Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Der Frühling - Wandmalerei aus Stabiae

 


Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. - 17 n. Chr.)
römischer Dichter



Liebes-Elegien (Amores)

Drittes Buch



1. Elegie (1)

Die Escheinung der Musen


Alt und schaurig wölbt ein nie behauener Wald sich;

Welch ein Gott wohnt hier? fraget, wer ihn nur sieht.

In der Mitte von ihm rauscht eine heilige Quelle,

Und der Vögel Geschwirr seufzet klagend umher.

Einsam gieng ich hier in überhangenden Schatten,

Für der Muse Gesang neuen Inhalt zu späh'n.

Plötzlich trat vor mich, in rosenduftigen Locken

Elegia; zwar schien mir ein Füsschen zu lang;

Dennoch war sie schön, obgleich nur lässig geschmücket,

Selbst der Fehler am Fuss gab ihr höheren Reiz.

Aber zürnend kam auch die hohe Tragoedia; wild flog

Ihr das Haar, im Staub lag der Mantel von Gold.

In der Linken hielt sie voll Ernst den herrschenden Zepter,

Und der bunte Kothurn trug sie stolzer empor.

Sie begann: "O du, der kühnern Begeisterung Schmäher,

Wann verseufzet einmal dein verliebtes Geächz?

Wird dein Leichtsinn nicht in jeder Schenke gesungen?

Tönet nicht von ihm jede Strasse der Stadt?

Ja, man zeigt dich schon, gehst du vorüber, mit Fingern,

Der ist's, rufet man laut, den die Liebe so quält!

Und doch merkest du nicht, wie du das Mährlein der Stadt wirst,

Dass du ohne Scham, was du verübet, erzählst?

Endlich doch war's Zeit, von edlerm Feuer zu glühen;

Lange müssig, auf! und beginne den Sang,

Dem der Busen erbebt, der Helden ewige Thaten.

Du nur, sagst du eins selbst, warest mein würdig, o Sang!

Tändeleyen genug bot deine Muse den Mädchen;

Ungenossen nicht schwand die Jugend dir hin.

Auf! Von dir müss' einst die Nachwelt rühmen, du habest

Deinen Römern zuerst mich, die Hohe, gebracht." -

Endete so und stützt' sich stolz auf ihren Kothurnus

Und bewegte dreymal das erhabene Haupt.

Sanft erwiedert' ihr mit holdem Lächeln die Andre,

In der Hand den Zweig, den die Myrte gebar;

"Was verfolgst du mich mit deinem Zürnen, du Stolze?

Sagst du ewig nur, was dein Stolz dir gebeut?

Dennoch schrittest du selbst mit mir auf einerley Laufbahn;

Zücktest gegen mich meinen eigenen Dolch.

Hab' ich jemals mich zu deiner Höhe verstiegen?

Meine Hütte bedarf deiner Königspracht nicht.

Klein bin ich; mein Lied ist nur der kleine Cupido;

Sollt' ich grösser seyn, als mein winziger Stoff?

Ohne mich, wen mag der Liebe Göttin erfreuen?

Nur durch meine Kunst rührt sie jegliches Herz.

Die vergeblich du mit deinem hohen Kothurnus

Schlägst, die Thüre thut meinem Schmeicheln sich auf.

Dass ich, mehr als du, mich sanfter Demuth befleisse,

Nützt dem Dichter mehr, als dein göttlicher Stolz.

Durch mich lernet schlau Corinna, dem Wächter vorüber,

Durch die Thüre hindurch leis' und eilend sich dreh'n

Und dem Bette sich, nur leicht gekleidet, entstehlen

Und in dunkler Nacht ohne Fährlichkeit geh'n.

Ja, selbst angeklebt an die verschlossene Thüre,

Scheu' ich's nicht, dass mich jeder Wanderer liest.

Auch weiss ich noch wohl, wie, bis der Wächter sich fernte,

In der Zofe Schoos ich so kümmerlich lag;

Und als du mich ihr zur festlichen Gabe, voll Liebe,

Du, mein Dichter! gesandt, wie sie wild mich zerriss.

