Max Herrmann-Neiße (1886-1941) - Liebesgedichte

Max Herrmann-Neiße



Max Herrmann-Neiße
(1886-1941)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 



Das Lied vom Schlüsselloch

Es schläft im Zimmer neben mir
meine nette kleine filia hospitalis;
geschieden sind wir nur durch eine dünne Tür,
ein Übelstand, der sehr fatal is.
Und wenn sie abends geht zu Bett,
dann lausch' ich auf das Rascheln und das Knistern:
das ist das Röckchen wohl ... das das Korsett ...
ach Gott, das macht begreiflich lüstern.
Es zieht - ich widerstrebe noch -
mich langsam doch zum Schlüsselloch.

Ja, so ein Löchelchen
verrät uns Sächelchen -
nur leider ist gar oft da noch ein Riegel vor.
Ach, könnt' mein Schlüsselchen
nur ein klein bisselchen
ganz leise, leise öffnen das ersehnte Tor.

Vorgestern schlich ich leise auch
zum Schlüsselloch: da war es wirklich helle,
sie zog sich langsam, trällernd aus nach Mädchenbrauch -
o Gott, wie bebt ich auf der Schwelle!
Sie stand an ihrem Himmelbett
und kämmte sich das Haar, das Unverschämtchen,
nun fällt wohl bald das Röckchen, das Korsett,
nun schaue ich sie bald im Hemdchen:
Auf einmal, ach, ich zitt're noch,
wird's finster hinter'm Schlüsselloch.
(Band 3 S. 25)
_____



Elly

Wie viel, wie viel ließ ich zurück!
Wie wenig, wenig nahm ich mit,
nur meine Leiden und mein Lied.
Und du mein kleines, süßes Glück?

Blieb mir auch nur ein Hauch zurück,
der Locken Duft, der Stimme Klang,
der leise Takt in deinem Gang -
von dir mein kleines, süßes Glück?

Der Vorhang fiel, aus war das Stück,
die Lichter löschten; und ich schied. -
In meinem Leiden, meinem Lied
bleibt doch mein kleines, süßes Glück!
(Band 3 S. 29)
_____



Ein sehr ungezogenes Sonett
(denen Damen Reinkober, Drutschmann, Ruffert etc. ins Album)

Das ist das Tragische: ihr seid wie Puppen,
mit kalten Augen wie aus buntem Glase;
ihr kennt das nicht: ich juble, schluchze, rase.
Gezier und Schmollen nur sind eure Truppen.
(Wie Fischlein schillert ihr in tausend Schuppen.)

Das ist das Komische: ihr seid wie Puppen,
die immer lächeln mit geschminkten Wangen,
die in steif goldigen Gewändern prangen,
und stehn in abgezirkelt strengen Gruppen.

Das ist das Tragikomische: daß wir,
wir also törichte, verliebte Narren,
stets auf die Strahlen eures Herzens harren,
und immer beten: Göttin, neig dich mir!
Und schmücken euch mit Liedern, innig vielen,
statt: wie mit Puppen gleichgültig zu spielen.
(Band 3 S. 35)
_____



Barockes Chanson

Ich habe dich gesucht wie eine Nadel,
du Madel ohne Tadel und voll Adel!

Ich habe dich gesucht, du klare Clare,
wie eine rare, wunderbare Ware!

Und wieder habe ich gesucht jetzunder
durch allen Schunder-Plunder wunder Wunder!

Ich habe dich gesucht bei den Kohorten
mit Jammerworten dorten allerorten!

Und habe dich gesucht an jeder Stelle
wie eine helle Quelle schrecklich schnelle.

Und habe doch vergebens dich gesucht,
und stöhnte in der Schlucht der Flucht: Verflucht!
(Band 3 S. 60)
_____



Albine und Aujust

Eine magre Zirkusprinzessin im roten
Schmierentrikot reizlächelt verboten.

Ein gelblicher Gauner im Hintergrund grinst,
weil solcher Fratz sich zehnfach verzinst.

Und klatscht mit der Peitsche seelenroh
eine zage Wölbung im Schmierentrikot.

Hinter dem Vorhang winselt zerknittert
ein schiefer Poet, der den Schwindel wittert.

Die magere Zirkusprinzessin flötet:
"Du hast meine junge Liebe getötet!"

Der gelbliche Gauner wie dienstbeflissen:
"Dir hamm so woll mit de Muffe jeschmissen?"

Der schiefe Poet schwitzt fürchterlich:
"Ich liebe dich! Ich liebe dich!"
(Band 3 S. 72)
_____



Du bist mein See Genezareth ...

Du bist Gott meinem greisen Gebet.
Du bist mein See Genezareth.
Legst du deine schmale, braune Hand
auf meinen Arm,
blüht heimatwarm
um mein Herz das Morgenland.

Du bist ein Wald, in dem sich mein wehes Verlangen
wie ein Echo fängt.
Du bist Asphalt, darüber mein Liebesbangen
als Bogenlicht hängt.

Meine Finger krümmen sich vor Lust
wie Schlangen,
träumen sie von deiner braunen Brust
und deinen seidenen Wangen.

Die Haarnadeln, die du auf meinem Spiegel vergißt,
sind mir ein seliges Segenssiegel aus Amethyst.

Die Briefe und Karten
und das Stück von deinem allerheiligsten Strumpfenband,
o Sancta Christ!,
sind mir ewiges Glück und ein Duften von Morgenland
und ein grüßender Garten,
darin ich alles leuchten fand,
kehrt ich zurück, von irrenden Fahrten,
zerzaust, im Pilgergewand - -
O deiner Augen Blaublumen Brand!
O berückendes Rund
deiner Knie!
So zart blüht dein Mund, wie
von Mozart eine Melodie ...

Deine duftenden Röcke sind wie eine lockende Laube!

O, die Sehnsucht nach dir umweht
immer und immer meinen verirrten Geist,
wie der Wind um das Gebet
segelnder Luftpiloten kreist.

Sonne meinen weißen Boten!
Du mein See Genezareth!
Meine Inbrunst schwebt über dir als silberne Taube ...
An deinen Ufern kniet im Staube
schluchzend dein Prophet.
(Band 3 S. 101-102)
_____



Salomo der Königin von Saba

Ich bette mich in dir: so werd ich reif.
Mein Phallus steigt als Stachel steil und steif.

Er sucht sein Nest: Du mußt ihn lind geleiten
und weich und warm ein Lager ihm bereiten.

Daß deine Hände auch mich lieben lernten
und meinen Schoß mit ihrer Huld besternten!

Denn meine Hände lieben deine Scham,
und meine Lippen sind ihr Bräutigam.

Mein Phallus lechzt nach deiner Brüste weichem,
zerwühltem Pfühl und deinem Mund, dem bleichen.

Küß' Balsam mir aus meinen Männlichkeiten
und laß den Zweig an deine Zunge gleiten!

Dein Simsons Same, dein des Hengstes Schweif!
Ich bette mich in dir: so werd ich reif.
(Band 3 S. 123)
_____



Traum-Orgie des Bankbeamten A. K.

Kühl kehrt dein Leib in meinen Traum
und weich wie Pfirsich-Sammetflaum.

Du kommst wie ein Page in Höschen gehuscht,
deine Japan-Augen mit Bläue umtuscht.

Deine Beine dehnen und pressen sich prall,
gebauschte Seide zerspringt mit Geknall.

Dein Höschen atmet, liebäugelt und hüpft,
ein Feigenblättchen ist feucht ihm entschlüpft.

Aus einem offnen Matrosenkragen
ballen sich Brüste, die mich tragen ...
(Band 3 S. 134)
_____



Sonntag in Leni

Du hast mir auch den Sonntag noch gesegnet,
der sonst voll Schatten, Scham und Schalheit kam:
du bist mir auf dem Gang durchs Feld begegnet,
du gibst mir stille Stuben, wenn es regnet.
Und Abende ganz ohne Grimm und Gram.

Jetzt geh ich glücklich durch der Gassen Gellen,
und der Refrain: ein Mann, ein Weib, ein Kind,
der sonst mich hassen hieß, hält jetzt mit hellen,
gelobten Lichtern mich auf weißen Wellen
und weht mich wonnig in den lieben Wind.

