

Wo find ich eine Ahnung Deiner Spur?
Die Winde wissen nichts von Deinen Schritten,
und auch Dein Sternbild läßt sich nicht erbitten,
und unzugänglich schweigen Fluß und Flur.

Schon wittert meine Furcht Dich in Gefahr
und träumt um Dich die schlimmsten Abenteuer.
Die stumme Wacht der Nacht scheint nicht geheuer.
Ist unsrer Liebe Bündnis nicht mehr wahr?

Führt Dich das Unbekannte so weit fort,
daß Deine Rufe mich nicht mehr erreichen?
Wo Du auch immer seist, gib mir ein Zeichen!
Mir ist so bang in diesem fremden Ort.
(Band 2 S. 271)
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Zürcher Mai- und Hochzeitscarmen

Ich gehe einen goldnen See entlang,
es schwärmt der Mai im Blütenüberschwang.
Kastanien harren hochzeitlich geschmückt,
daß ihnen bald das Liebeswunder glückt.
Ich harre zärtlich Deiner Wiederkehr;
mein Traumboot holt Dich übers Fliedermeer.
Der Kirsch- und Apfelbäume Rot und Weiß
geleitet farbig Dich zum Fest des Mais.
Vom Sang der Vögel ist die Luft bewegt,
die einen Blütenkranz ins Haar Dir legt.
Aus der Eisheiligen Zwischenspiel im Schnee
steigt wieder golden unser Fest am See.
Maikäfer falln Dir trunken in den Schoß,
der warme Wind macht Deine Brüste bloß.
Dann hüllt er uns in seinen Mantel ein
und läßt uns fern der Welt glückselig sein.
Wir wissen nichts von Wahn und Widerstreit
und sind geborgen jenseits aller Zeit.
Ich gehe einen goldnen See entlang
hinein in unsrer Liebe Überschwang ...
(Band 2 S. 273)
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Nach Regentagen pfingstlich Glück

Die Gebirge sind verhangen,
die geliebte Frau ist krank.
Alle Zeit ist längst vergangen,
da uns noch ein Glück gelang.

Öde sind die Regengassen,
leer die Hallen der Hotels,
auch das Strandbad friert verlassen,
und man sehnt sich nach dem Pelz.

Seh ich Sommerdampfer fahren,
wird mir Leib und Seele kalt.
Fröhlich war ich hier vor Jahren,
grämlich bin ich heut und alt.

Alles scheint mir jetzt verkommen,
was mir einst so wohl gefiel,
mit der Flut davongeschwommen
Jahrmarktsfest und Ringelspiel.

Wo sind alle die besonnten
Aun und Lichtungen von einst,
wo wir harmlos feiern konnten?
Heut liegst du hier krank und weinst.

Womit still ich Deine Tränen?
Ein Stück Himmel strahlt schon schwach.
Bei den weißen Uferschwänen
wird die Liebe wieder wach.

Unaufhörlich dreht sich wieder
bunt geputzt das Karussell,
pfingstlich klingen Kinderlieder
und die Berge werden hell.

Lächelst Du in Deinen Kissen,
spürst das Blühn in Deinem Blut?
Wir umarmen uns und wissen:
nun wird alles wieder gut.

Auf der Wiese kannst Du pflücken
Akelei und Zittergras,
pfingstlich unsern Tisch zu schmücken,
weil das Glück uns nicht vergaß.
(Band 2 S. 274-275)
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Liebeslied in böser Zeit

Warum trauern?
Noch ist nichts verloren.
Die weißen Mauern
der Berge bestehn.
Vor den Toren
der Stadt blühen die Wiesen.
Geschlechter kommen, Geschlechter gehn.
Immer gab es Hölle und Wüstenei
neben den Paradiesen,
immer über dem Abenteuer
die Heimatglocken.
Immer wieder wird Mai,
leuchten die Johannisfeuer,
wehn vor den Fenstern Schneeflocken,
schmecken Dir Äpfel und Nüsse,
macht ein Lied uns Mut.
Und wenn ich Dich küsse,
endet das Märchen gut.
(Band 2 S. 279)
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Zwischen lauter Einsamkeiten ...