War doch ich's, die dir zuerst der Begeisterung Stoff bot;

Mir allein gebührt's, sucht Tragoedia dich." -

Schwieg hier. Und ich sprach: "Vergönnt, Göttinen! dem Dichter,

Dass er ohne Scheu, was er wünschet, euch sagt.

Du Erhabene dort reichst mir den goldenen Zepter;

Bald preist alles mich, der Bewunderung voll.

Durch dich Süsse hier wird meine Liebe verewigt;

Bleib' du immer da, und beselige mich.

Kurze Zeit nur noch Tragoedia! gönne dem Dichter.

Ewig sein bist du; nur die Jugend lass' ihr!" -

Und sie ward gerührt und nickte freundlich Gewährung.

Eil' dann, Liebe! mich ruft bald ein grösseres Werk.
(S. 163-169)

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2. Elegie (3)

Ob es noch Götter gebe?


Götter gäb' es noch? Und die mir Treue geschworen,

Spottet ihres Schwurs und ist immer noch schön?

Zu dem Hüften hinab, eh sie, ihr Götter! euch täuschte,

Floss ihr Haar: noch fliesst's zu den Hüften hinab.

Milchweiss stand sie da mit rosenröthlicher Wange:

Rosenfarbe tuscht noch ihres Angesichts Schnee.

Und ihr Füsschen war klein: wie ist ihr Füsschen so niedlich!

Hold und schlank war sie: noch preist jeder sie schlank.

Ihrer Aeuglein Paar war gleich den flimmernden Sternen:

Wer erträgt noch itzt ihren brennenden Blick?

Ach, die Olympier selbst seh'n auf den Meineid der Mädchen

Lächelnd nieder; dich schützt, Schönheit! ein eigener Gott.

Wohl gedenk' ich noch, als sie bey ihren und meinen

Augen schwur, wie mich meine Augen geschmerzt.

Wolltet ihr denn auch der Schuldigen schonen, ihr Götter!

Saget, warum traf eure Züchtigung mich?

Sagt, genüget' euch nicht Andromeda's klägliches Schicksal,

Die so schuldlos litt um des fremden Vergeh'ns?

Hab' ich darum euch, als meine Zeugen, erflehet,

Euch, die sie, mit mir, unbestrafet verlacht?

Dass sie fälschlich schwur, soll ich entgelten? Das Opfer

Eurer Täuscherin soll ich Getäuscheter seyn?

Was man Gott nennt ist ein Nichts, vergeblich gefürchtet,

Nur der Pöbel beugt ihm das sklavische Knie;

Oder ist ein Gott, so liebt er liebende Mädchen,

Und sie sind's allein, die er niemals bestraft.

Gegen uns trägt Mars das todtbeflügelte Schlachtschwert,

Gegen uns nur wirft Pallas den treffenden Spiess,

Gegen uns krümmt sich Apollo's drohender Bogen,

Gegen uns erhebt Jupiter zornig den Arm.

Himmelsherrscher! euch graut, ein schönes Mädchen zu strafen,

Und ihr scheuet die, so euch selbsten nicht scheut.

Und doch opfern wir noch Weihrauch euren Altären?

Männer ziemte wohl ein beherzterer Sinn.

Zeus mit seinem Blitz trifft Siegesbogen und Haine,

Und verschont voll Huld jedes reizenden Kinds.

O, verschont' er sie nicht! doch eine Einz'ge nur brannte;

Und auch die, weil sie's wider Willen ertrotzt,

Hätte sie sich schlau dem kommenden Buhlen entzogen,

Trug er nie die Last, die nur Mädchen gebührt.

Doch was zürn' ich da, ich Thor! dem ganzen Olympus?

Habt ihr Götter nicht auch Herz und Augen, wie wir?

Wär ich selbst ein Gott, ich selbst bestrafte kein Mädchen,

Das durch falschen Schwur meine Gottheit gehöhnt.

Ja, ich schwörte noch, das Mädchen schwöre die Wahrheit,

Und gewiss wär ich kein pedantischer Gott.