Und Trommel selbst und Pfeifen, Pauken, Becken -
sie schlugen mich vordem - jetzt sind sie gut:
sie machen meine Lieder laut und wecken
mich schön zu einem neuen Süße-Schmecken,
wenn mir dein Sonntag herzlich Liebes tut!
(Band 3 S. 140)
_____



Ich bin dir immer Gast

Laß mich in deines Leibes braunem Laub
versinken ganz und untergehn,
mach mich zu einem Spiel und Raub
des Windes, welchen deine Haare wehn!

Wirf mich in Wipfel, streu mich aus
in jede Welle, jeden roten Wein
- den wundersamen um ein herbstlich Haus -
und in den letzten, blassen Sonnenschein!

Verström mich in dein Blut, das schwerer schwillt
und voller sich zu runden Früchten reiht!
Ich bin dir immer Gast, und dennoch ungestillt
und sehnsuchtstoll nach dir in alle Ewigkeit!
(Band 3 S. 142)
_____



Sonett eines himmlischen Spiels

Dann blühte uns aus Tragik und aus Tränen
ein Spiel, so lustig wie der junge Wind:
Wir schlugen Flammen, wurden wieder Kind
und ließen uns versprühen in Fontänen.

Und ganz voll Leichtigkeit, wie Engel sind,
auf Wolken schaukelnd in umkränzten Kähnen
und Blitze schnellt das Weiß von ihren Zähnen,
so machten wir uns schwebend und geschwind.

Und deiner Stimme leuchtende Musik
warf Wellen hoch und tanzte über Schwerter
und stürmte flackernd durch den Sternenfall.

Da wurde meine Lust ein bunter Ball,
den zaubertest du immer wunderwerter,
daß er mit dir in alle Himmel stieg ...
(Band 3 S. 143)
_____



Gott, warfst du über uns dein Netz? - -

Gott, warfst du über uns dein schweres Netz?
Und mir blieb nichts, womit ich dich bestach
und einst beschenken konnte: Dein Gesetz
kam über mich, daß Herz und Hirn zerbrach. -

Soll unser Glück in Sterbeglocken münden?
Willst du mich wie an Gräbern beten lehren?
Willst du in Kleinigkeit und Arg und Sünden
die süßen Lieder unsrer Lust verkehren?

- Wir wollten unsre Berge blauer baun
zu deinem Stuhl und Stern und Opferstein ... -
Du warst der Bräutigam der heil'gen Fraun,
und willst jetzt unsrer Liebe Henker sein?

- Ach, mir blieb nichts, womit ich dich bestach! -
Starb Mond und Sonne? Ward dein Wort Geschwätz?
Zerbrichst du uns, weil dir ein Spiel zerbrach?
Gott, - oder wirft dein Neid auf uns das Netz?
(Band 3 S. 144)
_____



Sehnsucht im Café "Luitpold"

Ein stachliger Student stört eine Stute,
die, nackt, bepudert, nach dem Geiger giert.
Ein stummer Stöffel, Stuben-Stockfisch, stiert.
Ein Mädchen, mickrig, muffig, animiert ...
O Leni, Blühen du in meinem Blute,
wie stets mein Leben sich in dir verliert!

Zwei Nebbich-Fratzen nörgeln wie Hyänen
mit Kellnern, die sehr nett und nobel sind.
Ein Betthas bringt ein Blumen-Angebind,
und leuchtet alle Männeraugen blind -_
Doch jeder Strahl aus deines Haares Strähnen ...
wie bin ich stets dein sehr verwöhntes Kind!

Wie scheint mir alles schal, das dich nicht faßte
und deines Duftes reinen Abglanz hielt!
Wie ist mir jede Stunde ganz verspielt,
die fern von dir zu fremden Zonen zielt!
- - Und, eh ich euch noch recht von Herzen haßte,
geschah es schon, daß ihr ins Dunkel fielt - -
Vor jedem Strahl aus deines Haares Strähnen!
(Band 3 S. 152)
_____



Ich träume dir nach ...

Und immer bin ich so von dir ergriffen
im Allertiefsten und für alle Zeiten!
Du gingst ... Ich träum' dir nach ... Mir glänzt dein Gleiten
ganz nah, wie heimlich in mein Glas geschliffen.

Ich sehe dich die weißen Glieder breiten
wie Möwen ihr Gefiedert über Schiffen;
und plötzlich hab ich meinem Hund gepfiffen
und singe ihm von deinen Zärtlichkeiten.

Von unten zuckt aus Zoten Biergekreische,
und auf der Straße fließen zwei und zwei
sich immer wieder in die fahlen Fleische.

Verfänglich hinter Fenstern schaukeln Schemen,
und Katzen schrillen Liebesraserei. -
Ich träum' dir nach ... und sink' in Chrysanthemen ...
(Band 3 S. 192)
_____



Lied für Leni Gebek

Deine lieben Brüste sind immer auf mich bedacht;
sie träumen in Weiß und Weiß geborgen
von mir wie versponnene Vögel der Nacht.

Wie Sonnen steigen sie auf am Morgen
und flattern in meiner Hände Herd.

Sie haben mir immer alles beschert,
um was ich bat. Alle meine Sorgen
sargten sie ein bis zum jüngsten Tag.

Und weiß wächst dein Arm aus deinem Kleid
wie ein Birkenzweig aus der Mauer am Hag.

Jedes Lied ist mir leid,
das nicht zu deinen Füßen lag!
(Band 3 S. 208)
_____



Dein Glück nur ist mein ganzes Leben, Liebste!

Ich wünsche mir nur, dich immer glücklich zu wissen:
daß dir Trübsal und Reue für ewig erspart bleibt,
das Morgenrot deiner Wangen bewahrt bleibt
und der Glanz deiner Augen vor Finsternissen!

Daß dein Schlaf immer tröstet wie Träume von schönen
beseligten Stunden, die still und besternt sind,
daß immer, weil Fürchten und Feindschaft entfernt sind,
unsrer Betten Brücken von Tänzen tönen!

Daß alle rein zu dir reden und lieb an dich schreiben,
daß dein Gang durch den Garten ein holdes Geschenk wird,
daß die Welt nie zu weit dir, dein Haus nie zu eng wird,
denn nur wenn du glücklich bist, darf ich leben bleiben!
(Band 3 S. 227)
_____



Sonett von unserer Erlösung

Du hast uns, mein Gott, so mit Angst umgittert
und mit den Gruben des Grauens umstellt,
hast den Speer meines Spottes zersplittert
und meine schamlosen Gesten zerschellt.

Unsre Lippen haben gezittert,
jedes gute Wort klang vergällt,
Dank war verdammt und Bitte verbittert
und unsre Birken lagen gefällt.

Aber der Blitz, der die Kronen zerkrachte,
hat auch ins Tiefste den Himmel erhellt:
als unsre Liebe vom Alptraum erwachte,
schenkte sich uns eine neue Welt:
und wir fühlten in Leiden umfriedet,
Herz an Herz unlösbar geschmiedet!
(Band 3 S. 232)
_____



In deinen Händen

Der Sonntag war wie ein Geheg
von Heuduft und Holunder.
Ein Wiesel wehte übern Weg,
die Wipfel taten Wunder.

Den weißen Wolken war so wohl,
die Stadt stand wie ein Heiligenschrein.
Du hieltest deine Hände hohl:
Da ward meine Wehmut Altarwein.
(Band 3 S. 235)
_____



Bleib du mir treu!

Wenn ich die ganze Welt verlöre -
daß du nur bliebst! daß du nur bliebst!
Wenn ich nur noch dies eine höre,
daß du mich liebst! daß du mich liebst!

So einsam hatt' ich nie zu tragen,
als wie an dieser Tage Last,
da meine Schläfen Schlachten schlagen,
noch wenn du mich am Herzen hast!