Zwischen vielen Einsamkeiten
geht mein Leben seinen Weg.
Scheinst Du neben mir zu schreiten,
ist die Welt ein Blumensteg.
Aber warst Du mir entschwunden,
grüßte nur von fern Dein Brief,
konnte jeder Stein verwunden,
wenn ich durch die Straßen lief,
war mir auch das Heimatliche
seltsam fremd und wie ein Feind.
Im Kalender mach ich Striche,
bis der Tag uns wieder eint.
Doch der weiß schon vor dem Tage,
der uns wieder grausam trennt,
wenn ich meine Trauer trage
durch die Stadt, die mich nicht kennt,
um die leeren Wiesen streiche,
die Dir schenkte Vierblattklee,
oder als Verbannter schleiche
um den abendlichen See.

Fühlte ich mich wohlgeborgen
wie im Heimatparadies,
immer kam ein bittrer Morgen,
wo es Abschied nehmen hieß.
Auch bei fröhlichen Gelagen:
alle waren sich so nah,
nur ich konnte keinem sagen,
wie verloren ich mich sah.
Aus geheimen Schattenreichen
wuchs die unsichtbare Wand
zwischen mir und meinesgleichen,
daß ich immer abseits stand,
und sie hat zu allen Zeiten
mich von meiner Welt getrennt.
Zwischen lauter Einsamkeiten
geht mein Leben fremd zu End.
(Band 2 S. 281-282)
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Erinnerung

Weißt Du noch: die Bank am Waldesrande,
als Dein Haupt auf meinen Knieen lag?
Überm ganzen grüngeschmückten Lande
strahlte glückbesonnt der Sommertag.
Tolle Käfer summten durch die Gräser,
still verloren plapperte der Bach.
In dem fernen Wirtshaus machten Bläser
einen altbekannten Opernkrach.
Zwei Beleibte waren bei der Ernte
mit dem Hund auf ihrem Wiesenstück,
der sich nicht von seinem Herrn entfernte,
und Du sehntest Dich nach Bauernglück,
nach dem eignen Gärtchen, drin zu wirken,
oder auf der Wiese in dem Heu,
Ähren hingen in den Sommerbirken,
und die Welt war festlich bunt und neu,
nach dem Platz am Hause mit der Laube,
Apfelbäumen und Gemüsebeet:
überm Fenster lachte eine Taube,
Duft von Milch und Brot den Raum durchweht.
Mit dem Stabe malte ich im Sande
Dir ein Luftschloß, reich und fabelweit,
und bei unsrer Bank am Waldesrande
war das Sommermärchen Wirklichkeit.
(Band 2 S. 289)
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Ich darf in Deine guten Augen sehen

Wenn unsern Schlaf des fremden Meeres Chöre
jetzt mit Musik der Ewigkeit umwehn,
kann ich, solang ich Deinen Atem höre,
des Heimwehs Leiden besser überstehn.
Die fremde Sprache, die ich nicht verstehe,
und das Befremdliche von Brauch und Laut:
wenn ich in Deine guten Augen sehe,
ist alles mir befreundet und vertraut.
Die Einsamkeit, die immer mich umwittert,
ist leicht, solang Dein Stern sie sanft bescheint.
Dem Herzen, das vor meiner Zukunft zittert,
wird friedlich, weiß es sich mit Dir vereint.
Wie lang die Jahre der Verbannung dauern,
und ob uns je Erlösung blüht?
Ich kann den Wahn der Menschen nur betrauern.
Sonst bleibt, trotz allem, fröhlich mein Gemüt.
Ich halte Dich, was könnte mir geschehen?
Dem Widersacher keine Bosheit nützt,
ich darf in Deine guten Augen sehen
und weiß mich wohl geborgen und beschützt.
Die Stürme, die an unsern Wänden rütteln,
des fremden Meeres Ebbe oder Flut,
der Staub, den wir von unsern Schuhen schütteln,
sogar der Schatten Angst in unserm Blut:
zuletzt wird alles in dem Abenteuer,
in das die Zeit uns nun so wirr verstrickt,
ein Stückchen Habe, das mir Dein getreuer
Schutzengel als Erinnerungszeichen schickt.
Einst mag auch diese Sintflut wieder enden
und nur ein Traum und eine Sage sein,
wir werden unsre Schritte heimwärts wenden,
wo auf uns wartet der Willkommenwein.
Dann will ich mit dem ersten Glas Dir danken
und will das zweite all den Stätten weihn,
wo wir der Fremde Wein gemeinsam tranken,
verbunden auf Verderben und Gedeihn,
und mit dem dritten neue Hochzeit halten,
in Deine guten Augen zärtlich sehn
und unsrer jungen Liebe, unsrer alten,
Triumph in auferstandner Welt begehn.
(Band 2 S. 292-293)
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Ehesegen