Aber missbrauche du doch der Götter Milde nicht zu sehr;

Oder, so du auch schwörst, schwöre nimmer bey mir.
(S. 170-174)

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3. Elegie (4)

An einen allzubesorgten Ehherrn


Der die Gattin dir bewacht, der grämliche Schweizer,

Schützt, wie sehr er wacht, doch für Hörnern dich nicht.

Nur die sittsam ist, auch wenn sie anders vermöchte,

Ist dir treu; nicht die, so nicht anders vermag.

Hüte immer den Leib; doch wird ihr Geist dir entführet:

Den bewahrest du nicht, wenn sie selber nicht will.

Den bewahrest du nicht, und wenn du Alles verschliessest -

In der Einsamen Brust thront der Geliebtere doch.

Minder sündigt die, die sündigen könnte; das Können

Nimmt dem Wollen meist die verderbliche Kraft.

O, entzünde nicht die Lust durch eitle Verbote!

Sichrer, glaube mir, zähmt sie schonender Sinn.

Sieh, das edle Ross, wie's, in den Zügel sich stemmend,

Mit des Blitzes Eil' seinen Reuter entführt!

Sieh! nun lässt er ihm den Zügel; die fliegen, den Mähnen

Hängt er spielend herab - und es stehet, das Ross.

Uns reizt selbst das Verbot; wir wünschen, was wir nicht sollen,

Wie nach kaltem Trunk zitternd der Kranke sich sehnt.

Hundert Augen vorn, und hinten hundert trug Argus;

Dennoch täuschet' ihn Amor nicht selten allein.

Die im ehernen Thurm ihr Vater als Jungfrau verschlossen,

Kam als Mutter zurück aus dem ehernen Thurm;

Aber unbewacht und rund von Buhlen umschwirret,

Blieb Penelope doch ihrem Gatten getreu.

Was man uns entzeucht, wird uns nur werther; die Sorge

Des Besitzers weckt den argwöhnenden Dieb.

Nicht der Gattin Reiz - des Ehherrn Eifersucht lockt uns:

Was liebt der doch so? fraget jeglicher sich.

Sey sie ungestalt - als Gattin des andern gefällt sie;

Strenger Ehherr! du selbst mehrst die heimliche Lust.

Zürn' du immerhin, dass mich der Deinigen lüstet;

Doppelt freut mich der, die mich schüchtern umarmt.

Aber Frevel ist's, ein freyes Mädchen verschliessen;

Nur Barbaren ziemt solcher grausame Zwang.

Dass dein Schweizer sich mit seiner Wachsamkeit blähe -

Zu des Sklaven Ruhm wär dein Mädchen dir treu!

O des Rohen! der der Gattin Buhlschaft sich grämet;

O, wie fremd ist er in der feineren Stadt.

Drinn aus Buhlschaft selbst die Zwillingshelden entstanden,

Remus, Ilias's Sohn, Romulus, Ilia's Sohn.

Sprich! wozu die Schöne, wenn du der Keuschen verlangest?

Paart sich keuscher Sinn je mit schönem Gesicht?

Sey du immer mild der holden Gattin, und lächle

Von der ernsten Stirn jede Runzel hinweg,

Und sey freundlich stets den Freunden, die sie dir schenket -

Viele schenkt sie dir, und dein Name wird gross.

Ueberall wirst du die Tafeln der Mächtigen schmücken,

Und in deinem Haus glänzt manch fremdes Geschenk.
(S. 175-178)

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4. Elegie (5)

Das Traumbild


Nacht war's und mein Auge schloss linden Fittigs der Schlummer;

Da schwand meinem Geist diese Schreckgestalt vor.

Einen sonnigen Hügel umkränzt' ein schattiger Eichwald;

Und von Zweigen herab scholl der Vögel Gesang;

Und in grünem Schmelz hob sich der Boden; ihn tränkte

Eine Silberquell', die ihn plätschernd durchzog.

Unterm schattigen Dach der Eichen Kühlung zu atmen

Lag ich; doch war's heiss unterm schattigen Dach.