Gehetzt, verstoßener als Steine
und ausgeschütteter denn Spreu,
weiß mein Gebet nur noch das eine:
bleib du mir treu! bleib du mir treu!
(Band 3 S. 238)
_____



Mich holt dein Herz

Der Berge dunkle Dächer
ducken sich, wie ertappt -
Die Sonne hat ihren Fächer
sachte zugeklappt.

Um die Kartoffelfeuer
flattert ein letztes Lied,
wie ein Abenteuer,
das vor sich selber flieht.

Es läuten die Glocken der Pferde
den Schlaf der Landstraßen ein.
Mich holt dein Herz. Ich werde
bald wieder glücklich sein!
(Band 3 S. 239)
_____



Nun sind auch meine Nächte ohne Narben

Nun neigt
dein Atmen über meine Nacht sich auch,
und jeder Hauch
von deinen Lippen singt der Liebe Letztes,
was der Tag verschweigt.

Der Sturm
rüttelt am Tor, - der obdachlos verlorne Sohn.
Und Ton um Ton
des Glockenschlags, vom dunklen Wein der Stille trunken,
stürzt vom Turm.

Es blüht
mein Schlaf in Frieden hinter deines Atmens weißem Zaun.
Und glücklich schaun
in deinen Augen meine ihren Sabbath, wenn der
Morgen glüht!
(Band 3 S. 240)
_____



O leuchte mir, wie einst, von Herzen hell!

Du leidest - was soll mir ein Frühling frommen,
der dich in Schmerzen schmiedet? ... Weiß wehn Straßen
in lauter Grün, das singt! - Brennender kommen
die Sonnenkränze von den Hügeln, wo wir saßen
in lauter singendem Grün, und erste Hummeln summten
um deinen Mund, der nun so schmerzhaft schmilzt,
und Veilchen neckten dich ... und wir verstummten ...
vor Seligkeit!

Ach, alles, was du willst,
auch gegen meine Liebe willst, geb' ich dir gern,
wenn du nur glücklich bist! Die Tränen, die du schnell
vor mir zu leugnen trachtest, macht mich so verkommen,
so schuldig ohne Schuld! Du meines Morgens,
meines Abends Stern,
daß Frühling wahr wird, leuchte mir - wie einst -
von Herzen hell!
(Band 3 S. 259)
_____



Hymnen über Herz und Hirn

Hymnen blüht mein Herz mit dem jungen Weiß
klingend der geliebten Kirsch-Alleen,
wo ich dich verlocke, meilenweit zu gehen,
wenn das Weiß der Wände und der Dächer wie Raketen
platzendes, von lauter Sonne trunknes Rot
mit den wildgewordnen Kurven aller frühlingswind-
verwehten Furchen und den störrisch
aufgebäumten Kleinbahngleis
tanzt!, vor einem dunkelseidnen Wall von Rüschen
abwehrstiller Berge tanzt!,
wie ein Klosterkind, das nur den einmal über alles
ausgekosteten, herbeigeahnten Tod
sich ertanzen will! - - -
Bis diese Hymnenhochzeit unsrer beiden
voreinander wie von allzu großer Liebe zaghaft
stummen Herzen
flammt mit dem ersten Flackern der Kastanienkerzen,
Lauben über meinem Haupt und über deinem, und
der Hauben weißes Flattern aus den Mägden
Engel zaubert, die zu guten
Wegen weisen, wo der wilden Vögel aus der Lichtung
wie verlorne Sterne Schwirrn
unsre Hände eint, daß sie von keinem Scheiden
wissen mögen! ... Himmlisches Verbluten!
Hymnen wie Flieder über Herz und Hirn!
(Band 3 S. 260)
_____



Pfingsten 1915

Wie mein Weg sich mehr gen Abend neigt,
daß ich schon den winterlichen Wald,
dessen Wild ich werde, schauen mag:
Blühst du jünger als der Frühlingstag
über meinem Werk, das welk und alt
abwärts steigt.

Hoffnungslos aus schwerem Schlaf erwacht
mein von Schuld und Scham gehetztes Hirn
zu dem neuen Jahre meiner Qual -
was mein sehr verspieltes, allzumal
feiges Leben Frucht noch trägt, ist Irrn
durch die Nacht.

Einsam Staub in Dunkelheiten sein,
bis dein Stern durch Wolken schenkt Geleit,
daß mich nichts mehr Irdisches berührt,
deine Hand mich immer höher führt,
und ich weiß, ich bin in Ewigkeit
dein, nur dein!
(Band 3 S. 261)
_____



Gebet um Bürgerlichkeit

Guter Gott, laß mich geborgen sein,
ohne Spott und ohne Sorgen sein,
guten Muts in schönen Stuben ruhn!
Gib mir Lampenschein und Bücherreihn
und Kamine und ein Gärtchen klein
und am Tage ein ersprießlich Tun!

Unrast, Abenteuer-Not und Neid,
Rache, Sehnsucht nach besterntem Kleid
laß wie Blendwerk, guter Gott, vergehn!
Vor den Augen der Geliebten sei
Zwist und Zweifel im Entstehn entzwei
und ihr Mund Im-Himmel-Wiedersehn!

Gib uns beiden, guter Gott, dies Glück:
daß bescheiden uns das letzte Stück
meines Weges sanft wird, kummerlos!
Und ihr Herz sei mir bis in den Tod
Heimat, Zärtlichkeit und Zebaoth!
Und mein Sterben leicht in ihrem Schoß!
(Band 3 S. 267)
_____



Die Seele der Geliebten ist ein weiter Wald

Oft sagtest du behutsam so ein heimlich Wort,
das tausendfältige Farbigkeit alter Juwelen hatte,
ganz absichtslos klingend aus dir, und
schwiegst befangen ...

Heute bin ich einsam über Land gegangen,
recht wie ein Flüchtling vor der eignen Wehmut
von Ort zu Ort,
da fand ich plötzlich irgendwie auf einem Blatte,
das in der Tasche lag, vergessen, jäh zusammengeballt,
die eine Zeile unter zwanzig wertlos andern:

"Die Seele der Geliebten ist ein weiter Wald,
dein ganzes Leben reicht nicht aus, ihn völlig zu
durchwandern."
(Band 3 S. 269)
_____



Dem herzallerliebsten Lenilein zur Weihnacht 1915
(Mit Heinrich Manns "Herzogin von Assy")

1
Du sagtest einst zu mir mit hartem Munde,
dir seien meine Lieder längst verhaßt,
und: daß der Stern von unserm Liebesbunde
in dem Gewölk der Worte nur verblaßt.
Und: daß es leichter sei, das Knie zu beugen
im Spiele selbstgefällger Melodien,
als mit dem Opfermut des Martyr-Zeugen
in Wahrheit unterm Henkerschwert zu knien.
Da fielen meine Verse wie verdorrte
Rosen im Eishauch deiner Mörderworte,
daß alles plötzlich in Erstarrung lag.
Bis leis aus deinem lächelnden Gewähren
Musik jetzt wieder steigt zu Sternensphären
an unsrer Liebe neuem Weihnachtstag.

2
Du wirst mein Herz noch in Äonen bleiben,
denn ohne dich ist meine Brust entblößt -
oft muß mein Irrsein dich in Trauer treiben,
dann bin ich immer wieder unerlöst.
Und ängstet dich mein ringendes In-Büchern-
Verbittert-Sein und-Sinnlos-Eingenagt -
ach, ohne dich bin ich ein irres Kichern,
das ruhlos durch verlorne Lauben jagt!
Und schweif' ich seelenlos durch fremde Scheiben
um Betten, die ein Dämon mir entblößt -
du einzig wirst mein Herz für ewig bleiben,
durch dich nur wird mein Leid im Lied erlöst!