Die Straßen, die wir miteinander gehen,
die Beete, deren Blumen wir uns zeigen,
die Frühlingsvögel in den Blütenzweigen,
was wir gemeinsam hören, schmecken, sehen,
bleibt wie ein Band um unser beider Leben,
und fängt auch meins allmählich an zu wanken,
soll Deine Nähe bis zuletzt mir geben
den Frieden der Gesichte und Gedanken.

Wohin uns die Geschicke auch verschlagen,
Gefangenschaft in Nebel, Staub und Steinen,
wo alle Dinge mir zuwider scheinen,
wird noch ein Gutes heimlich in sich tragen,
die fernste Fremde wird sich noch erhellen
und alles Heimweh sich gelinde heilen,
wirst Du mit mir die dunklen Stunden teilen
und schützend Dich vor mein Verzagen stellen.

Und später einmal, nach den bösen Zeiten
und all den überstandenen Gefahren,
sei es auch erst nach vielen, vielen Jahren,
wird es uns beide Hand in Hand geleiten
zum goldnen Frühling sorgenloser Sphären,
den Gärten mit den immergrünen Wegen,
und was hier Wunsch blieb, wird dort ewig währen:
mein Glück in Dir und Deiner Liebe Segen.
(Band 2 S. 325)
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Dein Kuß

Was wir teilten, Leid und Späße,
Unerfreuliches und Zwist,
wenn ich es nicht mehr besäße,
weil Du mir entglitten bist,
würde dunkel alles Leben,
welk der Wiesen Gelb und Rot,
fahl der Schmetterlinge Schweben,
der Triumph der Berge tot.

Wie das Kätzchen, das verlassen
kläglich Deiner Spur nachging,
müßte ich die Güte hassen,
die mich einst so sanft umfing,
mich in Einsamkeit verhärten,
gram vergangenem Genuß.
Duft und Frucht der Hügelgärten
schwänden, fehlte mir Dein Kuß.

Saßen schweigend wir beisammen
an dem abendlichen Strand,
ringsum flackerten die Flammen
in dem leis entrückten Land,
das der See im Spiegelbilde
liebevoll verzaubert hielt,
neidisch war nach seinem Schilde
schon des Mondes Pfeil gezielt.

In dem Dunst der Promenade
glomm es hinter unsrer Bank,
und im Zirpen der Zikade
kündete sich Untergang.
Stürzen sah ich alle Brücken,
ihr Geleucht ertrank im Fluß.
Alle Dinge, die beglücken,
schwänden, fehlte mir Dein Kuß.

Aber, ist schon Herbst zu ahnen,
schreckt ein fremder Hauch mich schon,
das Geräusch der Eisenbahnen
mahnt mit kaltem Abschiedston,
Rauch steigt von den Ackerstreifen,
wo der welke Rest verbrennt -
laß mich Deine Hand ergreifen,
daß uns nichts im Leben trennt!

Er verlieren ihre Schrecken
Bergsturz und Gewitterdrohn,
Dunkel mag den Wald bedecken,
Blitz um Blitz das Tal durchlohn:
weiß ich Dich in meiner Nähe,
komme, was da kommen muß!
Was auch immer mir geschähe,
würde gut in Deinem Kuß.
(Band 2 S. 334-335)
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Ein Liebesbekenntnis

Wenn Du mir fehlst, fehlt mir ein ganzes Leben:
doch bist Du bei mir, mach ich Dir Verdruß.
Wie sollst Du das Versäumte mir vergeben,
ist alles immer nur ein Abschiedskuß?

Wie sollst Du meiner treuen Liebe trauen,
wenn sie sich nur im Trennungsschmerze zeigt?
Daß meine Augen traurig nach Dir schauen,
was nutzt es, wenn mein Mund auch dann noch schweigt?