Durch die Weide gelockt, die bunt mit Blumen gestickt war,

Nahte plötzlich mir eine reizende Kuh,

Weisser als der Schnee, der, rein vom Fusstritt des Wandrers,

Auf dem weiten Gefild blendend im Sonnenstrahl starrt,

Weisser als die Milch, die warm vom Euter des Lammes

Noch voll Schaumes sich in dem Melkgefäss wölbt.

Ihr zur Seite gieng ein Stier, ihr glücklicher Gatte.

In das weiche Gras legten beyde sich hin.

Lagen beyde so und zehrten ruhig vom Grase

Und, wie weich es war, wiederkäueten sie's.

Mählig kam ihm der Schlaf; es sank das hörnerbekränzte

Vollgewichtige Haupt zu der Erde hinab.

Eine Kräh' liess hier im schnellen Fluge sich nieder,

Sass erst schwatzhaft da in dem wehenden Gras,

Ritzte dann die Brust der Kuh mit mördrischem Schnabel,

Trug in hoher Luft ihre Mähne davon.

Von dem treuen Stier entschlich die Kuh sich nach langem

Zweifeln; schwärzlich sah ihre wölbige Brust.

Fern im Grase gieng ein Schwarm von Stieren: im hohen

Fetten Grase war's diesem Schwarme so wohl!

Und sie eilte dahin, und mischte sich unter die Stiere;

Und ihr war so wohl in dem fetteren Gras!

Sprich, wer du auch seyst, du Deuter nächtlicher Bilder!

Sprich, was sollte mir dieses fremde Gesicht? -

Und er sprach zu mir, nachdem er einzeln die Theile

Des Gesichtes geprüft, mit prophetischem Ernst:

"Dem vergeblich du im dichten Schatten der Eichen

Kühlung suchtest, war deiner Liebe Gefühl.

Die milchweisse Kuh ist dein noch weisseres Mädchen

Und - verzeih' es mir - und der Stier bist du selbst.

Dass die Kräh' ihr frech die Brust zerrissen, will sagen:

Alt und schwatzhaft täuscht eine Mäcklerin sie.

Dass sie ihren Stier nach langem Zweifeln verlassen,

Heisst: bald liegest du kalt im einsamen Bett.

Und das schwarze Mahl, das vorn die Brust ihr geschändet,

Zeigt: von Buhlschaft sey ihre Brust schon entweiht." -

Sprach's, und mir entfloh das Blut zum bebenden Herzen

Und vor meinem Aug lag die schaudrigste Nacht.
(S. 179-181)

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5. Elegie (8)

Er beklagt sich, dass er von seiner Geliebten
nicht aufgenommen worden


Und wer huldiget noch den edlen Künsten? wer wähnet,

Dass ein rührend Lied mehr als Alles vermag?

Einst in besserer Zeit war Witz geehrter als Reichthum;

Itzt ist der nur Thor, dem's an Golde gebricht.

Zwar mein Mädchen preist, was ich so zärtlich gesungen;

Doch mein Büchlein nur trifft dies glückliche Loos.

Wie gelobt ich sey, doch ist ihr Haus mir verriegelt

Und mit meiner Kunst schleich ich schmählig davon.

Der sich dort so bläht, der Neuling, durch Wunden bereichert

Und mit Blut genährt, der verdrängt mich bey dir?

Und in deinen Arm kannst du ihn, Liebliche, fassen?

Und in seinem Arm ist dir, Liebliche! wohl?

Wisse, dieses Haupt trug einst den drohenden Helmbusch;

Diese Hüfte trug das zerstörende Schwert.

Diese Hand, die sich zu spät des Goldes gewöhnet,

Trug den Schild, und die war im Blute gefärbt,

Kannst du eine Hand, die Menschen würgte, berühren?

O, wohin, wohin floh dein zärtlicher Sinn?

Sieh die Narben an, des alten Kampfes Erinnrung!

Alles was er hat, hat er blutig verdient.

Ha, vielleicht erzählt er jede Mordthat, der Rohe,

Die er irgend verübt - und du kosest ihn doch. - -

Ich, der Musen Liebling, Apolls unsträflicher Priester,

Sing' umsonst mein Lied der verriegelten Thür!! -

Wollt ihr weise seyn, o lernt nicht unsere Künste!