3
Wenn in unsern eingeschneiten Wald
der verirrten Pilger Stimmen wehen,
deren Wege noch am Saum uns gehen
eine kleine Weile ..., aber bald
sich ins Ungewisse weit verlieren,
daß uns nicht ein Hall von ihnen bleibt,
(Wie ein Spötter lässig, beim Spazieren
in den Schnee zwei flüchtge Worte schreibt):
Bin ich wieder herzlicher geborgen
in der Obhut deiner Liebesbucht
und erlebe jenen Hochzeitsmorgen,
den der Wandrer stets vergeblich sucht.
(Band 3 S. 276-277)
_____



Wir bleiben vereint unterm Dach der Gedanken
(Für Leni, Pfingsten 1916)

Warum, durch innigen Liebeszwang vermählt,
verwunden wir uns doch bis zur Verzweiflung oft;
warum wird jener Himmel, den sich Herz von Herz erhofft,
zur Zwietracht, wo der Leidende durch Leiden quält?

Da mich die Welt in Todesängste treibt,
wehr' ich mich jäh, und meine Waffe trifft - dein Angesicht!
Einsamster Schrei in Reue: "Wenn dich meine Wut zerbricht,
weiß ich nichts, was mir noch vom Leben bleibt!"

Verschwistert sind im Innersten die Ranken
untrennbar ineinander, und es wohnt
das gleiche Wort uns schöpferisch im Blute.

Ewig vereint das Dach uns der Gedanken,
mit Liebeslust wird Liebesnot belohnt,
und das Vermorschte loht zu jungem Mute.
(Band 3 S. 283)
_____



Behalt mich lieb!

Was sühnt aller Selbstanklagen
zermürbtes: Vergib! -
Will dir nur eins immer sagen:
Behalt mich lieb!
Wenn dich der Berge Erbarmung
entrückt in Lauben von Licht,
ach, in des Glückes Umarmung
vergiß mich nicht!
Wenn deines Abends Frieden
die Mutter zärtlicher macht,
sei mir das eine beschieden:
im Wind zu sein, der euch bewacht,
unsichtbar um euch zu singen
in des Waldes Geraun,
aus den spiegelnden Dingen
stumm eure Augen zu schaun!
Aus dem Rollen der Wagen,
aus dem Lied, das dir blieb
leis im Blut, will ich dir sagen
eins nur: Behalte mich lieb!
(Band 3 S. 284)
_____



Die Hymne: Dein Herz

Ich lag am Strande eines tanzenden Meeres
von Mohn, das seine roten Muscheln mir
trunken von der Musik des Sommersturms
über die Schultern schüttete. Der Nachen
der Sonne ließ sich tausendfach zerschellen
auf seiner Flut und warf sich tausendfach
zurück in seinen Hafen: in dein Herz! -
Ich sah ... ich sah dich lachen
auf dem Balkon des fernen Auslugturms
und sah den tausendfachen Zug des Heeres
von weißen Schilden schimmernd hin zu dir,
zu deines Haares duftbedachten Wellen,
die leuchtend durch des Turmes Luken rannen,
ein Sommerbach!
Der diesem großen Heer von zagen
und stolzen Stirnen mit keiner Furt mehr frommt ...
ich lag ... und ließ mich so von deinem Lachen tragen
bis zu dem Quell aus Diamant, von dannen
der Ozean der goldenen Monde kommt:
in dein Herz.
(Band 3 S. 286)
_____



Bald werd ich bei dir sein ...

Bald werd ich bei dir sein ...
über ein Kleines
ist meine Sehnsucht ein
Lächeln beim Lampenschein ...

über ein Kleines
weiß ich, wenn Wandrer gehn,
daß ihnen Wiedersehn
zärtlich beschieden ...

dort: in der Schmiede
springt aus dem Feuerschein
Purpur wie Willkommenwein -

bald werd ich bei dir sein!

über ein Kleines ...
(Band 3 S. 288)
_____



Mein Leben wird in deiner Liebe münden

Nun sind wir vor des neuen Jahres schwarzem Wall
hilflos allein gelassen. Tut kein Tor sich auf?
Führt uns kein Stern zu Bethlehems verklärtem Stall!
Wo landet dieses zweifelhaften Flusses Litaneienlauf?

Geht jemals auf entrückten Gipfeln Geist
vom Geiste grenzenloser Ewigkeit mit mir?
Bleibt Frühling hoffnungsleer und Winter traumverwaist
und Tag und Nacht brüllt der vergessene Opferstier?

Doch wem ein Gott ein ganzes Glück vergönnte
- und sei's nach tausend Jahren Jammers -, diesem ließ
in dir sein Evangelium er verkünden.

Wo anders als in deiner Liebe könnte
mein Leben landen! Und im Paradies
der Unverwelklichkeit mit deiner Liebe münden!
(Band 3 S. 302)
_____



Mit dir

Nur daß ich meiner Liebe Glück schon ahnte,
verlockte mich in dieses Lebens Wahn;
was mich ein Meeresschoß zu bleiben mahnte,
verwarf ich, deiner Schönheit untertan.

Sonst dämmerte ich in den Dunkelheiten
des ewigen Vergessens, strömte still
im Nebelozean der Nachtgezeiten,
vollkommen, wie mein Gott, ihm gleich, mich will.

Doch irdisch unvollkommen in den engen
Vergeblichkeiten dieser Welt zu stehn,
gelüstete mich mehr, weil du es teilst.

Weil mich der Flug zu himmlischen Gesängen
nur glücklich macht, wenn deiner Schwingen Wehn
ihn führt und du an meinem Herzen weilst.
(Band 3 S. 309)
_____



Gefährtin der Gefangenschaft

1
Die roten Blätter, die wie Herzen schlagen,
sind deiner Sehnsucht singende Geschwister
und hüpfen zärtlich über meinen Weg.

Du hebst die Hand und legst um alle Dinge
Weihrauch und Gold. Und alle Glocken glühn.

Die kargen Lieder am Kartoffelfeuer
liebst du und wirfst sie in den Abendwind.
Und meiner Stube Stimmung machst du tiefer
und meine Lampe süß wie jungen Mond,
der sich in deines Haares Fluten hold
und wundersam versann ...
Daß deine Augen immer bei mir blieben!


2
Mein Blut entblättert sich -
so stürmt mein Sehnen!

Aus Fenstern und Straßenfurchen fielen die letzten Lichter!
Wo schläft dein Herz?
Meine Blicke möchten dir soviel abbitten,
meine Hände möchten an deinem Herzen sein.
Alle meine Wege träumen sich weit, weit in deine Augen ...
ich wandre mir die Füße wund nach dir:

Wo schläft dein Herz?


3
Wie du sänftigst meiner Seele Stürme,
läßt den Abgrund meiner Nerven blühn,
führst mein Dunkles auf die Morgentürme,
wo die Wälder weit zu Gott verglühn,

wie du meine schwersten Wochen leidest
und dich opferst für mein Auferstehn,
dich von allem, was dich schön macht, scheidest,
wenn es meine Augen nicht mehr sehn;

wie du weiß in Abendwiesen schimmerst,
daß mein Herzweh keinen Stachel hat,
wie du all dein Glück für mich zertrümmerst:

solche Liebe wird in den Legenden
einer zukunftshohen Sternenstadt
ihres Gottes Testament vollenden.


4
Daß du mich liebst, hat dir nur Leid gebracht:
nun liegt dein Leben hoffnungslos entlaubt
im leeren Angstplan einer bösen Nacht,
verloren büßend, weil es an mich glaubt.

Weil es mir durch Zertrümmerung und Not
das Sternenantlitz neigt, das Stürme stillt -
Vernichtung reißt der Flammenfahne Rot
auf jedes bethlemitische Gefild.

Du aber gabst für jede Stunde Furcht,
die ich dir schuf, mir tausendfältig Frieden
zurück und bringst dein Herz als Opfer dar.

Und deine Stirn, von meinem Gram zerfurcht,
hat einen weihnachtlichen Christaltar
mir noch zuletzt als Obdach stets beschieden.


5
Lockt mich auch des Lebens Abenteuer,
fremder Frauen Duft und Rätselblick,
sehnt mein Dichterwahn sich auch nach neuer
fabelhaft vielfältiger Musik,

will ich oft der eignen Pflicht entfliehen,
jeder Form, die mich eindeutig bannt,
und im Sturm von Zaubermelodien
- nicht zu fangen - wehn von Land zu Land,

immer neu geboren, neu geborgen,
daß sich Blüte neu aus Blüte treibt,
lockt mich auch ein immer neuer Morgen:

Alles Chaos endet doch in deinen
Zärtlichkeiten, und Erfüllung bleibt
unsrer Herzen großes Sichvereinen.