Wie hilflos und vereinsamt ich mich fühle,
läßt Du mich wieder einmal hier allein!
Bekümmert streich ich durch die Abendkühle
und wünsche nur, Dir wieder nah zu sein.

Wie sehr ich jedes Pärchen dann beneide,
das heimwärts hastet, Arm in Arm, beschwingt,
hernach zuhaus bei dem Gelächter leide,
das aus der Wohnung nebenan erklingt!

Doch wärst Du hier, säß ich bei einem Buche
für Dich verschlossen, streng und abgekehrt,
Dein Antlitz, das ich nun verzweifelt suche,
hätte umsonst ein gutes Wort begehrt.

So mußt Du immer wieder mir vergeben,
bleib ich Dein Schuldner bis zum bittren Schluß.
Ich bin Dein Kind, Du schenktest mir das Leben
und sollst mich segnen, wenn ich sterben muß.
(Band 2 S. 381)
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Spätes Liebeslied

Dich zu kennen! Was Dein Bildnis gibt,
ist ein schwaches, wandelbares Spiel:
jeder sieht Dich anders, der Dich liebt.
Wenig gab ich Dir, Du gibst mir viel.
Dich zu nennen! Was Dein Name hält,
ist ein blasser, flüchtiger Begriff,
wie ein Stern, der schon ins Nachtmeer fällt,
fern dem Winternebel um mein Schiff.
Dich zu suchen! Was Dein Traum verheißt,
ist ein Glück, das kein Verdacht uns nimmt.
Wenn die Unrast früh Dich von mir reißt
und der Morgen schon verloren schwimmt,
wag' ich kaum zu glauben, daß die Not
einst wird überstanden sein und leicht,
daß die Hand, die heut mir Bittres bot,
dann die süße Frucht der Güte reicht.
Dir zu fluchen, wenn nicht schnell genug
Wunsch und Wollust sich durch Dich erfüllt,
ist der Husch von einem Schwalbenflug,
der die Sonne nur im Nu verhüllt
und verschwunden ist wie nie geschehn -
oder ob ihn nur mein Schreck erfand?
Wenn wir tief uns in die Augen sehn,
faßt von selbst sich kindlich Hand und Hand,
Dich zu halten, daß Du nie vergehst,
mich zu halten, daß Du stets mich fühlst.
Wenn im letzten Hauch Du einst verwehst,
schattenhaft mir noch im Haare wühlst,
sanft im Reigen wolkenblassen Scheins,
schattenhaft ich streife an Dein Haar:
Was wir lebten, war doch immer eins,
Leid und Angst und Spiele, wunderbar!
(Band 2 S. 409-410)
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Verlangen nach Liebe

Laß mich noch einmal die Liebe erleben,
die meine welkenden Jahre verjüngt,
daß wir uns wieder dem Schwärmen ergeben,
einer im andern sich zärtlich verjüngt,
daß wir den Frühling im Blut uns erwecken,
uns verwandeln im Liebesgespräch,
taumelnd in Küssen die Ewigkeit schmecken,
sterbend vereint sind im Abschiedsgespräch,
wieder am Morgen zum Leben erwachen,
wieder zur Liebe, zum frühen Tod,
einem Tode in kindlichem Lachen,
der nur ein Spiel ist vom wirklichen Tod,
der uns den Glanz und die Stille wird geben,
die unsre furchtsame Unrast verneint.
Laß mich noch einmal die Liebe erleben,
die meine welkenden Jahre verneint!
(Band 2 S. 429)
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Liebeslied