Zieht dem Lager nach und dem schrecklichen Heer.

Statt des besten Reims ergreift die stattliche Fahne;

Fahnenjunker sey, kommst du wieder, Homer!

Als um Danaën einst selbst Zeus, der Donnerer, buhlte,

Ward selbst Zeus gewahr, nichts sey stärker, als Gold.

Ohne Gold, wie war so streng der Vater! so spröde

Danaë! wie war unzugänglich der Thurm!

Kaum trof schlau der Gott im goldenen Regen hernieder:

Offen war ihr Schoos; selbst der Vater gebot's.

Da Saturnus noch des Himmels Zepter geführet,

Barg die Erde, tief im geheimesten Schoos,

Gold und Silber und Erz und das verderbliche Eisen;

Plutons Reiche kam noch kein Lebender nah,

Aber bessere Gaben gab er - freywillige Aerndten,

Obst, vom hohlen Baum floss der Honig von selbst.

Nicht mit schwerem Pflug ward noch der Boden durchwühlet,

Und noch schied kein Stein die benachbarte Mark.

Noch kein Ruder schlug die blinden schäumigen Fluthen:

Aller Reisen Ziel war das Ufer des Meers.

O, nur du hast dir, Verstand der Menschen! geschadet;

Selber hast du dich allzusinnreich gequält. -

Was verschlossest du mit hohen Mauern die Städte?

Gabst empörtem Zorn das verderbliche Schwert?

Sag, was sollten dir, bey so viel Ländern, die Meere?

Warum hast du nicht auch den Himmel erstürmt?

Doch selbst der ist dein; ein Gott wird Bacchus verehret,

Und Alcides, und du, grosser Caesar! ein Gott.

Statt der gelben Frucht gräbt man itzt Gold aus der Erde;

Mit der Schlachten Blut kauft der Krieger sich reich.

Wer nur Reichthum hat, der hat auch Weisheit und Ahnen:

Welcher Richter gleicht, welcher Edelmann ihm? -

Mögen sie doch das! Der Waffenplatz staune, das Forum

Staun' sie an, im Krieg wie im Frieden berühmt.

O, nur sollen sie nicht unsere Mädchen uns rauben!

Nur die einzige noch sey uns Armen vergönnt!

Aber sieh dort! Jene, die erst die Spröde gespielet -

Einer Sklavin gleich folgt sie des Reicheren Wink.

So ich komme, scheut sie den Wächter, den laurenden Ehherrn;

Schenk' ihr - und sie scheut Wächter und Ehherrn nicht mehr. - -

O, mit deinem Blitz mich, den Verschmähten, zu rächen,

Kehre solchen Erwerb, Zeus! in nichtigen Staub!
(S. 182-189)

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6. Elegie (9)

Auf den Tod des Albius Tibullus


Hat Aurora je den theuren Memnon beweinet,

Thetis den Achill; klagten Göttliche je:

O, so löse bang dein lockigt Haar, Elegia!

Und mit leisem Ton wimmre Sterbegesang.

Wimmre Sterbegesang. - Dein Stolz - Tibullus; er sinket,

Ewig schlafend nun sinkt dein Liebling in Staub.

Vor dem Todten geht mit leerem Köcher Cupido,

Geht, den Bogen entzwey und die Fackel gesenkt;

Ganz in sich gekehrt, mit niederhängenden Flügeln;

Schlägt die nackte Brust mit verzweifelnder Hand.

Heisse Tropfen saugt sein Haar vom thränenden Auge:

Dumpfen Jammerlaut schluchzt sein bebender Mund.

Tiefgebeugter, als itzt, gieng er noch niemals; selbst da nicht,

Als der grimme Tod seinen Bruder ihm nahm.

Tiefgebeugter, als itzt, war Venus niemals; selbst da nicht,

Als des Ebers Wuth ihren Jüngling entmannt.