6
Ich vertraue dem Wunder (das nie geschieht?),
ich vertraue dem Traum (der jeden noch trog?),
fehlt deiner Seele der Glaube, der Wunder sieht,
war das dein Zagen, das meinem Traum sich entzog?

Ich vertraue dem Wunder - ob es geschieht? -
Dich zu finden im Haus unsrer Liebe? ... Du gingst!
Ist es dein Zagen, das meinem Traum sich entzieht!
Ach daß du stark wie Maria den Engel empfingst!

Ich vertraue dem Wunder ... Das Haus unsrer Liebe
liegt verlassen, und mich erwartet kein Trost,
der aus zärtlichen Augen das Leben erhellt?

Ich vertraue dem Wunder, dem Wunder der Liebe!
Und du kehrst mir zurück, und daß du entflohst,
bleibt nur ein böser Traum ... Und wir segnen die Welt.


7
Was wär' mein Weg in einer Welt,
die nichts von deinen Wundern wüßte? -
Oft wenn mich feig ein Zorn anfällt,
den ich mit Weinen büßen müßte,
dein Herz - o schweig! - mich lieb behält,
und jedem greinenden Gelüste,
das zweifelhaft wie Wind mich treibt,
dein Blut in Treuen willig bleibt.

Wo wäre Licht an einem Tag,
der nichts von deinen Augen sähe? -
Wenn mein Verzicht dem Leid erlag
und tilgte mich aus deiner Nähe
und Selbstgericht mit schroffem Schlag
traf deine Schläfen und die jähe
Zerrüttung schrie, verwarf mich nie
die Nachsicht deiner Melodie.

Wie überständ ich eine Nacht,
die nicht von deiner Güte träumte? -
Oft wenn mich eine Übermacht
von Visionen rot umbäumte
und jenes Spiel, da sacht und sacht
mein Herz in deines sinkt, versäumte,
vergaß dein Lieben Tag und Traum
und hob verschwistert uns empor
in der Gestirne großen Chor
untrennbar, über Zeit und Raum
in Ewigkeit,
in Ewigkeit,
in Ewigkeit!
(Band 3 S. 312-316)
_____



Schattenhafte Lockung

Flüchtige Neigung mag mich verwirren, wie Harfen
schattenschneller Verlockung Lied mich verwehn,
wenn im herzlosen Taumel leichtlebiger Larven
meine belasteten Träume wie Blinde stehn.

Oder wenn vor dem flimmernden Dirnchen der Bühne
Sehnsucht der Kindheit nach williger Schwester erblüht,
daß dem Mutlosen noch die verspätete, kühne
Schattenliebkosung gelingt, die doch fiebernd verglüht.

Die im Entstehn schon zerstäubte, eh sie noch Rede
spielerisch wurde, und hindert sich selber als Feind -
Inniger schmiegt sich mein Herz in das deine, durch jede
imaginäre Versuchung dir mehr nur vereint.
(Band 3 S. 318)
_____



Neue Fahrt

Des Gartens frühes Grün verjüngte meine Jahre,
ich werde wieder Liebender nach langer Winterlethargie:
der Kahn, in welchem ich jetzt nach Cythere fahre,
befrachtet sich mit neuer Melodie.

Schon bebt mein Herz: wen wird es dort zuerst erblicken ...
aus jungen Büschen tritt vielleicht die Göttin selbst und spricht zu mir,
oder wen wird sie mir als ihre Schwester schicken
und mit wie süßem Liede dank ich ihr?

Vielleicht wird dort in einem goldnen Becher
von lieblichen Epheben mir des Zaubertrankes Glut gereicht -
oder kommt stumm ein Amor, der in seinem Köcher
den Giftpfeil birgt, an dem mein Glück erbleicht?
(Band 3 S. 356)
_____



Liebesstrophen

Daß du bei mir warst in den schlimmsten Tagen,
als ich allen Höllen preisgegeben blieb,
half allein mir Demütigung ertragen,
machte auch im Leid mir das Leben lieb.

Daß du bei mir warst, wenn es mich entstellte,
mit Verzweiflung, Lüsternheit und wütgem Sinn,
wenn die Lästerung mir vom Munde schnellte,
sank sie reuig vor deiner Güte hin.

Daß du bei mir warst in den reichsten Tagen,
als mich unverdientes Glück erbeben ließ,
half mir den Kranz vor dem Gewissen tragen,
der Schuld an fremdem Elendsleben hieß.

Und du warst bei mir noch, wenn ich dich schmähte,
wenn ich dich in mir verriet und peinigte,
was der eine auch je dem andern täte,
wäre fremd dem, was uns vereinigte.

Denn wir halten uns, wenn wir uns vertreiben,
selbst ein Fluch auf dich muß von dir trunken sein,
und du wirst immer bei mir sein und bleiben,
oder meine Welt wird versunken sein.
(Band 3 S. 364)
_____



Engel der Zärtlichkeit

Ich vernehme kein Echo des Ewigen mehr,
zwischen mich und den Himmel ist Wüste geweht,
aus meinen Blicken kriecht ekler Begehr
und meine Lippen geifern Pamphlet.

Durch deine Stimme nur spricht noch
des Himmels Zärtlichkeit mit mir -
warum verschließe ich mich doch
so oft selbstmörderisch vor ihr?

Sie führt mich aus der Städte Haft
zum märchenweiten Ozean,
in des Gebirgs Mondnachbarschaft
aus schwüler Feste Fieberwahn.

Der Sternenaufgang deiner tief
enthüllten Augen hat erhellt
die Fremde mir. Lächelnd entschlief
in deinem Bild das Ährenfeld.

Entschlief ich nicht selbst durch Gebete versöhnt,
in die mich dein Herz hüllt zur ewigen Fahrt,
war doch paradiesisch mein Abschied verschönt
und durch dich hart am Abgrund vor Satan bewahrt.
(Band 3 S. 372)
_____



Ich gehe einen schweren Weg

Ich warte so auf dich, daß du mich segnest,
eh ich den schweren Weg zu gehn beginne,
ich halte um ein weniges noch inne,
ob du mir doch am Tore nicht begegnest.

O könnte ich ein Wort von dir erlangen,
ein Liebeswort, das mich für alles feite,
daß dein Gebet den Zaubermantel breite
über mein letztes, lebensmüdes Bangen!

Du schweigst. Ich muß mich ungetröstet trollen,
auch du kannst nicht, mich schließlich doch zu retten,
so streck ich selbst die Hände hin den Ketten,
die mich fortan ins Dunkel bannen sollen.

Und wie ich meiner Schmach entgegen wanke,
fang ich schon an, die Feste zu vergessen,
da ich mich hatte eines Glücks vermessen,
dem ich jetzt nicht einmal in Träumen danke.

Schon wünsch ich, Gutes wäre nie geschehen,
dann würd ich meinen Sturz jetzt leichter dulden,
denn meine guten Stunden nur verschulden,
daß ich jetzt muß wund in die bösen gehen.

Von solchen Wunden kann ich nie genesen,
zuviel Vertrauen ist in mir zerschlagen,
kein Zeichen deiner Liebe darf ich tragen -
o wäre nie ein Hauch von mir gewesen!
(Band 3 S. 380)
_____



Wenn ich dich nicht in meinem Leben wüßte ...

Wenn ich dich nicht in meinem Leben wüßte,
wie sollte ich das Feindliche bestehn:
ich welkte heimatlos und sterben müßte
ich, ohne einen Blick von Gott zu sehn.

Wie ich mich jemals auch verwirren sollte,
du wartest treu auf meine Wiederkehr;
nichts endet glücklich ohne dich, und wollte
ich dich verleugnen, wär' ich selbst nicht mehr.

Ich triebe einsam durch die fernsten Straßen -
daß du in meinem Zimmer lächelnd bist,
errettet mich; im Lampenlaubdach saßen
wir wie geborgen vor dem Daseinszwist.