Bist du bedroht, so bin ich selbst verloren,
dann weiß ich erst, wie uns die Liebe eint;
hat sich das Schicksal wider dich verschworen,
so hat es mein Verderben auch gemeint.
Nah beieinander standen die Gestirne,
die dich und mich entsandten in die Welt.
Der Nachtgedanke hinter meiner Stirne
ist deinem Traume innig zugesellt.
Was dich jetzt ängstet, muß auch mich bedrängen,
wie mich beglücken wird, was dich beglückt:
das gleiche Schwert wird überm Haupt uns hängen,
der gleiche Kranz auch, der uns schließlich schmückt.
Erinnre dich des Vierblatts, das wir fanden,
daß eine Lust erblühte jedem Jahr,
wieviel Gefahr gemeinsam wir bestanden,
wie oft die Furcht vor Bösem grundlos war.
Wenn wir verzweifeln wollten und verzagen,
im letzten Augenblick war alles gut,
beschenkte uns mit wieder leichten Tagen
der Cherub, der uns ungern Schlimmes tut.
Auch jetzt wird er das Schwerste dir ersparen,
bringt er dich sicher durch die dunkle Schlucht,
wie wir dereinst auch wieder selig waren
trotz Krieg und Todesdrohung, Not und Flucht.
Du mußt dem Engel, der dich schützt, vertrauen:
er ist der gleiche, der auch mich betreut,
er wird uns eine neue Heimstatt bauen,
daß die verlorene uns nicht mehr reut.
Dann sind wir wieder sommerlich gebettet
im Duft der Wiesen, wenn der Mond erscheint.
Du bist erlöst, so bin auch ich gerettet,
weil ewig uns der Liebe Schicksal eint.
(Band 2 S. 439-440)
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Zuversichtliches Liebeslied

O könnt' ich dir den Gram ersparen,
von jedem Kummer dich befrein,
in allen Nöten und Gefahren
dir Tröster und Beschützer sein,
dein Herz mit frischem Mut beleben,
und dir ein sichres Obdach baun,
was dein einst war, dir wiedergeben:
den Frosinn und das Gottvertraun!

Gedenkst du noch des Tages vor zwei Jahren,
der Blütenpracht am Berg in Sonnenschein?
So werden wir noch oft gen Süden fahren
und Hand in Hand im Paradiese sein,
gemeinsam Unvergängliches erleben:
den vollen Fliederbusch am Gartenzaun,
die Lerchen, die das Kleefeld überschweben
und im Getreide ihre Nester baun.

Ich seh den Maienkranz in deinen Haaren,
so rasten wir am weißen Meilenstein,
der uns ins Weite weist, zum Wunderbaren,
wo Märchen zur Alltäglichkeit gedeihn,
Landstraßen leiten in ein lichtes Leben,
von Sommerfluren winken Schnitterfraun,
der Herbst schenkt dir die Hügel mit den Reben,
Eisblumen läßt der Winter dich beschaun.

Die Mächte, die sich wild gebahren,
gehn an dem eignen Wahne ein;
dich wird vor ihrem Haß bewahren
der Liebesgnade Heiligenschein.
Wir werden wieder Glück erleben,
vergessen dürfen all das Graun,
die Zukunft wird uns wiedergeben
den Frohsinn und das Gottvertraun.
(Band 2 S. 562-563)
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Von dir verworfen

"Unglücklich kannst du mich nicht mehr
und nicht mehr glücklich machen!"
Dein strenger Ausspruch schmerzt mich sehr
und läßt mich nachts erwachen.
Dann denke ich dem allen nach,
was dich verbittern sollte,
was Arges ich an dir verbrach,
obwohl ich lieb sein wollte,
wie meine dumpfe Narretei
dich nach und nach verstörte.
So ging die gute Zeit vorbei,
wo mir dein Herz gehörte.
Nun kommt dein Schatz an Zärtlichkeit
dem Kätzchen nur zugute,
ist mir vor schuldbewußtem Neid
recht kümmerlich zumute,
hab' ich mir dein Vertraun verscherzt,
das einst um mich gewoben,
scheint es in dir jetzt ausgemerzt,
verworfen und gestorben
und soll nie wieder möglich sein,
vergessen und entschwunden,
und läßt mich Furchtsamen allein
in diesen schwersten Stunden.
Das Unglück, das ich selbst mir schuf,
nahm mir mein Kinderlachen.
Doch könnte mich dein Widerruf
noch einmal glücklich machen!
(Band 2 S. 687)
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Aus: Max Herrmann-Neiße Gesammelte Werke
Herausgegeben von Klaus Völker
bei Zweitausendeins 1986/87
Band 1: Gedichte 1 Im Stern des Schmerzes
Band 2: Gedichte 2 Um uns die Fremde
Band 3: Gedichte 3 Schattenhafte Lockung
Band 4: Gedichte 4 Mir bleibt mein Lied

 

siehe auch Teil 2


 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Herrmann-Neiße

 

 


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