Heilig nennet man uns Dichter, der Göttlichen Freunde;

Uebersterblich schwillt unser Busen empor:

Doch dem bösen Tod ist auch das Heiligste Spielwerk;

Alles, alles raubt seine nächtliche Hand.

Nichts half wider ihn dem Orpheus Vater und Mutter;

Nichts der Zaubersang, dem selbst Löwen gehorcht.

Und der Moeonide, aus dessen ewiger Quelle

Des Pierischen Tranks jeder Dichter sich schöpft?

Ach! der Tage letzter riss zu dem Orkus ihn nieder. -

Nur Gedichte fliehn der Verwesung Gericht.

Itzt und ewig bleibt von Troja's Trübsal die Kunde;

Bleibt sein milderes Lied, das Gewebe voll List.

Aber Nemesis auch, die Liebe des süssen Tibullus,

Und auch Delia, seine Liebe, bleibt stets.

Sagt, was nützete euch die Frommheit? der heilige Eifer

In der Isis Dienst? und die einsame Nacht?

Wenn ein schlimmes Geschick die Besten raubt; o vergebet,

Götter! meinem Schmerz - keine Götter seyd ihr. -

Eines Heiligen sey dein Leben, dein Tod eines Heiligen;

Selbst vom Altar reisst dich der Mörder in's Grab.

Traust du deinem Gesang? - Hier liegt Tibullus: unendlich

Ist sein Ruhm, Er selbst kaum ein Händchen voll Staub.

Frommer Sänger! auch dich hat jene Flamme verzehret?

Auch dein zärtlich Herz ward der Wüthenden Raub?

O, dass sie nicht euch, ihr goldnen Tempel der Götter,

Euch ergriff, die ihr solchen Frevel gewährt!

Weitab wandte den Blick, die mild in Cyprus gebietet;

Thränen flossen ihr von dem himmlischen Aug'.

Besser dennoch so, als hätt' auf einsamer Insel

Fremde Erde dich, süsser Sänger! gedeckt.

Deine Mutter drückt', da schon dein Geist floh, die Augen,

Süsser Sänger! dir zu, und bestattete dich.

Mit der Mutter theilt' den Schmerz die jammernde Schwester,

In nachlässigem Kleid, mit zerrissenem Haar.

Mit der Mutter Küssen und mit der Schwester verband sich

Deiner Mädchen Kuss - ach, nicht schalkhaft, wie sonst.

"Glücklich ich!" - sprach erst, voll Wehmuth, Delia - "Glücklich

Deine Liebe war ich, Dichter! so lang du gelebt." -

"Wie?" - seufzt' Nemesis dann - "du trauerst ob meinem Verluste?

Mir nur, als er starb, hielt der Dichter die Hand." -

Doch, wenn nach dem Tod mehr als blos Schatten zurückbleibt,

Lebt Tibullus itzt in Elysiums Thal.

Lächelnd naht ihm dort, das Haupt mit Epheu beschattet,

An des Calvus Hand, der gelehrte Catull,

Und - o, müsste doch die grimme Sage betrügen! -

Du, mein Gallus, ihm mit dem blutigen Dolch.

In der Freunde Geleit geht dann sein Schatten; vermehret

Ist die selige Schaar, süsser Tibullus! durch dich. -

Ruhe, heilig Gebein! in sichrer Urne; o drücke

Seine Asche nicht, Erde, mütterlich Land!!
(S. 190-198)

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7. Elegie (11)

An die Untreue, von der er umsonst sich los zu reissen sucht


Lang und viel trug ich; doch itzt verdreusst mich des Fragens:

Weich' aus meiner Brust, böser Amor! hinweg.

Frey! nun bin ich frey!! Hier liegt zerbrochen die Kette;

O der kränkenden Schmach, dass ich jemals sie trug! -

Frey! ein Sieger bin ich!! Zu meinen Füssen liegt Amor;

Spät auf meiner Stirn sprosseten Hörner empor.

Duld' und kämpf' ein Mann; einst wird des Kampfes dich freuen,

Wie der bittere Saft oft dem Kranken gedeiht.

Und ich trug es einst, vor der verriegelten Thüre

Auf der harten Erd' zu durchwachen die Nacht!