Ich finde heim zu dir nach allen Fahrten,
die mich entführten auf das fernste Meer,
wenn meine Träume nur dein Bild bewahrten,
wird jeder Tag ein Fest der Wiederkehr.

Wird jeder Abend auf der fremden Küste
nur dein Gestirn an Felsen tanzen sehn ...
Wenn ich dich nicht in meinem Leben wüßte,
wie sollte ich das Feindliche bestehn?
(Band 3 S. 382)
_____



Für Leni

Die du mein Leben bist,
des Tages Glanz, des Abends sanfte Stille,
der Traum der Nacht, des Morgens junger Wille,
der dir ergeben ist,
auch wenn du es nicht weißt:
sein Gang durchs Feld, sein heimliches Verweilen,
auf Straßen mit den Stadtgehetzten eilen,
fern stummen Bergesgeist,
hastender Bahn entlang,
spricht er doch nur von deinen Zärtlichkeiten
und läßt den Wind als dich neben sich schreiten,
den schmalen Felsengang,
in dem er sich entscheiden muß,
wenn an der Biegung, wo ein Mensch nur Raum hat,
dich oder sich zu opfern Angst sein Traum hat,
sterbend aufzuerstehn in deinem Kuß!
(Band 3 S. 507)
_____



Ich spiegle deinen Stern

Du bist so fern. Ich höre nach dir hin
über den Großstadtlärm, über Cafémusik,
die dir nah ist ... Ich härme mich, daß ich schwieg:
ich hab' dich gern, auch wenn ich Abwehr bin.

Manchmal ist Schnee um alles, was ich will:
Sehnsucht ist eingeschneit, Leidenschaft, Liebesmacht.
Und wie ein Wächter schreite ich durch die Nacht,
aber ich steh vor deinem Fenster still.

Du schläfst so fern. Du träumst in Länder hin
voll Glut und Hafenlärm, voll Matrosenmusik.
Mich schreckt Meer. Hilflos härm' ich mich, daß ich schwieg,
und hab' dich gern, auch wenn ich einsam bin.

Ich wünsch' dir Glück. Du folgtest deinem Stern:
auch der mich schmerzt, spiegelt in meinem Herzen sich.
Unsichtbar, zauberbeflügelt begleit' ich dich.
Will es dein Glück, sterb' ich: Ich hab' dich gern!
(Band 3 S. 511)
_____



Heimfahrt

Ich warte so auf dich. Des Wehres Rauschen
ruft dich herbei. Ich geh, von dir umringt.
Wie sich ein Wandrer aus dem Fürchten singt,
sing ich von dir ein Lied, dem Lerchen lauschen.

Ich möchte wieder schuldlos sein wie Kinder,
daß ich dein Lieben unverwirrt erlebe,
im sanften Traum des Abendhauchs als linder
Nachtfalter deine Schweigsamkeit umschwebe.

Doch zuviel Fremde geistert durch mein Wesen,
in kahlen Landen hastet meine Fahrt.
Will ich uns Hoffnung aus den Sternen lesen,
hält eine Wolkenburg sie streng verwahrt.

So darf ich nur auf deinen Atem lauschen,
aus dem mir Segen oder Bannspruch klingt,
bis mich ein Zug, der deine Lieder singt,
zu Tagen bringt, die nicht mit Träumen tauschen.
(Band 3 S. 515)
_____



Wunder der Allgegenwart durch Liebe

Ich ging mit dir. - Ich ging so sehr allein,
weil schlimmer, als das einsamste Hintreiben,
dies ist: mit deinem Schatten nur zu sein
und dir gleichzeitig fern und nah zu bleiben.

Ich ging mit dir, sprach jedes Liebeswort,
das ich in deiner Gegenwart verschweige;
nun trugen es mißgünstge Winde fort,
daß ich dir wieder leere Hände zeige.

Ich ging mit dir, warst du auch einer Welt,
die mir urfeindlich ist, willig ergeben,
tanztest vielleicht in eines Festes Zelt:
ich fühlte dich an meinem Herzen leben!

Ich ging mit dir. Daß du nicht glaubst, ich weiß,
nicht glauben kannst dem, der sich stets verriegelt
vor deiner Liebeswerbung, der als Greis
sich heimlich nur in deiner Schönheit spiegelt.

Ich ging mit dir. Und jeder spürte dich;
wer mir begegnete, schien dich zu schauen,
durch deine Zauber nur verführte ich
die Liebenden der allerschönsten Frauen.

Ich ging mit dir. Warst du mir auch versagt,
du warst mir dennoch zum Geleit gegeben.
So fern der Einsamkeit, die nach dir klagt,
fühl' ich dich nah an meinem Herzen leben.
(Band 3 S. 526)
_____



Gebet

Falte dich um mich wie der Kelch einer Blüte,
trage in dir das Sanfte meiner Art,
daß entwütet alle verhüllte Güte
strahle wie eine Nardenschale zart!

Dir ist gegeben, mich gut oder gestaltlos zu machen,
Gegenwart oder Zukunft blutender Wein,
meinem Leben, dem haltlos schwachen,
die hart schmiedende Glut zu sein.

Mich zu quälen, daß ich nicht verderbe,
fruchtlos verrecke und vergeh,
die Jahre zählen, bis ich sterbe,
an der Ecke ein stotternder Bettler steh.

Die Faust gegen Autos erhebe und wüte,
verkrampft in ewiger Höllenfahrt. -
Falte um mich den Kelch deiner Blüte,
halte das Sanfte meiner Art!
(Band 3 S. 553)
_____



Liebeslied in den Straßen

Ich hab' an dich gedacht
in jedem Jammer des vergangnen Tages,
im stummen Kummer jedes Stundenschlages
der wachen Nacht.

Im Winde lief dein Lied
mit mir wie einer Hündin treue Schritte,
auf daß mein Fuß auf keinem Eis ausglitte
und jeden Stein vermied.

Kein Vorwurf mich verdammt,
wenn ich ein flüchtges Lächeln Mädchen schenke,
an die ich schon beim nächsten Blick nicht denke,
der dir zuflammt.

Entflammt stürz' ich nach Haus:
nie welk, siegreich wider des Todes Mächte,
weil ich im Glück der Tage und der Nächte
nur dein gedacht,
nur immer dein gedacht!
(Band 4 S. 7)
_____



Liebeslied

Kommst und gehst, und mein Erleben
hat nichts, als dein Gehn und Kommen;
Träume, die mich sanft umschweben,
werden bald von mir genommen.

Erster Blick, wenn ich erwache:
ob die Kissen dich noch hüten.
Sterne über unsrem Dache
deine Schlummerau umblühten.

Letzter Blick, eh ich entschlafe:
ob die Nachtengel dich schützen.
Dann wird, als gerechte Strafe,
mir kein Liebeswunsch mehr nützen.

Küßte gern jetzt deinen Rücken,
lieg' nach Liebe auf der Lauer.
Des vergangnen Tages Tücken
rächen sich an meiner Trauer.

Wie grausame Dornenhecken
Sternenbüsche dich umhegen,
wollt' ich dich zum Spiel erwecken,
träf mich ihrer Pfeile Regen.

Ach, nun büße ich in wehen,
wilden Sehnsüchten, zu lieben,
daß ein ewges Kommen, Gehen
meine Unrast dich getrieben!

Hat die wilde Jagd der Rache
alle Blüten totgeritten:
erster Blick, wenn ich erwache,
will dir alles Leid abbitten.
(Band 4 S. 29-30)
_____



Meine Liebesheimat

Sonst ist mir keine Heimat mehr beschieden
als dieser Traum von dir, der noch die Nacht
der freudelosen Fremde traulich macht
und einfügt in den süßen Abendfrieden.

Zu wissen, daß dein Herz mich stets erharrt,
und käm ich noch so spät von böser Fahrt,
und hätte dein Gedenken schlecht bewahrt
und unterwegs mich in ein Nichts vernarrt!

Zu wissen, daß mich deine Wünsche schützen,
wagt' ich mich auch auf dir verhaßte Pfade,
daß immer wieder deiner Sanftmut Gnade
mich aufhebt aus der wüsten Wirrung Pfützen!