Trug es einst, wenn du mit einem andern geschwelget,

Sklavisch da zu stehn am verschlossenen Haus;

Sah den Buhlen, wie, vom süssen Zweykampf ermüdet,

Er dem Haus' entschlich, bleich und schwankenden Tritts.

Mocht' ich immer ihn sehn; doch dass auch Er mich erblicket -

O, dass dieser Schimpf meine Feinde nicht traf!

Kam dir in den Sinn dich zu ergehen; wie hieng ich

An der Seite dir, Mann und Hüter und Freund!

Ja, dem Volke selbst gefielst du, durch mich besungen;

Meine Liebe war dir vieler Liebschaften Quell.

Sollt' ich dann erst noch die täuschenden Worte erzählen!

Und die Schwüre, die du jeden Augenblick brachst!

Und am vollen Tisch die stillen Winke der Buhlen!

Und die Zeichen, die sie statt der Worte gespäht!

Sagte man dich krank: wie stürzt' ich athemlos zu dir!

Kam - erblickte dich meinem Neider im Schoos!!

All das, und noch mehr, hab' ich so lange getragen;

Such' itzt, Mädchen! dir einen andern, der's trägt.

Mit dem Blumenkranz, der Götter Gabe, geschmücket,

Läuft mein Schiffgen itzt in den ruhigen Port.

Spare fürder nur die Schmeicheleyen, so mächtig

Sonst aus deinem Mund! - All dein Zauber ist hin. - - -

O, noch fühl' ich ihn. - Wie kämpft im empöreten Busen

Liebe hier, dort Hass! - aber die Liebe gewinnt.

Hassen möcht' ich dich; und dennoch muss ich dich lieben,

Wie der Stier das Joch, das ihn quälet, doch trägt.

Schalkheit scheucht mich von dir; doch bringt mich Schönheit dir wieder:

Zwar dein Herz hass' ich; doch entzückt mich dein Leib.

Mit dir kann ich nicht, noch minder ohne dich leben;

Meiner Wünsche Fluth woogt im Sturm mich umher.

Wärst du weniger schön! - wo nicht, doch weniger schalkhaft!

Andre Sitten will eine solche Gestalt.

Hass verdient dein Thun, dein himmlisch Angesicht Liebe.

Wehe! man vergisst alles Hasses darob. -

Schone mein, o du! bey jenen heimlichen Freuden,

Bey den Göttern selbst, die du so manchmal getäuscht,

Und bey deinem Gesicht, vor dem ich kniee, bey deinen

Strahlenäuglein, die mir ach! die meinen entführt:

Was du immer seyst - dein bin ich ewig. Nur wähle,

Soll ich gerne dir, oder dienen aus Zwang?

Soll ein günstiger Wind in volle Segel mir brausen?

Oder wider den Strom schwer mein Ruder sich müh'n?
(S. 199-202)

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8. Elegie (12)

Ueber die Mitbuhlen, die er durch seine Gedichte sich selbst zugezogen


Welch ein Tag war der, an dem der nächtlichen Raben

Dumpf Geächz mir nichts als nur Unglück gebracht?

Welch ein brennend Gestirn flimmt meiner Liebe so feindlich?

Oder welch ein Gott ist im Kriege mit mir? -

Die die Meine kaum war; die ich, der Erste, geliebet -

Wehe! schon ist sie mir mit Vielen gemein.

Irr' ich? oder hat mein eigen Lied sie gereizet?

Ja! mein eigen Lied hat mir Buhlen erweckt:

Und verdient hab' ich's. - Wozu die Schönheit so rühmen?

Nur durch meine Schuld wird mein Mädchen gesucht.

Ich verkauft' es ja selbst; ich bracht' ihm Buhlen; geöffnet

Ward durch meine Hand sein sonst sittsames Haus.

Ob es mir genützt? - Wie weiss ich's? - Aber geschadet

Hat mein Dichten mir - all mein Glück mir geraubt.

Welch erhabener Stoff - ein Thebä! ein Troja! ein Cäsar!

Und doch wählt' ich nur meines Mädchens Gesicht! -

Hättet ihr euch doch, ihr Musen! von mir gekehret;

Hätt' Apollo nie meine Wünsche beglückt!

Sonst weiss man ja! wohl, wie weit man Dichtern vertrauet;

Warum glaubete man mir nur hierinn so streng?

Durch uns ward ja! auch, weil sie die Locken des Vaters

Raubte, Scylla sogleich in ein Unthier verkehrt.

Schwingen geben wir den Füssen, Schlangen den Haaren;

Auf beflügeltem Ross jaget Perseus einher.

Ungeheuren Raums liegt durch uns Tityon; dreyfach

Ist durch uns das Haupt des gefürchteten Hunds,

Tausendarmig wirft Enceladus Steine gen Himmel:

Männer täuscht durch uns ein jungfräulich Gesicht.

Niobe wird durch uns zum Stein, zur Bärin Kallisto

Und um Itys schwirrt Cecrops Vogel sein Leid

Und selbst Jupiter wird itzt Schwan, itzt goldener Regen,

Oder schwimmt als Stier über's woogigte Meer.

Und was sag' ich gar von jenen Zähnen? von Proteus?

Dass es Ochsen gab, die nur Flammen gesprüht?

Dass in Bernstein sich der Schwestern Thränen verwandelt?

Und was Schiff erst war, eine Meergöttin ist?

Dass vorm schaudrigen Mahl des Atreus die Sonne geflüchtet?

Und der Leyer Klang Thier' und Felsen gefolgt? -

Welcher Sterbliche misst der Dichter endlose Freyheit?

Wer nur Wahres will, schlaf' auf Chroniken ein.

Warum schien euch nicht auch das Lob des Mädchens erdichtet?

Wehe! dass ihr mir allzuwillig geglaubt.
(S. 203-206)

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9. Elegie (15)

An die Venus, dass er sich itzt von der elegischen Muse verabschiedet


Einen andern Dichter erkiese dir, Mutter der Amorn!

Ihren Schwanengesang tönt die Muse dir heut.

Glücklich war ich einst in ihrer sanften Umarmung;

Ihren Liebling pries jeder Sterbliche mich.

So es rühmlich ist, von edlen Ahnherrn zu stammen,

Die kein neues Glück seltsam spielend erhob:

Freue Mantua sich Virgil's, Verona Catullens,

Sey auch Naso dereinst, o Pelignus! dein Stolz.

In mir fliesset des Bluts, das, als ob der Wuth der Verbundnen

Rom gezittert, für Rom sich so muthig ergoss.

Sieht in später Zeit ein Wandrer ferne die Mauern,

Die in engem Kreis rund um Sulmo sich ziehn;

Ruft er staunend aus: "die ihr den göttlichen Dichter

Fasstet, ehrfurchtsvoll preis' ich, Mauern! euch gross!!"

Schöner Knabe! und du, des Knaben schönere Mutter!

Nehmt von meinem Zelt eure Fahne hinweg.

Mit dem mächtigen Stab traf mich Lyaeus gebietrisch:

Ein geräumiger Feld will mein glühendes Ross.

Du, der Liebe Muse, der schönsten Jahre Gespielin,

Lebe wohl! - du bleibst mein unsterblicher Ruhm!!
(S. 207-208)

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Übersetzt von Ernst Ludwig Posselt (1763-1804)

Aus: Des Publius Ovidius Naso
Lieder der Liebe
Metrisch verdeutscht von D. Ernst Ludwig Posselt
Leipzig Bey Friedrich Gotthold Jacobaeer 1789

 

Anmerkung des Übersetzers:
Einige Lieder, die der Fabellehre der Alten und den freyen römischen Sitten zu eng angepasst sind, um auch in einer Verteutschung ganz zu gefallen, sind mit Vorbedacht aus diesem Bänchen hinweggelassen worden.


[Die in Klammern gesetzte Numerierung der Elegien entspricht dem lateinischen Original]

[die hier fehlenden 6 Elegien in einer anderen Übersetzung]

 
Erstes Buch

Zweites Buch
 

 


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