Sollte ich dir wie Kätzchen nicht gern fügsam
und nur in deiner Huld geborgen sein?
Ach, allzu oft begehrt ich fremden Wein
und schwärme aus, gierig und ungenügsam!

Um immer wieder reuig heimzufinden,
weil nirgends in der Welt mich jemand liebt
wie du; weil jede Lockung schon zerstiebt,
noch eh die Sterne einer Nacht entschwinden.

Da war Musik, ein Zufall, waren Frauen,
die, kaum erblickt, schon ihren Reiz verloren,
und alles schwieg so feindlich, daß wir froren
und fürchteten, dem Nachbar zu vertrauen.

Und wollten dennoch sprechen und vergaßen
das Wort, daß keiner seinen Freund verstand.
Nur dessen harrte noch ein Heimatland,
den jemand liebte über alle Maßen.

Doch ich kann stets nur im Gedicht dir sagen:
"Du bist als einzge Heimat mir beschieden!"
Sonst hab' ich jedes Liebeswort gemieden
aus Scham vor allzu viel verlornen Tagen.

Ist es zu spät schon, alles gutzumachen,
was ich aus Lässigkeit und Leid versäumte?
Weil ich nur stets von unsrer Liebe träumte,
ist es zu spät, zu ihr nun zu erwachen?

Magst du dem fast verlornen Sohn vergeben,
der allzuspät heimfand, verstört und müd?
Er weiß jetzt, wo allein ihm Heimat blüht.
Wenn du ihm winkst, darf er noch einmal leben.
(Band 4 S. 48-49)
_____



Liebeslied

Ich bin dir gut und kann es dir nicht zeigen,
ich schäme mich vor fremder Schatten Spott.
Mir fehlt der letzte Mut; so muß ich schweigen.
Ich gräme mich, da stirbt mein Liebesgott.

Ist voreinander nichts mehr zu verschweigen?
Dein Stern und meiner suchen fremdes Land
und sehn sich furchtsam an. Die Wälder neigen
sich unter unserm starren Widerstand.

Und können ihren Frieden nimmer finden;
durch ihre Gräser raunt Vergänglichkeit,
und für der Sommerwege blühnde Linden
bin ich zu alt und habe keine Zeit.

Ich bin dir gut und kann dich doch nicht binden
und bin dir Heimat über Nacht entflohn,
und dennoch werde ich mich wiederfinden
in deiner Hut als der verlorne Sohn.

Du bist zu stolz, mich herzlicher zu halten,
die Liebesinsel will gefunden sein.
Suchte ich Lust in vielerlei Gestalten,
wollte ich nur an dich gebunden sein,

können sich diese Flügel nur entfalten,
wenn du am Erdbeerhügel selig kniest,
versagen alle feindlichen Gewalten,
wenn du aus meinen Blicken Liebe liest.

Dann wächst mein Mut, dann werd' ich nicht mehr schweigen,
dann fürcht' ich weder Traurigkeit, noch Spott:
Ich liebe dich, und kann dir's glücklich zeigen,
und sommerlich singt unser Liebesgott.
(Band 4 S. 76-77)
_____



Die jungen Menschen

Die beiden jungen Menschen in dem Blühen
der ersten Liebe, die sie ganz erfaßt,
sind wie zwei Rosenbüsche vor den Mühen
der Großstadthast, wo eins das andre haßt;
wo jeder über seines Nächsten Nöte
sich weiterstürzt zu vorteilhaftem Tausch,
verharren sie von Früh- zur Abendröte
im gleichen kindlich reinen Liebesrausch.
Wie Kinder auch von Engeln heil geleitet
durch die Gefahren, die sie rings umdrohn,
wie der Nachtwandler seltsam sicher schreitet
in Höllen Gottes Tochter, Gottes Sohn.
Die Armen, die verbittert betteln gehen,
werden mit einer Hoffnung hold beglückt,
wenn sie die beiden jungen Menschen sehen;
ein Stolzer selbst hat sich besiegt gebückt
vor diesem hellen Glanz in ihren Mienen
und sich geschämt, daß er den Glanz verlor,
in dem einst seine Kinderaugen schienen,
Geschwisterpaar dem Stern am Himmelstor.
Die ganze Stadt mit ihrem falschen Prangen
ist plötzlich alt, hat Runzeln, graues Haar;
du siehst: wie ist sie ekelhaft vergangen
vor diesem frühlingshaften Liebespaar,
dessen Umarmungen heller erglühen
als Feuerwerk am Fluß und Funkturmmast,
vor diesen jungen Menschen in dem Blühen
der ersten Liebe, die sie ganz erfaßt.
(Band 4 S. 79)
_____



Wo bist du, Liebste?

Wo bist du, Liebste? Welten, Sterne weit.
Und zwischen uns harrn Flüsse, Berge, Steppen
des Liebesrufs, der durch die Ferne schreit,
mich an dein Bett zu schleppen.

Wo bist du, Liebste? Seltsam wacht die Nacht
an deinem Schlaf mit einer fremden Sprache.
Und einer spielt mich selbst in fremder Tracht
in deinem Schlafgemache.

Und morgens blüht vor dir ein fremdes Land,
schließt dich die fremde Stadt in ihre Arme,
erweckt dich eine fremde weiche Hand
ins südlich Warme.

Dann steigst du in den Himmel goldne Treppen
empor zu einer fremden Ewigkeit,
Sternbild hoch über Meeren, Bergen, Steppen ...
Wo bist du, Liebste? ... Weltenweit.
(Band 4 S. 102)
_____



Lieder für die kranke Lebensgefährtin

1
Meine Liebe konnte dich nicht retten,
mein Gedenken hat dich nicht geschützt:
Opfer bist du blutger Klinikbetten,
wo mein schönstes Lied dir garnichts nützt.

Deine Leidensnächte sind voll Tränen,
einsam liegst du wach, von Angst geplagt,
und mit seinen schwarzen Wolkenschwänen
durch dein Fieber hetzt des Himmels Jagd.

Einsam wandle ich durch unsre Zimmer,
ach, uns fehlt dein Hiersein, das vertraute!
Und ich höre doch dein Schmerzgewimmer
über Straßenlärm und Rundfunklaute.

Und ich schäme mich, so wohlbehalten
fern zu bleiben dem, was dich zerquält.
So wie du bedrängt von Schreckgestalten,
hab ich der Minuten Gang gezählt.

Dennoch war mein Kummer nur Schimäre,
nur der Schatten deiner wahren Not.
Wenn ich jetzt an deiner Stelle wäre,
wärst du wirklich treu mir bis zum Tod!

Könnte deine Liebe mich erretten,
hätte dein Gedenken mich geschützt.
Aber eitel über Klinikbetten
gaukelt jetzt mein Lied, das keinem nützt.


2
Ich kniee, wie ich lange nicht gekniet,
vor meinem Gotte, dich gesund zu bitten.
Ich ruf ihn, daß er deinen Jammer sieht,
daß er die Schmerzen weiß, die du erlitten,
und denen, die noch nahen wollen, wehrt
und legt die Hand dir lindernd auf die Wunde
und schenkt dir, was das wehe Herz begehrt:
die Wohltat jeder stummen Schlummerstunde.

Wie auf dem Kirchenpulte liegt mein Haupt
am Fensterbrett. Und meine Blicke trauern
über das Baumgewirr, das schwarz, entlaubt
gespenstert in des Himmels fahlem Lauern.
Es fiebern deine Nöte durch mein Blut,
ich ringe um dein Leben mit dem Bösen.
Es spricht ein Freund zu mir und meint es gut
und kann doch nicht mein Leid um dich erlösen.

Den Angstschrei, den man nicht vergessen kann,
hör ich wie du durch meine wachen Nächte
hilflos verhallen. Eine Ewigkeit verrann,
eh sich entschied, ob etwas Rettung brächte.
Noch bange ich, wofür ER sich entschied,
ob seine Engel aus den Zelten treten.
Ich kniee, bis ich seine Gunst erkniet,
vor meinem Gotte, dich gesund zu beten.


3
Wie fremd sind jetzt die Bücher, einst Gefährten,
die zu mir sprachen, wenn ich einsam saß,
die mir die Tröstung ihrer Welt gewährten,
daß ich die Sehnsucht und die Angst vergaß,

die auf dich warteten und mit mir wachten
bis deine Schritte klangen durch die Nacht
und mich zum Glücklichsten der Menschen machten,
warst du mir heil von draußen heimgebracht,

die wir vereint in guten Stunden lasen,
oder ich trug dir froh ihr Schönstes vor;
des Regens Prasseln und des Windes Blasen
blieb abseits hinter dem verschloßnen Tor.

In deren Lieblingsstellen wir uns trafen,
wenn wir auf Reisen, weltenweit entfernt,
einander suchten, daß uns vor dem Schlafen
der Himmel einte, heimatlich besternt.

Die Bücher, die mit buntem Wald umbauten
noch gestern unsre Welt, die sicher schien,
in die noch nicht mit drohend rohen Lauten
ein Grauen drang, voll Sterbemelodien:

wie fremd und fruchtlos sie mir jetzt erscheinen,
nun da es alles gilt, versagen sie:
sie bleiben ungerührt bei meinem Weinen
und heben Labsal meiner Klagen nie!


4
Morgen wirst du wieder da sein,
hab' ich wieder ein Zuhaus,
wirst in Tag und Schlaf mir nah sein:
glücklich sieht die Stube aus,
Bilder blinken, Liebeslieder
singt das Linnen in dem Bett,
dir entgegen blühen wieder
Tisch und Stuhl und Bücherbrett.
Deinem Sofa, deinem Spiegel
geht es endlich wieder gut.
Schieb ich vor die Tür den Riegel,
wieder Herz an Herzen ruht,
wieder heimatlich geborgen
dich mein Trost umweben kann.
Kehrst du heil mir wieder morgen,
fängt ein neues Leben an.


5
Die Wahrheit ist: ich bin mit dir verbunden
in deinen guten, deinen dunklen Stunden.

Es führt die unsichtbare Rosenbrücke
von deiner Fröhlichkeit zu meinem Glücke.

Es trennt die gleiche unsichtbare Mauer
von aller Welt dein Weh und meine Trauer.

Aber was ist mit unsern Einsamkeiten?
Sie müssen durch die gleichen Schrecken schreiten.

Um sich am Ende doch einmal zu finden
im holden Heimattal beim Duft der Linden.

Und die für einen Nu sich fremd erschienen,
erröten mit geschwisterlichen Mienen.

In meinem Blick sich deine Liebe spiegelt,
ich seh in deinem Blick mein Glück besiegelt.

Unlösbar sind wir schicksalhaft verbunden
in unsern guten, unsern dunklen Stunden,

und noch, wenn wir uns, ungewollt, verwunden.


6
Noch einmal weht es durch die nächtigen Wellen
zu mir herüber von den Kranken-Kissen ...
Und wirst auch du von den Gedanken wissen,
die jetzt wie Engel um dein Bett sich stellen?

Du stöhnst. Zum letzten Mal in diesen Stunden
soll heut ich dein einsames Klagen hören ...
Und wirst auch du mich einsam sagen hören:
"Schon morgen kühle ich dir deine Wunden?"

Erst morgen darf ich wieder dich betreuen,
aus fremden Händen deine Leiden lösen,
dir noch in beiden, guten oder bösen
Empfindungen, mich kränken oder freuen.

Noch ist die Nacht ein banges Dich-Verlangen ...
Wie übers Meer die Lichter Zeichen tauschen,
wird morgen unsersgleichen sich berauschen
am Gnadentage, da wir dich empfangen.


7
Bist du immer noch bedroht,
ist kein Schutz dir meine Pflege,
bleibt dein Himmel fieberrot,
ob ich auch die Hand dir lege
auf das furchtbeschwerte Haupt,
daß es meiner Hoffnung glaubt?

Kein Genesen schenkt die Frucht
und der Trank, den ich dir bringe.
Mein Gedicht hat keine Wucht,
daß es deinen Feind bezwinge.
Hilflos wie ein Hündchen geht
um dein Bett mein Nachtgebet.

Wenn jetzt allen Weihnacht naht,
sollte sie grad uns vermeiden?
Der ich nur um eines bat,
sollte ich ein "Nein" erleiden?
Ich vertrau von Herzensgrund
unsrer Liebe Schmerzensbund.
(Band 4 S. 378-383)
_____



Karlsbader Dank für Leni

Nächtlich singt der Bergbach wieder
mir die schönsten Schlummerlieder,
durch das offne Fenster neigen
sich mit frühlingsgrünen Zweigen
freundschaftlich des Waldes Bäume
über meine Ferienträume.

Dies und jeden Glückes Schimmer
kommt aus deinen Händen immer;
stets war unser ganzes Leben
nur mein Nehmen und dein Geben!
Über allen Maienwegen
liegt als Morgenrot dein Segen,
aller stille Wiesenfrieden
ist mir nur durch dich beschieden.
Alles, was da treibt und blüht
und um Abendhöhen glüht,
ist beseelt durch deine Nähe.
Wenn uns Schlimmes jetzt geschähe,
wären unsre dunklen Stunden
dennoch hochzeitlich verbunden.
Doch die lieblichen und lichten
soll dir keine Angst vernichten.

Wenn in allen meinen Jahren
ich behütet vor Gefahren,
dieses traumhaft unberührte,
leichte Dichterdasein führte,
war es, weil du des Lebens Last
ganz auf dich genommen hast.
Dir die Opfer zu vergelten,
wird der heil gebliebenen Welten
Wunder pfingstlich dich erfreuen
und dein Sommer sich erneuen:

Tröstlich singt der Bergbach wieder
dir die schönsten Schmeichellieder,
durch das offne Fenster neigen
sich mit immergrünen Zweigen
freundschaftlich des Waldes Bäume
über deine Liebesträume ...
(Band 4 S. 402-403)
_____



Unsere schönsten Lieder

Wo sind unsere schönsten Lieder geblieben,
die uns blühten, wenn wir sie nicht wollten,
die wir nachts schlaftrunken nicht aufschrieben,
daß ins Dunkel wieder sie entrollten?

Die sich plötzlich in unsre Liebesstunden
hartnäckig hingen und nicht verscheuchen ließen,
später haben wir sie nicht wiedergefunden,
wollten wir sie in einsamer Muße genießen.

Wo mögen sie sein, die schon im Entstehen sterben?
Schweifen sie ruhlos? Führt sie zu kommenden Dichtern,
die sie besser empfangen, ein glückhafter Wind?

Oder müssen sie für ewig verderben?
Leben sie nur noch als Narben in unsern Gesichtern?
Wir aber wissen, daß es unsre schönsten Lieder gewesen sind.
(Band 4 S. 474)
_____



Lied

Sie lacht mir ... sie lacht mir,
den Abschied zu verschönen,
und macht mir ... und macht mir
das Herz schwer wie nie.

Wohin geht sie ... wohin geht sie?
Ich weiß es allzu gut.
Und mich Klagenden verhöhnen
die dunklen Blicke ihrer eigenen Melancholie.

Glück erwacht nie ... Glück erwacht nie?
Ewigkeiten gingen, seit ich glücklich war.
Ihr allein, ihr allein
dank' ich, daß auch ich von Paradiesen weiß!

Bist du mein? Du bist mein!
Frag ich, wo du warst, wenn ich dich glücklich schau?
Du trittst ein, du trittst ein,
und die Stube schaukelt wie ein Stern am Himmelsbaum.
(Band 4 S. 506)
_____


Aus: Max Herrmann-Neiße Gesammelte Werke
Herausgegeben von Klaus Völker
bei Zweitausendeins 1986/87
Band 1: Gedichte 1 Im Stern des Schmerzes
Band 2: Gedichte 2 Um uns die Fremde
Band 3: Gedichte 3 Schattenhafte Lockung
Band 4: Gedichte 4 Mir bleibt mein Lied

siehe auch Teil 1

 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite